Dass Guido Knopp beim ZDF in Rente geht, hält Fernsehverantwortliche nicht von der weiteren Nazi-Fiktionalisierung ab. Gestern also wieder einmal zur besten Sendezeit im Fernsehen ein Film über den Nationalsozialismus. Diesmal ging es um Erwin Rommel (ARD, 20:15 Uhr) (lächerlich, wie die ARD in der Mediathek den Film nur zwischen 20 und 6 Uhr zeigt und betont, er sei für »Jugendliche unter 12 Jahren« nicht geeignet; ein entsprechender Hinweis unterblieb gestern). Man fand eine leidlich illustre Besetzung vor; Ulrich Tukur gab Erwin Rommel und wenn Tukur zur Rede ansetzte, versuchte er den Duktus Rommels zu erreichen. Am Sonntag gibt es auf SWR2 im Rundfunk noch Hörspiel basierend auf Niki Steins Film. Warum eigentlich? Es gibt keinen Anlass. Da war wohl einfach ein Film fertig. Oder sollte man bis 2014 warten – zum 70. Todestag des »Wüstenfuchs«? Soviel Ehre dann doch nicht. Gut so.
Filme wie »Rommel« nebst anschließender sogenannter Dokumentation erfüllen gleich in mehrfacher Hinsicht bestimmte »öffentlich-rechtliche« Kriterien. Zunächst erinnert man damit an den andernorts sträflich vernachlässigten »Bildungsauftrag«. Damit wird dieser Film zu den drei, vier, fünf aufgezählten Projekten, die ARD-Intendanten in Diskussionen nennen werden (die 16 Stunden Wintersport-Wochenenden von Dezember bis März werden damit offensichtlich kompensiert). Und zum anderen ist die fortgesetzte Beschäftigung mit Protagonisten der Nazi-Zeit (seltener mit den gesamthistorischen Implikationen, die dahin führten) eine veritable Entlastungsleistung der nachgeborenen Generation, die in den Schulen (im Gegensatz zu heute) die Geschichte noch exzessiv beigebracht bekamen und mit dem Diktum des »Nie wieder« politisch sozialisiert wurden. Vielleicht erscheint es als Makel mit 50 noch nichts über die NS-Zeit »gemacht« zu haben?
An diesen publizistischen Projekten zeigt sich Martin Walsers Irrtum, der in der viel kritisierten »Paulskirchenrede« davon sprach, die »Schande« (die andere »Schuld«, wieder andere »Verantwortung« nennen) diene der »Instrumentalisierung« zu »gegenwärtigen Zwecken«. Dies mag für bräsige Sonntagsredner der Politik gelten; für die Kulturschaffenden ist dies unzutreffend. Die Auseinandersetzung mit der NS-Zeit – sei es (semi-)fiktional oder in sogenannten Dokumentationen (die oft genug durch Nachsynchronisierungen oder eklektizistische Bilder zusammengefälscht werden) – dient allen Seiten zur Katharsis. Die Reinigung der Künstler mit der Beschäftigung wurde bereits angedeutet. Die Katharsis der Zuschauer liegt im wohligen Schauder an die Zeit ihrer (zumeist) Großeltern erinnert zu werden, ohne jemals direkt involviert gewesen zu sein. (Wie auch?) In der Wirtschaft nennt man so etwas »win-win«-Situation: Alle Beteiligten ziehen Vorteile aus der Situation. Und man fühlt sich noch gut, wieder etwas »gelernt« zu haben.
Filme wie »Rommel« funktionieren fast nur noch wie Krimis, die die Illusion des Sieges des Guten über das Böse suggerieren, in dem die Mörder nachher überführt wurden bzw. das Ende bekannt ist. So wird die historische Epoche des Nationalsozialismus als eine Tragödie inszeniert – und nivelliert. Im Fall von Rommel ist die Tragödie zusätzlich noch auf einer privaten Ebene: Er wird zum Selbstmord gezwungen und rettet damit seine Familie (so die perverse Wahl, die die Nazis ihm lassen). Und da helfen auch die anschließenden dreißig Minuten Dokumentation nicht mehr: Der Mythos des Generals, der ein (wie bspw. Ernst Jünger) aristokratisches Verhältnis zum Krieg hatte, wird, wenn nicht befördert, so doch zumindest wieder als Möglichkeit angedeutet. Bekräftigt wird dies dadurch, dass der Film erst 1944 einsetzt, als Rommels Stern längst gesunken war. Seine vernichtende Niederlage im Afrikakrieg von 1942 kommt nur als Pejoration der strammen Nazis gegen ihn vor, in dem man sagt, er habe noch nie mehr als eine Division kommandiert (und damit suggeriert, er sei mit einem Oberkommando überfordert).
So schafft man – ob man will oder nicht – eine Identifikationsfigur. Und diese falsche Tragödiensicht, dieses vermeintliche Schicksalsdenken, was da transportiert wird ist das verfängliche an Filmen wie diesen und nicht der privat unbebrillte Rommel oder die Maisfelder in Frankreich.
Sehr richtig. Die Nazizeit ist nur noch ein Genre-Stoff. Das für Filmer und Schriftsteller Reizvolle ist, dass Gut und Böse – wie im Western-Genre – von vornherein bekannt sind. Auf diesen Hintergrund kann man dann mühelos jede Story aufmalen – Liebesgeschichte, Familiengeschichte, Heldendrama, Krimi oder was auch immer – und man bekommt immer automatisch einen Mehrwert an »Ernst« und Bedeutung, auch an Tragik und Spannung. Auch die Jugendliteratur wimmelt von solchem Zeugs. Diese Geschichten schreiben sich sozusagen wie von selbst. Das Verhältnis zur Geschichte ist sozusagen ausbeuterisch.
(Mal sehen, wann Afghanistan dran kommt. »Tom will eigentlich Medizin studieren. Doch sein NC reicht nicht. Deshalb verpflichtet er sich 2 Jahre zum Bund. Seine Freundin Leonie ist von Anfang dagegen. Und dann wird Tom nach Afghanistan versetzt. Was er dort erlebt ... Angst ... Verzweiflung ... Doch eines Tages fasst Leonie einen gefährlichen Entschluss ... Fällt in die Hände eines Talibans ... dessen Sohn verliebt sich in Leonie ... « Oder so und so. Der große Afghanistan-Film im ZDF ...)
Der Hinweis mit dem Western-Genre ist sehr treffend; vielen Dank hierfür. (Gibt es nicht längst schon diese Afghanistan-Filme? Etwa hier...)
Oder der hier: http://www.zeit.de/kultur/film/2012–09/film-schutzengel
Was genau soll lächerlich daran sein, dass die ARD einen Film der ab 12 freigegeben ist tagsüber nicht in der Mediathek verfügbar hält? Weiss doch jeder vernünftige Elternteil das zwischen 20 und 6 Uhr im Fernsehen viele Filme erst ab 12 sind und kann entsprechend reagieren. Und natürlich kennen viele 10–11 jährige heutzutage Möglichkeiten sich ganz andere Filme online anzuschauen. Muss das aber unbedingt von einem öffentlich rechtlichen Sender gefördert werden?
Ansonsten kann ich dem Artikel nur zustimmen.
Diese »Mischungen« von Fiktionalisierung und Dokumentation (wohl aus Gründen des weniger sperrigen Zugangs) halte ich für sehr problematisch, abgesehen davon wirken sie, wie im vorliegenden Fall, »hölzern« und unpassend. Entweder eine fiktive Verfilmung oder eine Dokumentation (und wenn denn eine Mischung sein muss, dann muss man sich gut überlegen warum man das tut).
@metepsilonema
Ja, solche Vermischungen sind schwierig. Ich hab’s im vorliegenden »Rommel»_Film aber nicht als problematisch empfunden, weil man sehr genau trennen konnte zwischen fiktiven und realen Szenen. Heinrich Breloer macht ja auch solche Filme und ihm gelingen solche Trennungen auch sehr gut. Wichtig ist m. E. das der Zuschauer dies immer noch nachvollziehen kann und nicht durch besondere »Effekte« auf Glatteis gezogen wird. Unterschwellig soll diese Methode natürlich eine höhere Authentizität und Dichte beim Zuschauer erzeugen.
@Gregor
Mir ist allerdings unklar welchen dokumentarischen Wert eine solche Fiktionalisierung haben kann, das müsste doch ihre wesentliche Existenzbedingung sein, denn ein Spielfilm will ja gerade das nicht, sondern siedelt das Verstehen auf einer anderen Ebene an. Mir fällt eigentlich nur noch der Begriff Rekonstruktion ein, wie man das etwa in der Archäologie macht, was eigentlich eine tolle Sache ist, solange man weiß, dass es sich um eine möglichst wahrheitsgemäße Interpretation der z.B. Grundmauern eines antiken Gebäudes handelt.
@metepsilonema
Wir haben das Thema ja schon einmal diskutiert. Meines Erachtens geht es nicht darum durch die Fiktionalisierung einen dokumentarischen Mehrwert zu erzeugen. Es sei denn, es soll auf eine bestimmte, vielleicht bisher unbekannte Person oder ein entsprechendes Ereignis hingewiesen werden. Das würde auf einen pädagogischen Impetus hinweisen. Früher gab es im deutschen Rundfunk den »Schulfunk«, der mit diesem Verfahren »gespielt« hat: Original-Einblendungen wurden durch fiktive Dialoge sozusagen ergänzt. Die Sache ist natürlich heikel: Zu leicht können die Macher der Versuchung erliegen, ihre eigenen Ansichten einzubauen und als gegeben ausweisen.
Das Theater hat früher historische Ereignisse auf diese Weise aufgearbeitet. Das berühmteste Beispiel ist Shakespeare. In Deutschland steht insbesondere Schiller dafür. Seine Stücke geben zwar im Großen und Ganzen die Ereignisse richtig wieder, aber Historiker haben zu allen Zeiten in Details durchaus Fehler bemerkt, die der Fiktionalität geschuldet waren (bzw. der Zeit; Schiller hat einfach einiges gar nicht gewusst). Das interessanteste Beispiel ist für mich »Wilhelm Tell«. Schiller hat hier Sagen- und Mythenstoff umgedichtet, sozusagen in Form gebracht und zu einem Gründungsmythos eines Staates verdichtet. (Interessant am Rande das Goethe den Stoff nicht verwenden wollte, sondern Schiller dazu inspirierte.)
In den 1960er Jahren entstand dann das dokumentarische Theater; natürlich politisch-agitatorisch inspiriert. Inzwischen ist die Mischung zwischen Dokumentation und Fiktion insbesondere in Kino und Fernsehen fast Usus; selbst Tierfilme werden am Computer aufbereitet und mit künstlichen Szenen ergänzt.
Ich halte dies unter bestimmten Bedingungen für durchaus legitim. Zum einen muss immer erkennbar bleiben, wann etwas fiktional und wann es dokumentarisch, d. h. durch Quellen abgesichert, ist. Hierzu gibt es sehr gute Darstellungsmöglichkeiten (sowohl im Film als auch in der Literatur). Dann dürfen Werke, die eine dezidiert andere Fortschreibung als die historische vornehmen, nicht mit dem Dokumentarischen spielen (es sei denn, das wird, wie in einer Mockumentary, am Ende aufgelöst).
Der von Dir verwendete Begriff der Rekonstruktion erscheint vielen Künstlern womöglich als zu technokratisch und zu sehr auf die Geschichte hin ausgerichtet. Stattdessen wird größtmögliche dramaturgische Freiheit angestrebt. Seriös wird dies dann natürlich im vorgegebenen Rahmen vorgenommen. Werden dokumentarische Elemente übernommen, soll dies zumeist eine grössere Echtheit suggerieren.
@Gregor
Aber warum dann der Aufwand? Nur des Effekts und der Seheranlockung wegen? Das kann im Rahmen einer Dokumentation keine Rechtfertigung sein.
Ich finde diese Art der Aufarbeitung an-und-für-sich nicht verdammenswert, nur der Kontext, das Verfließen bestimmter Grenzen, problematisch; niemand würde heute ein Theaterstück vorrangig als historische Dokumentation betrachten oder einen Roman, da wird doch immer etwas anderes, wesentliches, mit verhandelt (selbst wenn es Ausnahmen gibt).
Ich meinte auch keinen künstlerischen Kontext, vielleicht ein Beispiel: In eine Dokumentation über das römische Heer oder urzeitliche Lebensformen kann man sicherlich spielfilmartige oder computergenerierte Szenen in Sinne des Gesamtkonzepts einsetzen, die natürlich als Fiktion kenntlich gemacht werden müssen. Dort hat auch, in bestimmten Grenzen, Interpretation und Deutung ihren Platz. Aber wenn das nur um einiger Actionelemente wegen getan wird, dann habe ich kein Verständnis dafür (und führt das dann nicht auch u.a. in die Richtung die du kritisiert hast, dass sich andere Einflüsse breit machen und den Raum einnehmen?).
@metepsilonema
Nun, »Rommel« war ja nicht als Dokumentation angelegt. Problematischer sind Filme, die als »Doku-Fiktion« zwischen den Genres changieren – und dies oft sehr fließend. Die Gründe liegen womöglich in der Suggestion von Authentizität.
Die computeranimierten Schlachten der Römer oder spielfilmähnlichen Szenen von alten Ägyptern sind mir ein Graus. Ich kann das nicht sehen.
@Gregor
Gut, dann habe ich das missverstanden. Ich habe auch immer wieder Probleme mit solchen Verfilmungen, glaube aber, dass man das grundsätzlich schon sinnvoll einsetzten kann.