Alois Pokora, 1891 in Oberschlesien geboren, Leutnant des Schlesischen Pionier-Bataillons Nr. 6, kämpft am 23. Oktober 1918 um drei Uhr siebenundzwanzig irgendwo in Flandern für den Deutschen Kaiser. Er ist längst desillusioniert, was den Krieg angeht und schwärmt bisweilen von der letzten Begegnung mit seiner Liebe Agnes, sechs Monate zuvor. Jetzt ist er im Schützengraben bei seinem Feldwebel, der, was er noch nicht weiß, wenig später bei einem Angriff beide Beine verlieren wird. Expressiv schildert Szczepan Twardoch in seinem neuesten Roman »Demut« (wieder übersetzt von Olaf Kühl) dieses Szenario, den Weltenbrand, wie schon in »Drach«, dem anderen »schlesischen« Roman von 2014 (2016 in deutsch), in dem seinerzeit statt Ernst Jüngers »Wäldchen 125« eine »Höhe 165« zum Schicksal der Hauptfigur Josef Magnor wurde (Twardoch kennt Jüngers Bücher sehr gut), wie Pokora ein Oberschlesier, und beide wühlen im Morast, versetzt mit Exkrementen und Leichenteilen, nur das dieser Ich-Erzähler Alois seine Empathie, seine Angst und seine Trauer nicht verleugnen kann (während in »Drach« niemand geringerer als die Erde erzählt). Schließlich wird Alois von einem Schrapnellsplitter am Helm getroffen, verliert das Bewusstsein, was dazu führt, dass nicht nur ihm, sondern auch uns, dem Leser, das Leben des Alois Pokora aus der »alten Welt« wie ein Märchen aus weit entrückter Zeit erscheint – dabei sind es nur wenige Jahre.
Alois heißt zunächst Lojzik und ist der Sohn eines Bergmanns, aus armen Verhältnissen in Nieborowitz bei Gleiwitz (heute Nieborowice; im Roman stehen zumeist die deutschen Ortsnamen). Der Vater Anton, 1849 geboren, ist der Patriarch der Familie, der Tatulek, eine Art Urvater, unnahbar, schweigsam, launisch, bisweilen dem Alkohol verfallen und wütend auf alles, auf seine Kinder, die er manchmal mit Gürtelhieben schlug, den Kaiser (obwohl er im 1870er-Krieg diente und dekoriert wurde), auf die Polen, die Deutschen, auf Gott, die Kommunisten. Es war der »Zorn eines Mannes, der in einer Welt lebte, die fest gefügt war und keine Hoffnung, keine Aussicht auf Veränderung bot«. Die »Früchte dieses verdichteten Zorns« sind mehr als ein Dutzend Kinder. Seine Frau, 19 Jahre jünger, war zeitweise dauerhaft schwanger; die Liste der Geschwister reißt nicht ab und auch als Mamulka, seine Mutter, bei der Geburt von Zwillingen mit 46 Jahren starb, fand er rasch eine neue Frau, die mürrisch seinen Haushalt versorgte und die die er noch jenseits seines 70. Lebensjahres schwängerte.
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