Beide Begriffe, Urheberrecht und geistiges Eigentum, sind nicht als zeitlos gültige Festschreibungen zu klären, sondern innerhalb einer konkreten Gesellschaft, ihrem »Weltbild«, ihrer Kultur, ihren Wertvorstellungen, ihren ökonomischen Praktiken, ihren technischen Möglichkeiten und dem gelten Recht. Es ist nicht nur denkbar, dass andere Zeiten oder Menschen nach anderen Lösungen verlangen oder sie nahe legen, das war gewiss so und wird wieder der Fall sein. Das ist meine erste Annahme.
Die zweite ist, dass ausdrücklich jeder Mensch die Fähigkeit besitzt Neuheit zu schaffen, etwas, das er in dieser Form noch nicht gesehen oder gehört hat, selbst wenn sein Werk nicht ausschließlich ihm – und das ist fast immer der Fall – zu verdanken ist. Um ein Beispiel zu nennen: Jemand der schreibt, profitiert von anderen, hat Vorgänger, schreibt immer auch ab und nach, mitunter ohne es zu wissen und doch entstammt ein Gutteil des Werks seiner Person, ihrem Denken, Fühlen und Handeln und somit ihrer spezifischen Welt, und wäre dem nicht so, hätte es nie eine Entwicklung und Veränderung menschlicher Kultur gegeben.
Entstehung und Weiterentwicklung verlangt Zeit und Mühe, bereitet Freude und macht sicherlich auch stolz. Der entscheidende Punkt deutet sich bereits an: Gestehen wir demjenigen, der etwas Neues hervorgebracht hat, – wobei es irrelevant ist, ob jemand irgendwann oder irgendwo auf diesem Planeten bereits dasselbe tat – jenen fundamentalen Respekt über die weitere Handhabung des von ihm Geschaffenen selbst und frei zu entscheiden, zu? Dies gälte zunächst einmal grundsätzlich und gleichermaßen für ein bemaltes Osterei, einen Roman, ein Stück Musik oder einen Tisch, unabhängig davon was später einmal mit ihnen geschehen soll.
Das bislang Beschriebene ist selbstverständlich vereinfacht: Wir leben in Zeiten maschineller Fertigung und Reproduzierbarkeit, Schöpfungen und Entwicklungen sind nicht zwingend das Werk einzelner und Teilschritte der Arbeit können automatisiert erfolgen; die Eigenart bestimmter Medien, sowie anderwärtige Zweckmäßigkeiten, wie die Möglichkeit oder Notwendigkeit gewerblicher Nutzung bleiben unberücksichtigt. Dennoch: Die Verfügungsgewalt des Urhebers ist faktisch nach der Beendigung der Arbeit in Anbetracht seiner Schöpfung gegeben und begründet in der Anerkennung seiner Person, ihres Tuns und ihrer Freiheit, also der Möglichkeit von Gestaltung. Jede Entscheidung – wie könnte es auch anders sein? – liegt zunächst beim Urheber und damit auch, ob das Geschaffene einer größeren Öffentlichkeit bekannt gemacht werden oder im weiteren bzw. engeren privaten Umfeld verbleiben soll.
Eine Veröffentlichung, ein Öffentlichmachen, stellt die Frage nach Verfügbarkeit, nach Verfügungsgewalt und Eigentum neu und einen Freiheitskonflikt dar. Jeder Freiheitsbegriff muss, sofern er sich selbst ernst nimmt, seine Begrenzung auf den anderen und dessen Freiheitanspruch hin mitbedenken: Wenn Eigentum die vollständige Verfügungsgewalt über eine Sache oder ein geistiges Erzeugnis bezeichnet, dann findet sie mit dem gewollten und bewussten Hinaustreten aus dem rein persönlichen Bereich und Umfeld ihr Ende. Entscheide ich mich als Urheber für eine Veröffentlichung, dann trete ich in einem kommunikativen Akt ein Stück weit von meinem Eigentumsrecht zurück: Ich möchte, dass andere hören oder sehen, sich mit meinem Werk beschäftigen, es verwenden und erkläre damit, dass ich nicht mehr völlig darüber verfügen will wie andere mit meinem Werk umgehen, es womöglich vertonen oder bearbeiten; mit dem Akt der Veröffentlichung gliedere ich mein Werk in den Prozess kultureller Entwicklung ein. Ein Urheber kann danach nicht mehr festlegen wie und ob ich sein Buch lese und verstehe und was ich daraus zitiere, welche Gedanken ich aufnehme und vielleicht weiterverarbeite. Tatsächlich, logisch und umfassend ist der Begriff geistigen Eigentums ausschließlich im Fall einer Nichtveröffentlichung; nur dann kann man einer umfassenden Verfügung sicher sein und eigentlich ist sie auch nur dann sinnvoll.
Eigentum hat mit Freiheit zu tun, das, worüber ich grundsätzlich verfügen kann, hilft mir Handlungsspielräume zu erhalten, wir verfügen über bestimmte Dinge oder Erzeugnisse und weil wir das können, erlangen wir die Freiheit etwas zu tun, ich schreibe auf meinem Laptop, ich nutze einen Topf zum Kochen, ein Auto zur Fortbewegung, usw. — Der Eintritt eines Werks in den Prozess kultureller Entwicklung aber begrenzt die Verfügungsgewalt seines Urhebers und stellt es in eine Spannung von Verfügbarkeit und Beschränkung: Es ist ein Zusammentreffen von Freiheitsansprüchen unterschiedlicher Personen, Rezipienten und Schöpfer, mit ihren jeweils spezifischen Interessen, in einer Gesellschaft nichts Außergewöhnliches oder Seltenes und für den Prozess kultureller Entwicklung notwendig. Darüber wie der Rücktritt des Schöpfers aussehen kann und welche Ansprüche die Rezipienten (auch als potenzielle Schöpfer) besitzen, kann und sollte der Urheber mitentscheiden, aber ebenso die Gesellschaft und damit möglichst ein Konsens angestrebt werden; Überlegungen, grundsätzliche Annahmen und eine Reflexion der gegebenen Umstände könnten im Rahmen einer breit angelegten Diskussion verbunden werden und in einer Übereinkunft möglichst vieler münden.
Offenbar ist, dass es kulturelle Entwicklung gibt und offenbar ist auch, dass ein Schöpfer im Regelfall unmittelbar über das Geschaffene verfügen kann. Der Raum im dem kulturelle Entwicklung stattfindet, das »Wie« des Zugriffs auf das Geschaffene aber ist in einem Prozess gesellschaftlicher Interaktion auszudifferenzieren, er ist weitgehend unbestimmt. Für den Prozess der kulturellen Entwicklung und jenem der Teilhabe ist die relativ einfache und vergleichsweise rasche Verfügbarkeit nicht unwesentlich. Beide sind Gemeinsamkeit, Freiheit und Schönheit.
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*Ich versuche keine juristische Argumentation oder eine andere fachliche Auseinandersetzung, sondern eine Näherung aus einem möglichst alltäglichen Verständnis heraus.
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Es ist sicher nur ein Zufall – weil ich mich gerade, wg. einem schönen Essay von W.G. Sebald, mal wieder mit ihm beschäftige -, aber mir fallen zu der ganzen Problematik jetzt zum wiederholten Male zwei glasklare Sätze des [schizophrenen, gleichwohl wirkungsreichen] Dichters Ernst Herbeck ein:
Als erstes: »Die Vergangenheit ist klar vorbei.«
Und als zweites: »Es ist alles viel zu sehr umsonst.«
du sprichst mir aus der seele. genau diese annäherung braucht das thema, weder juristisch noch besitzstandsverwalterisch sondern gesund im sinne des menschenverstandes...
@fräuleinwunder
Danke, freut mich!
Ähnlich bedacht wie hier metepsilonema äußert sich Kathrin Hacker in einem Essay auf dem Perlentaucher: http://www.perlentaucher.de/artikel/7553.html
Dass immer mehr solcher Gedankengänge auftauchen, lässt mich hoffen, dass der auf mich sehr uninformiert wirkende Aufruf »Wir sind die Urheber« keinen bleibenden Schaden angerichtet hat, sondern die Diskussion – unabsichtlich – in die richtige Richtung gestoßen hat.
Dass ausgerechnet der Literaturagent von Helene Hegemann diesen Aufruf inszeniert hat, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Der Weltgeist hat Humor, scheint mir.
Ich habe absichtlich auf die Kommentare gewartet und gestehe: ich vermag mich in dieser äußerst emotional geführten Debatte nicht eindeutig zu positionieren. Dabei überrascht mit die Verve, mit der dies geführt wird (von beiden Seiten). Dass es eine wie auch immer neue Regelung geben muss, leuchtet mir einerseits ein, andererseits finde ich die Behauptung an sich noch kein Beleg. Und nur weil etwas plötzlich beliebig verfügbar und reproduzierbar ist, muss man etwas ändern? Ich frage mich, ob man den Eigentumsbegriff auch dann verändern würde, wenn an alle Interessenten Dietriche verteilt würden, so dass jeder in jede Wohnung kommen könnte. Ein hinkender Vergleich? Vielleicht.
Hinter einer generellen Infragestellung von so etwas wie »geistiges Eigentum« sehe ich eine totalitäre Ideologie hervorblitzen, die glaubt, gesellschaftliche Fragen mit egalitären Mitteln lösen zu können. Ob man sich die Konsequenzen ausgemalt hat? Klar ist, dass auch die netzumfassenden Abmahnwellen lächerlich sind. Das Interesse der Politik daran ist gleich null. Warum?
metepsilonemas Text plädiert für etwas, das in dieser Debatte schon fast nicht mehr möglich scheint: für Besonnenheit, für sachgerechte Argumentation, für Diskurs. Vielleicht wird er deshalb so sparsam rezipiert. Wir haben uns gewöhnt, nur noch voluminöses, lautes Getöse wahrzunehmen. Problemlösungen erreicht man damit aber meistens nicht.
Diese Abhandlung bietet sehr viel Fläche für ergänzendes Andocken, weil sie mit keinerlei Stacheln bewehrt ist – dafür vorab meine vorzüglichste Hochachtung.
Die Betrachtungsweise des Autors scheint sich entlang der Erwerbsarbeitsnotwendigkeit auffädeln zu wollen. Das leuchtet bestimmt nicht nur mir ein. Ich möchte zum Kontext, in welchen hier die Begriffe »Urheberrecht« und »geistiges Eigentum« eingebettet werden, noch als Faktum hinzufügen, dass Lohnabhängige in der Regel keinen Zugang zu diesem Rechtsschutz haben. Die »Diensterfindung« konsumiert beides. Das bedeutet im allgemeinen, dass geistige Arbeit ausschließlich vom Dienstherrn in Anspruch genommen und verwertet wird. Es ist also durchaus zu unterscheiden, unter welchen (rechtlichen) Prämissen eine Erfindung, ein geistiges Werk, eine patentreife Neuerung in die Welt kommt. Für den Dienstnehmer stellt solches rechtliches Konstrukt keine existentielle Bedrohung dar – schließlich bezieht er ein regelmäßiges Einkommen.
Anders sieht es für unter Umständen in prekären Verhältnissen lebende freischaffende Künstler aus. Für jene sollte es gewährleistet sein, das Ergebnis ihrer Arbeit zum eigenen Lebensunterhalt verwerten zu können. Nähmen wir die Untermenge der Autoren näher in Augenschein, stellten wir rasch fest, dass deren Überleben tatsächlich dem Zufall überlassen ist. Denn ob ihr Werk vom kaufwilligen Mainstream an die Oberfläche der Überlebensfähigkeit gespült wird, hat nichts mit Vorhersehbarkeit zu tun. Es ist ein Glücksspiel, das noch dazu vom »Betrieb« zu Ungunsten des Künstlers beeinflusst wird. Schließlich muss der »Betrieb« auch von etwas leben, nicht wahr. Die Unglücklichen gehen unter und müssen sich in leistungsgesellschaftsgenehmen Tätigkeiten verdingen. Ob sie wollen, oder nicht – danach wird nicht gefragt. Gleiches gilt auch für Komponisten, Maler, Kunstschaffende schlechthin.
Letztlich geht es beim Schaffen von Neuem zuerst darum, die Einzigartigkeit zu suchen – ein Differenzierungsmerkmal. Damit verbunden ist aber auch die Notwendigkeit, die eigene Existenz durch monetäre Verwertung des Neuen zu sichern. Diebstahl unterläuft dies. So sind wir heute geprägt: Jeder sei für sein Fortkommen selbst verantwortlich. Dass unter solchen erdrückenden Rahmenbedingungen überhaupt erst die Idee des Urheberrechts entstehen konnte, möchte ich nun nicht in den Vordergrund rücken. Erwähnt werden sollte es allerdings schon, wie ich meine.
Die Kulturimpulse, welche von Neuerungen ausgehen können, dürften ebenso weitgehend unbestritten sein. Das trifft auch für jedwedes literarische Werk zu – die Frage ist lediglich, ob und wie breit es angenommen wird. Beachtlich ist in diesem Zusammenhang allerdings, was als literarisch wertvoll verstanden werden darf. Dazu hat sich eine besondere Gruppe von Mitmenschen erkennbar gemacht, welche sich darüber – ob mit oder ohne zureichende Fachbildung ausgestattet – zu befinden berufen wähnt.
Wie sähe aber eine Gesellschaft aus, wenn Neues ans Licht kommen könnte, OHNE dass dieser Vorgang dem existenzsichernden Erwerbszwang unterläge? Dieser rhetorischen Frage liegt die Gewissheit zugrunde, dass es jedenfalls denkbar ist, dass »Schöpfer« nicht unausweichlich um ihre Existenz fürchten müssten. Wer der unbedingten Gewährleistung seines Daseins versichert ist, kann sein kreatives Potenzial in bislang nicht gekannter Weise nutzen. Das gilt für jede:n Einzelne:n von uns, denn »jeder Mensch ist ein Künstler«. Oder Erfinder. Oder Geschichtenerzähler.
Im Kontext des eben Gesagten möchte ich auch darauf hinweisen, dass Eigentum zwar frei macht – aber bedauerlichersweise auf Kosten derer, die davon ausgeschlossen werden. Auch die Versicherung der Gesellschaft auf unbedingte würdige Existenz des Individuums vermag diese Freiheit zu leisten. Die Konsequenz ist nach meinem Menschenbild aber eine völlig andere: Innovation (ob künstlerisch, technisch, sozial oder sonst wie, spielt dabei keine Rolle) ereignet sich dann nicht mehr im Wettbewerb, sondern in der Kooperation, was ebenfalls vollkommen neu wäre. Ich räume selbstverständlich ein, dass auch von Künstlern mitunter der Standpunkt vertreten wird, dass eine linde Existenzbedrohung der Schaffenskraft Flügel verleihe. Hier stehen sich dann Menschenbilder – wie ich vorsichtig glauben mag: versöhnlich – gegenüber. Denn am Ende geht es stets um Würde, die wir uns hier streitig machen, dort aber frei zugestehen könnten.
Abschließend will ich auf das Beispiel der open-source-software (quelloffen: frei verfügbar) hinweisen, von der tatsächlich nicht mehr behauptet werden kann, dass sie romantische Spinnerei darstelle. Linux (samt Derivaten) wäre ein Beispiel für ein weite Verbreitung findendes Computerbetriebssystem, OpenOffice (LibreOffice) ein solches für ein Office-Paket. Wäre dementsprechend ein »OpenMove« (für frei nachbaubare Transportmittel), ein »OpenMed« (für frei herstellbare Medikamente), ein »OpenStudy« (für frei wählbare Bildung) vorstellbar? Wie sähe es aus mit der Substituierung seltener Rohstoffe? Wäre in Zeiten des Internets durch global-kollaboratives Redesign die gewinnmaximierende Verknappung behebbar? Ressourcenschonendes Wirtschaften generell?
Das sind Fragen, die mir aus Anlass der vorliegenden Abhandlung durch den Kopf gingen. Es werden nach meinem Empfinden noch viel zu wenig Geschichten geschrieben mit der Einleitung: »Was wäre, wenn...« Deshalb nochmals meinen herzlichen Dank an den Autor für den Anlass zum Nachdenken.
(Flüchtigkeitsfehler bitte ich ohne Rücksprache korrigieren zu wollen)
Sehr geehrter Herr Struck,
eben musste ich bestürzt feststellen, dass mein Kommentar einer »Moderation« unterliegt. Unter solchen Voraussetzungen bin ich nicht gewillt, am öffentlichen Meinungsaustausch teilzunehmen und ersuche Sie daher höflichst, meinen vorhin eingestellten Komentar zu metepsilonemas Beitrag zu entfernen.
Vielen Dank.
@kienspan
Fallweise entscheide ich bestimmte Moderationsmodi einzuschalten. Es steht nun Ihnen und allen anderen frei, die Diskussion fortzusetzen.
Pingback: Überlegungen zum Urheberrecht « Kaminknistern
Tut mir leid die Verzögerung, mir ist eben mein Browser abgestürzt und mit ihm ein begonnener Kommentar. Ich versuche es morgen noch einmal. Bitte Geduld!
@Doktor D
Mich hat es, wie viele andere auch, erstaunt welch bekannte Namen unter dem Aufruf zu finden waren (unbeachtet völlig anderer Lebensumstände, ich hätte ihn nicht unterzeichnet). Der Grund für meinen Text war aber ein anderer: Ich hatte den Eindruck, dass bereits zu sehr aus Interessens- und Fachbereichen argumentiert wurde (von den Emotionalitäten zu schweigen), ohne sich über die grundsätzliche Situation klargeworden zu sein (dazu hoffe ich ein Stück beigetragen zu haben).
@Gregor
Die eindeutige Position vermag ich logisch auch nicht zu finden und glaube, dass sie letztlich eine Sache von Vereinbarung ist. Ich kann schon nachvollziehen, dass die Verfügbarkeit über das Netz bequem und notwendig ist, aber man darf sich trotzdem nicht über die Rechte der Urheber hinwegsetzen, wobei ich damit keine juristischen Belange meine, sondern ganz basale Überlegungen und Annahmen von Individualität und Freiheit (also letztlich das worauf sich unsere Gesellschaft gründet, bzw. das woran wir uns täglich orientieren). Was hinzukommt ist, dass bestimmte Restriktionsmaßnahmen einen sensiblen persönlichen Bereich betreffen, also wiederum jene basalen Annahmen von Individualität und Freiheit. Letztlich kann, wie kienspan und Du richtig erkannt haben, nur eine breiter und ausgewogener Diskurs eine Lösung finden.
Die Emotionalitäten kann ich mir schon erklären, die Diskussion betrifft doch Selbstverständnisse (Identitäten!), von Urhebern, Verlegern, Verwertern und Rezipienten (vor allem jenen die mit dem Netz intensiv »verbunden« sind oder sozialisiert wurden).
@kienspan
Ich antworte einmal hier, um die Diskussion nicht zu vereinzeln. Danke für den Kommentar — das Andocken freut mich besonders!
Sie haben völlig recht, dass die ökonomische Lage die Situation verkompliziert und unbedingt mitzubedenken ist. Allerdings glaube ich, dass die grundlegende Überlegung zunächst einmal ohne auskommen kann (oder muss): Was bedeutet die Veröffentlichung und Rezeption eines Werks (im weitesten Sinn) innerhalb einer Gesellschaft, die sich aus – tatsächlichen oder so verstandenen – selbstbestimmten (also zu freien Entschlüssen fähigen) Individuen zusammensetzt? Im nächsten Schritt müssten dann die ökonomischen Bedingungen (Zwänge, etc.) hinzugenommen werden.
Ich glaube, dass das Urheberrecht grundsätzlich in unserem individuellen und freiheitlichen Menschbild (und ‑verständnis) begründet werden sollte (auch wenn das tatsächliche, juristisch formulierte auch ökonomischer Herkunft sein sollte). Davon unbenommen, führen andere Annahmen zu anderen Schlußfolgerungen. Wenn wir davon ausgehen, dass ein Schöpfer (wiederum im allgemeinsten Verständnis) etwas Neues (selbst wenn es nur relativ sein sollte) hervorbringen kann, dann müssen wir ihm hinsichtlich dessen Freiheitsrechte zugestehen. Gehen wir von einer Wiederkehr des Immergleichen aus, dann könnte das anders sein.
Zu Freiheit und Eigentum: Ich glaube das ist wiederum eine Frage des Ausgleichs, des Respekts und der Einsicht, dass Freiheit nicht nur für einen selbst gilt. Die Verfügbarkeit über Dinge (also Eigentum) hat seine Grenze wo sie die Freiheit anderer (empfindlich) berührt. Was Sie weiter beschreiben liest sich wie eine schöne Utopie, die sich im Netz tatsächlich bereits ein wenig zu realisieren beginnt. Herzlichen Dank noch einmal für die Anregungen!
Noch hinzugefügt: Ein zu rigides Eigentums- oder Verwertungsverständnis, würde diese Utopie bedrohen (umgekehrt kann man sie allerdings auch nicht erzwingen).
test (kann entfernt werden)
Wenn Eigentum die vollständige Verfügungsgewalt über eine Sache oder ein geistiges Erzeugnis bezeichnet, dann findet sie mit dem gewollten und bewussten Hinaustreten aus dem rein persönlichen Bereich und Umfeld ihr Ende.
Diese Aussage ist »wahr« unter der weiteren Annahme, dass einschränkend bindende Verabredungen zwischen Schöpfer und Gesellschaft nicht stattfinden. Tatsächlich verhält es sich so, dass indigene Kulturen existierten, denen individuelles Eigentum fremd war. Was »in die Welt« kam – es musste nicht einmal übergeben werden – stand der Gemeinschaft zur Verfügung, was ebenfalls eine gesellschaftlich anerkannte Verabredung darstellt.
Um nun einen weiteren Nachdenkimpuls beizutragen, möchte ich auf den Umstand hinweisen, dass nicht »Eigentum« zur Handlungs- und Gestaltungsfreiheit befähigt, sondern »Besitz«. Das ist sehr wichtig, da Besitzer und Eigentümer nicht unbedingt identisch sein müssen. Nur als Besitzer verfüge ich über das Gut, um zu tun, zu schaffen. Zur Vollständigkeit führe ich noch den »Innehaber« an, zum Beispiel einen Finder, der das gefundene Gut weder besitzen, noch sein Eigentum nennen und folglich auch keine Verfügungsgewalt über die Fundsache ausüben kann. Wir begreifen bei der Verwendung der Worte »Eigentum«, »Besitz« und »Innehabung« Rechtsverhältnisse. Das wurde uns mit Seitenblick auf die globale wirtschaftliche Systementwicklung zum Verhängnis.
Nach meiner Auffassung kommen wir nicht umhin, die trennend-sichernde Wirkungsabsicht des Begriffs Eigentum anzuerkennen. Soweit es die Sicherung der individuellen Existenz betrifft, gäbe es andere, sinnvollere Wege, dies zu gewährleisten. Soweit es die Ausübung von Macht über Besitzer betrifft, sollte darüber nicht nur mit dem Kopf, sondern auch mit dem Herzen nachgedacht werden.
Wie könnte kulturelle Entwicklung aussehen, welche die bedrohliche Wirkungsseite des Begriffs Eigentum zu entschärfen ermöglicht? Meines Erachtens wäre es dazu erforderlich, im gesellschaftlichen Zusammenhang und ‑halt das Empfinden für »Würde« zu fördern und insbesondere mit dem Vorgang der »Würdigung« zu verbinden. Dem Schöpfer muss angemessene Würdigung zuteil werden – geschuldet der Tatsache, dass der Mensch eine der drei oder vier bisher bekannten Spezies ist, welche zur »Ich«-Wahrnehmung befähigt ist. Der Eigentumsbegriff behindert diese Entwicklung seit jeher, wie ich meine.
(eine Anmerkung in eigener Sache: meinem Wunsch, die obenstehende Anknüpfung an Metepsilonemas Ausführungen zu entfernen, hätte entsprochen werden können mit der gleichzeitigen Einladung, den Kommentar nochmals – dann unbehindert – einzustellen. Die Wirkung hätte eine völlig andere sein können.)
@kienspan – OT
Ich hatte klargestellt, dass ich mir das Recht herausnehme, zu bestimmten Zeiten bzw. bei bestimmten Kommentatoren auf »Moderation« umzuschalten. Ganz automatisch erfolgt dies übrigens wenn eine gewisse Zahl an Links abgesetzt wird (was bei Ihnen nicht der Fall war). Ihr wiederholtes Insistieren und Einklagen von Löschungen ist extrem nervig. Übrigens ist Moderation nichts ungewöhnliches und wird auf sehr vielen Blogs und Foren praktiziert (meistenteils übrigens ohne entsprechende Vorankündigung). Ich falle gelegentlich selber durch den »Rost« moderierter Kommentare, bspw. bei der FAZ. Das ist ärgerlich, aber von meiner Seite nicht zu beanstanden – das Hausrecht muss geachtet werden.
Sie hatten sich auf einem anderen Blog darüber mokiert, dass ich Ihrem Wunsch nicht entsprochen hätte. Ich hätte diesen Einwand gerne hier gelesen, aber auch das ist Ihr gutes Recht. Die Frage ist nicht ganz uninteressant, ob eine einmal geschickter Kommentar Verfügungsmasse des Kommentierenden bleibt. Ich stelle mir dabei gerade vor, wie ein Vielkommentierer bei der FAZ oder im Spiegel-Online-Forum plötzlich den Betreiber nach Löschung seiner Kommentare anschreibt und welche Wellen dies schlagen könnte.
Ihren erneuten Einlass zu der Sache in Kommentar #14 in Klammern halte ich für ziemlich lächerlich: Ich hätte Ihren Kommentar, Ihrem Wunsch gemäß löschen sollen, Sie dann kontaktieren und um Neueinstellung bitten. Sie wussten ja zum Zeitpunkt des Versands gar nicht, dass der Kommentar »moderiert« wird, also welcher grundsätzliche Unterschied sollte darin bestehen, ihn zu löschen und dann – wortgleich – von Ihnen einzustellen? Eine »andere Wirkung« von der Sie sprechen, vermag ich auch nicht zu entdecken.
Bitte berücksichtigen Sie, dass ich zur Pflege solcher Eitelkeiten weder Zeit noch Lust habe. Wenn Ihre Äußerungen sachbezogen sind (d. h. losgelöst von solchen »administrativen« Problemen) schätze ich Ihre Kommentare, auch wenn ich mit ihnen nicht immer übereinstimme (das eine sollte mit dem anderen nichts zu tun haben). Auf spezielle Einladungen (oder sonstigen Maßnahmen), Kommentare auf meinen Blog zu ziehen, möchte ich jedoch verzichten.
Unter »Grundsätzliches« steht unter anderem: »Grundsätzlich gilt: Was gesagt ist, ist gesagt.« Ich möchte dieses Prinzip belassen, es sei denn, es gibt wirklich gravierende Gründe (bspw. nachträglich bemerkte unrichtige Aussagen; Beleidigungen; Missverständliches).
@Keuschnig – zur tatsächlichen Berichtigung
Den Wunsch, mich zu kontaktieren, können Sie bei vernünftigem Gebrauch der Sprache in meine Anmerkung nicht hineinlesen. Dagegen verwahre ich mich.
Solange ein zur Veröffentlichung bestimmter Text oder Kommentar noch nicht veröffentlicht ist, unterliegt er vollständig der Verfügungsgewalt des Verfassers. Das ist sowohl durch Metepsilonemas Ausführungen gedeckt, als auch durch die (rechtliche) Praxis. Dem können Sie argumentativ entgegentreten.
Ihre übrigen Behauptungen beantworte ich hier nicht, um eine mögliche (und auch erwünschte) Diskussion nicht zu zersplittern.
@Metepsilonema – Ergänzung
Ein sicher unerwartetes Beispiel für das Auseinanderfallen von Eigentum und Besitz finden Sie in der gebräuchlichen Fiktion »Geld«. Wir besitzen zwar (Giral)Geld; es ist aber Eigentum des Bankensystems, von dem es erschaffen wurde. Dass frei verfügbares Geld (Bargeld + Sichteinlagen = M1) die Grundlage der Existenzsicherung darstellt, wird unwidersprochen hingenommen werden können. Da es im Euroraum zu rund 6/7 und mit Zinsdienst belastet im Eigentum von privaten Banken steht, kann leicht abgeleitet werden, dass es mit der Freiheit nicht weit her sein kann. Dieser spontane Gedanke ist meinerseits jedoch nicht geäußert, um das Gespräch vom gegebenen Thema wegzulenken.
@Kienspan
Ich möchte nicht in Abrede stellen, dass Tradition und Sozialisation hier ein Rolle spielen; es geht mir ausdrücklich nicht um Besitzstandswahrung, aber ich kann mir eine Gesellschaft ohne umfassende Verfügbarkeit über bestimmte, persönliche Dinge nur schwer vorstellen. Ob man das Eigentum oder vertraglich abgesicherten Besitz nennt, ist zweitrangig.
Es hat sicherlich Kulturen gegeben (oder gibt sie noch) die stark gemeinschaftlich organisiert waren, mit wenig persönlichen Verfügungsrechten. Ob uns das im Hier und Jetzt unserer Gesellschaft allerdings viel weiter hilft, ich weiß es nicht.
Eigentümer und Besitzer fallen bei Nichtveröffentlichung zusammen (ein Diebstahl einmal ausgeschlossen). Man könnte fragen, wie weit mit einer Veröffentlichung nicht alle zu (Mit)Besitzern einer (geistigen) Schöpfung (gemacht) werden. Einen Innehaber gäbe es im Falle eines Wiederfundes nach langer Zeit, ein entdecktes Manuskript in einem Nachlass, z.B. Tatsächlich lägen dann ungekläre Verhältnisse vor, denn man weiß ja im Regelfall nicht mehr was der Schöpfer vorhatte.
Ich weiß nicht: Hängt die Würde im Falle der Anerkennung einer Schöpfung nicht am Ich des Schöpfers und damit daran, dass die Schöpfung die seinige ist (oder war) und in weiterer Folge an (teil)aufgegebenem Eigentum respektive Besitz?
Woran denken sie bei der Sicherung der individuellen Existenz? An ein Grundeinkommen?
[Zum Geld: Ein System kann nichts besitzen, ist Geld nicht vielmehr das Eigentum aller, nur mehrheitlich im Besitz weniger (Institute)?]
@Metepsilonema
Den Hinweis auf indigenen Kulturen brachte ich als Beleg dafür an, dass ich Ihre grundsätzlichen Überlegungen als zutreffend erachte. Das hätte, wie ich nun vermute, deutlicher formuliert werden sollen.
Zur Frage der Würde ist mir wichtig, jene des Schöpfers ins Auge zu fassen – ihm die angemessene Würdigung zuteil werden zu lassen und nicht der Schöpfung. Darin erblicke ich einen bedeutsamen Unterschied, der auch am in Ihren Überlegungen beabsichtigt ausgeklammerten Rechtsverständnis vorbei und weg führt. Ich schrieb ja auch: »Dem Schöpfer muss angemessene Würdigung zuteil werden...«
Mit der Sicherung der individuellen Existenz meinte ich hier nicht ein »Grundeinkommen«, sondern das eigenverantwortliche Bemühen um materielle Absicherung des individuellen Daseins.
[zum Geld: Nein. Giralgeld wird von Banken bei der Kreditvergabe bilanzverlängernd (Kreditforderung|Gutschrift) erschaffen. Schon allein aus der Tilgungspflicht erhellt sich, dass der Besitzer (Kreditnehmer) dem Eigentümer (Kreditgeber) den vertragsgegenständlichen Betrag zurückgeben muss. Gesamtheitlich betrachtet entstehen Guthaben dadurch, dass bei Banken Kredite aufgenommen werden. Es ist eben nicht so, dass Kredite vergeben werden, weil Guthaben dafür zur Verfügung stehen.]
@kienspan
Schöpfer, Schöpfung und Würde: Ich bemerke gerade, dass mir gar nicht klar ist was Sie genau meinen. Ist Würde die allgemein menschliche oder eine in Bezug auf das Geschaffene? Wenn die allgemein menschliche gemeint ist, dann wäre sie als unabhängig (also ohne Referenz außer den Menschen selbst) zu verstehen. Sie wäre verletzbar, aber nicht anders als bei jedem anderen Menschen. Und eine spezielle Würde eines Schöpfers käme mir seltsam vor (außer es wäre eine Charaktereigenschaft gemeint). Eine Würdigung wäre allerdings erst Ergebnis einer Rezeption und kann nicht von vornherein vergeben werden (man würdigt jemand erst, wenn man sein Werk oder Schaffen einigermaßen überblicken kann). Vielleicht ist das Wort Respekt oder Achtung besser (es könnte dann auch der Tätigkeit und dem Bemühen geschuldet werden, nicht aber [zwingend] dem Ergebnis)?
@Metepsilonema
Mit der Würdigung des Schöpfers meine ich die wertschätzende Beachtung des Schöpfungsprozesses bis hin zu Veröffentlichung. Sie bezieht sich auf den Vorgang und nicht auf das Geschaffene selbst, unterscheidet sich darin auch von der allgemeinen Menschenwürde.
Wenn das seltsam erscheint, muss genauer untersucht und nach dem Grund dafür gefragt werden. Wir sind gewohnt, der Sache, dem Werk implizit (meist aber durchaus explizit) Wert beizumessen. Dabei wird aber die Bindung des Schöpfers an das Geschaffene nicht nur vernachlässigt, sondern gänzlich aufgehoben. Der Schöpfer, nein: die Schöpfer:in wird vom Werk getrennt und erfährt Würdigung erst dann, wenn sich das Erschaffene in unseren Augen als würdig erweist. Welchen Rückhalt in welchen Wertvorstellungen könnte es dafür geben?
Um zuzuspitzen, bemühe ich als Analogie das schenkende Kind, das mit Freude eine schöne handwerkliche Arbeit vollendet hat und sich sodann im Akt des Schenkens davon trennt. Ich meine hier nicht den vordergründigen Ausdruck von Verbundenhheit, der den Beschenkten zu bewegen vermag. Vielmehr denke ich an den inneren Vorgang des Loslassens des Schöpfers. Das ist ein seelischer Kraftakt, der Würdigung verdient, weil ihm, nun wieder verallgemeinert, der Impuls zur kulturellen Entwicklung innewohnt.
Vielleicht fällt es auch schwer, sich emotional vom Begriff des »sich Aneignens« zu distanzieren, denn Rezeption ist schließlich nichts anderes. Was angeeignet wird, geht in Eigentum über – jedoch, um welchen Preis? Derzeit um keinen, behaupte ich, einen allfälligen »schuldbefreienden« Kaufpreis bewusst außer Acht lassend.
@kienspan
Schöpfer bzw. Künstler besitzen sicherlich bemerkenswerte Eigenschaften und bringen etwas Besonderes hervor. Dies macht sie aber keineswegs zu besseren Menschen, ganz im Gegenteil, viele Künstler waren in menschlicher Hinsicht gewiss keine Vorbilder. Ich sehe da eine gewisse Gefahr der Überschätzung über den Bereich der Kunst hinaus. Verstehen Sie die wertschätzende Betrachtung des Schöpfungsprozesses eines Künstlers als etwas anderes, als z.B. die eines Tischlers oder Glasers (Ihre Analogie scheint mir in eine sehr allgemeine Richtung zu zielen, was ich befürworten würde)?
Rezeption ist nicht nur Aneignung, sie bedeutet immer auch Schöpfung, im Fall von Kunst neige ich zumindest stark in diese Richtung (ich muss mich bemühen, mich darauf einlassen, deute und lese das Werk in Richtung eines bestimmten Verständnisses — das ist teilweise das Gegenteil von Aneignung).
Das Loslassen ist m.E. verschiedentlich zu bewerten, bzw. einzuschränken: Wird ein Werk nicht immer auch geschaffen um vermittelt, um weitergegeben zu werden? Außerdem: Der Grad des Eigentums bzw. Beitzenwollens ist hinsichtlich der bildenden Kunst ein anderer als im Hinblick auf Literatur und Musik (Kopie, Hervorbringung, Interpretation).
@Metepsilonema
Die Würdigung des Schöpfungsaktes bedeutet nicht, den Menschen in seinen gesamten charakterlichen Eigenschaften zu bestärken. Würdigung ist schon in der Lage zu differenzieren. Dem Verallgemeinerungsstreben standzuhalten und vielleicht weiterhin bestehenbleibende Dissonanzen auszuhalten, dazu gehört sicher auch ein gewisses Maß an Mut – auf den man sich allgemein wieder besinnen müsste.
Sie haben mit Ihrer Frage nach der wertschätzenden Betrachtung meine Sichtweise zutreffend aufgegriffen: das schöpferische Vermögen des Menschen ist ein Wert an sich. Für eine Trennung der schöpferischen Leistung von Tischler und Glaser auf der einen und jener der Künstler:in auf der anderen Seite kann es im Kern keine fundierte Begründung geben. Das drückt sich auch im gebräuchlichen Begriff Kunsthandwerk aus.
In Ihrem letzten Gedankenabsatz habe ich ein interessantes Detail, nämlich das Wörtchen »auch«, entdeckt. Die Vorderseite ist ohne Zweifel zuzugestehen, doch führt dies sogleich zu der Überlegung, was »auch« auf seiner Rückseite trägt. Ist es möglicherweise der Einkommenswille? Weshalb, übrigens, sprechen wir immer von »Einkommen«, nicht aber von »Verdienst« im Sinne von »sich verdient machen«? Etwa, weil wir nicht dienen wollten? Wie wird der z.B. literarische Schaffensprozess beeinflusst durch die unausgesprochene Notwendigkeit, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten? Wie könnte hingegen ein Schaffensprozess aussehen, wenn nicht andauernd erzwungenermaßen be- und gestritten werden müsste?
Darin möchte ich auch Ihren abschließenden Gedanken zum graduellen Unterschied im Besitzenwollen hineinflechten und auf die Stelle in Ihrer Abhandlung zurückkommen, in der Sie über den Konsens schrieben – den Rücktritt des Urhebers, die Ansprüche der Rezipienten (auch als potenzielle Schöpfer) und eben den erstrebenswerten gesellschaftlichen Konsens. Ich meine, dass vom »Gebrauchswert« einer Schöpfung abgelassen werden müsste, um diesem Konsens näher kommen zu können. Über existenzsichernde Formen der Würdigung des Schöpfungsprozesses an sich zu verhandeln, könnte dann gewiss leichter fallen, wobei ich allerdings die Ansicht vertrete, dass vorab gesicherte Existenz den reinen, von Erwerbsnotwendigkeiten nicht verfälschten Schöpfungsakt erst ermöglichte.
Natürlich bedeutet die Würdigung des Schöpfungsaktes nicht (zwingend) die Bestärkung des gesamten Charakters; allerdings zeigen die Rezeptionsgeschichte und etliche biographische Arbeiten, dass das oftmals der Fall war. Dies kann aber kein Grund sein, eine Würdigung zu verweigern. Die nächste wichtige Frage wäre, ob und warum der Schöpfungsakt gegenüber anderen Tätigkeiten hinsichtlich seiner Wertigkeit zu bevorzugen ist.
Die Einsicht, dass Kunst auch ein Handwerk ist, scheint mir innerhalb des deutschsprachigen Raums, zumindest was die Literatur betrifft, wenig verbreitet zu sein.
Nein, das »auch« bezog sich auf den Aspekt, dass sich Künstler (mitunter) gedrängt fühlen, etwas schaffen zu müssen. Von Beethoven ist folgender Satz überliefert: »Was ich auf dem Herzen habe, muss heraus, und darum schreibe ich.« Da scheint mir der kommunikative Aspekt zunächst in den Hintergrund gerückt zu sein.
Ich glaube schon, dass die meisten gute Arbeit machen und ihr Geld verdienen wollen. Einkommen ist einfach der neutralere Begriff, den man auch benötigt, der allerdings verschweigt ob jemand verdient was er erhält. Trotzdem sind Ihre Fragen wichtig. Ich vermute, dass der Schaffensprozess eine gewisse Nötigung erfährt, weil er Nutzen (Geld) abwerfen soll. Man wird dem Betrieb nicht ausweichen können und Kompromisse eingehen müssen. Andererseits können genau diese Konflikte und Widersprüche neue Kräfte freimachen. Sollte das Einkommen gesichert sein und diese Problematik kein wesentlicher Antrieb für das jeweilige Schaffen darstellen, wird es sicherlich bequemer und befreiter erfolgen (es wäre interessant sich anzusehen welche Auswirkungen Gönner oder Stipendien langfristig auf den Schaffensprozess haben). — Viel hängt sicherlich von der Persönlichkeit des Künstlers ab.
Gebrauchswert meint den monetären Wert und/oder jeglichen »Nutzen« (auch ästhetischen Wert) für den Rezipienten?
Existenzielle Fragen sehe nicht als Verfälschung, weil diese Problematik dem Menschen inhärent ist. Der Erwerb findet in einer Art von Betrieb statt und der hat selbstverständlich Auswirkungen.
@Metepsilonema
Den Begriff »Gebrauchswert« habe ich durch Ihre Nachfrage als untauglich erkannt und muss ihn deshalb zurückziehen – gemeint war das Verhältnis zwischen monetärem Wert und subjektivem Nutzen.
Wenn wir den Schaffensprozess von der »gewissen Nötigung«, wie Sie zurückhaltend formulierten, freidenken könnten, wären wir vielleicht einmal zur Fortsetzung kultureller Entwicklung befähigt. Ich näherte mich Ihrer Abhandlung an mit der Absicht, mir die darin aufgefädelten Überlegungen jenseits der aktuellen Urheberrechtsdebatte zu erschließen, eine verallgemeinerbare Relevanz zu untersuchen. Diese Relevanz hat sich für mich im entfalteten Gespräch darüber erhärtet.
Meine utopischen Überlegungen, wir sprachen andernorts darüber, gehen in die Richtung, welche Auswirkungen nicht-nötigende Lebensbedingungen auf die Heranbildung von Persönlichkeit haben; was entsteht, wenn Widerstand (z.B. gegen mit Nötigung verbundener Existenzbedrohung) unterlassen werden kann; ob solches tatsächlich als »Kulturimpuls« darstellbar und begreifbar sein kann.
Für Ihre Anregungen dazu möchte ich Ihnen recht herzlich danken.
@kienspan
Ich bedanke mich ebenfalls für das ergiebige Gespräch. Die Diskussion andern Orts möchte ich fortsetzen, ich bitte noch um etwas Geduld.
Eine letzte Frage habe ich noch: Was genau meinen Sie mit der Fortsetzung kultureller Entwicklung? Das geschieht ja bereits. Oder?