Bull­shit oc­cu­p­ied

Ei­nen »pla­ka­ti­ven Text« kün­digt das »Ti­tel Ma­ga­zin« an, der den »re­si­gnier­ten« Le­ser auf­rüt­teln will. Ein al­ter To­pos des Feuil­le­tons wird da be­dient: Man nimmt den Le­ser, der sich nicht weh­ren kann, in den Arm und spricht – na­tür­lich un­ge­fragt – für ihn. Nicht der ein­zi­ge Trick. Denn was dann von Thor Kun­kel folgt, ist ein ha­stig zu­sam­men­ge­stop­pel­tes, lar­moy­an­tes Ge­plap­per mit reich­lich sach­li­chen Feh­lern gar­niert. Das Pro­to­koll ei­nes Wut­li­te­ra­ten, der um Auf­merk­sam­keit win­selt, in dem er mög­lichst dra­stisch die­je­ni­gen an­schreit, de­ren Zu­nei­gung er doch so er­sehnt.

Früh wird klar: Es geht Kun­kel über­haupt nicht um Li­te­ra­tur­kri­tik. In sei­nem Text ist nicht ein Wort dar­über zu fin­den. Es geht um das »Be­triebs­sy­stem«, die­ses omi­nö­se Hin- und Her­ge­scha­cher, was sich zur Ver­blüf­fung vie­ler Jungli­te­ra­ten jen­seits so­zia­ler Netz­werke ab­spielt. In Köln hat man da­für den Di­mi­nu­tiv »Klün­gel« er­fun­den. Kun­kel ent­deckt den Klün­gel im­mer wie­der neu. So weit, so schlecht. Und so be­kannt. Aber se­lek­ti­ve Wahr­neh­mung ist im­mer der Freund des Ver­schwö­rungs­theo­re­ti­kers. Wo bleibt die fach­li­che Aus­ein­an­der­set­zung? Wo blei­ben Hin­wei­se auf ei­ne al­ter­na­ti­ve Literatur­kritik jen­seits der Loven­bergs, Ra­dischs, Wei­der­manns und Schecks? Statt­des­sen greift er lie­ber in die Kli­schee­ki­ste und suhlt sich in sei­nen Ori­gi­na­li­tät si­mu­lie­ren­den In­vek­ti­ven. Man sieht ihn förm­lich jauch­zen, wie er ei­ne schie­fe Me­ta­pher an die an­de­re klebt. Der Le­ser, zum Auf­rüt­teln be­stellt, gähnt und spen­det sanf­tes Mit­leid.

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Al­ban Ni­ko­lai Herbst: Klei­ne Theo­rie des Li­te­ra­ri­schen Blog­gens

Wäh­rend di­ver­se In­ter­net­ak­ti­vi­sten mit ih­ren schein­gewichtigen Pro­phe­zei­un­gen ent­we­der das Netz­paradies oder den Vor­hof der Höl­le aus­ge­ru­fen ha­ben und so­ge­nann­te »Al­pha-Blog­ger«, die schon län­ger zu­meist un­in­spi­riert ih­re Ich-AGs in Wer­be­spots, Talk­shows oder On­line­ko­lum­nen pfle­gen und da­bei nur ei­nen reiz- und in­halts­lo­sen Raum der Selbst­re­fe­ren­tia­li­tät fül­len (trau­riger Hö­he­punkt war das lä­cher­li­che In­ter­net-Ma­ni­­fest von 2009), schreibt Al­ban Ni­ko­lai Herbst seit sie­ben Jah­ren ei­nen Web­log, der, wür­de man ihn aus­drucken wol­len, in­zwi­schen Ar­no-Schmidt-Aus­ma­ße an­neh­men wür­de. Herbst, der Schrift­steller, be­treibt (s)einen Li­te­ra­ri­schen Web­log. Zu le­sen ist das vir­tu­el­le Kon­vo­lut seit 2004 un­ter dem wuch­ti­gen Ti­tel Die Dschun­gel. An­ders­welt.; die Web­adres­se weist in­des auf sei­nen Ur­heber hin (der längst nicht mehr der al­lei­ni­ge Au­tor ist). Auch wenn die zum Teil äu­ßerst theo­re­ti­sche, ja di­stan­zier­te Be­trach­tung an­de­res ver­mu­ten las­sen könn­te: Herbst ist tief in sein Ge­we­be ver­sun­ken, mit ihm und in ihm fast phy­sisch in­fil­triert. Da­bei ist auch die­ser Blog von nar­ziss­ti­schen Selbst­dar­stel­lun­gen nicht frei, aber im Ge­gen­satz zu den mei­sten ideo­lo­gisch ver­bohr­ten Netz­theo­re­ti­kern mit ih­ren ehr­pus­se­li­gen Allein­vertretungsansprüchen sind sei­ne Re­fle­xio­nen nicht nur les­bar, son­dern wer­den in der täg­li­chen Pra­xis ver­sucht. Der Le­ser kann die Ent­wick­lung des Den­kens zum und über den Li­te­ra­ri­schen Web­log über die Jah­re hin­weg nicht nur nach­le­sen, son­dern auch im Me­di­um sel­ber er­fah­ren. Dies in­klu­si­ve der fast zwangs­läu­fig ent­ste­hen­den Irr­tü­mer und not­we­ni­gen Kor­rek­tu­ren. Die »Klei­ne Theo­rie des Li­te­ra­ri­schen Blog­gens« ist in­zwi­schen on­line auf 131 Tex­te an­ge­wach­sen (Stand: 21. Ok­to­ber 2011). In der »edi­ti­on ta­ber­na kri­ti­ka« ist nun ei­ne Pa­per­back-Aus­ga­be mit 133 Tex­ten auf rd. 130 Sei­ten er­schie­nen.

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Das gro­ße Ver­sa­gen

Char­lot­te Ro­ches Schlam­pen­pa­la­ver »Schoß­ge­be­te«, der neue Neo-Rea­lis­mus der Li­te­ra­tur­kri­tik und ein klei­ner Aus­flug

»Schoß­ge­be­te« be­rich­tet von drei Ta­gen aus dem Le­ben der Eliza­beth Kiehl (33), die mit ih­rem Mann Ge­org (50) und 7jähriger Toch­ter Li­za in ei­ner »anale[n] Woh­nung« in ei­ner deut­schen Groß­stadt in der »Jo­na­than-Sa­fran-Foer-Ära« (d. i. die Ge­gen­wart) lebt. Li­zas Va­ter ist Eliza­beths Fast-Ehe­mann Ste­fan. Fast-Ehe­mann, weil drei Brü­der von Eliza­beth bei der An­rei­se zur Hoch­zeit töd­lich ver­un­glück­ten; die Mut­ter wur­de schwer­ver­letzt. Die Hoch­zeit wur­de ab­ge­sagt; die Be­zie­hung zer­brach. Li­za wur­de, wie Eliza­beth er­zählt, prak­tisch als letz­tes Mit­ein­an­der zwi­schen den bei­den ge­zeugt. Fast gleich­zei­tig lern­te Eliza­beth den Ga­le­ri­sten Ge­org ken­nen, der da­mals noch mit ei­ner an­de­ren Frau ver­hei­ra­tet war und Va­ter vom fast gleich­alt­ri­gen Max ist. (Die Verwandtschaftsver­hältnisse von Eliza­beth sind noch kom­pli­zier­ter, weil ih­re Mut­ter Liz mit drei Män­nern ver­hei­ra­tet war.)

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Bri­git­te Schwens-Har­rant: Li­te­ra­tur­kri­tik – Ei­ne Su­che

Brigitte Schwens-Harrant: Literaturkritik - Eine Suche
Bri­git­te Schwens-Har­rant: Li­te­ra­tur­kri­tik – Ei­ne Su­che

»Li­te­ra­tur­kri­tik – Ei­ne Su­che« ist mehr als nur ei­ne Mo­ment­auf­nah­me aus dem »Be­trieb«, der sich zu­meist in Jam­me­rei und mehr oder min­der of­fe­ner Pu­bli­kums­be­schimp­fung übt, wenn es um ihr Me­tier geht. Bri­git­te Schwens-Har­rant, selbst Li­te­ra­tur­kri­ti­ke­rin, lie­fert nicht nur ei­ne pro­fun­de, wun­der­bar un­auf­ge­reg­te Be­schrei­bung des Ist-Zu­stan­des, son­dern ent­wickelt im wei­te­ren Ver­lauf nichts Ge­rin­ge­res als ei­ne Zu­kunfts­per­spek­ti­ve für ih­re Zunft. Dies al­les in la­ko­ni­scher und prä­zi­ser Spra­che, oh­ne in das ab­schrecken­de, letzt­lich nur selbst­be­weih­räu­chern­de Ger­ma­ni­sten­sprech zu ver­fal­len, wel­ches sie be­rech­tig­ter­wei­se bei an­de­ren mo­niert.

Es gibt schö­ne Ge­las­sen­heits­mo­men­te der Au­torin, et­wa wenn sie die all­ge­mei­ne Ver­un­si­che­rung in der Bran­che mit dem Satz Ach­sel­zucken macht mun­ter kom­men­tiert. Schwens-Har­rant zeigt zwar Ver­ständ­nis für die schwie­ri­ge Si­tua­ti­on der Kri­ti­ker (nied­ri­ge Ho­no­ra­re, Spar­zwän­ge in den Zei­tun­gen, »Ge­set­ze« des Be­triebs) sieht aber kei­nen Grund, den Kopf in den Sand zu stecken. Im Ge­gen­teil: Wäh­rend die Mit­glie­der des Li­te­ra­tur­be­trie­bes da­mit be­schäf­tigt sind, zu strei­ten, zu jam­mern oder ein­an­der an die Be­deu­tung oder Be­deu­tungs­lo­sig­keit ih­res Tuns zu er­in­nern, sind die Le­ser da­bei, sich via In­ter­net Öf­fent­lich­keit zu schaf­fen und auf ei­ge­ne Faust Li­te­ra­tur­ver­mitt­lung zu be­trei­ben. Die Fra­ge, was der Li­te­ra­tur ei­gent­lich bes­se­res pas­sie­ren kann, als auf die­se Wei­se Auf­merk­sam­keit zu be­kom­men, ist eben nicht iro­nisch ge­meint.

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»Ein reg­sam lau­es Trei­ben«

Zu­ge­ge­ben, die­ser Satz ist arg pro­vo­ka­tiv:

Der Li­te­ra­tur­be­trieb hat das li­te­ra­ri­sche Le­ben ge­ra­de­zu ver­nich­tet.

Und Heinz Plesch­in­ski re­la­ti­viert ihn auch so­fort wie­der: Schul­di­ge sind schwer­lich zu be­nen­nen. Doch selbst der Li­te­ra­tur­be­trieb ist nur ein win­zi­ges Seg­ment im all­ge­mei­nen Trend zur Ver­fla­chung. Wer Buch­in­hal­te re­fe­riert, ern­tet ein Gäh­nen – nie­mand will mehr ru­hig zu­hö­ren – al­lein die Ver­kaufs­zah­len hal­ten in Atem und fun­gie­ren als Qua­li­täts­sie­gel. Der Kampf um den Ab­satz be­stimmt al­les. Lek­to­ren und Ver­le­ger win­ken ab und das Ver­triebs­per­so­nal senkt den Dau­men, wenn ih­nen ein sper­ri­ges Ma­nu­skript un­ter die Au­gen ge­rät.

So weit, so be­kannt, möch­te man mei­nen. Aber die wei­te­re Lek­tü­re des Ar­ti­kels in der »Welt« (un­ter dem mar­tia­lisch-trot­zi­gen Ti­tel »Wir müs­sen wei­ter ins Ge­fecht«) ist den­noch emp­feh­lens­wert und hebt sich von der all­ge­mei­nen Li­te­ra­tur­kri­tik-Me­lan­cho­lie, wel­ches im Mo­ment die Feuil­le­tons durch­zieht (kein Wun­der: die al­ten Män­ner tre­ten ab und die Neu­en se­hen ih­re Erb­hö­fe vor sich hin mo­dernd), wohl­tu­end ab.

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Lasst doch mal die Klei­nen nach vor­ne *

Ein Schmie­ren­thea­ter

Va­ter und Toch­ter in der Kü­che. Er hat ge­ra­de die Ja­va-Ma­schi­ne pro­gram­miert und in we­ni­gen Se­kun­den spru­delt ein Lat­te-Mac­chia­to in ein Ro­sen­thal-Glas. Die Toch­ter dreht ih­re Haar­spit­zen.

  • Ver­fick­te Schei­ße!
  • Bit­te?
  • Schei­ße.
  • Was ist, Klein­chen?
  • Ey, ich hab kei­nen Schul­ab­schluss, bin zwar ein Wun­der­kind, kann mir aber nix mer­ken, al­so mit dem Gott­schalk bei Wet­ten, dass, das geht auch nicht, au­sser ich könnt’ da mo­geln oder so.
  • Hm.
  • Was soll ich bloss ma­chen? Ich hab’ kei­nen Bock auf die­ses be­schis­se­ne Volks­büh­nen-Le­ben hier. Nur so als Grou­pie rum­tur­nen.

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Die Un­fä­hig­keit, zu goog­len

Der Vor­wurf des Pla­gi­ats ist der schlimm­ste, den man ei­nem Schrift­stel­ler ma­chen kann. Da­her soll­te man mit sol­chen Be­schul­di­gun­gen vor­sich­tig um­ge­hen. Pla­gi­ats­ge­schich­ten ha­ben meist nicht nur Ent­hül­lungs­cha­rak­ter. Die schlech­ten Ent­hül­lun­gen de­nun­zie­ren auch im­mer gleich mit. Es gibt zahl­rei­che Bei­spie­le für Kam­pa­gnen, die ge­le­gent­lich durch­aus die In­ten­ti­on hat­ten, Schrift­stel­ler auch öko­no­misch zu ver­nich­ten.

Die De­fi­ni­ti­on von dem, was man »Pla­gi­at« nennt, ist recht klar. Ne­ben der recht­li­chen Er­klä­rung, gibt es auch ei­ne ethi­sche. Bei­de In­ter­pre­ta­tio­nen ma­chen es so schwie­rig fest­zu­stel­len, ob et­was Pla­gi­at ist, ein Mo­tiv ver­wandt wur­de oder ob es ei­ne Ver­än­de­rung oder Wei­ter­ent­wick­lung ei­nes Mo­ti­ves ist.

Deef Pir­ma­sens hat in sei­nem Web­log »die ge­fühls­kon­ser­ve« He­le­ne He­ge­manns Best­sel­ler »Axolotl Road­kill« mit dem Buch »Stro­bo« des Blog­gers »Ai­ren« ver­gli­chen und ver­blüf­fen­de Par­al­le­len fest­ge­stellt, die er aus­führ­lich do­ku­men­tiert.

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Pro­vinz­kri­ti­ker

Ver­spä­te­te Be­mer­kun­gen zu ei­ner Pseu­do­kri­tik über Ste­phan Tho­mes Buch »Grenz­gang«

Ste­phan Thome hat ei­nen Feh­ler ge­macht. Er hat­te sich in der Ku­lis­se sei­nes Hei­mat­or­tes Bie­den­kopf für die Li­te­ra­tur­bei­la­ge der »Zeit« (Ok­to­ber 2009) fo­to­gra­fie­ren las­sen (die Bil­der sind nicht on­line). Ei­ne Bild­un­ter­schrift lau­tet: »Ste­phan Thome lebt zwar ge­ra­de in Tai­wan, geht hier aber im hei­mat­li­chen Bie­den­kopf für uns in die Hocke.« Je­der, der auch nur ei­nen Fun­ken Ge­fühl für Spra­che hat, er­kennt die ver­bor­ge­nen In­vek­ti­ven. Zu­sammen mit der Re­zen­si­on von Iris Ra­disch er­gibt dies ei­ne schwung­vol­le De­nun­zia­ti­on des Ro­mans »Grenz­gang«.

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