Über­druss

Nein, di­rek­te Nach­fra­gen war­um es hier in der letz­ten Zeit so ver­gleichs­wei­se ru­hig ist, gab es noch nicht. Viel­leicht fällt es im Ge­tüm­mel all der stünd­lich auf­fri­schen­den Feeds auch gar nicht auf, wenn hier we­ni­ger los ist. Klagt man doch all­ge­mein eher über zu viel An­ge­bot. Den­noch treibt es mich zur Er­klä­rung, die aber we­der Re­chen­schaft noch An­kla­ge wer­den soll.

Zu­nächst ein­mal schrei­be ich an ei­nem wei­te­ren Band zu Pe­ter Hand­ke. Es sind Es­says oder, viel­leicht bes­ser, Auf­sät­ze, oder, viel­leicht noch bes­ser: Be­gleit­schrei­ben zum Werk Hand­kes. Sechs Tex­te sind fer­tig, der sie­ben­te hat es in sich und ich er­fah­re fast zum er­sten Mal was es be­deu­ten kann ei­ne »Schreib­hem­mung« zu ha­ben. Wo­bei es na­tür­lich kei­ne Schreib­hem­mung ist, son­dern eher ei­ne Art Ge­hemmt­heit, die mir bis­her voll­kommen fremd war. Wäh­rend des Schrei­bens an die­sem Text stel­le ich näm­lich fest, wie sich mein Ur­teil, mit dem ich den Text be­gon­nen ha­be, än­dert. Das ist nicht ganz neu für mich. Aber neu ist, dass ich nicht weiß, in wel­che Rich­tung die­se Än­de­rung ver­läuft. So sit­ze ich fest, ob­wohl Ter­mi­ne am Ho­ri­zont ste­hen. Hin­zu kommt, dass ich Mit­te Ok­to­ber ei­nen Vor­trag über Hand­ke im In­ter­net hal­ten soll. Ur­sprüng­lich als Ab­len­kung zum ver­flix­ten Text ge­dacht, ent­puppt er sich eher als zu­sätz­li­che Be­la­stung.

Aber es wä­re nicht auf­rich­tig, wenn ich mei­ne Fast-Ab­sti­nenz al­lei­ne da­mit be­grün­den wür­de. Es hat sich auch in den letz­ten Mo­na­ten ein ge­wis­ser Über­druss ein­ge­stellt. Ein Über­druss am Füt­tern der Blog­ma­schi­ne mit Be­spre­chun­gen bei­spiels­wei­se zu Neu­erscheinungen, die kei­ner kom­men­tie­ren kann (man­gels Kennt­nis des Bu­ches) oder kom­men­tie­ren mag (aus an­de­ren Grün­den). Hin­zu kommt, dass mich kaum ei­ne der Neu­erschei­nun­gen, die ei­nem in den Ver­lags­pro­gram­men an­ge­prie­sen wer­den an­ge­spro­chen ha­ben. Es gibt zwei, drei Bü­cher (die ich auch le­sen wer­de), aber das Be­dürf­nis, sich auf Neu­es oder eben das Al­te ein­zu­las­sen, schwin­det.

Die Un­lust hat na­tür­lich auch da­mit zu tun, dass vie­les oder wo­mög­lich al­les längst mehr­mals ge­sagt wur­de. Die Ge­fahr der Red­un­dan­zen ist gross. So ist bei­spiels­wei­se in der Ru­brik »Li­te­ra­tur­kri­tik in der Kri­tik« von mei­ner Sei­te al­les ge­sagt. War­um den po­ten­ti­el­len Le­ser mit dem im­mer­glei­chen lang­wei­len? Am En­de be­kommt man da­mit noch den Stem­pel des Wa­den­bei­ßers. Ähn­li­ches gilt auch für die po­li­ti­schen The­men. Na­tür­lich könn­te man – wie al­le – sich end­los über Trump lu­stig ma­chen, sein bal­di­ges En­de als Prä­si­dent pro­gno­sti­zie­ren, her­bei­schrei­ben wol­len (wel­che Hy­bris!), den deut­schen Wahl­kampf be­ob­ach­ten (wel­chen Wahl­kampf ei­gent­lich?), sich über Schulz, Mer­kel oder sonst­wen lu­stig ma­chen. Kurz: Man könn­te all das ma­chen, was bil­lig ist und der­zeit im Trend. Aber wo­zu?

Ich ha­be fast im­mer ver­sucht, nicht im je­wei­li­gen Trend mit­zu­schwim­men. Au­ßer in den »Apropos«-Texten, die spon­tan ent­stan­den sind. Ver­blüf­fen­der­wei­se gab es hier auch meist Kom­men­ta­re. Aber sonst? So hat­te ich mit mei­ner Be­spre­chung über den Röh­richt-Band zum Bach­mann­preis-Wett­be­werb mit Re­ak­tio­nen ge­rech­net. Schließ­lich hat der Wett­bewerb im Netz ei­ne ge­wis­se Auf­merk­sam­keit; die Strö­me der Mei­nun­gen er­gie­ssen sich auf Twit­ter im­mer aufs Neue. (Ich ha­be mich die­ses Jahr zu­rück­ge­hal­ten, auch des­sen eher mü­de ge­wor­den.) Aber es gab kei­nen ein­zi­gen Kom­men­tar im Blog. Wo­her rührt die­se Hem­mung? Ist es Des­in­ter­es­se? Es gab Zei­ten, da konn­te ich vor lau­ter Schulter­klopfen nicht mehr ge­ra­de­aus ge­hen. Man schick­te mir Mails, ant­wor­te­te auf Twit­ter oder Face­book – al­lei­ne der Wunsch, die­sen Kom­men­tar, die An­re­gung, den Wi­der­spruch auch auf dem Blog zu ar­ti­ku­lie­ren und da­mit ei­ne Dis­kus­si­on zu be­gin­nen blieb zu­meist Wunsch­traum. Selbst mein An­ge­bot, den Kom­men­tar sel­ber mit Na­men oder Pseud­onym ein­zu­stel­len, wur­de na­he­zu im­mer ab­ge­lehnt. Man scheu­te wohl die Ver­pflich­tung, dem zu fol­gen.

Ein sol­ches Ver­hal­ten mag für die ana­lo­gen und pro­fes­sio­nel­len Me­di­en durch­aus le­gi­tim sein. Aber ein sol­cher Blog wie Be­gleit­schrei­ben lebt mei­nes Er­ach­tens nicht zu­letzt vom Aus­tausch von Mei­nun­gen. Das ist zu­wei­len sehr gut ge­lun­gen, aber auch bei den Kom­men­ta­to­ren stel­le ich ein ge­wis­ses Des­in­ter­es­se fest. Wo­mög­lich ha­ben auch sie das Ge­fühl, al­les ge­sagt zu ha­ben. Aus dem Dia­log wird im­mer mehr ein Mo­no­log. Aber da­für brau­che ich streng ge­nom­men kei­ne Web­prä­senz.

Noch be­steht kein Grund zur Ver­zweif­lung (oder zum Ju­bel?). Der Blog wird nicht ge­schlos­sen. Aber es wird we­ni­ger wer­den, weil es Bei­trä­ge über Trö­del-Shows auch nicht mehr ge­ben wird. Ich wer­de mehr Spa­zie­ren­ge­hen. Die Jah­res­zei­ten ge­nie­ßen. Ich schrei­be auch ei­ner (viel­leicht län­ge­ren) Er­zäh­lung. Und ich wer­de mei­ne Ver­pflich­tun­gen (sie­he oben) er­fül­len. Dann wird man, dann wer­den Sie se­hen, le­sen, hö­ren.

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  1. Lie­ber Lo­thar Struck,

    ei­nen Trend zum Rück­zug stel­le ich bei den Men­schen in mei­ner Twit­ter-Time­line schon län­ge­re Zeit fest – ich selbst ge­hö­re auch zu die­sen Men­schen.

    Liegt es nur an dem »Al­les schon ge­sagt«? Ist ja gar nicht schon al­les ge­sagt. Nie. Aber es wird viel ge­sagt (auf Twit­ter, Face­book, in Blogs, Zei­tungs­kom­men­ta­ren, etc.), zu viel. Wie or­ga­ni­siert man sich da durch? Lie­ber nur noch rum­spa­ßen? Oder we­nig schrei­ben, aber Hoch­wer­ti­ges. Sie ha­ben hier Letz­te­res ge­bo­ten. Her­vor­ra­gend aus­ge­ar­bei­te­te Bei­trä­ge, gut re­cher­chiert, sprach­lich auf ho­hem Ni­veau. Woll­te ich da an­ge­mes­sen kom­men­tie­ren, müss­te ich ho­hen Auf­wand trei­ben. Wie oft in der Wo­che kann man sich das bei ver­schie­de­nen Blogs, die man be­sucht, lei­sten? Selbst, wenn man im sel­ben The­men­boot sitzt, ist nicht si­cher­ge­stellt, dass Leu­te am Aus­tausch in­ter­es­siert sind, wei­ter­trei­ben­de Dis­kus­si­on ent­steht. (Sie er­in­nern sich, was ich über mei­ne Er­fah­run­gen mit der In­ter­net-Le­se­grup­pe zu Cle­mens Setz’ »Die Stun­de zwi­schen Frau und Gi­tar­re« er­zählt ha­be.) Was aber in je­dem Fall mög­lich ist, wenn man et­was mit Ge­winn ge­le­sen hat, ist, eben dies rück­zu­mel­den bzw. ein­fach »Dan­ke« zu sa­gen.

    Mich lähmt beim Blog­gen nicht nur die Er­fah­rung, dass ich fast kei­ne in­halts­be­zo­ge­ne Rück­mel­dun­gen be­kom­me, son­dern über­haupt kei­ne. Na­tür­lich kann ich mir nun den­ken: Al­les Mist, was du schreibst. Aber »al­les« glaub ich nicht. Es gibt auch durch­aus Re­ak­tio­nen, manch­mal di­rekt per E‑Mail oder Te­le­fon, zeit­nah oder sehr viel spä­ter, wenn ich schon gar nicht mehr da­mit ge­rech­net ha­be, von Freun­den oder ent­fern­ten bzw. neu­en Be­kann­ten. Und fra­ge ich dann, war­um sie ih­ren Ein­druck nicht mal kurz auch im In­ter­net ge­äu­ßert ha­ben, kommt mei­stens zu­rück: Ach, wuss­te nicht, wie ich das sa­gen soll­te ... Ein­fach nur sa­gen, toll, hat mir ge­fal­len, war mir zu ba­nal ... Wenn ich die­sen ei­nen Punkt er­wähnt hät­te, hätt ich am En­de ein Fass auf­ge­macht, und ich hat­te da kei­ne Zeit für län­ge­re Dis­kus­sio­nen ... Ein­fach mal sa­gen: Dan­ke, hat mir ge­fal­len!, IST NICHT BANAL, son­dern ein Aus­druck von Wert­schät­zung und ei­ne klei­ne Ge­gen­ga­be für die Blog-Ar­beit.

    Wo es al­les für lau gibt, ver­liert das Ge­lei­ste­te mehr und mehr an Wert. Gleich­zei­tig schei­nen die An­sprü­che der »Lau­schep­per« zu stei­gen: Wer mir be­son­ders ger­ne na­he­legt, ich müs­se häu­fi­ger blog­gen, min­de­stens ein­mal die Wo­che, sonst schaue bald nie­mand mehr vor­bei, sind in der Re­gel Leu­te, die sich selbst im In­ter­net nicht zei­gen, kei­ne Kom­men­ta­re schrei­ben, kein Blog füh­ren, kei­nen Twit­ter- bzw. Face­book-Acount ha­ben, aber über­all mit­le­sen. Mir per­sön­lich hül­fe, wenn ich mich von den Re­ak­tio­nen der an­de­ren un­ab­hän­gig ma­chen könn­te und Twit­tern und Blog­gen in er­ster Li­nie als et­was be­grei­fen lern­te, was ich für mich ma­che: z.B. Tex­te oder Re­zen­sio­nen schrei­ben, da­mit ich sie über­haupt schrei­be, statt nur Ideen im Kopf spa­zie­ren­zu­füh­ren, al­so (auch) ei­ne Dis­zi­pli­nie­rungs­übung. Oder in­ter­es­san­te Men­schen ken­nen­ler­nen, die ich off­line si­cher nie ken­nen­ge­lernt hät­te und die nun mein Den­ken und Ar­bei­ten be­rei­chern. Off­line hät­te ich Sie nie ken­nen­ge­lernt. Das wä­re scha­de ge­we­sen.

    Herz­li­che Grü­ße
    Do­ris Brock­mann

  2. Kann ich al­les un­ter­schrei­ben. Ha­be selbst ho­he Be­su­cher­zah­len, aber kaum noch sicht­ba­re Re­so­nanz in di­ver­sen Blog-Pro­jek­ten. Pri­vat und nicht-öf­fent­lich kommt zwar doch die ei­ne oder an­de­re an­er­ken­nen­de Re­ak­ti­on, aber dass öf­fent­li­cher App­laus oder ei­ne sich ent­spin­nen­de Dis­kus­si­on die deut­lich mo­ti­vie­ren­de­re Va­ri­an­te wä­re, se­hen vie­le di­rekt An­ge­spro­che­ne zwar ein, äu­ßern sich aber trotz­dem wei­ter­hin nicht per Kom­men­tar. Scha­de. Aber of­fen­bar ein von der Per­son des/der Bloggers/Bloggerin un­ab­hän­gi­ges Phä­no­men...

  3. Auch ich hät­te Gre­gor Keu­sch­nig, den ich in per­so­na noch nie ge­trof­fen ha­be (je­mand sagt mir, er sei über zwei Me­ter groß), nicht ken­nen­ge­lernt, und es wä­re scha­de ge­we­sen. Trotz­dem ha­be ich den Ver­dacht, daß die In­ter­net­kul­tur, sie sog. so­zia­len Me­di­en, so wie sie sich in den letz­ten Jah­ren her­aus­ge­bil­det ha­ben, mit ih­rem Kom­mu­ni­ka­ti­ons­wahn Kom­mu­ni­ka­ti­on – wie sie sich im Lauf der Jahr­hun­der­te in Eu­ro­pa her­aus­ge­bil­det hat – letz­ten En­des und im­mer mehr blockiert. Viel Lärm um nichts. Und die­se Si­tua­ti­on ver­schärft sich ra­pi­de, al­les wird mehr, mehr, mehr, aber die ein­zel­nen Lei­stun­gen ver­lie­ren an Wert(schätzung), man hat gar kei­ne Zeit mehr, et­was zu schät­zen. Und gleich­zei­tig ge­win­nen die High­lights, die ge­hyp­ten und sich selbst hy­pen­den Auf­trit­te an Zu­spruch, mehr, mehr, mehr.
    Viel­leicht hat Keu­sch­nig recht: We­ni­ger wird mehr sein. Und wenn man das Ge­fühl hat, daß es bes­ser ist, sich ganz aus dem Staub zu ma­chen...

  4. Das Kom­men­tie­ren Auf­wand be­inhal­tet ist ja lo­gisch. Aber auch das Po­sten von Bei­trä­gen ver­ur­sacht ei­nen ge­wis­sen »Auf­wand« – selbst vom »Überdruss«-Beitrag. Ich ha­be sehr lan­ge das Schrei­ben hier als ei­ne Art Kor­rek­tiv ge­se­hen. Ich kann mir In­hal­te von Bü­chern und mei­ne Le­se­er­leb­nis­se ein­fach bes­ser mer­ken, wenn ich dar­über et­was schrei­be. Das ma­che ich schon seit 25 Jah­ren. Der Un­ter­schied war, dass es da­mals im­mer in der Schub­la­de blieb – und eben seit 2004/2005 öf­fent­lich ist. Das schärft al­ler­dings und ist wich­tig: Nichts wä­re pein­li­cher als ein of­fen­sicht­li­cher, nach­weis­ba­rer Feh­ler (ich re­de nicht von Schreib­feh­lern). Al­so muss man hier ge­nau auf­pas­sen. Und das ist gut.

    Ein Pro­blem bleibt al­ler­dings: Auf mei­ne Tex­te hat nie­mand ge­war­tet. Und mich an­de­ren an­die­nen um ei­ne ge­wis­se Reich­wei­te zu er­rei­chen – das ist nicht mein Ding. Der Ge­dan­ke, dass al­lei­ne der Text zählt, ist al­ler­dings na­iv. Und er wird im­mer nai­ver. Die Par­al­le­len zum »ana­lo­gen« Le­ben sind auch hier über­deut­lich. Wer nicht in ei­ner be­stimm­ten Peer­group ist, nicht mit den Wöl­fen heult oder ähn­li­ches kann ma­xi­mal ein Ni­schen­pu­bli­kum be­die­nen.

    Das ist in Ord­nung, so­lan­ge denn das Ni­schen­pu­bli­kum da­bei bleibt. Mir sind 20 Le­ser, die sich hier dann auch ge­le­gent­lich ein­brin­gen lie­ber als tau­sen­de von Klicks nach ei­ner Bild­blog-Ver­lin­kung, die wie Heu­schrecken über die­sen Blog kom­men – aber eben nur für die­sen, aus­ge­wähl­ten Text.

    In den fast 12 Jah­ren Exi­stenz die­ses Blogs gibt es, wenn ich mich recht er­in­ne­re, al­ler­dings nur zwei Kom­men­ta­to­ren, die im­mer da­bei­ge­blie­ben sind (viel­leicht nimmt man noch ei­nen wei­te­ren da­zu). Der Rest war und ist vo­la­til. Et­li­che ha­ben es längst auf­ge­ge­ben, le­sen viel­leicht noch hier und da mit, aber die Eu­pho­rie mit Blogs ei­ne ge­wis­se Mo­bi­li­sie­rung zu er­rei­chen, ist längst ver­ebbt. Das letz­te Auf­bäu­men war die Be­spre­chung des Po­pu­lis­mus-Bu­ches im letz­ten Jahr. Da schöpf­te ich noch ein­mal Hoff­nung.

    Leo­pold Fe­der­mairs Dia­gno­se tei­le ich. Es ist ein­fach zu viel. Das An­ge­bot wird im­mer mehr; der Re­zi­pi­ent hat aber nicht mehr Zeit. Al­so muss er aus­su­chen und ir­gend­wann auch ein­mal ab­schal­ten. Die Reiz-Re­ak­ti­ons­schs­wel­le wird im­mer wei­ter aus­ge­dehnt. Ich ha­be in den letz­ten Mo­na­ten ge­fühl­te ein­hun­dert Mal ge­hört, dass Trumps Prä­si­dent­schaft nun bald am En­de sein wird. In­zwi­schen wird je­der noch so un­be­deu­ten­de Fa­mi­li­en­streit ge­mel­det und ver­sucht hier­aus ei­nen mut­maß­li­chen Ter­ror­an­griff zu kon­stru­ie­ren. Im­mer wie­der ist von neu­en Re­kor­den die Re­de. Trotz­dem droht stän­dig der Welt­un­ter­gang, wenn nicht bis 2030 so doch min­de­stens 2050. Lä­cher­lich im Ver­gleich da­zu, aber eben­so im Trend: In den Feuil­le­tons wer­den Bü­cher be­spro­chen, die noch gar nicht er­schie­nen sind. Die Wir­kung die­ser Re­zen­sio­nen ver­pufft wo­mög­lich schon am plan­mä­ssi­gen Er­schei­nungs­tag. Der po­ten­ti­el­le Le­ser hat bis da­hin schon wie­der von drei an­de­ren lo­bens­wer­ten Wer­ken ge­le­sen oder ge­hört.

    Das ist kein Kul­tur­kri­tik-Par­lan­do. In zwan­zig Jah­ren wird man viel­leicht ver­klä­rend auf die heu­ti­ge Zeit her­ab­se­hen. Ei­nes der für mich be­we­gend­sten Lek­tü­re­er­leb­nis­se der letz­ten Jah­ren wa­ren die Ta­ge­bü­cher des mon­dä­nen Li­te­ra­tur­kri­ti­kers Fritz J. Rad­datz. Er war, we­sent­lich äl­ter ist ich, ir­gend­wann auch der Neu­erschei­nungs-Hy­ste­rie über­drüs­sig. Fröh­lich wand­te er sich »sei­nen« Klas­si­kern zu. Und ver­trau­te dann sei­nem Ta­ge­buch an, dass die mei­sten die­ser Tex­te, die (in der Er­in­ne­rung) sein Le­ben der­art ge­formt, sei­nen Ka­non ge­schärft ha­ben, plötz­lich kei­nen Be­stand mehr ha­ben. Wer will kann die Pas­sa­ge auf Glanz und Elend in Aus­zü­gen nach­le­sen (ei­nen Link set­ze ich nicht; wer will, soll su­chen). Da bricht je­man­dem fast sein ge­sam­tes äs­the­ti­sches Fun­da­ment zu­sam­men. Er­schüt­ternd.

    (PS: Nur 1,90 m. Mit Schrumpf­ten­denz.)

  5. Vor ei­ner Wei­le war mir ein Be­trag auf G&E nach ei­ner Re­cher­che auf­ge­fal­len. Erst­mal weil er gut war und zwei­tens, weil ich den Na­men des Au­tors ir­gend­wo­her kann­te. Spä­ter fiel mir ein, dass ich die­sen mei­nungs­star­ken und nicht ganz ein­fa­chen Cha­rak­ter von ei­ner Dis­kus­si­ons­platt­form mit Re­al­na­men kann­te. Das Be­gleit­schrei­ben war dann schnell ge­fun­den und hat­te so­fort mein In­ter­es­se.

    Ich ha­be dann im Lau­fe der Zeit ei­ni­ges nach­ge­le­sen und die Her­an­ge­hens­wei­se sehr zu schät­zen ge­lernt. Seit dem ist der Mo­ment, wenn ein neu­er Bei­trag von Be­gleit­schrei­ben im Feed­rea­der auf­taucht, auch der Mo­ment, wenn ich von ge­lang­weil­ter SPON-Hal­tung in er­höh­te Auf­merk­sam­keit wech­sel. Weil ich weiß, dass der Au­tor je­des Wort wohl ge­setzt hat. Lei­der ist mei­ne Fä­hig­keit des Bei­tra­ges nur auf die Pa­ra­phra­sie­rung von »Ge­fällt mir [nicht]« oder Kü­chen­tisch­po­li­tik be­grenzt, sau­ge aber doch meist Nek­tar aus den Bei­trä­gen.

    Da ich sel­ber ei­ne In­ter­net­sei­te be­trei­be, in die ich jah­re­lan­ge Ar­beit und Herz­blut ge­steckt ha­be, aber kaum mal ei­ne Re­ak­ti­on be­kom­me, kann ich die Ent­täu­schung durch­aus ver­ste­hen. Auf an­de­ren Sei­ten wird in­ten­siv dar­über dis­ku­tiert, ob der GT3001 oder GT3001S bes­ser ist. Das in­ter­es­siert die Leu­te. Nichts füllt Kom­men­tar­spal­ten ne­ben Ge­pö­bel mehr als GAS (Gear Ac­qui­si­ti­on Syn­dro­me). Ein The­ma in der Tie­fe zu durch­drin­gen macht Kopf­schmer­zen.

  6. Mir ist vor ei­ni­ger Zeit das Wort »Ge­re­de« un­ter­ge­kom­men, für das, was in den Kom­men­ta­ren oben als acht­lo­ses Spre­chen, als Über­kom­mu­ni­ka­ti­on be­schrie­ben und als zu viel be­zeich­net wur­de. Mar­tin Heid­eg­ger hat die Neu­gier­de, das Be­gie­rig sein auf Neu­es, als et­was dar­ge­stellt, das ei­ne tie­fer­ge­hen­de und aus­dau­ern­de Be­schäf­ti­gung ver­hin­de­re, sie lässt uns gleich­sam an der Ober­flä­che auf und ab sprin­gen. Ich mag die Neu­gier­de zwar nicht ganz ver­wer­fen, aber bei­des – Ge­re­de und Neu­gier­de – be­schrei­ben das De­sa­ster, die­sen selbst­ver­stär­ken­den Kreis­lauf, ei­gent­lich ganz gut. Man muss (möch­te) sich dem ent­zie­hen, al­ler­dings bleibt man – zu­min­dest wenn man an Po­li­tik und Ge­mein­we­sen in­ter­es­siert ist – doch bis zu ei­nem ge­wis­sen Grad dar­an hän­gen, ich er­le­be das in der letz­ten Zeit als ei­ne Art fle­xi­ble Gren­ze, die ich mehr oder we­ni­ger in die ei­ne oder an­de­re Rich­tung zu ver­schie­ben ver­su­che (ge­lin­gen tut es nicht im­mer). — Und ich mei­ne im­mer ru­he­be­dürf­ti­ger zu wer­den (und ich den­ke mir: wenn es nur an­de­re auch tä­ten, um wie viel ent­spann­ter wä­re die­ser Zir­kus der sich Ge­sell­schaft nennt).

    Ich ha­be schon be­merkt, dass die Fre­quenz der Bei­trä­ge in der letz­ten Zeit ab­ge­nom­men hat und ich ha­be das mit dem – ir­gend­wo ein­mal er­wähn­ten – Buch in Ver­bin­dung ge­bracht (nicht aus­schließ­lich zu recht, wie der Aus­gangs­text zeigt). Wenn ich ein­mal von der be­reits an­ge­spro­che­nen Qua­li­tät der Tex­te ab­se­he, ich ha­be ih­re Fre­quenz und Re­gel­mä­ßig­keit im­mer be­wun­dert, weil ich das über­haupt nicht kann. Et­was ver­kürzt ge­sagt: Ent­we­der es stößt mich et­was an oder nicht (und wenn es das nicht tut, gibt es auch kei­nen Text; ich neh­me mir al­so sel­ten et­was vor). Ich hand­ha­be das auf mei­nem Blog schon seit län­ge­rem so und kom­me da­mit gut zu­ran­de (da­zu passt, dass ich als Gast­au­tor hier eben­falls die­se Frei­heit ge­nie­ße).

    Der Ge­samt­an­spruch von »Be­gleit­schrei­ben«, dem Be­glei­ten öf­fent­li­cher Dis­kus­sio­nen, The­men, Be­lan­ge, von Li­te­ra­tur, usw. liegt ei­nem sol­chen Ver­hal­ten, ei­ner sol­chen Be­quem­lich­keit, in ge­wis­ser Wei­se quer. — Auf der an­de­ren Sei­te mei­ne ich zu be­ob­ach­ten, dass sich be­stimm­te Kom­men­ta­to­ren zu be­stimm­ten The­men doch recht ver­läss­lich mel­den, auch wenn es län­ger mal »nichts« gab (auch wenn es rich­tig ist, dass sie wech­seln).

    [Ich ha­be ge­stern et­was auf’s Pa­pier ge­bracht, von dem ich mir dach­te, es wür­de viel­leicht hier­her pas­sen, dann las ich den »Überdruss«-Titel und war erst mal ver­un­si­chert.]

  7. @Joseph Bran­co
    Ich weiß gar nicht was ein GT3001 oder GT3001S ist. Ich weiß na­tür­lich, was mit dem Bei­spiel ge­meint ist: »Mei­nung« ha­ben ist leicht, das kann je­der und so et­was her­aus­for­dern ist ein­fach und bringt dann Plus­punk­te in der Auf­merk­sam­keits­ska­la.

    Wo­bei ich schon seit län­ge­rer Zeit er­nüch­tert bin. Wenn ei­nem auf Twit­ter an­ge­zeigt wird, dass man – be­gün­stigt viel­leicht durch ein paar »Ret­weets« – 1000 oder auch ein­mal mehr »Im­pres­si­ons« hat­te, aber dann bei den »Link-Klicks« nur ir­gend et­was mit 30 oder 40, dann fra­ge ich mich schon, ob die­se Prä­senz in den so­ge­nann­ten so­zia­len Netz­wer­ken nicht doch er­heb­lich über­schätzt wird. Auch an­de­re »Ver­lin­ker« blei­ben fast im­mer weit un­ter dem, was »man« sich so ge­mein­hin vor­stellt. Bei Feed­ly ha­ben mich an­geb­lich 141 Men­schen abon­niert. Bei ei­nem neu­en Bei­trag er­ken­ne ich in den Back­links aber zu­meist nur 2 oder 3 Klicks. Was ma­chen die an­de­ren 138? Und mit dem An­klicken ei­nes Bei­trags ist ja auch noch nichts über das Le­sen ge­sagt.

    @metepsilonema
    Die Dy­na­mik hat sich im Lau­fe der Zeit ein­ge­stellt, wo­bei es dann doch manch­mal in Hek­tik ab­glitt. Das Schrei­ben war da­bei ein Selbst­ver­ge­wis­sern: Wie kann ich mei­nen Ein­druck be­grün­den? Da­bei muss er min­de­stens theo­re­tisch even­tu­el­len Ein­sprü­chen stand­hal­ten, denn es ist ja öf­fent­lich.

    Ich weiß nicht, was Du po­sten woll­test – viel­leicht et­was über die öster­rei­chi­sche In­nen­po­li­tik bzw. den Wahl­kampf. Ei­nen sol­chen müss­te es in Deutsch­land auch ge­ben, aber das ist nur theo­re­tisch so. Für die Re­gie­rungs­chefin, die von al­len Me­di­en mit Samt­hand­schu­hen an­ge­fasst wird, wird dann so pla­ka­tiert. Wer will da­zu noch et­was sa­gen?

  8. @Lothar Struck
    Nein, es ist ein er­zäh­len­der Text und er ist noch nicht fer­tig, weil die »Rein­schrift« im­mer ei­ne ei­ge­ne Dy­na­mik ent­fal­tet. — Ich bin, was die Po­li­tik be­trifft, der­zeit weit­ge­hend kom­men­tar­mü­de, ob­wohl die Wahl doch in­ter­es­sant zu wer­den ver­spricht (eben, ge­wis­se Din­ge will man nicht [mehr] kom­men­tie­ren).

  9. Ich wuss­te, dass die­ser Au­tor, auch wenn die Über­schrift »Über­druss« lau­tet, nicht ein­fach mit Lar­moy­anz oder pes­si­mi­sti­schen »Nacht­ge­dan­ken« schlie­ßen wür­de. Dan­ke für die im­mer un­be­stech­li­chen Ana­ly­sen, dan­ke für die Zeit, die ‑auch wenn sie vor­über scheint – doch ei­ni­ge blog­gen­de Zeit­ge­nos­sen für­ein­an­der in­ter­es­sie­ren konn­te und zwar über das Blog­gen hin­aus – dan­ke da­für, dass viel­leicht doch noch nicht end­gül­tig Schluss ist mit den Be­gleit­schrei­ben!

  10. @alle, aber be­son­ders zu Keu­sch­nigs Kom­men­tar:

    1. Die War­nung vor dem quan­ti­fi­zie­ren­den Geist, der Qua­li­tä­ten au­ßer Acht läßt und lang­fri­stig wo­mög­lich um­bringt, be­glei­tet die Zeit­läuf­te seit der Auf­klä­rung. Erst im 21. Jahr­hun­dert, mit der Di­gi­ta­li­sie­rung, er­faßt die Quan­ti­fi­zie­rung die ge­sam­te Ge­sell­schaft und durch­dringt al­le Be­rei­che. Keu­sch­nig nennt Zah­len – oft mit »Klicks« ver­bun­den -, und er hin­ter­fragt sie, denn be­gleit­schrei­ben ist nicht zu­letzt hin­ter­fra­gen. Ein Klick an sich hat kei­ne Qua­li­tät, die Sum­mie­rung von Klicks ver­kör­pert nichts an­de­res als den Geist (oder Un­geist) der Zahl. Die mit dem Klicken ver­bun­de­ne Auf­merk­sam­keit hat ei­ne star­ke Ten­denz zur Zer­streu­ung, das sagt mir die In­tro­spek­ti­on, die Selbst­be­ob­ach­tung. In rea­len Zei­tun­gen le­se ich vie­le Ar­ti­kel ganz durch, in On­line­zei­tun­gen le­se ich sie fast im­mer nur an und sprin­ge wei­ter, fol­ge ir­gend­wel­chen Links oder Klä­rungs­be­dürf­nis­sen (Wi­ki­pe­dia...), die mei­stens kei­ne Auf­klä­rung brin­gen, son­dern die Zer­streu­ung ver­stär­ken. Ich bin zah­len­der Abon­nent ei­ner fran­zö­si­schen On­line­zei­tung (oh­ne Pa­pier­aus­ga­be), aber auch hier stel­le ich an mir die­sel­be Ten­denz fest, trotz al­len Be­mü­hens in die Ge­gen­rich­tung. Manch­mal las­se ich ei­nen Bei­trag in die­sem Jour­nal (der frz. Aus­druck ist da pas­sen­der) stun­den­lang »ge­öff­net«, was aber nicht heißt, daß ich ihn le­se. Die Tat­sa­che ei­nes Klicks sagt über­haupt nichts über die Qua­li­tät ei­ner Lek­tü­re, nicht­ein­mal, wenn die Zeit­dau­er mit­ge­lie­fert wird.

    2. Wie Keu­sch­nig schreibt, die Leu­te – die sog. »Nut­zer« – ha­ben heu­te auch nicht mehr Zeit als frü­her. Sie ha­ben so­gar eher we­ni­ger, ob­wohl es ge­samt­ge­sell­schaft­lich be­trach­tet über­haupt nicht not­wen­dig wä­re, mehr und mehr zu ar­bei­ten. Die Ent­wick­lung könn­te tech­no- und so­zio­lo­gisch be­trach­tet an­ders­rum ver­lau­fen. Tut sie aber nicht. In Ja­pan, wo ich le­be, mer­ke ich das be­son­ders deut­lich. Die Ar­beit wird fak­tisch we­ni­ger, und was tun die lie­ben Leu­te in den Bü­ros und Fir­men? Sie schaf­fen, sie er­fin­den sich neue, meist völ­lig sinn­lo­se Ar­bei­ten, si­cher auch aus Angst vor dem Ver­lust ih­res Ar­beits­plat­zes. Ich fürch­te, das ur­sprüng­lich als Scherz ge­mein­te Par­kin­son­sche Ge­setz herrscht tat­säch­lich so ei­sern wie ein Na­tur­ge­setz. „Ar­beit dehnt sich in ge­nau dem Maß aus, wie Zeit für ih­re Er­le­di­gung zur Ver­fü­gung steht.“ Ein­fa­cher ge­sagt: Wir le­ben un­ter dem Zwang, im­mer mehr und mehr zu ar­bei­ten.

    3. Die sich hier ge­äu­ßert ha­ben, be­trei­ben an­schei­nend so ziem­lich al­le ei­nen ei­ge­nen Blog. Das ist ein In­diz für die – ge­samt be­trach­tet – Hy­per­ak­ti­vi­tät, die Hy­ste­rie, die im Netz herrscht und die of­fen­bar eben­so zum stän­di­gen Wachs­tum ten­diert wie die Ar­beit nach Par­kin­son. Ein Pro­blem da­bei ist, daß un­ter heu­ti­gen Be­din­gun­gen je­der al­les ver­öf­fent­li­chen kann, sei es in Form von Blogs oder auch nur auf Face­book, in ir­gend­ei­nem der zahl­lo­sen Fo­ren, und daß das un­wei­ger­lich ent­ste­hen­de Cha­os (ge­samt be­trach­tet) nie­mand ord­nen kann noch will. Von Fil­tern ist zwar viel die Re­de, aber hier gibt es kei­nen Fil­ter, je­der son­dert ir­gend­was ab – ich auch, und in dem Mist fin­den sich na­tür­lich mit­un­ter Per­len. Auf Li­te­ra­tur be­zo­gen: Heut­zu­ta­ge wol­len al­le ver­öf­fent­li­chen, sie wol­len al­le Au­toren sein, aber le­sen will nie­mand mehr, und kann auch bald nie­mand mehr. Die Kunst des Le­sens müß­te heu­te viel mehr be­ach­tet und ge­pflegt wer­den als die Kunst des Schrei­bens. Die­ses Phä­no­men des schran­ken­lo­sen Sich-Äu­ßerns (und zwar öf­fent­lich) wird von vie­len als De­mo­kra­ti­sie­rung al­ler Le­bens­be­rei­che emp­fun­den – zu­min­dest auf der vir­tu­ell-di­gi­ta­len Ebe­ne, die mei­sten Schrei­ber, auch in die­sem Fo­rum, ver­wen­den ein Pseud­onym. ICH sa­ge, was ICH will, was tat­säch­lich zu­meist heißt: Ich las­se die Sau raus, im In­ter­net kann ich mein Über-Ich ge­trost aus­schal­ten. Wir le­ben im­mer noch in ei­ner Kon­sum­ge­sell­schaft, aber das Kon­su­mie­ren hat sich, flan­kiert von der Dau­er­prä­senz kom­mer­zi­el­ler Wer­b­e­inhal­te, ver­la­gert zum »de­mo­kra­ti­schen« Pro­du­zie­ren, das heißt zur Selbst­dar­stel­lung, mehr und mehr durch Fo­tos und Fil­me (stei­gen­de Il­li­te­r­a­ri­tät, vul­go An­alpha­be­tis­mus), aber im­mer noch auch durch das Wort, durch die Li­te­ra­ten – an de­nen so­gar Face­book fest­hält: »Schrei­be ei­nen Kom­men­tar zu dei­nen Fo­tos!«

  11. Da kom­men­tie­re ich auch noch mal, spa­re mir aber das La­men­to und ant­wor­te mit ei­ner Per­le:
    „Ich will über­haupt nichts. Ich will ler­nen und mein Le­ben ver­nünf­tig le­ben, wie man das auch in ei­ner gu­ten Er­zie­hung macht: Man lebt sei­ne Idea­le in der Hoff­nung, dass mal ei­ner hin­schaut.“
    (Sven Hel­big, ein Mu­si­ker, TAZ 7.8.2017)

  12. @Marcuccio
    Als Ab­schied war mein Po­sting nicht ge­dacht, eher als ein In­ne­hal­ten und Nach­den­ken, was und wie es hier wei­ter­ge­hen kann und soll. Aber es soll. Wenn auch viel­leicht (viel­leicht?) an­ders. Wo­bei grund­le­gen­de In­ter­es­sen blei­ben (den Hand­ke wer­de ich nicht auf­ge­ben – auch wenn es als Dro­hung auf­ge­fasst wer­den könn­te).

    @en-passant
    Sie sind ja ei­ner der­je­ni­gen, der die­sen Blog er­frischt und mei­ne Tex­te mit Ih­ren Kom­men­ta­ren er­wei­tert hat. Das war im­mer be­le­bend und so man­ches Mal seufz­te ich auf: »Ja, da­für machst Du das«.

    In ei­nem Punkt stim­men wir nicht über­ein. Das hat mit dem Zi­tat des Mu­si­kers zu tun (der laut Wi­ki­pe­dia auch noch Re­gis­seur und Pro­du­zent ist). Ich glau­be die­sen Sprü­chen, die sich selbst hel­den­haft der Ziel­lo­sig­keit und ge­woll­ten Ein­sam­keit jen­seits al­len Pu­bli­kums be­zich­ti­gen, nicht. Es ist ja be­kannt, dass Hand­ke auch zu­wei­len zu sol­chen fast mön­chi­schen Äu­ße­run­gen greift. Aber das je­mand, der künst­le­risch tä­tig dies aus­schließ­lich für sich sel­ber macht, hal­te ich für Ko­ket­te­rie. Ab ei­nem ge­wis­sen Zeit­punkt wünscht man sich ein Pu­bli­kum. Die Fra­ge ist nur, ob man sich für das Pu­bli­kum äs­the­tisch kor­rum­pie­ren lässt oder nicht. Äu­ße­run­gen wie die von Hel­big ten­die­ren m. E. in die­se Rich­tung.

    Als ich be­gann im In­ter­net zu pu­bli­zie­ren (es war auf ei­nem kol­la­bo­ra­ti­ven Fo­rum, dass nicht mehr in die­ser Form exi­stiert), war ich über­rascht auf die Re­ak­tio­nen. Es gab sie näm­lich recht schnell. In bei­den Rich­tun­gen. Es gab ei­nen Stamm von viel­leicht 25 oder 30 re­gel­mä­ssi­gen Teil­neh­mern, die Bei­trä­ge zu al­len mög­li­chen The­men ein­stel­len konn­ten. Die­se Tex­te muss­ten sich aber erst ei­ner Ab­stim­mung stel­len. Schaff­ten sie es nicht, konn­te man sie in ei­nem Spe­zi­al­be­reich, »Ta­ge­buch« ge­nannt, un­ter­brin­gen. Das war 2003/2004 ziem­lich neu. Die Nach­tei­le wa­ren schnell ge­fun­den: Es han­del­te sich um ein Echt­na­men­fo­rum, d. h. man muss­te sei­ne Iden­ti­tät nach­wei­sen. Und es gab kei­ne Re­gu­lie­rung der Trol­le – bzw. die­se wur­de aus­schließ­lich über Kom­men­tar­be­wer­tun­gen vor­ge­nom­men. So wuchs der »Be­stand« der re­gel­mä­ssi­gen Teil­neh­mer nicht. Se­riö­se Neu­lin­ge wur­den schnell ver­grault, Trol­le durf­ten lan­ge ihr Un­we­sen trei­ben, weil man to­le­rant sein woll­te. Als ich dann mit Be­gleit­schrei­ben ei­nen ei­ge­nen Blog grün­de­te, war ich zu­nächst über­rascht, wie we­nig Re­so­nanz es gab. Die Zähl­mo­du­le lie­fer­ten er­nüch­tern­de Zah­len; Kom­men­ta­re gab es auch sehr we­nig. Ich muss­te fest­stel­len, dass auf die­se Tex­te nie­mand ge­war­tet hat­te. Es brauch­te ei­nen jah­re­lan­gen Pro­zess um dies so­zu­sa­gen hin­zu­neh­men. Kom­mer­zi­el­le Gad­gets (Ama­zon) und Ver­lin­kungs­an­ge­bo­te wa­ren mir zu­wi­der. Da ich aus­schließ­lich auf Bü­cher und das Schrei­ben dar­über fi­xiert war, nahm ich auch die wach­sen­de Li­te­ra­tur­blog­ger­sze­ne nicht wahr. Mit dem Feuil­le­ton ging es mir ja ähn­lich; nur ab und zu stach mir da et­was ins Au­ge, was ich kri­tik­wür­dig fand. Zu­wei­len wur­den mei­ne Tex­te den­noch ver­linkt und in so­zia­len Netz­wer­ken be­spro­chen (statt im Blog). Im all­ge­mei­nen über­schätzt man aber die­se Ver­lin­kun­gen. Wenn über­haupt, er­zeu­gen sie nur ei­nen kur­zen Run. Der Bild­blog schaff­te ein­mal mehr als 8000 Klicks in zwei, drei Ta­gen. An­de­re Link­set­zun­gen lie­gen bei 50 oder ma­xi­mal 100. Auch von ver­meint­lich wich­ti­gen Ag­gre­ga­to­ren.

    Als die Zeit kam, dass mich das nicht mehr son­der­lich in­ter­es­sier­te, fühl­te ich mich fast am wohl­sten. Den­noch kam es mir im­mer dar­auf an, ein ge­wis­ses Pu­bli­kum an­zu­spre­chen – und wenn es nur 20 oder 30 Leu­te sind. Aber es ist sehr schwer, dies zu fas­sen, wenn Re­ak­tio­nen aus­blei­ben. Hin­zu kommt, dass man sich, so­bald man in die­sem Be­trieb auch nur ein­mal die Na­se in die Tür ge­hal­ten hat, mit Me­ta-Din­gen zu be­schäf­ti­gen hat bzw. glaubt, sich be­schäf­ti­gen zu müs­sen. Wer ist wo jetzt Li­te­ra­tur­chef? Wer hat wann über Au­tor X oder Au­torin Y et­was ge­sagt? Was macht De­nis Scheck ei­gent­lich ge­ra­de nicht? Wann er­scheint ein neu­es Buch von Kehl­mann? Und war­um soll mich das in­ter­es­sie­ren? Er­war­tet man von mir, dass ich das be­spre­che? Aber wo­her weiß ich über­haupt, wer mein Zeugs liest? Wenn ich es zu­wei­len auf Face­book ver­linkt hat­te, er­hielt ich Zu­stim­mung von ge­stan­de­nen Kri­ti­kern; be­son­ders wenn es um den »Be­trieb« ging. Ein­mal wur­de ich nach Er­lan­gen zu ei­ner Dis­kus­si­on über Li­te­ra­tur­kri­tik ein­ge­la­den. Die an­we­sen­de Kri­ti­kern be­stritt ein­fach den An­lass die­ser Dis­kus­si­on. Al­les chi­co so­zu­sa­gen. So­was kann man ma­chen. Und gleich­zei­tig zer­brö­selt ei­nem da ei­ne Welt, die man einst ei­ni­ger­ma­ßen in­ter­es­sant fand. Die Kri­ti­ke­rin muss­te frü­her auf­bre­chen – um ein Buch ei­nes an­de­ren Kri­ti­kers vor­zu­stel­len. Was soll man sol­chen Men­schen noch glau­ben?

    Mein Text über die­se Dis­kus­si­on wur­de tat­säch­lich in ei­nem Mas­sen­me­di­um glos­siert. Ur­su­la März sei sit­zen­ge­blie­ben, ist er glau­be ich über­schrie­ben ge­we­sen. Das hat­te ich sinn­ge­mäss ge­schrie­ben, weil der Dis­kus­si­ons­lei­ter, Herr Weyh, Frau März an­ge­ra­ten hat­te, dass, wenn die Dis­kus­si­on über­flüs­sig wä­re (wie sie be­haup­te­te), sie ja ge­hen kön­ne. Tat sie nicht. Sie blieb sit­zen. Und nun wur­de ich ein biss­chen hä­misch be­trach­tet. Ob mei­ner Nai­vi­tät. Kann man ma­chen. Auch das. Je­mand wie ich, der la­ten­te Feuil­le­ton­kri­ti­ker. Ei­ne Art Com­me­dia-dell-ar­te-Fi­gur, der sei­nen Blog als so­li­tä­res Boll­werk gegen....tja, ge­gen was? be­treibt.

  13. @Leopold Fe­der­mair und auch al­le an­de­ren
    Der Be­griff der »De­mo­kra­ti­sie­rung« mit dem man ger­ne die Pu­bli­ka­ti­ons­mög­lich­kei­ten im In­ter­net eu­pho­ri­siert ist ja durch­aus zu­tref­fend. Denn was ist De­mo­kra­tie an­de­res als die quan­ti­fi­zier­bar vor­ge­nom­me­ne Ab­bil­dung po­li­ti­scher Wil­lens­bil­dung? Auch hier zählt das qua­li­ta­ti­ve über­haupt nicht. Ob ei­ne Mei­nung oder, auf dem Wahl­zet­tel, ei­ne Stim­me von ei­nem Uni­ver­si­täts­pro­fes­sor, ei­nem Rich­ter, ei­nem mitt­le­ren An­ge­stell­ten, ei­nem Trin­ker oder ei­nem Mör­der stammt – das spielt kei­ne Rol­le. Sie wird ge­zählt. Quan­ti­tät. Ge­le­gent­li­che Ver­su­che, die­ses Prin­zip zu be­fra­gen, wer­den sehr schnell als dis­kri­mi­nie­rend, eli­tär oder hof­fär­tig ab­ge­kan­zelt. Zu­meist al­les zu­sam­men. Wir neh­men es als selbst­ver­ständ­lich hin, dass die Mas­se am En­de – wie auch im­mer – nicht nur ein re­prä­sen­ta­ti­ves, son­dern auch ein »rich­ti­ges« Er­geb­nis pro­du­zie­ren wird. Die Vor­gän­ge der letz­ten Jah­re (Brexit, Trump – um nur die bei­den zu nen­nen) las­sen zwar Zwei­fel auf­kom­men, aber wie soll man das Pro­blem lö­sen?

    So wird al­so nicht nur in der Pu­bli­zi­stik oder in der Öko­no­mie nach quan­ti­ta­ti­ven Kri­te­ri­en agiert, son­dern auch in der Po­li­tik und im ge­sell­schaft­li­chen Zu­sam­men­le­ben. Stets be­stimmt die quan­ti­ta­ti­ve Ma­jo­ri­tät. Die Fra­ge ist nur: War es ei­gent­lich je an­ders? Bzw.: Als es an­ders war, war es dann bes­ser?

    .-.-.-

    Noch et­was zur Zeit bzw. Frei­zeit. In Deutsch­land ist die Be­reit­schaft, über das nor­ma­le Maß zu ar­bei­ten ab ei­ner ge­wis­sen Ge­halts­klas­se zwar durch­aus ver­brei­tet, aber ja­pa­ni­sche »Ver­hält­nis­se« wer­den wir nie er­rei­chen. Kom­pen­siert wird dies durch ei­ne über­bor­den­de Frei­zeit­in­du­strie, die so­wohl mo­ne­tär als auch zeit­lich die sol­ven­ten Schich­ten im Griff ha­ben möch­te. Ir­gend­et­was macht man im­mer: Sport (Aus­rü­stung!), Wan­dern, Partys/Feiern, Rei­sen – al­les ist mög­lich und al­les ko­stet Geld. Wenn ich manch­mal Leu­ten sa­ge, ich ge­he jetzt le­sen schaut man mich ver­blüfft an. Aber selbst das ko­stet ja im Nor­mal­fall Geld. Viel­leicht ha­ben Blogs auch des­halb kein so ho­hes An­se­hen, weil sie ko­sten­los sind. Wenn sie al­ler­dings ag­gres­siv vor­ge­hen und Geld ver­lan­gen – dann will auch nie­mand be­zah­len. Ein­fach weil es un­end­lich viel an­de­res ko­sten­lo­ses gibt. Und man dann ir­gend­wann doch lie­ber et­was an­de­res macht.

  14. @Leo­pold Fe­der­mair
    Auf die Ge­fahr hin wie­der zu la­men­tie­ren, möch­te ich die Be­grif­fe Hy­per­ak­ti­vi­tät oder Hy­ste­rie als im­ma­nen­tes Kenn­zei­chen des Net­zes zu­rück­wei­sen. Ver­mut­lich wa­ren hier die we­nig­sten schon in den 90ern im In­ter­net un­ter­wegs und ha­ben den Ver­lauf der Kom­mer­zia­li­sie­rung so nicht mit­be­kom­men. Ich möch­te dann mal groß­vä­ter­lich auf die gol­de­nen Zei­ten ver­wei­sen, als die Do­mains der gro­ßen Fir­men noch frei wa­ren und die Ak­teu­re le­dig­lich aus in­trin­si­scher Mo­ti­va­ti­on han­del­ten. Aus der Zeit stammt üb­ri­gens auch mei­ne Sei­te, die kei­ner­lei Kol­la­bo­ra­ti­on der User vor­sieht.

    Zu der Zeit be­stand Sur­fen aus Stau­nen über die Viel­falt der Welt und die wun­der­ba­ren Men­schen (das hört sich jetzt aber sehr nach Trump an), die ih­re In­ter­es­sen dort aus­leb­ten, kei­ne Po­pups, kei­ne Wer­bung. Der gro­ße Wer­te­zer­stö­rer Ka­pi­ta­lis­mus hat­te das Netz noch nicht im Wür­ge­griff. Schnell wur­den aber im Use­net auch die ne­ga­ti­ven Sei­ten sicht­bar. Die gan­zen Be­grif­fe Troll, Fla­me (heu­te Hass­kom­men­tar), Ne­ti­quet­te, Emo­ti­con etc. sind ur­alt, auch wenn vie­le zu spät ge­kom­me­ne So­zio­lo­gen dies erst Face­book etc. an­ge­dich­tet ha­ben. Text­ba­sier­te Kom­mu­ni­ka­ti­on war von An­fang an man­gel­haft.

    Die Brow­ser wur­den bunt, wa­ren kei­ne Do­ku­men­ten­an­zei­gen mehr son­dern in­ter­ak­tiv, das Web 2.0 war ge­bo­ren. Da­mit ka­men die Mas­sen und in der Fol­ge erst der Kom­merz. Das sinn­lo­se Tem­po ist ein Pro­dukt der Wer­be­stra­te­gen und Mar­ke­ting­men­schen so­wie da­von, dass die An­ge­bo­te nie­der­schwel­lig und da­mit kon­su­mier­bar wur­den. Be­gleit­schrei­ben ist das Ge­gen­teil und das ist gut so. Heu­te wird An­ge­la Mer­kel un­ter an­de­rem von der Mo­de­blog­ge­rin Isch­tar Isik in­ter­viewt.

  15. @Leopold Fe­der­mair
    Bei mir ist es an­ders: Ich le­se fast al­les bis zum En­de, au­ßer ich be­gin­ne schon mit der In­ten­ti­on nur den Teaser zu le­sen oder aber ich su­che ei­ne be­stim­me In­for­ma­ti­on (z.B. in der Wi­ki­pe­dia). Was mir da­für im­mer wie­der pas­siert, ist, dass ich zu viel öff­ne oder mir zu viel vor­neh­me, da­bei bleibt dann et­li­ches auf der Strecke, al­so gänz­lich un­ge­le­sen. Ich se­he eher die Ge­fahr des Zu­viel und der Ver­lockung sei­ne Zeit mit Din­gen zu ver­brin­gen, die zu­erst ein­mal wich­ti­ger aus­se­hen, als sie es tat­säch­lich (sie drän­gen sich so­zu­sa­gen auf). Ich ge­be aber zu, dass ich auch von an­de­ren hö­re, dass sie nur über­flie­gen oder nicht zu En­de le­sen (ich ver­wen­de des­halb für lan­ge Tex­te, die ich nur di­gi­tal »be­sit­ze« ei­nen Ebook-rea­der). Ei­ne Zä­sur se­he ich in je­ner Ge­ne­ra­ti­on, in der die di­gi­ta­len Me­di­en von An­be­ginn prä­sent wa­ren (was bei den mei­sten der hier Dis­ku­tie­ren­den wohl nicht so war). — Hy­per­ak­ti­vi­tät mit dem Netz zu ver­bin­den ist nicht falsch, ich er­le­be das aber kei­nes­wegs im­mer so.

    Zwei Aspek­te zur Ar­beit: Ich ken­ne die­ses Er­fin­den von Ar­beit über­haupt nicht, Sie ha­ben aber recht, dass es nicht so sein müss­te wie es viel­fach ist (die Ar­beits­men­ge, mei­ne ich). Aber war­um ist es so? Da sind zum ei­nen die An­sprü­che, die man er­fül­len muss oder will (Ur­laub, Frei­zeit, Kon­sum,...) und zum an­de­ren schlicht die Ko­sten: Mit­ar­bei­ter Mehr- und Über­stun­den ma­chen zu las­sen kommt in Öster­reich ein­fach bil­li­ger als neue Mit­ar­bei­ter ein­zu­stel­len, mit den so­ge­nann­ten all-in­clu­si­ve-Ver­trä­gen erst recht.

    Pseud­ony­me sol­len Per­so­nen schüt­zen, wo­für es gu­te Grün­de gibt, ich ha­be die Er­fah­rung ge­macht, dass un­flä­ti­ge, be­lei­di­gen­de, so­gar straf­ba­re Äu­ße­run­gen oft auch un­ter Klar­na­men ge­tä­tigt wer­den. — Das Pro­du­zie­ren, Selbst­dar­stel­len und da­mit in Zu­sam­men­hang ste­hen­de Schrei­ben hängt mit den im­mer tie­fer ver­in­ner­lich­ten For­de­run­gen un­se­rer ka­pi­ta­li­sti­schen Öko­no­mie zu­sam­men, dort liegt die Ur­sa­che (ver­kürzt ge­sagt: für den­je­ni­gen, der sich ver­kau­fen muss, ist das Schrei­ben wich­ti­ger).

  16. @Gregor K.
    Ich glau­be nicht, daß man De­mo­kra­tie aus­schließ­lich quan­ti­ta­tiv de­fi­nie­ren und kon­zi­pie­ren soll. Das war auch durch­aus nicht im­mer so, In­hal­te spiel­ten ei­ne grö­ße­re Rol­le und müs­sen m. E. wei­ter­hin ei­ne spie­len, wenn De­mo­kra­tie ei­ne Zu­kunft ha­ben soll. (In­zwi­schen ist oft von »The­men« die Re­de, die man »po­si­tio­nie­ren« muß. Die PR-Hal­tung zur und in der Po­li­tik ent­leert die In­hal­te, macht sie zu mög­lichst leicht quan­ti­fi­zier­ba­ren Spiel­ein­sät­zen.) De­mo­kra­tie ist nicht nur Stim­me­ab­ge­ben, wenn sich Bür­ger über­haupt nicht be­tei­li­gen und nur auf Po­li­ti­ker schimp­fen zwi­schen den Stimm­ab­ga­ben, ver­kommt die De­mo­kra­tie. Be­tei­li­gen heißt auch, an den In­hal­ten In­ter­es­se zei­gen, sich in­for­mie­ren, aus­ein­an­der­set­zen. Und na­tür­lich setzt De­mo­kra­tie ei­ne ge­wis­se Bil­dung vor­aus. Man muß Un­ge­bil­de­te nicht von Wah­len aus­schlie­ßen, aber je nied­ri­ger das Bil­dungs­ni­veau ins­ge­samt ist, de­sto schwie­ri­ger wird es, De­mo­kra­tie zu prak­ti­zie­ren. Mein Ein­druck, vor al­lem auch beim Le­sen von Kom­men­ta­ren in den zahl­lo­sen In­ter­net-Fo­ren, ist, daß sich das De­mo­kra­tie­ver­ständ­nis heu­te am Markt und am Mar­ke­ting ori­en­tiert, und daß die mei­sten Bür­ger das ver­in­ner­licht ha­ben und ein­fach nor­mal oder so­gar gut fin­den. De­mo­kra­tie hat sich schlei­chend ver­än­dert im Lauf der durch die neu­en Kom­mu­ni­ka­ti­ons­tech­no­lo­gien ge­präg­ten Jah­re. Sehr pro­ble­ma­tisch, lie­ber Keu­sch­nig, fin­de ich die An­nah­me, die Mehr­heit ha­be im­mer recht. Wenn bei de­mo­kra­ti­schen Wah­len ei­ne Grup­pe un­ter­liegt und zur Min­der­heit wird (oder zur »Op­po­si­ti­on«), hat sie das zu­nächst ein­mal zu ak­zep­tie­ren. Aber des­halb hat sie nicht au­to­ma­tisch un­recht. Die ärg­sten, in­hu­ma­nen und auch de­mo­kra­tie­feind­li­che In­hal­te kön­nen ei­ne Mehr­heit be­kom­men. Mit den Jah­ren, wäh­rend de­rer ich die­se Ent­wick­lun­gen be­ob­ach­te, nei­ge ich im­mer mehr da­zu, mich eli­tär zu füh­len und das Eli­tä­re zu ver­tei­di­gen (na­tür­lich auf aus­sichts­lo­sem Po­sten, was sonst). Die Ar­ro­ganz aber, die fin­de ich bei den markt­schreie­ri­schen De­mo­kra­tie­freun­den, die sich ge­le­gent­lich als Pö­bel outen, al­so bei Leu­ten, die im In­ter­net laut­stark auf ih­rer Stim­me, ih­rem Po­sting, ih­rem Geld, ih­rem Steu­er­geld be­stehen.

    @en-passant
    Ich wür­de die Äu­ße­rung von Sven Hel­big im Un­ter­schied zu Keu­sch­nig un­ter­schrei­ben. Der Künst­ler, und auch der Schrei­ber, so­fern er li­te­ra­ri­schen An­spruch hat, ist zu­nächst ein ein­sa­mer Mann, ei­ne ein­sa­me Frau, der das, was er tut, auch oh­ne je­de Zu­stim­mung tun wür­de. Trotz­dem schwebt da im­mer, noch bei den ra­di­kal­sten Ein­sa­men, ir­gend­wo die Mög­lich­keit und Not­wen­dig­keit ei­nes Pu­bli­kums, ei­nes Adres­sa­ten im Raum, denn um über­haupt tä­tig zu sein, muß der Ein­sa­me sich der Spra­che oder ei­nes an­de­ren Me­di­ums be­die­nen, die so­zi­al de­fi­niert sind. Die­ser Wi­der­spruch wird bei Künst­lern und Schrift­stel­lern im­mer da sein, selbst dann, wenn sie sehr viel Zu­spruch be­kom­men.

    @Joseph Bran­co
    Auf­schluß­reich, Ihr Be­richt von den An­fän­gen des In­ter­nets. Es wä­re nicht der er­ste Be­reich, den der Kul­tur­ka­pi­ta­lis­mus ge­ka­pert hat. – Ei­ner der aus mei­ner Sicht be­mer­kens­wer­ten Aspek­te die­ses Pro­zes­ses ist die Rhe­to­ri­sie­rung der Kom­mu­ni­ka­ti­on, wo­für die Emo­ti­cons das deut­lich­ste Zei­chen sind. Die­se Rhe­to­ri­sie­rung, d. h. Stan­dar­di­sie­rung, fin­det man aber auch auf syn­tak­ti­scher Ebe­ne, wenn et­wa Face­book Sta­tus­mel­dun­gen, An­stup­ser, Freund­schafts­an­fra­gen, Ge­burts­ta­ge bis hin zu den Er­in­ne­run­gen (Was war vor ei­nem Jahr?) ver­wal­tet. Die sprach­li­che Kom­mu­ni­ka­ti­on, so­weit sie ein in­tel­lek­tu­el­les oder li­te­ra­ri­sches Min­dest­maß hat­te, war im deut­schen Sprach­raum bis ins 17. Jahr­hun­dert und ein we­nig dar­über hin­aus durch Rhe­to­rik ge­prägt, dann wur­de die­se Stan­dar­di­sie­rung nach und nach »über­wun­den« und freie­rer Aus­druck – und jetzt kehrt die Rhe­to­rik mas­siv zu­rück, das ist für mich ei­ner der er­staun­lich­sten Aspek­te der kom­mu­ni­ka­ti­ons­tech­no­lo­gi­schen Um­wäl­zun­gen.

  17. @Leopold Fe­der­mair
    Es ist nicht die Fra­ge ob man De­mo­kra­tie quan­ti­ta­tiv aus­rich­ten soll oder nicht. Die Fra­ge ist längst mit »ja« zu Gun­sten der Quan­ti­tät be­ant­wor­tet. Und na­tür­lich ist nicht ge­sagt, dass Mehr­heits­ent­schei­dun­gen im­mer rich­tig sind. Man weiß ge­nug zu be­rich­ten, wo sie sich spä­ter als falsch oder gar fa­tal her­aus­ge­stellt ha­ben (in­ter­es­san­ter­wei­se tau­gen die üb­li­chen Bei­spie­le hier­für nicht).

    Die von uns als de­mo­kra­tisch wahr­ge­nom­me­nen Pro­zes­se kön­nen gar nicht an­ders als am En­de auf ei­ner Mehr­heits­ent­schei­dung zu be­ru­hen. An­de­ren­falls könn­te man sich so et­was wie Wah­len spa­ren. Gut or­ga­ni­sier­te de­mo­kra­ti­sche Ge­mein­we­sen »wis­sen« von der An­fäl­lig­keit fal­scher Mehr­heits­ent­schei­dun­gen und ha­ben da­her – wie auch im­mer – ein Sy­stem von »checks and ba­lan­ces« ein­ge­baut. So gibt es fast über­all In­sti­tu­tio­nen, die Re­gie­run­gen kon­trol­lie­ren und zur Not ge­gen­steu­ern kön­nen. In den letz­ten Jah­ren zeigt sich, dass die­se In­sti­tu­tio­nen al­ler­dings auch nur auf­grund be­stimm­ter Über­ein­künf­te (Ver­fas­sun­gen bei­spiels­wei­se) agie­ren kön­nen und ak­zep­tiert sind. Denn die­se Über­ein­künf­te sind fra­gil, kön­nen theo­re­tisch je­der­zeit ver­än­dert wer­den. In Ost­eu­ro­pa wer­den die Kon­troll­in­sti­tu­tio­nen in­zwi­schen ver­mehrt un­ter Re­gie­rungs­ku­ra­tel ge­stellt – mit »le­ga­len«, d. h. de­mo­kra­tisch le­gi­ti­mier­ten Mit­teln vul­go: Mehr­heits­ent­schei­dun­gen.

    Die­se Di­lem­ma­ta sind nicht neu. Neu ist nur, dass sie für die brei­te Be­völ­ke­rung plötz­lich lu­kra­tiv ge­wor­den sind und Zu­stim­mung fin­den. Die Grün­de, die man in den 1920er Jah­ren für De­mo­kra­tie­ver­dros­sen­heit bei­spiels­wei­se in Deutsch­land hat an­füh­ren kön­nen, ent­fal­len hier zu­meist.

    Aber wie will man das quan­ti­ta­ti­ve Ele­ment aus den de­mo­kra­ti­schen Ent­schei­dungs­pro­zes­sen bän­di­gen, oh­ne in die Au­to­ri­tät die­ser Re­sul­ta­te ein­zu­grei­fen? Ist ei­ne Min­der­heit al­lei­ne da­durch qua­li­fi­zier­ter weil sie ei­ne Min­der­heits­po­si­ti­on ver­tritt? Ist auf­grund der Tat­sa­che, dass die Mehr­heit eben nicht im­mer recht hat, die Min­der­hei­ten­po­si­ti­on per se bes­ser? Und was ist Min­der­heit?

    Aber zu­rück zu die­sem Blog. Die Tat­sa­che, dass hier nur ei­ne schwin­den­de Min­der­heit von Kul­tur- und Feuil­le­ton­in­ter­es­sier­ten mit­le­sen, sagt per se noch nichts über die Qua­li­tät mei­ner Tex­te aus. Und zwar in bei­den Rich­tun­gen. Meist deu­ten Künst­ler ihr Ni­schen­da­sein ja da­hin­ge­hend, dass man ih­re Qua­li­tä­ten ein­fach nicht er­kennt. Bei Pu­bli­zi­sten ist das zu­wei­len ähn­lich. Aber es könn­te ja sein, dass sie tat­säch­lich we­ni­ger tau­gen als das, was ein FAZ- oder Zeit-Re­dak­teur sich er­dacht hat. Als ich vor ei­ni­gen Jah­ren auf Face­book in ei­ne Dis­kus­si­on um mei­ne Tex­te ge­riet, er­wähn­te ich wahr­heits­ge­mäß, dass ich nie­mals ei­ne Uni­ver­si­tät be­sucht und ein Stu­di­um ab­ge­schlos­sen ha­be. Ein Kom­men­ta­tor er­wi­der­te dar­auf­hin trocken: »Das merkt man.« Wie soll man ei­ne sol­che Aus­sa­ge ver­ste­hen? Als Kom­pli­ment be­stimmt nicht.

    Wie al­les ist auch der Kul­tur­be­trieb in­sti­tu­tio­na­li­siert und or­ga­ni­siert. Man be­nö­tigt For­mal­qua­li­fi­ka­tio­nen um an ih­nen teil­ha­ben zu kön­nen. Die­ser Blog hier ge­nießt ein Au­ßen­sei­ter­da­sein und fällt zu­wei­len ei­ni­gen Men­schen, die die not­wen­di­gen For­mal­qua­li­fi­ka­tio­nen be­sit­zen, auf. Das ist al­les, was ich er­rei­chen kann und so­lan­ge in Ord­nung, so­lan­ge es ei­ne ge­wis­se Rück­kopp­lung mit den Ver­streu­ten, den »Idio­ten« (Hand­ke) gibt. Wenn ein Hin­weis auf ei­nen mei­ner Bei­trä­ge mit rund 500 »Im­pres­si­ons« be­dacht wird, hier­von aber nur 22 Klicks auf den Bei­trag sel­ber er­fol­gen – un­be­kannt bleibt, wie in­ten­siv ge­le­sen wird – muss ich mich fra­gen, war­um ich das ma­che, wenn nicht (sie­he oben) für mich sel­ber.

  18. @Lothar Struck,
    den ich mit Keu­sch­nig iden­ti­fi­zie­re, er mö­ge das ent­schul­di­gen, es lag über­haupt nicht in mei­ner Ab­sicht. Ih­re De­tail­lie­run­gen in Be­zug auf Po­li­tik und be­son­ders Po­li­tik­ge­schich­te sind für mich im­mer sehr auf­schluß­reich, ich ler­ne da was und manch­mal ruft es mir Ver­ges­se­nes oder Ver­dräng­tes zu­rück. Es ist aber, wenn man zum Grund­sätz­li­chen zu­rück­kehrt, be­un­ru­hi­gend, für mich zu­min­dest, daß die Selbst­ver­ständ­lich­keit, mit der man De­mo­kra­tie er­fuhr und als das re­la­tiv Be­ste fürs Ge­mein­we­sen be­ur­teil­te, flö­ten ge­gan­gen ist. Ein In­diz für das Zer­bröckeln – ein Wort, das Sie, Lo­thar Struck, hier zwei- oder drei­mal ge­braucht ha­ben und das mir an­ge­bracht scheint – ein In­diz für das Zer­bröckeln der Grund­la­gen der de­mo­kra­ti­schen Dis­kur­se ist die Mar­gi­na­li­tät ver­nünf­ti­ger Blogs wie die­sem hier, die Mar­gi­na­li­sie­rung um Auf­klä­rung be­müh­ter Kom­mu­ni­ka­ti­on durch den markt­kon­for­men Main­stream, der sich am deut­lich­sten im In­ter­net zu er­ken­nen gibt. Grund­wer­te, Mi­ni­mal­kon­sens, Re­geln des Ge­sprächs, auch Höf­lich­keit, be­stimm­te Um­gangs­for­men spie­len kaum noch ei­ne Rol­le, auch wenn sie im­mer noch auf ge­dul­di­gem Pa­pier (nicht zu­letzt der Ver­fas­sun­gen) ste­hen. Wer­te und Re­geln, die nicht ein für al­le Mal gel­ten müs­sen, son­dern im­mer wie­der neu zu durch­den­ken und an­zu­pas­sen sind. Auf die­sem Bo­den wür­de ei­ne De­mo­kra­tie ge­dei­hen, die ich für »echt« hal­ten könn­te. Mitt­ler­wei­le ist sie zu ei­nem PR-Ober­bau ge­wor­den, bei dem al­le nach der größ­ten Zahl (Stim­men­zahl) gie­ren: Po­pu­lis­mus statt De­mo­kra­tie. Sie hat­ten ein­mal ge­schrie­ben, je­de De­mo­kra­tie müs­se ei­ne Do­sis Po­pu­lis­mus ent­hal­ten – auch das ist wohl rich­tig. (Geht man der Ety­mo­lo­gie der bei­den Wör­ter nach, ist da oh­ne­hin we­nig Un­ter­schied. Aber die ge­gen­wär­ti­ge Be­deu­tung ei­nes Worts wird je­weils durch den Ge­brauch be­stimmt.)
    Bin ich jetzt zu weit vom Aus­gangs­the­ma, Blog und Über­druß, ab­ge­kom­men?

  19. Nein, nicht ab­ge­kom­men. Eher an­ge­kom­men. Denn der Über­druss zeigt sich bei mir ja auch in der Be­ob­ach­tung des­sen, was man po­li­ti­sches In­ter­es­se nennt. Das ist nicht zu­lertzt auf­grund der me­dia­len Skan­da­li­sie­rung ei­nes je­den Phä­no­mens, dass man für skan­da­li­sie­rungs­wür­dig er­ach­tet. End­gül­tig auf­ge­hört ha­be ich mich da­für zu in­ter­es­sie­ren als Trump Prä­si­dent wur­de. Es be­steht na­tür­lich kein Zwei­fel dar­an, dass Trump ein po­li­ti­scher Trot­tel ist (der al­ler­dings sehr ge­schickt die so­zia­len Ver­wer­fun­gen in den USA dia­gno­sti­ziert und für sich ruch­bar ge­macht hat – man kann das ja al­les im Packer nach­le­sen). Aber das jetzt prak­tisch je­den Tag das En­de der Prä­si­dent­schaft aus­ge­ru­fen und al­le mög­li­chen Kom­men­ta­to­ren dies auch noch er­klä­ren – da schal­te ich ab. Neu­lich lief in der Halb­zeit ei­nes Fuß­ball­spiels wie­der ein­mal ei­ne sol­che Nach­rich­ten­sen­dung. Mit In­brunst er­klär­te der An­chor­man des ZDF, dass jetzt wirk­lich wie­der ein­mal ei­ne neue Pha­se in den po­li­ti­schen Ver­wer­fun­gen in den USA ein­ge­tre­ten sei. Ich kann es nicht mehr hö­ren.

    Der »markt­kon­for­me« (ka­pi­ta­li­sti­sche) Main­stream ist ja nur ein Teil die­ses Aus­höh­lungs­pro­zes­ses. Da­ne­ben gibt es ja noch den po­li­tisch-kor­rek­ten Main­stream, der eben­falls zu be­ach­ten ist und hef­tig ver­tei­digt wird, so­bald nur ein Gran Ab­wei­chung fest­ge­stellt wird. Da­bei wird je­des ab­wei­chen­de Ur­teil pfeil­schnell als »Po­pu­lis­mus« be­zeich­net. Da­bei blei­ben dann die ei­gent­li­chen po­pu­li­sti­schen Ge­fah­ren auf der Strecke, weil der Be­griff tri­via­li­siert wird (sieht selbst je­mand wie Mül­ler ein, schon in sei­nem Buch). Po­pu­li­sten – das sind im­mer die an­de­ren. Je­mand wie Mer­kel als Po­pu­li­stin auf­grund ih­rer Hei­le-Welt-Pla­ka­te zu be­schimp­fen kommt nie­mand in den Sinn.

    Man kann in­ter­es­san­ter­wei­se an der Li­te­ra­tur­kri­tik fest­stel­len. Ich ha­be von Stef­fen Il­le, dem Ver­le­ger mei­nes Hand­ke-Ju­go­sla­wi­en-Bu­ches vor ei­ni­gen Wo­chen ein rororo-Bänd­chen von 1985 mit Li­te­ra­tur­kri­ti­ken von Kurt Tu­chol­sky ge­schenkt be­kom­men. Das Buch ist ei­ne Fund­gru­be, wie Li­te­ra­tur­kri­tik sein könn­te, aber nicht mehr ist. Tu­chol­sky um­gibt sich gar nicht erst mit der Au­ra des un­be­stech­li­chen Li­te­ra­tur­kri­ti­kers. Er, der po­li­ti­sche Mensch, trennt das Li­te­ra­ri­sche vom Po­li­ti­schen. (Das kann er nur, weil er sich in bei­dem aus­kennt.) Un­ver­brämt at­te­stiert er Fal­la­da und Hein­rich Mann eher be­schei­de­ne li­te­ra­ri­sche Qua­li­tä­ten, lobt aber über­schwäng­lich de­ren po­li­ti­sche und ge­sell­schaft­li­che Dar­stel­lun­gen. Ein heu­te als Tri­vi­al­au­tor an­ge­se­he­ner B. Tra­ven ist bei Tu­chol­sky ein »Epi­ker«. So et­was ist heu­te nicht mehr mög­lich, weil die je­wei­li­ge Ge­sin­nung ei­nes Schrift­stel­lers im­mer auch in das li­te­ra­ri­sche Ur­teil ein­fließt. Die Kri­ti­ker sind gar nicht mehr in der La­ge – oder nicht mehr wil­lens – die bei­den Fel­der zu tren­nen. Wer die ver­meint­lich »rich­ti­ge« An­schau­ung hat und die­se in ei­nem Buch aus­brei­tet, wird au­to­ma­tisch als gu­ter Li­te­rat ge­fei­ert. Das il­lu­striert sehr schön, was ich mei­ne: Die für ei­ne De­mo­kra­tie not­wen­di­ge Streit­kul­tur ist auf­grund von vor­her ab­ge­steck­ten Hand­lungs­im­pe­ra­ti­ven nicht mehr mög­lich. Die­ses Ta­bui­sie­rungs­stra­te­gie des »Bö­sen« macht die Po­pu­li­sten und Dem­ago­gen erst at­trak­tiv.

  20. Der Zeit­geist­fal­le könn­te man ent­ge­hen, wenn man sich mit Bü­chern be­schäf­tigt, die die­sen An­spruch hin­ter sich ha­ben und nur noch li­te­ra­risch hi­sto­risch wir­ken. Ich ha­be die­ses Jahr z.B. Der schar­lach­ro­te Buch­sta­be von Na­tha­ni­el Hawt­hor­ne, Un­ter dem Vul­kan von Mal­colm Lo­wry und Die Be­la­ge­rung von Krish­na­pur von Ja­mes Gor­don Far­rell ge­le­sen. Bü­cher, bei de­nen mir wie­der deut­lich klar ge­wor­den ist, war­um ich le­se. Das neue Buch von In­go Schul­ze oder Sven Re­ge­ner locken mich da kaum. Das Feuil­le­ton ist aber auch nicht mein Stecken­pferd.

    Das De­mo­kra­tie­fass möch­te ich jetzt nicht auf­ma­chen, kann mir aber den Ein­wurf nicht ver­knei­fen, dass man zwi­schen De­mo­ka­tie, Par­tei­en­de­mo­kra­tie und re­prä­sen­ta­ti­ver De­mo­kra­tie un­ter­schei­den muss. Sonst re­det wahr­schein­lich je­der von et­was an­de­rem. Bei der Bun­des­tags­wahl wer­de ich mein de­mo­kra­ti­sches Recht auf­grund der Par­tei­en­de­mo­kra­tie nicht wahr­neh­men kön­nen, da ich nicht mal mehr das klei­ne­re Übel fin­de. Ei­ne ge­steu­er­te De­mo­kra­tie ha­ben na­tür­lich nur die an­de­ren.

  21. @Leopold Fe­der­mair
     
    Stimmt: Das bleibt der Wi­der­spruch. Aber er kann ja auch ein pro­duk­ti­ver sein. Lan­ge hat­te ich mich ge­fragt: Ist je­mand, bei dem der größ­te Teil sei­nes In­ter­es­ses und Han­delns auf sei­ne schrei­be­ri­sche Am­bi­ti­on ge­rich­tet ist, ein Schrift­stel­ler? Oder ist er es erst, wenn er auf ei­ne min­de­ste Wei­se auch das ge­sell­schaft­li­che Dis­po­si­tiv be­dient?
     
    Ein Kunst­werk – hat­te ich im­mer ge­dacht – ist ganz klar ei­nes, wenn der Markt (eher noch als die Kri­tik) es als sol­ches be­stimmt. Aber es gibt ja auch Hen­ry Dar­ger oder Mi­ros­lov Tichy oder die art brut usw.. Stimmt al­so nicht. Und wä­re der Clown oh­ne Are­na auch noch ein Clown? Aber der ist ja im­mer trau­rig. Oder ist das om­ni ani­mal, das Pu­bli­kum (der Wunsch nach ei­nem) über­haupt das Pro­blem jeg­li­cher Kunst?
     
    Ei­ner­seits hat sich das für mich lan­ge als un­ent­schie­den her­aus­ge­stellt. An­de­rer­seits ent­lässt es mich nun eben dar­aus, in­so­fern ich mich als eh Igno­rier­ter auch wie­der ‘eman­zi­pie­ren’ kann (oder dar­aus Selbst­be­stimmt­heit ge­win­nen – und wä­re es nur ei­ne il­lu­so­ri­sche, al­so an­ders­wie pro­duk­ti­ve, Schein­sou­ve­rä­ni­tät). Denn eh un­ge­sel­lig, hat­te ich an das gan­ze »So­cial« noch nie so recht ge­glaubt. Ich se­he es heu­te als selbst­un­ter­neh­me­ri­sches Ge­schäfts­mo­dell jün­ge­rer Leu­te, und weil ich schon ein Le­ben hat­te, brau­che ich die­se Spiel­art nicht da­zu. Das Schrei­ben aber brau­che ich für mein klei­nes, letzt­lich auch wie­der ge­sell­schaft­li­ches Glück. Und das kann ich auch ver­schwei­gen.
     
    (In der NZZ schreib­te heu­te Lil­la über das ol­le »Das Per­sön­li­che ist po­li­tisch« und vv. Ich hönn­te mir durch­aus vor­stel­len, dass neue ver­nünf­ti­ge Po­li­tik ir­gend­wann eben nicht mehr in Teil­ha­be, son­dern in der Zu­rück­hal­tung liegt, in – jen­seits al­len mo­di­schen Di­stink­ti­on­ge­ha­bes – in Ver­zicht. Ich mei­ne es nicht mal [kultur-]pessimistisch. Sim­pel ge­sagt: Auch die neu­en Men­schen­mil­li­ar­den auf dem Pla­ne­ten al­le in Elek­tro­au­tos fah­ren zu las­sen ist Un­sinn.)
     
    Viel­leicht als Nen­ner: Kunst als »Plau­si­bi­li­sie­rung der in­di­vi­du­el­len Ab­wei­chung.« (Luh­mann) Dann wä­re auch die Öf­fent­lich­keit als Funk­ti­on nur ei­ne Va­ri­an­te da­von und Kunst kä­me zu­letzt gut oh­ne sie aus. Und man könn­te sie ir­gend­wann an­ders­wie ... pri­mä­rer ... un­be­spro­chen, un­ver­mit­telt ... un­ge­teil­ter »tei­len«.
     
     
     

    @Lothar Struck
     
    Sie sind ja ‘Jour­na­list’ – oder ope­rie­ren doch wie ei­ner, im be­sten Sin­ne, auch wenn Sie Ih­re ur­ei­ge­nen In­ter­es­sens­ge­bie­te be­han­deln. Da sucht man na­tür­lich nach Reich­wei­te und Re­le­vanz (und Re­so­nanz). Aber wenn al­le sen­den, lau­fen schlicht die Ka­nä­le über. Dann kann man ent­we­der lau­ter wer­den oder in Ni­schen­märk­ten sein Al­lein­stel­lungs­merk­mal pflegen/die Qua­li­tät stei­gern. (Oder eben ver­stum­men.)
     
    An­son­sten bleibt das Fa­zit, das Sie sel­ber (auch schon vor Län­ge­rem ein­mal, er­in­ne­re ich mich) ge­zo­gen ha­ben: Es gibt ein­fach zu­viel von al­lem! Zu­viel Bü­cher, zu­viel Mu­sik Kunst Web Ge­re­de ... zu­viel Ge­dich­te so­wie­so und Mit­dis­ku­tan­ten und Me­di­en­ge­we­se ... zu­viel. Und die näch­ste Stu­fe nach dem Über­druss ist ja schon der Ekel. Und der ist dann eben ei­ne schlüs­si­ge, ab und zu fäl­li­ge Re­ak­ti­on.
     
    Ich ver­wei­se aber auch auch noch mal aus­drück­lich auf den – auf die­sen Sei­ten ja aus­führ­lich be­han­del­ten – »Idio­ten«. Und zwar nicht nur auf den von Hand­ke oder den von Strauß, son­dern auch auf den Hans-Chri­stan Da­ny, den – im wei­te­sten Sin­ne noch/wieder – ir­gend­wie – sub­ver­si­ven. Es gä­be dann auch in der Ab­we­sen­heit wie­der star­ke Po­si­tio­nen. na­vi­ga­re ne­ce­s­se est vi­ve­re non est ne­ce­s­se.

     

  22. Ei­ne Be­mer­kung noch zu Bil­dung und De­mo­kra­tie: Das ist ei­ner­seits rich­tig, an­de­rer­seits gibt es auch an­de­re Kri­te­ri­en, et­wa je­ne, die die ei­ge­ne Exi­stenz of­fen­legt: Wer ein fröh­li­ches, un­kri­ti­sches Lied über in­ter­na­tio­na­le Or­ga­ni­sa­tio­nen singt, die al­les zum Bes­se­ren wen­den, darf sich nicht wun­dern, wenn die da­von zu­al­ler­erst Be­trof­fe­nen, näm­lich je­ne auf de­nen die Ge­sell­schaft steht, zu den Rechts­po­pu­li­sten über­lau­fen – war­um soll­te sich ein Bau­ar­bei­ter dar­über freu­en, dass ihm qua Ent­sen­de­richt­li­nie un­ter den kol­lek­tiv­ver­trag­li­chen Re­ge­lun­gen Kon­kur­renz ge­macht wer­den darf? Po­li­tik hat auch ei­ne In­ter­es­sens­aus­glei­chen­de Funk­ti­on und ich mei­ne auch die­se hat mit der Mehr­heits­ent­schei­dung zu tun.

  23. @en-passant
    Kunst kann oh­ne Pu­bli­kum gar nicht exi­stie­ren, weil das Pu­bli­kum am En­de aus dem Kunst­werk ein Kunst­werk macht. Und nicht der »Markt« oder die »Kri­tik« – die sind na­tür­lich auch »Pu­bli­kum«, aber durch ih­re In­ten­tio­nen so­zu­sa­gen kor­rum­piert. Der »Markt« er­kennt in al­lem ein Kunst­werk, was es ihm er­laubt, ei­ne Mas­se an­zu­spre­chen. Das kann, muß aber nicht Kunst sein. Das Miss­ver­ständ­nis be­steht dar­in, dass Markt­schrei­er und (Kultur-)Kritiker die Ent­decker und Mul­ti­pli­ka­to­ren der Kunst­wer­ke sind. Das ist aber nach mei­ner Mei­nung nach falsch. Der »Markt« taugt da­zu nicht, weil sei­ne In­ter­es­sen all­zu of­fen­sicht­lich sind. Und auch der Kri­ti­ker ist auch nur ein Teil des Pu­bli­kums – frei­lich ei­ner, der sich zum Sprach­rohr macht.

    Es ist ein Un­ter­schied ob sich ein Schrei­ber (»Jour­na­list« oder Kri­ti­ker) an so et­was wie Re­le­vanz oder Reich­wei­te ori­en­tiert und es dar­auf an­legt. Das sind dann eher die Schrei­häl­se, die auf Quoten‑, Klick- oder son­sti­gem Fang aus sind. Sie be­stim­men den Dis­kurs al­lei­ne schon von der Laut­stär­ke her; nie­mand will sie über­hö­ren. Oder ob man ver­sucht als »Ne­ben­ef­fekt« ein ge­wis­ses Pu­bli­kum bei der Stan­ge zu hal­ten, zu in­ter­es­sie­ren. Denn als Hie­ro­ny­mus im Gehä­us ge­nügt mir nicht die Ge­sell­schaft der Uten­si­li­en und des Lö­wen. Ich wer­de nicht ver­ste­hen, was am An­sin­nen ei­ner ge­wis­sen Re­so­nanz eh­ren­rüh­rig sein wird. Ei­ne Ab­we­sen­heit kann hier (hier!) nie ei­ne star­ke Po­si­ti­on sein, weil sie von nie­man­dem wahr­ge­nom­men wird.

  24. je we­ni­ger leu­te re­zi­pie­ren, de­sto mehr frei­heit.
    die gröss­te frei­heit fin­det oh­ne kon­sum statt -
    die frei­heit des schaf­fens.
    sie fin­det in al­ler ein­sam­keit & stil­le statt und dul­det we­der freun­de noch die freun­din­nen im »bett im zim­mer« ne­ben­an.
    ein­fluss­nah­me muss gren­zen ha­ben.
    es geht ja nicht nur um so­ge­nann­te tod­sün­den, es geht um ge­rech­tig­keits­ge­füh­le und de­rer ver­tei­di­gun­gen.
    es geht um mo­ti­va­tio­nen ( ex­trin­sisch ) und wo­mög­lich um über­zeu­gungs­ar­beit.
    von apel­la­tiv ( dam­ned ! ) bis per­sua­siv ( ge­die­ge­ne text­kör­per, epi­sche syn­tax viel­leicht )
    in­hal­te sind stets kor­rupt.
    men­schen ei­ner pro­duk­ti­ons­rei­he über die jahr­tau­sen­de hin­weg aus­tausch­bar.

  25. @Lothar Struck
    Daß Po­pu­li­sten im­mer die an­de­ren sind, trifft nicht ganz zu. Sie­he die Dis­kus­sio­nen um ei­nen an­geb­lich not­wen­di­gen Links­po­pu­lis­mus, um den Rech­ten nicht das Ter­rain zu über­las­sen. Mir scheint ein ganz prag­ma­ti­scher, nicht in er­ster Li­nie ideo­lo­gi­scher Aspekt der ge­mein­sa­me Nen­ner der der­zeit gän­gi­gen Po­pu­lis­men zu sein: Sie tun al­les, ver­spre­chen al­les, um ei­ne mög­lichst gro­ße Zahl (!) von Stim­men zu be­kom­men. Wer­te, län­ger­fri­sti­ge Pro­jek­te sind Lip­pen­be­kennt­nis. Die­ser ganz schlich­te Aspekt kommt im Buch von Mül­ler viel zu kurz, wird un­ter­schätzt. Ich ha­be seit 1986 den ra­san­ten Auf­stieg ei­nes der er­sten Po­pu­li­sten un­se­rer Epo­che mit­be­kom­men, Jörg Hai­der, da­mals kann­te man ihn kaum au­ßer­halb von Öster­reichs Gren­zen. Ein hoch­in­tel­li­gen­ter, aber ge­ra­de­zu macht­gei­ler, nar­ziß­ti­scher Mensch, der sei­ne Par­tei und al­les um ihn her­um in­stru­men­ta­li­sier­te. Das ist für mich der Pro­to­typ des heu­ti­gen Po­pu­lis­mus, D. Trump ge­hört ein­deu­tig da­zu. (Aber auch H. Chá­vez, den ich eben­falls schon früh, in den neun­zi­ger Jah­ren in La­tein­ame­ri­ka mit­be­kom­men ha­be, hat­te sol­che Zü­ge. Wer Spa­nisch ver­stand, konn­te das bei Fern­seh­auf­trit­ten mer­ken.)

    @metepsilonema
    Po­li­tik, je­den­falls de­mo­kra­ti­sche Po­li­tik als In­ter­es­sen­aus­gleich, die­sen Aspekt in Er­in­ne­rung zu ru­fen, fin­de ich sehr an­ge­bracht. Die heu­te un­ter Wählern/Bürgern do­mi­nie­ren­de Hal­tung ist ego­istisch, nar­ziß­tisch, selbst­be­zo­gen (wie der po­pu­li­sti­sche Po­li­ti­ker auch). Das hat mit ei­nem Wer­te­wan­del zu tun, und mit dem gan­zen neo­li­be­ral-kul­tur­ka­pi­ta­li­sti­schen Kon­text. In­ters­sen­aus­gleich setzt vor­aus, daß die di­ver­sen Grup­pen und Ein­zel­per­so­nen be­reit sind, Ab­stri­che zu ma­chen. Auch an­de­re ha­ben In­ter­es­sen, und die sind mei­stens le­gi­tim, al­so muß man se­hen, wie man sich zu­sam­men­rauft. Was heu­te do­mi­niert, ist das Mies­ma­chen der an­de­ren, nicht nur der Schwäch­sten, nicht nur der Aus­län­der, son­dern al­ler Be­rufs­zwei­ge, wie sie ge­ra­de kom­men: nicht nur Po­li­ti­ker, son­dern Leh­rer, Be­am­te, Po­li­ti­ker, Ärz­te usw. usf. Mit ei­nem Schlag­wort: Ent­so­li­da­ri­sie­rung. Aber un­ter den Be­din­gun­gen sol­cher Ent­so­li­da­ri­sie­rung kann De­mo­kra­tie im hu­ma­ni­stisch-auf­klä­re­ri­schen Sinn – und da lie­gen ih­re Wur­zen – nicht ge­dei­hen.
    Was hat das mit Lo­thar Strucks Pro­blem zu tun? Viel­leicht, daß in die­sem Zu­sam­men­hang auch das, was es an Dis­kus­si­ons­kul­tur gab, ver­kom­men muß.

  26. @Leopold Fe­der­mair
    Ein Po­pu­list ist ein Po­li­ti­ker, der wohl­fei­le Ver­spre­chun­gen ab­gibt, von de­nen er weiß, dass er sie nicht wird hal­ten kön­nen, so­bald er an der Macht ist. Das schlimm­ste, was Po­pu­li­sten pas­sie­ren kann ist, dass sie dann tat­säch­lich an die Macht kom­men und »lie­fern« müs­sen. Pas­siert dies, dann ver­su­chen sie die kri­ti­sche Mas­se, die sich ge­gen sie for­miert, nie­der­zu­hal­ten. Das kann man in Po­len, Un­garn, aber auch Ve­ne­zue­la be­ob­ach­ten. Manch­mal ge­lingt dies, manch­mal nicht. Die USA steht auf der Kip­pe; ich ha­be Zu­ver­sicht, dass Trump die In­sti­tu­tio­nen nicht dau­er­haft wird be­schä­di­gen kön­nen.

    Die Dia­gno­se, wer nun Po­pu­list ist oder nicht, hilft aber bei der Lö­sung der Pro­ble­me nicht wei­ter. Dass Wäh­ler ih­ren ei­ge­nen In­ter­es­sen fol­gen, hal­te ich für nor­mal. Schließ­lich ist ih­nen jahr­zehn­te­lang so et­was wie Ge­mein­sinn als ne­ga­tiv ein­ge­trich­tert wor­den bzw., im Fal­le von ost­eu­ro­päi­schen Län­dern, im Kom­mu­nis­mus ok­troy­iert wor­den. Sie at­men auf, weil sie nun an sich sel­ber den­ken sol­len und kön­nen. Dass dies auf Dau­er ei­ne Ge­sell­schaft zer­rei­ssen ist, se­hen sie meist zu spät.

    Von ei­nem Wäh­ler bei der Stimm­ab­ga­be zu ver­lan­gen, dass er die Be­lan­ge des Lan­des zu be­rück­sich­ti­gen hat, hal­te ich für ei­ne Her­ku­les­auf­ga­be. Zu­mal je­der dar­un­ter et­was an­de­res ver­ste­hen kann. Sie er­wäh­nen sel­ber die FPÖ, die ja – wenn ich das rich­tig mit­be­kom­men ha­be – im­mer mit dem Wohl des Lan­des ge­wor­ben hat. Und auch die Lin­ke ap­pel­liert im­mer an die So­li­da­ri­tät.

    Was Sie Ent­so­li­da­ri­sie­rung nen­nen möch­te ich als Re­spekt­lo­sig­keit be­zeich­nen. Je­der fühlt sich da­zu be­ru­fen von Ein­zel­fäl­len pars pro to­to zu schlie­ßen. Ir­gend­was bleibt im­mer hän­gen. Und am Ende...gibt es: Über­druss.

  27. @Leopold Fe­der­mair
    Ich ge­be Ih­nen, was die ver­brei­te­ten Hal­tun­gen be­trifft recht, mei­ne aber, dass es auch oh­ne die­se üb­lich war, dass ge­sell­schaft­li­che Grup­pen ver­sucht ha­ben ih­re In­ter­es­sen ein­sei­tig durch­zu­set­zen: Ein po­li­ti­sches Sy­stem wie die De­mo­kra­tie soll­te da­her ge­währ­lei­sten, dass die­ser Aus­gleich statt­fin­den kann, selbst dann, wenn nicht je­der von sei­nen In­ter­es­sen und sei­ner Si­tua­ti­on ab­stra­hie­ren und die­se auf all­ge­mei­ne Prin­zi­pi­en hin wen­den kann. Da­mit wä­ren wir dann bei der So­li­da­ri­tät, die nichts an­de­res be­deu­tet, als in ge­mein­sa­mem In­ter­es­se zu­sam­men­zu­ste­hen, Po­li­zi­sten mit Po­li­zi­sten, Leh­rer mit Leh­rern, Ar­bei­ter mit Ar­bei­tern, De­mon­stran­ten mit De­mon­stran­ten und Ge­gen­de­mon­stran­ten mit Ge­gen­de­mon­stran­ten, das ist nichts An­rü­chi­ges, aber auch kei­ne Tu­gend. Mir ist der Be­griff des all­ge­mei­nen Wohls, u.ä., lie­ber, weil er mir ver­ein­nah­mungs­re­si­sten­ter er­scheint.

    Ich bin – jetzt sind wir wie­der beim Über­druss (oder Ver­druss?) – die gän­gi­gen Po­pu­lis­mus­dis­kus­sio­nen leid, und zwar in­so­fern, weil mir scheint, dass da­bei im­mer nur ei­ne Sei­te be­leuch­tet wird: Kön­nen Po­pu­li­sten er­folg­reich sein, wenn das auf was sie re­fe­ren­zie­ren, nichts mit der fak­ti­schen Rea­li­tät zu tun hat oder ist da doch im­mer auch et­was fak­tisch Wah­res da­bei, das die »an­de­re Sei­te« ger­ne über­sieht? Wä­re Hai­ders Er­folg oh­ne z.B. die ver­kru­ste­ten öster­rei­chi­schen Struk­tu­ren mög­lich ge­we­sen? Oder Stra­ches Er­fol­ge, der si­cher­lich weit we­ni­ger ta­len­tiert ist, oh­ne die Un­fä­hig­kei­ten und Un­wil­lig­kei­ten der gro­ßen Ko­ali­tio­nen? Mir ist das Dumm­heits- oder Un­bil­dungs­ar­gu­ment zu we­nig und zu selbst­ge­fäl­lig.

    In­ter­es­sant ist in die­ser Hin­sicht, dass Pe­ter Pilz, Grün­dungs­mit­glied der öster­rei­chi­schen Grü­nen, nun mit ei­ner ei­ge­nen Li­ste und ei­nem – nach sei­nen ei­ge­nen Wor­ten – lin­ken Po­pu­lis­mus’ bei der Na­tio­nal­rats­wahl an­tritt (ei­ne Art Mi­schung von »rech­ten« und »lin­ken« Po­si­tio­nen). Ob man das mag oder nicht, ob es dann doch grü­ner wird als man viel­leicht will, man wird se­hen, aber es ist in­ter­es­sant, wenn Pilz fest­stellt, dass er je­ne Leu­te zu­rück­ho­len will, die zur FPÖ ge­gan­gen oder Nicht­wäh­ler ge­wor­den sind und dass kaum je­mand in sei­ner Par­tei be­reit sei, sich um die­se zu be­mü­hen; und dass er an­führt, dass es bei den Grü­nen The­men gibt, die weit­ge­hend ta­bui­siert oder re­gel­men­tiert wer­den (ei­ne Ein­schät­zung, die ich tei­le).

    Weil es gut passt, zum Ab­schluss noch ein paar Pla­ka­te der hie­si­gen So­zi­al­de­mo­kra­tie zur Wahl, so­ge­nann­te Nicht­po­pu­li­sten: Va­ri­an­te 1, Va­ri­an­te 2, Va­ri­an­te 3.

  28. Die Tat­sa­che, dass es kei­ne Re­ak­ti­on auf den »Starter«-Kommentar gab – es sei denn, man möch­te die dar­auf­fol­gen­den Kom­men­ta­re in to­to als als Re­fe­renz auf ihn deu­ten – do­ku­men­tiert im Klei­nen noch­ein­mal das Pro­blem, um das es geht.

  29. @Lothar Struck
     
    Nein, Kunst braucht pri­mär kein Pu­bli­kum, we­der das Werk noch die Pra­xis. Publikum/Multiplikatoren ma­chen dar­aus per De­fi­ni­ti­on et­was an­de­res – von mir aus »so­zia­le Pla­stik«, und Wi­der­spruch kann Kunst so­gar stär­ken: Für Vie­le ist so­gar al­lein die­se Ge­gen­re­de in­ter­es­sant. Der Be­trach­ter ist sehr wohl sehr mäch­tig – aber eben nicht ent­schei­dend.
     
    Und auch Kritiker/Marktschreier ... und son­sti­ge Pro­mo­to­ren kön­nen wich­tig sein dann in­ner­halb der Band­brei­te der so­zia­len Funk­tio­nen, ge­ra­de für die von Ih­nen als le­gi­tim an­ge­se­he­nen Wün­sche nach Re­so­nanz. »Eh­ren­rüh­ri­ges« se­he ich an ei­nem Wil­len zum Wir­ken auch nichts. Aber auch die­ses So­zia­le ist eben mitt­ler­wei­le viel zu sehr et­was an­de­res, als Am­bi­ti­on per se, als Ver­mitt­lung, als Markt­zwang usw in den Vor­der­grund ge­rückt und schwächt oft: Die Tex­te, die Bil­der, die Wer­ke schwin­gen gar nicht aus. Und eben dar­aus, im Wahr­neh­men ei­nes im­mer wir­kungs­vol­le­ren Se­kun­dä­ren, im Rat­tern der Kul­tur­um­schlag­ma­schi­ne, ent­steht neu­er Über­druss. Das Zwei­te will sich an die Stel­le des Er­sten set­zen, und in die­ser Un­ab­läs­sig­keit wird das Er­ste­re im­mer dün­ner.
     
    Und Ab­we­sen­heit muss eben gar nicht wahr­ge­nom­men wer­den – sie kann sich eben in sich fin­den, und sich rei­ni­gen von Zwang zu und Ge­fan­gen­sein in den ewig sel­ben (mitt­ler­wei­le selbst all­zu reich­hal­ti­gen) Be­zü­gen. Für mich liegt der Miss­ton oft dar­in, wer gleich al­les wie­der kommt und sein Re­fe­renz­ge­re­de dar­über gießt. Geht wohl in ei­ner Me­di­en­ge­sell­schaft wohl nicht an­ders. Aber da­vor zu­rück­wei­chen darf man schon.

  30. @Doris Brock­mann
    Dass auf Ih­ren Kom­men­tar kei­ne di­rek­te Re­ak­ti­on er­folg­te dürf­te m. E. auch dar­in be­grün­det sein, das er wie ein per­sön­li­ches Schrei­ben wirkt. (Was in ei­ni­gen Blogs durch­aus üb­lich ist.)

    Ich ha­be üb­ri­gens un­mit­tel­bar dar­auf re­agiert, in­dem ich ihr Wort von Auf­wand des Kom­men­tie­rens auf­ge­nom­men und dar­auf hin­ge­wie­sen hat­te, dass das Ver­fas­sen der Bei­trä­ge eben auch Auf­wand er­for­dert. Mei­ne Idee (mein Ide­al? mei­ne An­ma­ßung?) be­steht nun dar­in, dass man die­sen Auf­wand so­zu­sa­gen durch ei­nen Ge­gen­auf­wand »ho­no­riert«; nicht im­mer, aber eben dort, wo es ei­nem sel­ber mög­lich ist.

    Ehr­lich ge­sagt reicht es mir nicht, wenn man, wie Sie schrei­ben, ein­mal ge­sagt be­kommt, wie toll das ist, was man da schreibt. Lo­be ha­be ich – ich ha­be es im Text er­wähnt – reich­lich er­hal­ten, meist ab­seits des Blogs; in Mails oder auch per­sön­lich. Aber auch ein öf­fent­li­cher Kom­men­tar à la »toll« oder »dan­ke« ist mir eher pein­lich. Es ging mir nie dar­um. Es ging und geht mir um Sub­stanz, und, um die­sen Th­read hier als Bei­spiel zu neh­men, auch um ein sinn­vol­les Ab­schwei­fen jen­seits des Her­um­schwa­felns. Ich muss zu­ge­ben, dass das hier häu­fig gut funk­tio­niert hat. Aber ich neh­me eben wahr, dass die Nei­gung, sich auf so et­was wie ei­nen se­riö­sen Dis­kurs ein­zu­las­sen ab­nimmt. Das hat vie­ler­lei Grün­de – dar­um geht es eben in den nach­fol­gen­den Kom­men­ta­ren auch. In­so­fern hal­te ich die Dis­kus­si­on hier für sehr ge­lun­gen.

    Nicht ein­ge­gan­gen bin ich auf die Pas­sa­ge, in der Sie vom Ken­nen­ler­nen spre­chen. Ich glau­be näm­lich, dass hier ein Irr­tum vor­liegt: Ken­nen­ler­nen kann man sich hier nicht. Man kann da­für den Grund­stein le­gen (das ist häu­fig pas­siert), man kann ei­nen Ein­druck von der Per­son er­hal­ten, die hier schreibt bzw. kom­men­tiert. Aber als Ken­nen­ler­nen wür­de ich das nicht se­hen.

  31. @en-passant
    In den 1990er Jah­ren be­such­te ich in Mön­chen­glad­bach Phi­lo­so­phie­kur­se der VHS. Es hat­te sich mit der Zeit (es wa­ren fünf oder sechs Halb­jah­re) ein ge­wis­ser Kreis ge­bil­det, der oh­ne Ge­sel­lig­keits­ge­tue se­ri­ös dis­ku­tier­te. Mit dem Do­zen­ten bin ich heu­te noch be­freun­det. Zu­wei­len kam ein Herr in die Run­de (er war be­ruf­lich sehr be­schäf­tigt und tauch­te zu­wei­len erst ab Mit­te der Dop­pel­stun­de auf), der ernst­haft und mit den­noch mit ei­nem ge­wis­sen Schalk er­klär­te, dass, wenn es auf der Er­de kei­nen Men­schen mehr ge­ben wür­de, die­se nicht mehr exi­stent sei. Ich ha­be ver­ges­sen, wie man die­se phi­lo­so­phi­sche Rich­tung nann­te. Al­le ar­gu­men­tier­ten da­ge­gen – denn die Er­de, die Na­tur, das Uni­ver­sum wür­den doch auch oh­ne Men­schen exi­stie­ren. Aber der Herr war sehr elo­quent und da­bei über­haupt nicht ver­bis­sen: Für ihn galt es als fest­ste­hend, dass al­les das, was wir se­hen und des­halb exi­stiert, weil es in un­se­rem (= dem mensch­li­chen) Wahr­neh­mungs­ap­pa­rat so ge­se­hen wird. Gä­be es kei­nen Men­schen mehr wür­de es die Er­de nicht mehr ge­ben, weil kein Mensch »Zeug­nis« (mei­ne For­mu­lie­rung) ab­ge­ben könn­te.

    Heu­te leuch­tet mir das mehr ein als da­mals, oh­ne dass ich die The­se an­neh­men wür­de. Zu­min­dest geht es mir mit »Kunst« so. Kunst exi­stiert war auch in den Schub­la­den und Ate­liers der Künst­ler, aber eben nur als Ge­gen­stand, als Mög­lich­keit. Sie wird zur Kunst erst durch die An­de­ren, die Be­trach­ter – sei­en sie auch noch so lai­en­haft, markt­schreie­risch, di­let­tan­tisch oder sel­ber künst­le­risch.

    Das Miss­ver­ständ­nis in die­ser De­bat­te ist, dass mei­ne Tex­te hier nichts mit Kunst zu tun ha­ben. Sie wer­den erst »le­ben­dig«, wenn sie öf­fent­lich sind. An­son­sten lä­gen sie in der Schub­la­de (oder im Ord­ner), in dem heu­te noch al­le mei­ne Tex­te ab Mit­te der 1990er Jah­re lie­gen.

  32. Ein kur­zer Ein­wurf zur Kunst­dis­kus­si­on: Ei­ne Be­kann­te hat vor ei­ni­ger Zeit fest­ge­stellt, dass Kunst nichts an­de­res als Kom­mu­ni­ka­ti­on sei und ich war, weil ich es von ihr nicht er­war­te­te hat­te, dar­über so baff, dass mir kaum ein Ge­gen­ar­gu­ment ein­fiel, ob­wohl ich die­se The­se ei­gent­lich ab­leh­ne.

    Ei­ner­seits kann man nicht ab­strei­ten, dass es die­se Dis­kus­si­on oh­ne ein Werk (Frag­men­te ein­ge­schlos­sen) gar nicht ge­ben kann, was für lan­ge ver­schol­le­ne oder nicht öf­fent­lich be­kann­te, ge­nau­so gilt. An­de­rer­seits: Oh­ne ei­ne wahr­neh­men­de und ur­tei­len­de »In­stanz« geht es auch nicht, es stellt sich dann al­ler­dings die Fra­ge wer maß­geb­lich ist oder wie – im Sin­ne ei­nes »Me­cha­nis­mus« – ent­schie­den wird (es ist ja nicht so, dass das im­mer ein­deu­tig ist). Dar­über hin­aus kann man ein Ge­dan­ken­ex­pe­ri­ment ma­chen: Könn­te ei­ne au­ßer­ir­di­sche Kul­tur mensch­li­che Kunst­wer­ke als eben­sol­che er­ken­nen und zwar so wie wir das auch tun? Soll­te man die­se Fra­ge mit ei­nem »Nein« be­ant­wor­ten, dann ist der Be­deu­tungs­ho­ri­zont doch eher ein kul­tu­rell-so­zia­ler.

  33. @Lothar Struck: Die phi­lo­so­phi­sche Po­si­ti­on, die Sie skiz­zie­ren, könn­te man viel­leicht bei Ge­or­ge Ber­ke­ley fin­den – (ob­jek­ti­ver) Idea­lis­mus? [Klicke ich auf den Wi­ki­pe­dia-Ar­ti­kel se­he ich, dass Die­ter Wand­schnei­der, bei dem ich da­mals ger­ne Vor­le­sun­gen ge­hört hät­te, die­ser Po­si­ti­on zu­zu­rech­nen sei.]

    @metepsilonema: Kommt et­was auf den Kom­mu­ni­ka­ti­ons­be­griff an. Glau­be es geht nicht dar­um, ir­gend­ei­ne Mit­tei­lung an den Emp­fän­ger zu über­mit­teln. Wür­de eher sa­gen, dass sich Kunst in dem Echo­raum von Dis­kurs und Tra­die­rung ent­fal­tet. Das schließt dann ein, dass da oft La­bel drauf­ge­klebt wer­den, die In­hal­te oder de­ren Re­zep­ti­on stark ver­zer­ren oder die Ka­no­ni­sie­rung er­mög­li­chen. Da könn­ten dann, wenn sie wie­der­ge­le­sen wer­den, Wer­ke auf ein­mal ganz an­ders in­ter­pre­tiert wer­den, als der da­ma­li­ge Zeit­geist sie ru­bri­zier­te, usw. usf. – Kann man im­mer noch als Kom­mu­ni­ka­ti­on be­zeich­nen: wir heu­ti­gen mit den Wer­ken uns­rer Ah­nen und auch noch der ih­nen an­haf­ten­den Re­zep­ti­ons­ge­schich­te, von der sie manch­mal be­freit wer­den müss­ten...

  34. Nun, rich­tig ist an die­ser Po­si­ti­on die Un­ter­schei­dung zwi­schen Wahr­neh­mung und Ding: Man kann Din­ge auf vie­le ver­schie­de­ne Ar­ten wahr­neh­men und un­se­re mensch­li­chen Sin­ne, sind längst nicht al­le. Wahr­neh­men kön­nen nur Le­be­we­sen, durch Ge­hir­ne und Sin­nes­or­ga­ne, oh­ne Le­be­we­sen klingt nichts, oh­ne sie gibt es kei­ne Form und kei­ne Far­be, kei­ne Freu­de und kei­nen Schmerz (zu­ge­ge­ben: über die Form kann man strei­ten).

    Ich bin da viel­leicht ein biss­chen strikt, aber Kom­mu­ni­ka­ti­on im­pli­ziert ei­ne Ab­sicht, je­den­falls dann, wenn wir vom Men­schen spre­chen. Und die steht bei ei­nem Kunst­werk nicht an er­ster Stel­le, we­der dem Grund nach, der meist wohl eher im Dun­keln bleibt, noch dar­in, dass der Künst­ler ja viel eher et­was aus­drückt, als sagt. Äs­the­tik, als sinn­li­che Wahr­neh­mung, ist mehr als nur Kom­mu­ni­ka­ti­on, ei­ne Pla­stik kom­mu­ni­ziert nicht, sie wird von ei­nem Be­trach­ter wahr­ge­nom­men, selbst ein li­te­ra­ri­scher Text stellt et­was dar und ver­mit­telt kei­ne Bot­schaft, je­den­falls nicht di­rekt oder vor­der­grün­dig.

  35. @metepsilonema und @Phorkyas
    Ent­schei­dend ist der Ein­wurf vom Un­ter­schied zwi­schen Ding und Wahr­neh­mung. Die von mir skiz­zier­te phi­lo­so­phi­sche Rich­tung (dan­ke für den Hin­weis, Phor­k­yas) geht wohl da­von aus, dass ein Ding erst durch Wahr­neh­mung zu et­was wird. Ob es ein Kunst­werk oder ein­fach nur ein Ge­gen­stand des all­täg­li­chen Ge­brauchs – das wird dann so­zu­sa­gen spä­ter ent­schie­den. Die Din­ge der Na­tur wä­ren dem­nach al­ler­dings auch von der Wahr­neh­mung ab­hän­gig. Wir ver­ges­sen im Tru­bel leicht, dass die mensch­li­che Wahr­neh­mung kon­di­tio­niert ist, d. h. das, was wir viel­leicht als be­droh­lich emp­fin­den oder als wohl­tu­end wird von an­de­ren Le­be­we­sen ganz an­ders »in­ter­pre­tiert«. Der Mensch kann nicht aus sei­ner Wahr­neh­mung her­aus (das ist das, was Kant mit dem»Ding an sich« meint – es bleibt un­hin­ter­geh­bar). Wenn er aber nicht mehr exi­stiert, ist das, was und wie er es wahr­neh­men kann, eben­falls nicht mehr exi­stent. Das leuch­tet mir im­mer mehr ein, oh­ne dass ich es ak­zep­tie­ren kann.

    Ein Ge­mäl­de, dass ein Mensch ge­schaf­fen und da­nach in sei­ner Schub­la­de ab­ge­legt hat, bleibt zwar ein Ge­mäl­de. Aber zur Kunst wird es erst durch die Be­trach­tung (und Be­wer­tung) der An­de­ren. Ich be­stehe auf so et­was wie ei­nem kol­lek­ti­ven Kunst­be­griff, der al­ler­dings nichts mit Mehr­heits­ent­scheid oder Feuil­le­ton zu tun hat. (Mir kommt da dun­kel Mar­tin Bu­ber und sein Text über das Ich und das Du in den Sinn.)

  36. @Lothar
    Ein Kunst­werk re­fe­ren­ziert auf kol­lek­tiv Ge­teil­tes, tut es das nicht, wird es ei­nem Rät­sel im­mer ähn­li­cher (et­was, das für In­halt und Form gilt). Nun könn­te man auch um­ge­kehrt fra­gen: Ist nicht die­se Re­fe­ren­zie­rung ent­schei­den­der (kor­rekt bleibt na­tür­lich, dass ein Kunst­werk, das in der Schub­la­de liegt nicht wahr­ge­nom­men und folg­lich auch nicht be­fragt wer­den kann)?

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