Eigentlich dachte man, dass mit dem Podcast Faking Hitler von Malte Herwig (2019) die Sache mit den Hitler-Tagebüchern erledigt sei. Sicherlich, es gab noch diese unsäglich dröge sogenannte Verfilmung gleichen Namens (mit Lars Eidinger als Gerd Heidemann), aber die hatte gegen die Humoreske Schtonk von Helmut Dietl keine Chance.
Nun ist man allerdings der Original-Fälschungen Kujaus habhaft geworden, hat sie transkribiert und setzt zum erneuten Scoop an. Fast zeitgleich veröffentlichen der NDR (angekündigt in der Sendung Reschke-Fernsehen) und der März-Verlag Kujaus Fälschungen. Der NDR bietet zusätzlich eine Volltextsuche der (digitalisierten) »Tagebücher« an. Kommentiert werden die Eintragungen in beiden Medien von Hajo Funke. Sowohl die Erläuterungen des Herausgebers des Buches John Goetz als auch die historischen Einordnungen von Heike B. Görtemaker finden sich im Buch wie auch auf der NDR-Seite. Interessant ist, dass auf der NDR-Seite kein einziger Hinweis auf das Buch im März-Verlag zu finden ist.
Dafür gibt es eine Ergänzung von Malte Herwig, der über einen Film von Barbara Dickmann und Klaus Harpprecht schreibt, der 1983 unter obskuren Umständen entstand. Dickmann, von den Tagethemen vom Stern abgeworben, und Harpprecht blieben skeptisch, während Heidemann euphorisiert und in die Legenden der Szene verstrickt war. So schien er zu glauben, dass Martin Bormann, einer der engsten Mitarbeiter Hitlers, noch lebte, obwohl dessen Tod zweifelfrei feststand. Der Film wurde wohl nie gesendet. Herwig empfiehlt ihn Journalistenschülern. Das will ich wohl glauben. (Ich würde ihn auch gerne sehen.)
Die These, die Goetz präsentiert (und Reschke im schnoddrigen Belehrungsmodus im Fernsehen malträtiert): Die »Hitler-Tagebücher« dienten einer Szene von Alt- und Neonazis als Instrument für die Exkulpation Hitlers am größten Menschheitsverbrechen, der Shoah. Der »Führer«, so legen Kujaus Fälschungen nahe, hat nichts über das wahre Ausmaß der Vernichtung der Juden gewusst. Hitler wird als überforderter, im Grunde jedoch unwissender, bisweilen gar gutmütiger Mensch dargestellt, der Sorge hat, was das Ausland jetzt wieder über seine Regierung sagt und nicht weiß, wohin er die Juden bringen soll. Himmler wird von Kujau als Gegenfigur dargestellt, der sich den Anordnungen des »Führers« widersetzt und sogar der Urheber des Elser-Attentats sein soll. Worte wie »Konzentrationslager« oder »Endlösung« kommen beim Kujau-Hitler nicht vor.
Nach Goetz’ Einleitung sowie den Einschätzungen von Görtemaker und Funke werden die Fälschungen, die die Jahre 1932 bis 1945 zeigen, chronologisch aufgeführt, wobei Funke vor jedem Jahr die geschichtlichen Fakten liefert. Er ist hier nicht zu beneiden, muss praktisch immer wieder das Rad neu erfinden. Genannt werden einige Quellen, aus denen Kujau die Chronologie abgeschrieben hat und auch diejenigen, die er ignorierte (Stand natürlich immer 1980er Jahre). Und sie decken an einzelnen Beispielen sofort sichtbare Fehler auf.
Zu nahezu allen historischen Ereignissen wie beispielsweise Machtübernahme, Reichstagsbrand, Kriegsausbruch, Wannsee-Konferenz und Stalingrad werden banale, die Realität nicht nur abschwächende sondern schlichtweg geschichtsklitternde Texte von Kujau präsentiert. Den Eintrag vom 1. September 1939 beispielsweise beginnt mit dem »Zwischenfall am Sender Gleiwitz«, über den Kujaus Hitler »genauen Bericht« erwartet. Tenor: Er hat von nichts gewusst. Auch die Legende unter Alt- wie Neu-Nazis, dass Rudolf Heß’ Flug nach England ein Manöver war, von dem Hitler wusste, wird von Kujau bedient. Man erspare mir die Zitate; sie sind nicht würdig, hier genannt zu werden. Je weiter man sich mit diesem Unfug beschäftigt, umso deutlicher muss man am Geisteszustand der damals am Deal beteiligten Protagonisten zweifeln.
Funke geht in seinem Urteil so weit, dass er in Kujaus Text eine veritable Holocaustleugnung konstatiert. Görtemaker schreibt, der Verlag könne froh sein, dass die Fälschungen so früh entdeckt wurden, denn »vom Vorwurf der Holocaustleugnung und der Darstellung eines gänzlich unschuldigen, unwissenden Hitler hätte sich der Stern wohl nicht mehr erholt«.
Man musste nicht zwingend Historiker sein, um die Fälschung zu erkennen. »Müssen wir uns diesen Quatsch gefallen lassen«, schrieb Rudolf Augstein im Spiegel am 1. Mai 1983, wenige Tage nach der ersten Ausgabe des Stern. Das Magazin habe mit der Veröffentlichung, so Augstein, »das geschichtliche Bild der Deutschen« verletzt. Er formulierte sein Urteil aus dem Wissen um den Duktus Hitlers und seinen Gewohnheiten. Hinzu kam, dass der Verlag unabhängigen Historikern den vollständigen Zugang verwehrte. Schließlich ist es die Tinte und das Papier, welches die Fälschung entlarvt; ansonsten wäre vermutlich das Spiel noch länger weitergegangen.
Worin bestand die Motivation? Kujau betrieb einen schwungvollen Handel mit (gefälschten) NS-Devotionalien und pflegte vermutlich mehr als nur ökonomische Freundschaften zu seinen Kunden. Goetz lässt offen, ob er nicht auch mehr als nur fasziniert vom Nationalsozialismus war. Ob er das Werk, immerhin 60 Bände, alleine vollbracht hat, wird angezweifelt. Die möglichen Hinter- bzw. Vordermänner, die vielleicht sogar Mittäter waren, werden genannt, Indizien aufgezeigt, wobei letzte Beweise fehlen. Die Verflechtungen der Szene gehen von ehemaligen SS-Mitgliedern bis hinein zum Neonazi Michael Kühnen (1955–1991). Man ist geneigt, Kujau für einen Auftragsschreiber zu halten, der die Sehnsüchte der Unverbesserlichen, denen er nach dem Mund schrieb, befriedigen wollte, um Kasse zu machen.
Nach der Haft tingelte Kujau als lustiger Streichespieler durch die Medien. Um den Vertrauensverlust der Branche aufzufangen, wurden die unmittelbar Beteiligten wahlweise als tumb, ruhmsüchtig oder geldgierig dargestellt und ausgestoßen. Keiner fragte nach Mitwissern; der dicke Mann war ja zu komisch. Die Nachsicht, die deutsche Medien mit Fälschern generell haben, ist erstaunlich. Der Kunstfälscher Wolfgang Beltracchi beispielsweise erhielt eine 3sat-Reihe, in der gezeigt wurde, wie er Portraits von Prominenten im Stil eines bestimmten Malers anfertigt und dann ganz brav mit seinem Namen signiert. Auch hier war man eher auf der Seite des cleveren Fälschers, der die elitäre und verblasene Kunstschickeria um die Fichte führte und ihre Geldbörsen leerte. Häme tut ja manchmal gut. Während bei Beltracchis Fälschungen von nicht existierenden Werken eines Heinrich Campendonk oder Max Ernst immerhin so etwas wie ein Kunstwerk zu bewundern war, so wurden Kujaus Texte merkwürdigerweise nie einer eingehenden textlichen wie weltanschaulichen Prüfung unterzogen. Vermutlich ist der hanebüchende Stuss, den Kujau da zusammengeschmiert hat, der Grund dafür, dass Gruner + Jahr das Fälschungsgut nahezu unzugänglich aufbewahrte; die Blamage wäre noch größer ausgefallen.
Aber was wäre gewesen, wenn Kujau sich bei dem Abfassen des Textes an die (damaligen) historischen Erkenntnisse orientiert und nur einige nicht überprüfbare, privatistische Lügen (wie die immer wieder zitierten »Blähungen«) eingebaut hätte? Goetz schreibt, Fälschungen orientierten sich eigentlich immer am jeweils aktuellen Forschungsstand, sie imitieren das Bekannte, um nicht sofort als Fälschung aufzufallen. Ein neu aufgefundener Picasso der »blauen Periode« wird nie in orange gemalt sein, schreibt er. Die Metapher ist nicht ganz schlüssig, aber dennoch: Läge gerade nicht hierin die Sensation? Kujau musste wohl so schreiben, wie er schrieb, weil seine Klientel dies so wollte. Sie wünschte die Entdämonisierung der Nazis, insbesondere Hitlers. Und ein diametral neues Bild einer scheinbar historisch abgeschlossenen Lage verspricht für Medien maximale Aufmerksamkeit.
Das Versprechen des Stern, dass Teile der deutschen Geschichte neu geschrieben werden müssen, war nicht nur für alte und neue Nazis von Interesse. Es hätte die seinerzeit noch lebende Partei- und Wehrmachtgeneration praktisch freigesprochen. Die weitere Aufarbeitung der Geschichte hätte man sich dann sparen können.
Goetz entwirft den Gedanken, dass Kujaus Fälschungen als geschichtliche Restauration vorsätzlich geplant war. Interessant ist zumindest der Zeitpunkt: Es war nicht nur der 50. Jahrestag der »Machtergreifung«, sondern auch die Zeit, in der ein neuer Bundeskanzler schwammig eine »geistig moralische Wende« ausrief (die nie spezifiziert und bald vergessen wurde). Es hätte schlichtweg gut gepasst. Aber, und das ist die Quintessenz: Die Texte waren derart plump gemacht, das auf lange Sicht kaum jemand diesen »Tagebüchern« geglaubt hätte. Sie wirkten nur kurz, hauptsächlich durch ihre pure Existenz und in ausschnitthaften Zitaten. In der Summe, wie sie jetzt vorliegen, sind sie nicht einmal als Scherze tauglich. Es ist das Geschreibsel eines oder mehrerer intellektuell minderbemittelter Figuren.
Goetz’ Recherchen legen nun selber nahe, dass die Geschichte der Hitler-Tagebücher neu- oder wenigstens teilweise umgeschrieben werden müsste? Ja und nein. Wer will, kann die Devotionalienfetischisten schon in Dietls Film sehen, freilich als Karikaturen. So wird auch Kujau von Uwe Ochsenknecht dargestellt – mangels Wissen um den tatsächlichen Entstehungskontext (bzw. stark an Kujaus späteren Aussagen orientierend). In Schtonk gibt es neun Jahre nach der Affäre Zitate aus den »Tagebüchern«, die sich dort so nicht finden. Hieraus wird klar, dass Dietl und sein Team keine Detailkenntnisse von Kujaus Text hatte.
Bleibt die Frage, wen das heute noch interessieren soll. Oder, anders: Ist es geboten, diese Texte Wort für Wort der Öffentlichkeit zugänglich zu machen und auch noch zu lesen? Ich denke an die ellenlangen Diskussionen über die Veröffentlichung einer kommentierten Ausgabe von Mein Kampf, die man lange nicht publizieren wollte. Aber hier lag ein historisches Stück Abscheulichkeit vor, was entsprechend eingeschätzt und kommentiert gehört. Kujaus Texte hingegen sind reiner Blödsinn. Funke bezeichnet sie als »Trash«, verteidigt dennoch die Veröffentlichung und vor allem die Auseinandersetzung damit. Aber ist die Veröffentlichung nicht nur wieder ein weiterer Baustein für die Hitler-Besessenheit – diesmal von der anderen Seite? Wobei ich gestehen muss, nur sehr selektiv Kujaus Elaborate, die weder historischen noch kulturellen Wert haben, gelesen zu haben (meist haben mir Funkes Gegenüberstellungen mit der Geschichte genügt).
Interessant ist ein Detail: Goetz schreibt, dass die Fälschungen immer noch bei Gruner + Jahr in einem Tresor lagern. Man bekam eine Stunde Zeit zum Einsehen, ohne Erlaubnis zur Photographie – mit Aufpasser. Wie konnte man an die Inhalte kommen? Die Erklärung ist ein bisschen nebulös: »Dank der Bemühungen meines Kollegen Antonius Kempmann konnten wir uns Kopien des ersten Teils der gefälschten ‘Tagebücher’ verschaffen, die Aufzeichnungen von Kujau-Hitler der Jahre 1932 bis 1939. […] Kopien der Fake-‘Tagebücher’ aus den späteren Jahren, bis kurz vor Kriegsende und dem Tod des Diktators, konnten wir uns von einigen Anwälten beschaffen, die nach dem Auffliegen der Fälschungen und dem Stern-Skandal in die nachfolgenden Gerichtsverfahren involviert waren.« Und dann bleibt zum Schluss noch die Frage, was Gruner + Jahr jetzt eigentlich macht.
Die Doku »Der Fund« wurde damals im ZDF gesendet und verschwand dann – wie die Tagebücher – für immer im Safe.
FAZ-Fund hier.
Der Text von 2003 – eine Dokumentation von Harpprechts Äußerungen von 1983 – galt als Schirrmachers Rache auf eine Polemik von Harpprecht gegen dessen Wirken.
Kurz nach der Veröffentlichung der sogenannten Tagebücher im Stern war ich vollkommen irritiert und ziemlich fassungslos. Sollte denn alles, was ich vorher über Deutsche Geschichte gelernt habe falsch sein?
Als kurz darauf dann mein bis dahin heißgeliebter »Spiegel« einen nachweislich falschen und auch noch extrem dummen Bericht – der irgendwo an einem Schreibtisch verfaßt worden war – über den Betrieb, in dem ich damals arbeitete (großer »Tonträger«-Konzern) auf den Markt brachte, verstand ich die Welt nicht mehr und brauchte eine Weile, um mich wieder im Umgang mit Printmedien zu fangen.
Wenn der »Spiegel« so fahrlässig (ich war u.a. Betroffener des Vorfalls im Bericht) recherchierte und berichtete, wie geht er dann mit richtigen »wichtigen« Themen um? Es dauerte ein paar Wochen, dann entschied ich mich nach reiflichen und z.T. schmerzlichen Überlegungen keinen Spiegel mehr zu kaufen bzw. zu lesen und nur noch in die regionale Tageszeitung zu schauen. Der Stern war für mich sowieso ein Journal, was man nur aus Langeweile im Wartezimmer beim Arzt liest, da fiel mir der Verzicht ziemlich leicht.
Mittlerweile lese ich auch die örtliche Tageszeitung nicht mehr, weil ich im Laufe der Zeit aufmerksamer im Konsum von Printmedien wurde und ausserdem einen Redakteur persönlich kennen lernte, der mir ein wenig Insiderwissen mitteilte.
Seit der Covid-Pandemie und vor allem seit dem krieg in der Ukraine sind mir auch die Informationen aus den diversen Kanälen im TV zuwider. Wenn ich mich auf eine Zahl festlegen sollte, würde ich sagen, dass vielleicht 95% der Informationen im TV nicht mit dem Ziel nachweisbare Informationen zu vermitteln verbreitet werden. Es geht aus meiner Sicht fast nicht mehr um Informationen, sondern um Verbreitung von Meinungen, Stimmungen und um Aufmerksamkeitsgewinn für die Medien. Und nicht selten wird dabei zum Mittel der sogenannten »Cancel Culture« gegriffen.
Die, die Meinungstechnisch vom »rechten« Glauben abfallen, verschwinden aus den Medien, werden diskreditiert oder verlieren womöglich sogar ihren Job.
Das jüngste Beispiel ist der Konflikt um Gary Linecker mit der altehrwürdigen BBC. Es gibt unzählige Beispiele bei uns in Deutschland, die mich mittlwerweile die Masse der Medien verachten lassen.
Ich bin jetzt zwar nicht immer über den Klatsch und Tratsch – also über das, worüber man sich so »gepflegt« austauscht – informiert, aber das was mir wichtig ist und ich wissen möchte aus Politik und Gesellschaft, weiss ich wahrscheinlich besser als der »Mainsteam«-Leser und »Mainstream«-TV Zuschauer. Ich mu halt immer ein wenig gucken, wo ich meine Informationen herbekomme, aber mittlerweile klappt das bestens. Meine Lebenszeit ist mir zu kostbar um mich mit überflüssigem Trash und Fake-News oder Propaganda mehr als nötig auseinander zu setzen. Die Masse der Medien hat bei mir »verkackt« und ich vermisse – ausser mehr guten Journalismus – überhaupt nichts im Moment.
Seit der Lektüre von Schopenhauers »Die Welt als Wille und Vorstellung« und ein paar Bücher von George Lakoff und auch Edward Bernays »Propaganda« wird sich meine Einstellung dazu bis zu meinem Lebensende nicht mehr verändern.