Wieder ein interessanter Artikel in der taz. Diesmal von Daniel Bax: »Kampf der Kulturbanausen«. Bax greift dort frontal das deutschsprachige Feuilleton an – und ganz speziell das Feuilleton der FAZ.
Bax’ Aufsatz konstatiert zunächst richtig, dass das Feuilleton grosser Zeitungen nicht mehr bloss Rezensionsfeuilleton ist, sondern eine Art interdisziplinärer Debattenort, der zu aktuellen Diskursen in Kunst, Politik, Gesellschaft, Wirtschaft und Naturwissenschaften Stellung bezieht. Diese Entwicklung ist jedoch nicht neu; so hat beispielsweise Alfred Kerr bereits um 1900 »moderne« Feuilletons mit umfassender gesellschaftlicher Dimension verfasst, die weit über das bloss beschreibende der Berliner Kulturszene hinausgingen. Wer seine Feuilletons aus Berlin nachliest, die er für die Breslauer Zeitung wöchentlich verfasste, wird dies entdecken und – sogar heute noch! – geniessen können. In der Weimarer Republik folgten viele; einige Feuilletonisten waren oder wurden Schriftsteller (man erinnere sich nur an Joseph Roth oder Walter Benjamin).
Natürlich sind Feuilletons von damals mit den heutigen nicht mehr zu vergleichen. Rückwirkend betrachtet gab es in den letzten zwanzig Jahren mehrere wichtige Debatten, die im Feuilleton angefacht und geführt wurden und dann Eingang in die Nachrichtenwelt von Radio und Fernsehen fanden (nicht immer zum Vorteil des Niveaus der Diskussion übrigens). Herauszuheben ist da der sogenannte »Historiker-Streit«, der das Grundverständnis der Bundesrepublik tangierte und nachhaltig definierte. Aber auch Diskussionen über den RAF-Terrorismus Ende der 70er Jahre, Botho Strauß’ »Anschwellender Bocksgesang« von 1993 Im »Spiegel«, die Walser-Bubis-Debatte von 1998 [der Wikipedia Artikel hierzu ist ein bisschen parteiisch gehalten, zur Dokumentation aber gut geeignet], Sloterdijks Forderung nach »Regeln für den Menschenpark« (in der »ZEIT« 1999 abgedruckt), oder diverse Kontroversen um die Einlassungen von Peter Handke zu Jugoslawien erregten ein breites Interesse in der Öffentlichkeit.
Bax greift nun anhand einiger Beispiele die umgreifende Trivialiserung ausgerechnet auch in den Feuilletons an. Er konstatiert, dass Frank Schirrmacher, Herausgeber der FAZ, die Bücher von Orhan Pamuk offensichtlich nicht gelesen habe, da er sie vollkommen entgegen der Intention des Autors modelliere (also letztlich nur seine Wahrnehmung Pamuk in die Schuhe schiebt) oder dass der Altphilologe Egon Flaig ein krudes Pamphlet verfasst habe (»Der Islam will die Welteroberung«), welches den Islam über Gebühr diskreditiere. Er nennt Matthias Matussek eine Krawallschachtel (ein treffender Ausdruck, wie ich finde) und macht an seiner Nominierung zum Kultur-Chef des »Spiegel« einen Trend aus: Hin zur aufgeregte[n] Stimmungsmache mit Knalleffekten, zur steilen These und zur schnelle[n] Pointe; als Speerspitze macht auch er vor Henryk M. Broder und dessen schlicht gestrickter Polemiken nicht halt: simpler Haudrauf.
Anhand des (Unsinns-)Wortes vom »Kampf der Kulturen« macht Bax – in schöner Deutlichkeit – klar, mit wie viel Demagogie und wie wenig Sachkenntnis heute Feuilleton-Beiträge gestrickt sind. Und dies wohlgemerkt nicht in irgendwelchen Provinzblättchen, in der der Sportredakteur auch »nebenbei« für Kultur zuständig ist oder niveaulosen Boulevard-Zeitungen.
Auch das Metafeuilleton des »Perlentaucher« findet keine Gnade vor Bax’ Furor, wobei er die nicht unproblematische Finanzierung anspricht und auch dort eine halbwegs einseitige Ausrichtung der ausgewählten Texte sieht.
Bax’ Fazit ist wenig aufmunternd:
So zeigt sich das Feuilleton anfällig für plumpen Populismus und für Autoren, die mit Halbwahrheiten, selektiven Interpretationen und schlichtem Unsinn hausieren gehen. Halblüstern, halb bangend werden damit Ängste geschürt, die offenbar auch in einer verunsicherten Mittelschicht – der klassischen Leserschaft des Feuilletons – viele Menschen umtreiben. Im Kampf um Aufmerksamkeit ist offenbar jedes Mittel recht. Nur: Aufklärung sieht anders aus.
Aufklärung würde bedeuten, dem Feuilletonleser etwas mehr über die Welt außerhalb der engen Grenzen des deutschen Kulturbetriebs zu berichten.
Wie also dem Aufmerksamkeitsgeschrei entgehen? Es hilft, so fürchte ich nur eins: Lesen, lesen, lesen – aus unterschiedlichen Informationsquellen! Das Internet ist hierfür gar nicht schlecht. Die Feuilletons sind noch nicht derart gleichgeschaltet, wie Bax dies suggeriert. Noch gibt es das besonnene Gegenwort. Irgendwo. Vermutlich in einem anderen Feuilleton. Aber immerhin.
Vor allem kreiert man so gewissermassen ein »morphogenetisches Feld« frei nach Sheldrake. In der CH z.B. gerade akut das Thema »Jugendliche/Kinder vergewaltigen Jugendliche/Kinder«. Nach nunmehr drei Fällen sind die Zeitungen rappelvoll damit. Man kann nicht abschätzen, ob das wirklich ein neues Phänomen ist oder ob es die Medien nur gerade jetzt aufblasen. Panik bricht aus, Eltern nehmen scharenweise ihre Kinder aus den entsprechenden Schulen, obwohl das Verbrechen ausserhalb der Schule in der Freizeit geschah, die Rechten brüllen, wir hätten ein Multikultiproblem und nutzen den Sog, um die Antirassismusstrafnorm abzuschaffen und Hass zu schüren.
Nach dem ganzen Hype würde es mich nicht wundern, wenn ein paar Jugendliche auf der Suche nach dem Kick den Greuel nun multiplizieren würden. Ist es nicht Aufmerksamkeit, wonach sie suchen? – Genauso machen sich Terroristen die Medien zunutze, nur gezielter; wozu ein Anschlag, wenn es ausser den Toten niemand erführe?