Ul­rich Beck: Welt­ri­si­ko­ge­sell­schaft

Ulrich Beck: Weltrisikogesellschaft

Ul­rich Beck: Welt­ri­si­ko­ge­sell­schaft

Im Ge­gen­satz zu den klas­si­schen Mensch­heits­ka­ta­stro­phen der Ver­gan­gen­heit (Na­tur­ka­ta­stro­phen; Seu­chen) ste­hen heu­te als Re­sul­ta­te be­wuss­ter Ent­schei­dun­gen die Ri­si­ken, die von in­du­stri­el­len Gross­tech­ni­ken aus­ge­hen. Sie bre­chen nicht schick­sal­haft über uns her­ein, sie sind viel­mehr von uns selbst geschaffen…hervorgegangen aus der Ver­bin­dung von tech­ni­schem Nut­zen und öko­no­mi­schen Nut­zen­kal­kül. Die­se Ri­si­ken, die nicht an den Gren­zen von mensch­lich ge­schaf­fe­nen, al­so künst­li­chen Na­tio­nal­staa­ten Halt ma­chen, son­dern glo­ba­le Aus­wir­kun­gen ha­ben kön­nen, un­ter­sucht Ul­rich Beck in sei­nem Buch über die Welt­ri­si­ko­ge­sell­schaft.

Beck lässt kei­nen Zwei­fel: Die mo­der­ne Ge­sell­schaft krankt nicht an ih­ren Nie­der­la­gen, son­dern an ih­ren Sie­gen. Die Pro­ble­me der von ihm suk­zes­si­ve ent­wickel­ten Welt­ri­si­ko­ge­sell­schaft sind dem­zu­fol­ge nicht Pro­duk­te feh­ler­haf­ten Han­delns, son­dern im­ma­nent im Han­deln in mo­der­nen Ge­sell­schaf­ten an­ge­legt. Die Lö­sung der Pro­ble­me der Welt hat wie­der neue Pro­ble­me ge­schaf­fen. Die­se Pro­ble­me nennt er Ri­si­ko:

    Ri­si­ko ist nicht gleich­be­deu­tend mit Ka­ta­stro­phe. Ri­si­ko be­deu­tet die An­ti­zi­pa­ti­on der Ka­ta­stro­phe. Ri­si­ken han­deln von der Mög­lich­keit künf­ti­ger Er­eig­nis­se und Ent­wick­lun­gen, sie ver­ge­gen­wär­ti­gen ei­nen Welt­zu­stand, den es (noch) nicht gibt. Wäh­rend die Ka­ta­stro­phe räum­lich, zeit­lich und so­zi­al be­stimmt ist, kennt die An­ti­zi­pa­ti­on der Ka­ta­stro­phe kei­ne raum-zeit­li­che oder so­zia­le Kon­kre­ti­on. […] In dem Au­gen­blick, in dem Ri­si­ken Rea­li­tät wer­den – wenn ein Atom­kraft­werk ex­plo­diert, ein ter­ro­ri­sti­scher An­griff statt­fin­det – ver­wan­deln sie sich in Ka­ta­stro­phen. Ri­si­ken sind im­mer zu­künf­ti­ge Er­eig­nis­se, die uns mög­li­cher­wei­se be­vor­ste­hen, uns be­dro­hen. Aber da die­se stän­di­ge Be­dro­hung un­se­re Er­war­tun­gen be­stimmt, un­se­re Köp­fe be­setzt und un­ser Han­deln lei­tet, wird sie zu ei­ner po­li­ti­schen Kraft, die die Welt ver­än­dert.


Wor­um es Beck in die­sem Buch geht, sind die nicht mehr durch Ver­si­che­run­gen dau­er­haft und voll­stän­dig ab­si­cher­ba­ren Ak­te mit um­fas­sen­den, glo­ba­len Fol­gen. Sei­ne Dia­gno­se: Das Welt­ri­si­ko ist die Rea­li­täts­in­sze­nie­rung des Welt­ri­si­kos. […] »In­ze­nie­rung« meint da­bei nicht, wie in der Um­gangs­spra­che, die be­wuss­te Ver­fäl­schung der Wirk­lich­keit durch das Auf­bau­schen »ir­rea­ler« Ri­si­ken. Die Un­ter­schei­dung zwi­schen Ri­si­ko als an­ti­zi­pier­ter Ka­ta­stro­phe und der tat­säch­li­chen Ka­ta­stro­phe er­zwingt viel­mehr ei­ne Be­schäf­ti­gung mit der Rol­le der In­sze­nie­rung. In­sze­nie­rung steht al­so für Ver­ge­gen­wär­ti­gung des Welt­ri­si­kos, mit dem (heh­ren) Ziel, die Ka­ta­stro­phe ab­zu­wen­den, in­dem auf ge­gen­wär­ti­ge Ent­schei­dun­gen Ein­fluss ge­nom­men wird.
In sei­ner Ty­po­lo­gie glo­ba­ler Ri­si­ken liegt der Keim für ein Pro­blem in die­sem Buch. Beck un­ter­schei­det drei »Lo­gi­ken« glo­ba­ler Ri­si­ken: öko­lo­gi­sche Kri­sen, glo­ba­le Fi­nanz­kri­sen und ter­ro­ri­sti­sche Ge­fah­ren. Zwar weist er auf die Dif­fe­renz zwi­schen öko­lo­gi­schen und öko­no­mi­schen Ge­fah­ren ei­ner­seits und ter­ro­ri­sti­schen Be­dro­hun­gen an­de­rer­seits hin (bei letz­te­rer wird der Zu­fall durch Ab­sicht er­setzt). Im wei­te­ren Ver­lauf ge­lingt es ihm je­doch nicht, die grund­le­gen­de Dif­fe­renz her­aus­zu­ar­bei­ten.

Wäh­rend öko­lo­gi­sche und öko­no­mi­sche Ri­si­ken (Beck be­fasst sich spä­ter fast aus­schliess­lich mit den öko­lo­gi­schen Ge­fah­ren und führt hier­zu bei­spiel­haft die Ge­fah­ren durch Atom­kraft­wer­ke und die Kli­ma­er­wär­mung an) pro­zes­su­al mit qua­si na­tur­wis­sen­schaft­li­chen Pa­ra­me­tern »funk­tio­nie­ren«, al­so hier die kul­tu­rel­le Wahr­neh­mung des Ri­si­kos ver­schwimmt, ist das bei ter­ro­ri­sti­schen Ri­si­ken kei­nes­wegs der Fall. Es han­delt sich statt­des­sen eher um Aus­wüch­se di­rek­ter Kul­tur­kon­flik­te. Die par­al­le­le Ab­hand­lung ist al­so höchst schwie­rig, da das Ri­si­ko ei­ner Ex­plo­si­on ei­nes Atom­kraft­werks glo­bal ver­mut­lich gleich ge­wich­tet wird, wäh­rend ein Ter­ror­an­schlag durch­aus kul­tu­rell an­ders be­wer­tet wer­den kann (ab­ge­se­hen von der Di­men­si­on, die bei­spiels­wei­se ein ra­dio­ak­ti­ver Un­fall für die Mensch­heit ha­ben kann – und da­ge­gen ein Ter­ror­an­schlag mit »ver­gleichs­wei­se« lo­ka­ler Aus­wir­kung).

Den­noch ist es ein Ge­winn, Ul­rich Becks Dia­gno­se der au­gen­blick­li­chen La­ge zu le­sen. Sicht­bar sei­ne Lust an pro­vo­kan­ten The­sen, die (schein­bar) die gän­gi­ge Re­zep­ti­on vom Kopf auf die Fü­sse stel­len. Er­hel­lend sind sei­ne Aus­füh­run­gen zu den ter­ro­ri­sti­schen Ri­si­ken:

    Die Glo­ba­li­sie­rung der Ter­ror­ge­fahr äu­ssert sich … zu­nächst als Glo­ba­li­sie­rung derEr­war­tung mög­li­cher Ter­ror­at­ten­ta­te an fast je­dem Punkt der Er­de zu je­der be­lie­bi­gen Zeit. Es ist die­se Er­war­tung, die tief­grei­fen­de Kon­se­quen­zen für das Recht, das Mi­li­tär, die Frei­heit, den All­tag der Men­schen, die Sta­bi­li­tät der po­li­ti­schen Ord­nung über­all auf der Welt hat, denn sie zer­setzt die Si­cher­heits­ga­ran­tien der na­tio­nal­staat­li­chen Ba­sis­in­sti­tu­tio­nen.
    […]
    Den ter­ro­ri­stisch in­ten­dier­ten Ka­ta­stro­phen ist kein in Zeit und Raum lo­ka­li­sier­ba­rer Ak­teur und kein klas­si­sches, ein­deu­ti­ges mi­li­tä­ri­sches Po­ten­ti­al zu­zu­ord­nen. […] Den Ter­ror­ta­ten fehlt, was für klas­si­sche Fein­de selbst­ver­ständ­lich ist, die mi­li­tä­ri­sche Be­re­chen­bar­keit. Der Selbst­mord­at­ten­tä­ter geht kein Ri­si­ko ein, denn sei­ne Ak­ti­on ist tod­si­cher. Ab­schreckung schreckt ihn nicht. In­dem er stirbt, macht er sich un­be­sieg­bar. Die Stei­ge­rung der Ent­schlos­sen­heit: Selbst­mord als Mit­tel des Mas­sen­mor­des und da­mit der In­sze­nie­rung und Glo­ba­li­sie­rung von de­ren Er­war­tung ver­leiht dem Ohn­mäch­ti­gen Macht, ja so­gar für ei­nen Mo­ment Über­macht ge­gen­über der gröss­ten Mi­li­tär­macht der Ge­schich­te. Ob­wohl mi­li­tä­risch ein­deu­tig un­ter­le­gen, kann der At­ten­tä­ter kurz­zei­tig ein Gleich­ge­wicht des Schreckens her­stel­len…


Beck ist al­ler­dings weit ent­fernt, der Hy­ste­rie das Wort zu re­den:

    Die Fern­seh­bil­der der aus hei­te­rem Him­mel in ei­ne rie­si­ge Staub­wol­ke zer­fal­len­den Zwil­lings-Ka­the­dra­len des glo­ba­len Ka­pi­ta­lis­mus fas­zi­nier­ten auf­grund ih­rer trau­ma­ti­schen Ob­szö­ni­tät: Der Un­ver­wund­bar­keits­glau­be der gröss­ten Mi­li­tär­macht der Welt wur­de live hin­ge­rich­tet. […] Die­se ma­te­ri­al-sym­bo­li­schen Ex­plo­sio­nen be­wirk­ten et­was räum­lich und zeit­lich von ih­nen Ab­ge­lö­stes: die Er­war­tung des Ter­ro­ris­mus. Und weil Me­di­um und Ziel der In­sze­nie­rung die Er­war­tung ist, ver­wischt die Gren­ze zwi­schen be­rech­tig­ter Sor­ge und Hy­ste­rie. […] Die Poin­te von sol­chem Ter­ror be­steht dar­in, das Selbst­ver­trau­en der Mo­der­ne durch die sym­bo­lisch mo­bi­li­sie­ren­de und (de-)konstruierende glo­ba­le An­ti­zi­pa­ti­on des ter­ro­ri­sti­schen An­griffs zu tö­ten – wor­in er ziem­lich er­folg­reich ist.

Ve­he­ment greift Beck die hy­ste­ri­schen Be­schüt­zer des We­stens an, die ih­re fal­sche Di­cho­to­mie (Frei­heit vs. Si­cher­heit) auf­ma­chen:

    Es ist nicht die ter­ro­ri­sti­sche Tat, son­dern es sind die glo­ba­len In­sze­nie­rung der Tat und die auf die In­sze­nie­rung fol­gen­den po­li­ti­schen An­ti­zi­pa­tio­nen, Ak­tio­nen und Re­ak­tio­nen, die die west­li­chen In­sti­tu­tio­nen der Frei­heit und De­mo­kra­tie zer­stö­ren. Die auf vie­len Ebe­nen spür­ba­ren Ein­schrän­kun­gen der Frei­heits­rech­te […] sind nicht ein­fach Fol­gen tat­säch­li­cher Ka­ta­stro­phen, zum Bei­spiel ter­ro­ri­sti­scher Ge­walt­ak­te. Sie sind ein Pro­dukt aus sol­chen Er­fah­run­gen und de­ren glo­ba­li­sier­ter An­ti­zi­pa­ti­on, sprich dem Ver­such, das künf­ti­ge Ein­tre­ten sol­cher Er­eig­nis­se an je­dem Ort die­ser Welt zu ver­hin­dern. Bin La­den und sei­ne Netz­wer­ke ge­win­nen welt­po­li­ti­sche Be­deu­tung erst dann, wenn ei­ne gan­ze Rei­he wei­te­rer Be­din­gun­gen vor­lie­gen, die ih­nen zu welt­po­li­ti­scher Re­so­nanz und Prä­senz ver­hel­fen.

Wenn die Ge­fahr des Ter­ro­ris­mus als glo­ba­les, je­der­zeit mög­li­ches Ri­si­ko in den Köp­fen der Men­schen prä­sent ist – und das ge­schieht durch die Me­di­en – dann ha­ben die Ter­ro­ri­sten schon re­üs­siert. Beck streicht die un­frei­wil­li­ge Kom­pli­zen­schaft der »Krie­ger ge­gen den Ter­ror« ge­gen­über den Ter­ro­ri­sten her­aus. Erst die­ses in­sze­nier­te Ri­si­ko ver­hilft den Ter­ro­ri­sten zur Be­deu­tung, ja, zu Macht. Der ei­gent­li­che An­schlag ist (fast) gar nicht mehr not­wen­dig; es reicht die pu­re Mög­lich­keit.

Der Ter­ro­ris­mus, der vom Hass auf die west­li­che Mo­der­ne durch­setzt ist (auf­grund der Sie­ge der Mo­der­ne [hier nicht ganz un­ähn­lich der Ar­gu­men­ta­ti­on En­zens­ber­gers]), er­zeugt bei den po­li­tisch Agie­ren­den ei­ne Prio­ri­tät der Prä­ven­ti­on. Hier­durch wird aber durch die An­ti­zi­pa­ti­on des Ter­rors die gan­ze Ge­sell­schaft in den Zu­stand des Kon­junk­tivs ver­setzt. Beck warnt auch hin­sicht­lich der ge­sell­schafts­po­li­ti­schen Fol­gen die­ser Prä­ven­ti­ons­kul­tur (»ra­cial pro­fil­ing«): Die An­ti­zi­pa­ti­on in­ten­dier­ter Ka­ta­stro­phen löst Wel­len ei­ner ver­schärf­ten Zu­schrei­bung aus mit der Fol­ge von Auf­schau­ke­lungs­ef­fek­ten, die dann in Selbst­stig­ma­ti­sie­run­gen mün­den, die wie­der­um das Vor­ur­teil der Isla­mo­pho­ben her­vor­bringt: im­mer mehr Kopf­tü­cher, im­mer mehr äu­sser­li­che Zei­chen des An­ders­seins. Man grenzt sich selbst aus. […] Weil wir an­ders sind, kön­nen uns die An­de­ren nicht ver­ste­hen. Die Fol­gen sind fa­tal, denn die Ideo­lo­gie des Wi­der­stands ge­gen die »Glo­ba­li­sie­rung«, der po­li­ti­sche Is­la­mis­mus, ge­winnt an At­trak­ti­vi­tät. Und mit ihm dann der »ein­hei­mi­sche« Na­tio­na­lis­mus (den Beck üb­ri­gens nicht aus­schliess­lich rechts ver­or­tet, son­dern , in an­de­rem Zu­sam­men­hang, durch­aus auch im lin­ken Pro­tek­tio­nis­mus­den­ken hef­tig be­kämpft).

Beck wird, wenn es um die Lö­sung des Ter­ro­ris­mus­pro­blems geht, für sei­ne Ver­hält­nis­se kon­kret: Wer…den Auf­stand der Ter­ro­ri­sten im Zen­trum des Zen­trums zu ei­nem rei­nen Si­cher­heits­pro­blem ver­kürzt, spielt den Ter­ro­ri­sten in die Hän­de. Für ihn liegt der Zu­lauf der Ter­ro­ri­sten vor al­lem in der Drit­ten Welt in der ein­di­men­sio­na­len Glo­ba­li­sie­rung der Ge­rech­tig­keits­fra­ge be­grün­det. Der We­sten ta­bui­sie­re und sa­bo­tie­re die Lö­sung die­ser Fra­ge und da­her fin­de in der ra­di­kal un­glei­chen Welt der Ter­ro­ris­mus in den Au­gen der von der west­li­chen Mo­der­ne Über­roll­ten und an die Wand Ge­drück­ten als letz­te Ideo­lo­gie des Wi­der­stan­des Ge­hör und oft eben auch ver­schwie­ge­ne Zu­stim­mung. […] Der We­sten steht in den Au­gen der ara­bi­schen Öf­fent­lich­keit oft für kul­tu­rel­le De­ka­denz und öko­no­mi­schen Im­pe­ria­lis­mus, des­sen fra­gi­le Ar­ro­ganz man mit der An­ti­mo­der­ne des po­li­ti­schen Is­la­mis­mus be­ant­wor­ten muss.

Die­se The­se, den Be­trach­tun­gen bei­spiels­wei­se von Ted Hon­de­rich (»Nach dem Ter­ror«) nicht fern, lässt al­ler­dings au­sser Acht, dass es ge­ra­de nicht die an die Wand Ge­drück­ten wa­ren, die die Ter­ror­an­schlä­ge ver­üb­ten und auch ein ge­sell­schaft­lich-öko­no­mi­scher Kon­text so gut wie gar nicht in den »Er­klä­run­gen« der Be­ken­ner­schrei­ben und ‑vi­de­os an­ge­führt wird. Der Deu­tung, die Twin-Towers sei­en auch als ein Sym­bol des Ka­pi­ta­lis­mus an­ge­grif­fen wor­den, wi­der­spricht dies nicht, so­lan­ge es nicht mo­no­kau­sal be­haup­tet wird.

Al-Qai­das In­ten­ti­on ist nicht, ei­ne neue Welt­ge­rech­tig­keit zu im­ple­men­tie­ren (dann hät­te man in den Golf­staa­ten auf der ara­bi­schen Halb­in­sel viel loh­nen­de­re und auch nä­he­re »Zie­le«), son­dern fusst auf Macht­phan­ta­sien, die re­li­gi­ös ver­brämt und un­ter­füt­tert wer­den. Die Ur­sa­chen sind in den geo­po­li­ti­schen Kon­flik­ten seit den 80er-Jah­re zu su­chen. Das ent­hebt na­tür­lich den We­sten nicht von der Not­wen­dig­keit, grö­sse­re Ver­tei­lungs­ge­rech­tig­keit in der Welt zu­zu­las­sen – und zwar nicht mit ge­be­ri­scher (und da­mit aber­mals im­pe­ria­ler) Po­se. Die is­la­misch-wah­ha­bi­tisch »ar­gu­men­tie­ren­den« Selbst­mord­ter­ro­ri­sten als neue Ge­rech­tig­keits­hel­den hoch­zu­sti­li­sie­ren, ist im fast wört­li­chen Sin­ne welt­fremd; das macht man noch nicht ein­mal dort, wo dies theo­re­tisch (im Sin­ne Becks) ver­fan­gen könn­te – in Afri­ka.
Hin­sicht­lich der öko­lo­gi­schen Ri­si­ken über­rascht Beck zu­nächst ein­mal mit der The­se, dass wir kein so­ge­nann­tes »Um­welt­pro­blem« hät­ten, son­dern ei­ne tief­grei­fen­de In­sti­tu­tio­nen­kri­se der er­sten, na­tio­nal­staat­li­chen Pha­se der In­du­strie­mo­der­ne selbst. Aus­führ­lich be­schäf­tigt er sich mit den Ri­si­ken der Atom­ener­gie und vor al­lem der Kli­ma­wan­del-Dis­kus­si­on. Das wei­te Ge­biet der Gen­tech­nik und de­ren ethi­sche Pro­ble­me spricht er nicht an. Kon­kre­te Fest­le­gun­gen wer­den ver­mie­den. Lan­ge sucht man nach ei­ner Aus­sa­ge, ob den The­sen der Kli­ma­wan­del-Ex­per­ten zu trau­en ist oder eher den Be­schwich­ti­gern. Auf­grund der wei­ter un­ten an­ge­spro­che­nen ve­he­men­ten Ex­per­ten­ab­leh­nung Becks, über­rascht die zö­ger­li­che Hal­tung nicht. Sei­ne Aus­füh­run­gen über die un­ter­schied­li­chen theo­re­ti­schen und epi­ste­mo­lo­gi­schen Po­si­tio­nen der öko­lo­gi­schen Welt­ri­si­ko­ge­sell­schaft blei­ben eher blut­leer. Der Ver­such, den Le­ser da­mit zu über­ra­schen, dass es gar kei­ne Na­tur mehr gibt, auf die sich der Na­tur­su­chen­de be­zieht, miss­lingt im Dickicht zwi­schen stren­gem und wei­chen (re­fle­xi­ven) Rea­lis­mus und wei­chem und stren­gen Kon­struk­ti­vis­mus. Wort­ge­tü­me wie kon­stuk­ti­vi­sti­scher Rea­lis­mus oder rea­li­sti­scher Kon­struk­ti­vis­mus er­hel­len nicht un­be­dingt. Vor so­viel –Is­men ka­pi­tu­liert ir­gend­wann selbst der ge­dul­dig­ste Le­ser.

Beck knüpft, wie der Le­ser aus­führ­lich er­fährt, mit Welt­ri­si­ko­ge­sell­schaft an sein Buch von der Ri­si­ko­ge­sell­schaft von 1986 an und er­wei­tert es auf ei­ne glo­bal aus­ge­rich­te­te Schrift über – im wört­li­chen Sinn – gren­zen­lo­se Ri­si­ken. Ein­zel­staat­li­che Ant­wor­ten hält er für un­zu­rei­chend (Stein­zeit-Ant­wor­ten auf die Fra­gen des In­du­strie­zeit­al­ters). Hef­tig greift er die be­stehen­de So­zio­lo­gie in der Bei­be­hal­tung ei­nes mi­kro­kos­mi­schen Blickes an, zeiht sie der selbst­ver­schul­de­ten Bor­niert­heit und der hi­sto­ri­schen Un­mün­dig­keit. Aber auch die Tat­sa­che, die Ri­si­ken als »Ne­ben­fol­gen« oder »Rest­ri­si­ken« so­zu­sa­gen als un­ab­än­der­li­ches Fa­tum hin­zu­neh­men und nicht als Er­fol­ge der In­du­stria­li­sie­rung of­fen an­zu­neh­men (um mit ih­nen dann um­zu­ge­hen), er­regt Becks hei­li­gen Stan­des­zorn. Sei­ne Er­re­gung in der Ar­gu­men­ta­ti­ons­füh­rung ist für den au­ssen­ste­hen­den Le­ser er­staun­lich. Man fragt sich un­wei­ger­lich, wel­che über Jah­re an­ge­sam­mel­ten Kon­flik­te da ab­ge­han­delt wer­den.

Auch mit der ge­wöhn­li­chen Kul­tur­kri­tik geht Beck hart ins Ge­richt; er wid­met ein Ka­pi­tel der De­kon­struk­ti­on des li­nea­ren Fort­schritts­pes­si­mis­mus. In den Klä­gern über den Wer­te­ver­lust der Mo­der­ne macht er den Ver­lust der ei­ge­nen, un­re­flek­tier­ten Welt­ge­wiss­hei­ten aus und stimmt ein Ho­he­lied auf den In­di­vi­dua­lis­mus an, den er als Quell neu­er ba­sis­de­mo­kra­ti­scher Struk­tu­ren ent­deckt. Es gibt für ihn kei­nen Ver­fall der Wer­te, son­dern statt­des­sen ei­nen Wan­del. Ex­em­pla­risch macht er das an der ge­sell­schaft­li­chen Be­hand­lung des The­mas der Ho­mo­se­xua­li­tät deut­lich. Vor noch nicht ein­mal 50 Jah­ren war dies in den mei­sten Ge­sell­schaf­ten noch ein Straf­tat­be­stand – heu­te ist Ho­mo­se­xua­li­tät in mo­der­nen Ge­sell­schaf­ten als se­xu­el­le Ori­en­tie­rung ak­zep­tiert.

Wan­del be­grüsst Beck a prio­ri und sieht ihn als Chan­ce. Mit gro­sser Ge­ste wen­det er sich ge­gen ir­gend­wie ge­ar­te­te re­stau­ra­ti­ve Ge­sell­schafts­ent­wür­fe à la Di Fa­bio oder Schirr­ma­cher (oh­ne sie zu nen­nen) und po­stu­liert in ei­nem al­ler­dings merk­wür­dig an­mu­ten­den Über­schwang die Ma­xi­me: Der Kul­tur­pes­si­mis­mus ist hi­sto­risch wi­der­legt. Die Wi­der­le­gung be­haup­tet Beck al­ler­dings nur; Be­le­ge bringt er da­für nicht. Ein­ver­stan­den, dass dies nicht In­ten­ti­on die­ses Bu­ches ist – aber dann er­üb­rig­te sich die­se Er­wäh­nung.

Becks Be­griff des Welt­ri­si­kos wird im Ver­lauf des Bu­ches aus­führ­lich be­leuch­tet – al­ler­dings bleibt er da­bei eher an der Ober­flä­che; de­skrip­tiv. Nach dem eu­pho­ri­schen An­fangs­ka­pi­tel folgt ein Hin­weis. Der ge­sell­schafts­theo­re­tisch in­ter­es­sier­te Le­ser kön­ne die Lek­tü­re des Ka­pi­tel XI nach Ka­pi­tel I vor­zie­hen. Ich ha­be über­legt, ob ich die­ser Mög­lich­keit fol­gen soll­te, ha­be es dann je­doch ver­wor­fen, da ich der (si­cher­lich alt­mo­di­schen) Mei­nung bin, ein Buch soll­te chro­no­lo­gisch ge­le­sen wer­den, zu­mal Becks Ka­pi­tel­auf­bau ei­ne ge­wis­se Di­dak­tik und Strin­genz sug­ge­rier­te.

So fehlt mir die Er­fah­rung, wie ich mit dem Buch nach der Lek­tü­re von Ka­pi­tel I und Ka­pi­tel XI ver­fah­ren wä­re. Ich ver­mu­te je­doch: an­ders. Ich hät­te näm­lich ge­merkt, dass Beck sich letzt­lich in den zwi­schen bei­den Ka­pi­teln lie­gen­den 280 Sei­ten kaum von der Stel­le be­wegt ha­ben muss. Teil­wei­se le­sen sich die Ka­pi­tel so, als sei­en sie für an­de­re Pu­bli­ka­tio­nen ge­schrie­ben wor­den und dann ir­gend­wann wie­der dem vor­lie­gen­den Buch an­ge­klebt. Die Red­un­danz ist der­art gross, dass ir­gend­wann ein Er­mü­dungs- und Un­lust­ef­fekt auf­tritt, den man, die eu­pho­ri­schen An­fän­ge noch im Kopf, fast be­trau­ern möch­te.

Letzt­lich dreht sich Beck in der Be­schrei­bung sei­ner Welt­ri­si­ko­ge­sell­schaft und der Not­wen­dig­keit, kos­mo­po­li­ti­sche Lö­sun­gen für die glo­ba­len Ri­si­ken zu fin­den, stän­dig im Kreis. Er­mü­dend wird das, wenn er die­sen kos­mo­po­li­ti­schen Blick noch auf­drö­selt und zwi­schen nor­ma­ti­vem, po­li­ti­schem und me­tho­do­lo­gi­schen Kos­mo­po­li­tis­mus un­ter­schei­det, oh­ne kon­kre­te Ab­gren­zun­gen vor­zu­neh­men. Da rächt sich Becks eher er­zäh­len­der Schreib­stil. Ähn­li­ches wi­der­fährt ei­nem bei sei­ner Be­hand­lung von Mo­der­ne, Post­mo­der­ne und Mehr-Mo­der­ne. Aber statt De­fi­ni­tio­nen für sei­ne Be­griff­lich­kei­ten vor­zu­neh­men, schwimmt und la­viert der Au­tor in sei­nem ei­ge­nen, sprach­ver­lieb­ten Duk­tus, der selbst für den ge­neig­ten Le­ser ir­gend­wann un­ver­ständ­lich wird. Und auf Sei­te 332 sum­miert er die Welt­ri­si­ko­ge­sell­schaft ur­plötz­lich nicht (mehr) als Ge­sell­schaft glo­ba­ler Ge­fah­ren­ein­sicht – man hat al­so bis­her of­fen­sicht­lich nichts ver­stan­den – und stellt dann auch noch sei­nen Be­griff der Glo­ba­li­tät zur Dis­po­si­ti­on. War man bis­her aus den Aus­füh­run­gen ir­gend­wie der Mei­nung, Glo­ba­li­tät er­ge­be sich aus der tat­säch­lich glo­ba­li­sier­ten Be­dro­hungs- bzw. Ri­si­ko­struk­tur, al­so ei­ner Art »Ri­si­ko für al­le« (als Bei­spiel wird im­mer wie­der Tscher­no­byl ge­nannt), so über­rascht Beck plötz­lich mit der al­ler­dings ziem­lich kryp­ti­schen For­mu­lie­rung Glo­ba­li­tät müs­se als Kon­flikt um die De­fi­ni­ti­on (und die De­fi­ni­ti­onsver­hält­nis­se!) von Glo­ba­li­tät ent­schlüs­selt wer­den!

Beck er­liegt oft – zu oft! – der Ver­su­chung, im­mer noch ei­ne zu­sätz­li­che Me­ta-Ebe­ne in sein Welt­ri­si­ko­mo­dell ein­zu­bau­en. Da­mit er­hellt er je­doch sein An­lie­gen nicht, son­dern ver­wirrt. Aber viel schlim­mer ist, dass er sich mit die­ser Wis­sen­schaft­lich­keits­flucht um die Kern­fra­ge sei­ner Welt­ri­si­ko­ge­sell­schaft drückt: Wel­che Fol­gen er­ge­ben sich für das so ge­wünsch­te (und not­wen­di­ge) kos­mo­po­li­ti­sche Han­deln? Und: Wie se­hen die neu­en In­sti­tu­tio­nen aus (wenn man dem Au­tor folgt, dass die al­ten, na­tio­nal­staat­li­chen ver­sagt ha­ben bzw. ver­sa­gen wer­den)?

Hier bleibt es selt­sam ne­bu­lös. Zwar ist von der Plu­ra­li­tät der Stim­men im glo­ba­len, gleich­be­rech­tig­ten Ri­si­ko­dis­kurs die Re­de und vom Recht des Zu­hö­rens. Und be­reits früh ne­gier­te Beck das gän­gi­ge Ex­per­ten­tum mit sei­ner schein­bar un­um­gäng­li­chen Vor­tei­le-ver­sus-Ne­ben­fol­gen-An­ti­no­mie scharf (In Sa­chen Ge­fahr ist nie­mand Ex­per­te – auch und ge­ra­de die Ex­per­ten nicht.) und ver­wirft die Il­lu­sio­nen der Ex­per­ten, zer­trüm­mert ih­re De­fi­ni­ti­ons­macht, in dem er den Lai­en durch Zu­rück­ge­win­nung der ei­ge­nen Kom­pe­tenz ge­gen das all­ge­mei­ne Ex­per­ten und Ge­gen­ex­per­ten­tum setzt (schliess­lich ist er im Ka­ta­stro­phen­fall ja min­de­stens eben­so be­trof­fen; die­se ni­vel­lie­ren­de Wir­kung ist für Beck ein Schlüs­sel für Re-De­mo­kra­ti­sie­run­gen) und zwei­felt pau­schal die Un­ab­hän­gig­keit von Ex­per­ten an (mit dem schö­nen Be­griff von Mr. und Mrs. Ver­flech­tung).

Aber was wird da­ge­gen ge­setzt? Was be­deu­tet die schrof­fe Be­mer­kung Der Tech­nik­glau­be hat schon lan­ge aus­ge­dient bei­spiels­wei­se im Kon­text von Ri­si­ko­fol­gen­ab­schät­zun­gen bzw. Ab­stel­lung von Ri­si­ken be­züg­lich des Kli­ma­wan­del­pro­blems?

Ei­ne Art kos­mo­po­li­ti­sche Norm, in der po­ten­ti­ell be­trof­fe­ne Nicht­na­tio­na­le in die ei­ge­ne Ent­schei­dungs­fin­dung ein­zu­be­zie­hen sind, ist dem Le­ser durch­aus als er­ster An­satz ver­ständ­lich. (Aber war da nicht Hans Jo­nas mit sei­nem »Prin­zip Ver­ant­wor­tung« [Beck zi­tiert ihn ein­mal] schon wei­ter?) Gro­sse Sym­pa­thie bringt man auch noch ei­ner Po­li­tik wi­der die welt­mäch­ti­gen In­ter­es­sen der west­li­chen Ent­schei­der-Re­gio­nen ent­ge­gen (im wei­te­ren Ver­lauf er­liegt Beck dann al­ler­dings wie­der der eu­ro­zen­tri­sti­schen Sicht­wei­se, was er aber min­de­stens – im Ge­gen­satz zu an­de­ren – er­kennt und the­ma­ti­siert). Und sei­ne Dia­gno­se, dass das Ka­ta­stro­phen­ri­si­ko die Ar­men ver­folgt, mag ja stim­men. Aber in­wie­fern durch das Dik­tum, kul­tu­rel­le Wahr­neh­mun­gen und Wer­tun­gen ge­win­nen Prio­ri­tät ge­gen­über Tat­sa­chen­wis­sen viel­leicht Hand­lungs­ma­xi­me ab­zu­lei­ten wä­ren, wird nicht auf­ge­zeigt. Statt­des­sen ver­bleibt aus­ge­rech­net der Ver­fech­ter des kos­mo­po­li­ti­schen Han­delns bei der Fest­stel­lung, dass star­ke Staa­ten die an­de­ren nicht do­mi­nie­ren dürf­ten.

Beck spricht es nicht an – aber bei al­ler Ve­he­menz der Ab­leh­nung des Na­tio­nal­staats­prin­zips, ist sein Ver­trau­en in ei­ne glo­bal han­deln­de In­sti­tu­ti­on of­fen­sicht­lich nicht sehr stark aus­ge­prägt. Ge­meint sind na­tür­lich nicht die VN, die – der Beck­schen Lo­gik ge­mäss – letzt­lich nur Ver­samm­lun­gen von Na­tio­nal­staa­ten sind (da­her si­cher­lich die Vor­be­hal­te). Das gro­sse Wort ei­nes »Welt­staats« wird ver­mie­den; Beck re­det eher ei­ner (oder meh­re­ren?) kos­mo­po­li­ti­schen Gemeinschaft[en] das Wort, spricht lie­ber blu­mig von Sub­po­li­tik von oben. Es wür­de na­tür­lich die In­ten­ti­on die­ses Bu­ches spren­gen, qua­si »ne­ben­bei« noch ei­nen Ent­wurf für ei­ne ir­gend­wie ge­ar­te­te Glo­bal­re­gie­rung zu ent­wickeln. Aber ein biss­chen kon­kre­ter hät­te man es sich schon ge­wünscht. Denn die kor­rek­te Fest­stel­lung, dass sich Ri­si­ken und die an­ti­zi­pier­ten Ka­ta­stro­phen nicht an Län­der­gren­zen hal­ten, könn­te man auch da­hin­ge­hend er­gän­zen, dass Ka­ta­stro­phen auch nicht un­be­dingt durch (kul­tu­rel­le) Wahr­neh­mun­gen al­lei­ne ver­mie­den oder gar be­wäl­tigt wer­den.

Und wo blei­ben die Aus­füh­run­gen zur kur­so­risch vor­ge­stell­ten Sub­po­li­tik von un­ten, den Na­tio­nal­re­gie­run­gen die NGOs und da­mit die »kri­ti­sche Mas­se« ent­ge­gen­zu­set­zen und die­se zu­sam­men mit den Me­di­en (Der po­li­ti­sche Ort der Welt­ri­si­ko­ge­sell­schaft sind die Me­di­en) für fri­schen Wind zu sor­gen? Ahnt Beck viel­leicht die Ge­fah­ren ei­ner Über­nah­me von – noch da­zu glo­ba­ler – Po­li­tik durch oft ge­nug nicht de­mo­kra­tisch le­gi­ti­mier­te Or­ga­ni­sa­tio­nen, die dann ex­akt je­nen Alar­mis­mus pro­vo­zie­ren und me­di­al pro­du­zie­ren, den er an an­de­rer Stel­le im Buch (Stich­wort Ter­ro­ris­mus­be­kämp­fung) so ge­konnt an­greift? Ist ihm nicht ex­em­pla­risch das Fi­as­ko von Green­peace und »Brent Spar« noch in Er­in­ne­rung und die da­mit ver­bun­de­ne ge­hirn­wä­sche­ar­ti­ge Me­di­en­kam­pa­gne? Und wie steht es dann in die­sen Fäl­len mit der von ihm so ve­he­ment be­kämpf­ten Ex­per­ten/­Laie-Di­cho­to­mie?

Und da rauft sich der Le­ser schon die Haa­re, wenn der Ein­kaufs­zet­tel zum Ele­ment der di­rek­ten De­mo­kra­tie hoch­ge­ju­belt wird und der Mas­sen­boy­kott kri­tik­los zum neu­en Po­li­tik­stil er­ho­ben wer­den soll. Und das, ob­wohl der Au­tor öko­no­mi­sche, gar markt­re­gu­lie­ren­de Mass­nah­men (na­tur­ge­mäss) ka­te­go­risch ab­lehnt – und zwar so­wohl als An­leh­nung an Zau­ber­kräf­te des Mark­tes (das, was man ver­kür­zend neo­li­be­ral nennt) als auch an das Ge­gen­stück, ei­ner Im­ple­men­tie­rung staat­li­cher Plan­wirt­schaft. Und aus­ge­rech­net Beck, der die me­dia­len In­sze­nie­run­gen von Ri­si­ken so auf­schluss­reich ent­schlüs­selt, ver­wen­det plötz­lich die glei­chen In­stru­men­te sel­ber? Wer ent­schei­det denn, wann et­was boy­kot­tiert wird und wann nicht? Oder, an­ders ge­fragt: Wer trifft die Ent­schei­dung zur In­sze­nie­rung? Wenn sein Dik­tum stimmt, dass das Nichtwissen…das »Me­di­um« re­fle­xi­ver Mo­der­ni­sie­rung sei, wie soll die­ses Nicht­wis­sen denn »struk­tu­riert« sein? Was ist an­de­res da­mit ge­meint, als ei­ne Art Ver­zichts­ge­sell­schaft, die in der An­ti­zi­pa­ti­on der Ri­si­ken lie­ber dem »Fort­schritt« (dem Tech­nik­glau­ben [s. o.]) ent­sagt? Dies wür­de je­doch in fun­da­men­ta­lem Wi­der­spruch zu Becks ge­ne­rell op­ti­mi­sti­scher Glo­ba­li­sie­rungs­sicht ste­hen.

So schlin­gert man denn hin- und her­ge­ris­sen zwi­schen Wis­sens­mo­der­ni­sie­rung und Nicht­wis­sens­ge­sell­schaft her­um. Stimmt man der Aus­sa­ge, dass das, was al­le an­geht auch nur al­le lö­sen kön­nen (kos­mo­po­li­ti­sche Re­al­po­li­tik) em­pha­tisch zu, so bleibt doch die Aus­ge­stal­tung die­ser dis­kur­si­ven Di­rekt­po­li­tik va­ge und ver­steckt sich hin­ter Wort­hül­sen wie glo­bal tech­no­lo­gi­cal ci­ti­zen­ship (Beck greift glück­li­cher­wei­se sel­ten zu An­gli­zis­men); kom­ple­xes Welt­re­gie­ren; soft law (ge­meint ist nicht die durch Macht ge­deck­te Durch­set­zung po­si­ti­ven Rechts) oder Ri­si­ko­welt­bür­ger­recht.

Si­cher­heit ist, da hat Ul­rich Beck recht, das Pri­mat der mo­der­nen Ge­sell­schaft. Mit sei­ner Cha­rak­te­ri­sie­rung ei­ner Welt­ri­si­ko­ge­sell­schaft will er we­der Pa­nik er­zeu­gen noch glo­ba­li­sie­rungs­kri­tisch ar­gu­men­tie­ren noch den gän­gi­gen Kul­tur­pes­si­mis­mus be­feu­ern. Rich­tig ist, dass die Welt­ri­si­ken, von de­nen ei­ni­ge ge­nannt wer­den (an­de­re nicht), ein En­de ei­ner ela­bo­rier­ten Di­stan­zie­rungs­mög­lich­keit be­deu­tet. Die ak­tu­el­len Dis­kus­sio­nen um Stör­fäl­le in Kern­kraft­wer­ken füh­ren die­sen Pa­ra­dig­men­wech­sel ex­em­pla­risch vor Au­gen. Beck sieht die­se Glo­ba­li­sie­rung von Ge­fah­ren prag­ma­tisch und eben nicht als Pro­blem an, son­dern be­greift sie als Her­aus­for­de­rung, manch­mal viel­leicht so­gar als ei­ne Art heil­sa­men Schock, wenn er in selt­sam me­ta­pho­ri­schen Wor­ten die an­thro­po­lo­gi­sche Si­cher­heit der Mo­der­ne als aus Treib­sand be­stehend fest­macht. In­so­fern ist sein Buch von ei­nem er­fri­schen­den, ge­le­gent­lich über­schäu­men­den und manch­mal nai­ven (Zweck-?)Optimismus. Da stellt man sich den Au­tor auch schon mal als Coach vor ei­nem Pu­bli­kum vor, wenn er die Ge­fah­ren als Chan­cen non­cha­lant um­deu­tet. Nach der Ver­an­stal­tung gibt es dann aber ei­nen ve­ri­ta­blen Ka­ter: Man hät­te sich die Mo­dell­dar­stel­lung ge­raff­ter, kon­zen­trier­ter ge­wünscht und ger­ne dann noch ei­ni­ge Pro­blem­lö­sungs­ideen vor­ge­fun­den. Denn bei al­ler theo­re­ti­schen Gran­dez­za – wie das an­spruchs­vol­le Pro­gramm ei­ner kos­mo­po­li­tisch agie­ren­den Welt­ri­si­ko­ge­sell­schaft funk­tio­nie­ren soll hät­te ich schon ganz ger­ne ge­wusst.

(Be­mer­kung: Kur­siv ge­schrie­be­ne Wör­ter und Pas­sa­gen sind Zi­ta­te aus dem be­spro­che­nen Buch. Die in Schreib­ma­schi­nen­schrift ge­schrie­be­nen Stel­len sind sei­ner­seits Kur­siv­set­zun­gen in den zi­tier­ten Stel­len des Bu­ches.)

4 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Dan­ke für die kri­tisch er­läu­tern­de und hin­ter­fra­gen­de Über­blicksdar­stel­lung.
    Ich nei­ge ja in al­ter mar­xi­sti­scher Ma­nier da­zu, nach den (wohl­ver­stan­de­nen ma­te­ri­el­len) In­ter­es­sen hin­ter dem Han­deln zu fra­gen. An­schei­nend kommt die­se Blick­rich­tung bei Beck aber nicht vor. Oder?

  2. Beck fragt kur­so­risch nach der In­ten­ti­on, wenn es um die Ge­fah­ren­dar­stel­lung von Ter­ror­ri­si­ken geht. Das ha­be ich be­schrie­ben. Bei den öko­lo­gi­schen Ri­si­ken bür­stet er die­se po­ten­ti­el­le Fra­ge da­hin­ge­hend ab, dass er ge­gen das Ex­per­ten- und Ge­gen­ex­per­ten­tum wet­tert, wel­ches ihm nicht zur Lö­sung der Pro­ble­me (= Ri­si­ken) taugt. Das ist zu­nächst ein­mal be­frei­end, weil man sich die Fra­gen nach den In­ter­es­sen da­hin­ter spa­ren kann; wenn die­je­ni­gen weg sind, spielt es kei­ne Rol­le mehr. Aber was da­nach kom­men soll, fehlt mir dann. Denn in ei­ner »ba­sis­de­mo­kra­ti­schen« Welt, in der NGOs die Im­pe­ra­ti­ve be­stim­men und Po­li­tik und Re­gie­rung ge­trennt sind (wie das ge­hen soll, hät­te ich ger­ne ge­hört) möch­te ich auch nicht le­ben.

  3. Mar­tin Rees
    schätzt in sei­nem Buch »Un­se­re letz­te Stun­de« die Wahr­schein­lich­keit, dass die Mensch­heit die näch­sten 100 Jah­re über­lebt, mit 50% ein. Da­bei ist mit »Über­le­ben« hier nicht das rein phy­si­sche Über­le­ben des Ho­mo sa­pi­ens ge­meint, son­dern das un­se­rer Ge­sell­schaft und Kul­tur.

    Die Na­tur des Men­schen hat sich nicht ge­än­dert, aber die ihm zur Ver­fü­gung ste­hen­den Mit­tel. Und der Mach­bar­keits­wahn ist re­la­tiv neu (seit der Re­nais­sance), der sich aus dem Pri­mat der Wis­sen­schaft er­gibt.

    Zum The­ma passt auch Jared Dia­monds »Kol­laps«.

  4. Da ist mir der Beck­sche An­satz ins­ge­samt lie­ber. Die Pro­gno­se, dass die Mensch­heit näch­sten 100 Jah­re nicht über­lebt, ist m. E. ziem­lich wert­los, da sie von uns nicht mehr über­prüf­bar ist. Man müss­te zu­sätz­lich de­fi­nie­ren, was am Un­ter­gang un­se­rer Ge­sell­schaft und Kul­tur schlimm wä­re bzw. – um­ge­kehrt – her­aus­ar­bei­ten, was er­hal­tens­wert und was tun­lichst ab­zu­schaf­fen ge­hört.

    Die Sa­che mit dem Pri­mat der Wis­sen­schaft ist in­ter­es­sant. Beck nimmt ei­ne am­bi­va­len­te Po­si­ti­on ein. Ei­ner­seits de­kon­stru­iert er es (we­nig­stens teil­wei­se), an­de­rer­seits ma­che ich in sei­nem Buch ei­nen ge­le­gent­lich fast nai­ven Fort­schritts­op­ti­mis­mus aus (der al­ler­dings nicht nä­her spe­zi­fi­ziert wird).