Ver­hül­lung und Mo­der­ne

Als ich noch in Neu­bau, im sieb­ten Wie­ner Ge­mein­de­be­zirk, in ei­nem für die­se Ge­gend un­ty­pi­schen Haus wohn­te, er­fuhr ich was das Ver­hül­len von Kopf, Ge­sicht und Kör­per, je nach Voll­stän­dig­keit und Blick­win­kel des Be­trach­ters, be­deu­ten kann: Ich war da­mals mit ei­ner jun­gen, tsche­tsche­ni­schen Nach­ba­rin in Kon­takt ge­kom­men, die sich wie ei­ni­ge an­de­re Be­woh­ner des Hau­ses in des­sen Hof bei schö­nem Wet­ter zum Spie­len, Trat­schen und Kaf­fee­trin­ken ein­fan­den. Es er­gab sich fast zwangs­läu­fig Kon­takt, wenn man die Woh­nun­gen, die zum Teil ei­nen paw­lat­schen­a­ähn­li­chen Zu­gang be­sa­ßen, ver­ließ, und mit­ten in die spie­len­den Kin­der stol­per­te, ein so­zia­les Ge­fü­ge, das be­reits, so kommt es mir je­den­falls vor, sel­ten ge­wor­den ist: Man hilft ein­an­der, plau­dert, spielt mit den Kin­dern und lebt in­fol­ge des­sen nicht bloß ne­ben- son­dern auch mit­ein­an­der: Das er­wähn­te Mäd­chen war ziem­lich ge­nau 20 Jah­re jün­ger als ich und hat­te ei­nen Bru­der, der an ei­ner gei­sti­gen Be­hin­de­rung litt; ich ha­be nie nach­ge­fragt um wel­che es sich ge­han­delt hat­te, weil es nicht von Be­lang war und er wie sei­ne Schwe­ster freu­ten sich über Ge­sell­schaft, ganz gleich, ob es mei­ne oder die an­de­rer Kin­der oder Er­wach­se­ner war. So stell­te sich in un­se­rem Hof häu­fig ein bun­tes und lau­tes Trei­ben und Tol­len ein: Es wur­de Fe­der­ball und Fuß­ball ge­spielt, Ver­stecken oder Fan­gen, es wur­de Fahr­rad ge­fah­ren, Blu­men und Ge­mü­se ge­pflanzt, ge­gos­sen und ge­pflegt; ein paar Mal wur­de für die Kin­der so­gar ei­ne Schnit­zel­jagd or­ga­ni­siert und ab und an gab es ei­ne Ein­la­dung zum Abend­essen, zu Kaf­fee oder Ku­chen.

Von Zeit zu Zeit be­merk­te ich, wenn ich in dem über­dach­ten Vor­lauf vor mei­ner Woh­nung stand und auf die efeu­ber­ank­te Mau­er, die den Hof an der ge­gen­über­lie­gen­den Sei­te be­grenz­te, hin­über sah und mich in dem un­be­küm­mer­ten Spiel der Am­seln ver­lor, ei­ne jun­ge Da­me, ich ver­mu­te­te, dass es ei­ne jun­ge Da­me war, die mit lan­gen, wal­len­den Ge­wän­dern und ei­nem Kopf­tuch ge­klei­det, durch den Hof in den hin­te­ren Teil des Hau­ses spa­zier­te; da ich et­was über ihr im Halb­stock stand und sie stets oh­ne den Kopf zur Sei­te zu dre­hen an mir vor­über ging, blieb mir ihr Ge­sicht wie ih­re Haa­re und ih­re Fi­gur, ver­bor­gen: Mir war es un­mög­lich sie den Be­woh­nern des Hau­ses, die ich fast al­le vom Se­hen kann­te, zu­zu­ord­nen, noch wuss­te ich in wel­cher Woh­nung sie wohn­te; ich hät­te ihr na­tür­lich nach­ge­hen kön­nen, aber das ver­bot sich von selbst. Ei­ni­ge Zeit lang blieb die­ses klei­ne Rät­sel be­stehen, bis ich da­hin­ter kam, dass es nie­mand an­ders als das tschetsche­nische Mäd­chen war, das sich au­ßer­halb des Hau­ses, beim Ein­kau­fen oder in der Schu­le, ganz an­ders klei­de­te, als ich es ge­wohnt war, wenn es sich im Hof auf­hielt oder spiel­te. Ich war dar­auf nicht vor­be­rei­tet ge­we­sen und hat­te die bei­den so un­ter­schied­li­chen Erschei­nungen nicht zu­sam­men ge­bracht, ja nicht brin­gen kön­nen: Auf der ei­nen Sei­te ein schlan­kes, jun­ges, in Jeans und T‑Shirts ge­klei­de­tes Mäd­chen mit lan­gen, brau­nen Haa­ren, die es of­fen oder zu ei­nem Pfer­de­schwanz zu­sam­men ge­bun­den trug und auf der an­de­ren Sei­te ei­ne Per­son, die sich ver­hüll­te, de­ren Haar und Fi­gur ver­bor­gen und ver­wischt wa­ren, die sich auf die­se Wei­se dem Er­kannt­wer­den ent­zog und de­ren Ge­sicht ich von mei­nem Stand­ort aus nicht se­hen konn­te. Ich war kurz­zei­tig ei­ni­ger­ma­ßen ver­wirrt über die­se Tat­sa­che, hin­ter die ich so plötz­lich wie un­er­war­tet ge­kom­men war: Mehr als die äu­ße­ren Un­ter­schie­de je­doch, hat­te noch et­was an­de­res zu mei­ner Ver­wir­rung bei­getra­gen, das mir erst nach und nach be­wusst wur­de: Ich ha­be das Mäd­chen nie auf sei­ne Klei­dungs­ge­wohn­hei­ten hin an­ge­spro­chen, ich ha­be al­ler­dings auch nie ei­nen Hin­weis be­mer­ken kön­nen, dass es die Klei­dung, die es in der Öffentlich­keit trug, be­son­ders schätz­te, al­so auch pri­vat, et­wa beim Spie­len im Hof, ver­wen­de­te; auch ihr son­sti­ges We­sen – sie war fröh­lich, freund­lich, manch­mal schüch­tern-re­spekt­voll, aber auch be­stimmt und fast kämp­fe­risch – schien da­zu kei­ner­lei tie­fer­ge­hen­de Ver­bin­dung zu be­sit­zen. — Spä­ter traf ich das Mäd­chen dann ab und an auf der Stra­ße und wir lä­chel­ten ein­an­der im Vor­über­ge­hen zu: Nun wuss­te ich ja, wer es war.

Ich bin vor seit ei­ni­ger Zeit um­ge­zo­gen, in ein an­de­res Eck von Wien und vie­le der Be­wohner von da­mals ha­ben kurz da­vor oder da­nach das Haus ver­las­sen; es war der Zu­fall der die An­ge­hö­ri­gen et­li­cher Kul­tu­ren dort für ei­ni­ge Zeit zu­sam­men und dann wie­der aus­ein­an­der ge­führt hat­te; zu der tsche­tsche­ni­schen Fa­mi­lie ha­be ich kei­nen Kon­takt mehr, doch ist mir die oben ge­schil­der­te Be­ge­ben­heit in Er­in­ne­rung ge­blie­ben und sie ist im­mer wie­der her­vor ge­kom­men, wenn sich die­ses The­ma in der öf­fent­li­chen Dis­kus­si­on sei­ne Bahn brach und Raum ge­wann.

So sehr es für mich da­mals be­frem­dend war und noch heu­te ist, ei­ne Haus­be­woh­ne­rin und Be­kann­te in der Öf­fent­lich­keit nicht (oder kaum) er­ken­nen zu kön­nen und ob­wohl sich das für vie­le an­de­re ver­mut­lich ganz ähn­lich dar­stellt: Die Per­spek­ti­ve ei­nes Be­trach­ters, ei­nes Be­ob­ach­ters, ei­nes Au­ßen­ste­hen­den, der er­ken­nen möch­te und sei es nur, wer da vor ihm steht, ist nicht der ent­schei­den­de Aspekt, ob­wohl oder ge­ra­de weil er so un­mit­tel­bar ein­gän­gig ist; ge­nau­so ver­hält es sich mit zahl­rei­chen Wort­mel­dun­gen, die mit dem Phä­no­men der Ver­hül­lung in der öf­fent­li­chen Dis­kus­si­on ver­bun­den sind: Dass es et­wa bes­ser sei, wenn Frau­en we­nig­stens ver­schlei­ert aus dem Haus dür­fen; dass die Ver­hüllungsdebatten bloß Stell­ver­tre­ter- oder Scheindis­kus­sio­nen wä­ren; dass dies von vie­len Frau­en ge­wollt sei und da­mit als selbst­be­stimmt und frei­wil­lig auf­zu­fas­sen wä­re und das Kopf­tuch als ein bloß mo­di­sches Ac­ces­soire1; und auch die wohl rich­ti­ge Fest­stel­lung, dass das Kopf­tuch ein Sym­bol der Is­la­mi­sten sei, geht am Kern der An­ge­le­gen­heit vor­bei: Egal ob Kopf­tuch, Tscha­dor, Hid­schāb oder Bur­ka, all die­se Klei­dungs­stücke be­schnei­den, in Kom­bi­na­ti­on mit oder als fi­gur­ver­wi­schen­de Klei­dungs­stücke, wenn sie kon­se­quent ge­tra­gen wer­den, die In­di­vi­dua­li­tät und die Wie­der­erkenn­bar­keit ih­rer Trä­ge­rin­nen in der Öf­fent­lich­keit; nimmt ih­re Zahl be­stän­dig zu, muss man von ei­ner Uni­for­mie­rung spre­chen: Frau­en sind da­mit nicht nur nicht mehr in­di­vi­du­ell er­kenn­bar, sie wer­den ein­an­der äu­ßer­lich im­mer ähn­li­cher, nicht durch Haar­far­be, ‑form und ‑län­ge, nicht durch ih­re Ge­sichts­zü­ge oder ih­re Mi­mik, die in Bruch­tei­len von Se­kun­den, Ge­müt und See­le of­fen­le­gen kön­nen, un­ter­scheid­bar: Sie wer­den Kopf­tuch­trä­ge­rin­nen und Ver­hüll­te, die sich vor al­lem durch Mu­ster, Form und Far­be ih­rer Klei­dungs­stücke un­ter­schei­den, ih­nen sind nicht nur ih­re ge­ge­be­nen (»na­tür­li­chen«) Er­schei­nun­gen ge­nom­men, son­dern fast al­le Mög­lich­kei­ten dar­über hin­aus Aus­druck und Er­schei­nung zu for­men.

Wenn es ei­nen un­ver­äu­ßer­li­chen Kern des­sen, was wir als Mo­der­ne oder als mo­der­ne Ge­sell­schaf­ten be­zeich­nen, gibt, dann ist dies – ne­ben al­len ih­ren Schat­ten­sei­ten, de­rer man sich be­wusst sein soll­te – das In­di­vi­du­um als Trä­ger von Rech­ten, als selbstbe­stimmte Per­son und da­mit als Ver­ant­wort­li­cher und als lei­dens­fä­hi­ges Sub­jekt: Die Gleich­rich­tung, die Un­kennt­lich­ma­chung und das Ver­wi­schen von In­di­vi­dua­li­tät im öf­fent­li­chem Raum zielt auf den Kern un­se­res Ver­ständ­nis­ses von Mensch und Gesell­schaft, der nicht mit ei­nem tat­säch­li­chen oder ver­meint­li­chem li­be­ra­len In­di­vi­dua­lis­mus zu ver­wech­seln ist: Dass ich mich durch Ei­gen­schaf­ten in Raum und Zeit von an­de­ren un­ter­schei­de, al­so nicht mit ih­nen ident bin, be­grün­det mei­ne or­ga­nis­mi­sche En­ti­tät und mei­ne Ab­grenz­bar­keit von an­de­ren: Sie sind grund­le­gend da­für, wenn auch kei­ne Be­grün­dung im stren­gen Sinn, dass we­der ich, noch mein Nach­bar, noch ir­gend­ein an­de­rer Bür­ger oh­ne wei­te­res kol­lek­tiv haft­bar oder ver­ein­nehm­bar sind und soll­ten des­halb auch nicht mit dem Tra­gen von knal­li­gen Sport­schu­hen, Base­ball­kap­pen oder Pier­cings ver­wech­selt wer­den2. – Wel­che Kon­se­quen­zen man auch im­mer dar­aus zie­hen möch­te, dass sich in un­se­ren Ge­sell­schaf­ten ein Wi­der­spruch von öf­fent­li­cher Erschei­nung, von Ver­ständ­nis, Recht und Ge­setz auf­tut und ver­fe­stigt, ei­ne gleich­rich­ten­de, uni­for­mie­ren­de Ten­denz, die in prak­tisch-em­pi­ri­scher Hin­sicht ei­ner mo­der­nen Auf­fas­sung von Ge­sell­schaft ent­ge­gen­steht, sie ist kaum zu be­strei­ten und es steht zu be­fürch­ten, dass sie nicht fol­gen­los, al­so äu­ßer­lich blei­ben wird und dies auch be­reits jetzt schon ist.


  1. Ich erinnere mich in solchen Fällen häufig an eine Frau, die ein modisch aussehendes Kopftuch in einem kleinen Lokal in Istanbul trug: Die Dame saß mit zwei oder drei Personen an einem Tisch hinter mir auf der Dachterrasse vor dem dunklen Nacht­himmel und hielt lachend und scherzend in der linken Hand eine Zigarette und in der rechten ein Krügerl Bier. -- Ich möchte gegen das Kopftuch als bloß modisches Stilmittel folgendes einwenden: Es gibt kaum etwas Sprunghafteres und Ungebundeneres als die Mode: Sie ist für kurze Zeit und immer neu, also ohne tiefgreifende Begründung, das Kopftuch aber, wird konsequent und immer getragen, nicht fallweise, anlassgebunden oder flapsig. 

  2. Es sollen damit keineswegs überindividuelle, kulturelle Bindungen und Loyalitäten bestritten werden, allerdings ist deren Vereinnahmungen und etwaigen Zugehörigkeiten per se keinerlei rechtliche Relevanz zuzuschreiben. 

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  1. Sehr sinn­fäl­li­ge Dar­stel­lung, der Ha­bi­tus der Tsche­tschen­in in ei­nem Hin­ter­hof un­ter­schei­det sich er­kenn­bar von ei­nem Auf­tritt in der sog. Öf­fent­lich­keit. Die Psy­cho­lo­gie da­hin­ter ist ein­leuch­tend, es as­so­zi­ie­ren sich leicht Ge­gen­satz­paa­re wie of­fen-ge­schlos­sen, be­kannt-neu, si­cher-ge­fähr­lich, etc.
    Ganz klas­sisch ist der Hin­ter­hof ein pan­op­ti­scher Raum, al­les ist ein­seh­bar. Das Ver­hal­ten ist psy­cho­lo­gisch voll­kom­men er­klär­lich, nur die kul­tu­rel­len De­fi­ni­tio­nen des We­stens ste­hen dem ent­ge­gen, wol­len ver­än­dern, und ver­bie­ten so­gar an Ort und Stel­le.
    Aber Halt!, hö­re ich die Ein­wän­de, was meinst Du denn mit »kul­tu­rell«. Kann man die For­ma­ti­on des We­stens denn über­haupt als ei­ne Kul­tur ne­ben an­de­ren be­grei­fen, ge­hen un­se­re De­fi­ni­tio­nen nicht über den en­de­mi­schen Kul­tur­be­griff hin­aus?!
    Aber si­cher, ant­wor­te ich, und zwar in bei­den Fäl­len. Der We­sten hängt we­sent­lich an non-ter­ri­to­ria­len De­fi­ni­tio­nen, sei­ne Kul­tur­form ist ab­hän­gig vom Grad der Aus­bil­dung, dem Kon­takt mit In­du­strien, dem per­sön­li­chen Be­sitz und die de­mo­kra­ti­sche Ge­sin­nung im Sin­ne der Mei­nungs­to­le­ranz, und dem Le­bens­ge­fühl in gro­ßen Städ­ten.
    Der We­sten hat nichts mit of­fen-ge­schlos­sen, be­kannt-neu, si­cher-ge­fähr­lich zu tun. Des­halb re­den wir ja von Kul­tur und nicht von Psy­cho­lo­gie.
    So­kra­tes: Dann über­schrei­tet al­so die Kul­tur mit nor­ma­ti­ven For­de­run­gen die Psy­cho­lo­gie?!
    Glau­kon: Nun, ganz of­fen­sicht­lich tut sie das. Wie könn­te sie sonst kri­tisch ein­grei­fen und Re­geln auf­stel­len?!
    So­kra­tes: Nun, nichts an­de­res aber woll­te ich Dir be­wei­sen.

  2. Na­tür­lich ist der In­di­vi­dua­lis­mus ein her­aus­ra­gen­des Kri­te­ri­um der Mo­der­ne. Die ge­sell­schaft­li­chen Rück­be­zü­ge ha­ben sich al­le­samt ver­flüs­sigt, wur­den zur Pri­vat­sa­che ge­macht. Aber manch­mal fra­ge ich mich, wie in­di­vi­dua­li­stisch »der We­sten« wirk­lich ist. Ist In­di­vi­dua­lis­mus nicht ei­ne Il­lu­si­on? Man be­stei­ge ein­mal ei­ne U‑Bahn ei­ner Groß­stadt. 90% der Men­schen beu­gen sich über ih­re Smart­phones. Wor­in zeigt sich hier In­di­vi­dua­lis­mus? Dass sie al­le et­was an­de­res da­mit ma­chen? Ih­re Klei­dung ist zwar in­di­vi­du­ell, folgt aber durch­aus be­stimm­ten Vor­ga­ben, die man »Mo­de« nennt. (Es gab ein­mal ei­ne Zeit, da »muss­te« man Jeans tra­gen; egal wie un­be­quem die auch wa­ren. An­dern­falls »droh­te« der Aus­schluss aus der Cli­que.) Was ge­schä­he, wenn ir­gend­ein Pop­stern­chen plötz­lich das Kopf­tuch für sich »ent­decken« wür­de? Es wür­de zum Mo­de­trend wer­den. Für ein, zwei Halb­jah­re viel­leicht. Aber im­mer­hin.

    In Deutsch­land wird zu­wei­len dis­ku­tiert, Schul­uni­for­men nach an­gel­säch­si­schem Mu­ster ein­zu­füh­ren. Hin­ter­grund ist, dass man die ge­sell­schaft­li­chen Un­ter­schie­de, die sich in der je­wei­li­gen Ver­wen­dung (oder eben Nicht­ver­wen­dung) von teu­ren oder an­ge­se­he­nen Mar­ken­kla­mot­ten zeigt, un­ter­drücken möch­te. Auf den Ge­dan­ken des Zu­sam­men­ge­hö­rig­keits­ge­fühls kommt kaum je­mand; ei­ne Schul­uni­form hät­te dem­zu­fol­ge aus­schließ­lich ni­vel­lie­ren­den Cha­rak­ter.

    Es gibt mus­li­mi­sche Ex­ege­ten, die die Kör­per­ver­hül­lung von Frau­en ähn­lich be­grün­den. In­ter­es­sant ist da­bei, dass dies nur für Frau­en gilt, d. h. man glaubt, Frau­en be­schüt­zen zu müs­sen. Die Hier­ar­chie Mann -> Frau wird da­mit aus­drück­lich ze­men­tiert.

    Der Po­le­mi­ker Bro­der hat das mal sinn­ge­mäss da­hin­ge­hend per­si­fliert, dass er ver­schlei­er­te Frau­en bei uns nur dann ak­zep­tiert, wenn sei­ne Toch­ter gleich­zei­tig in Sau­di-Ara­bi­en im Bi­ki­ni über die Stra­ße ge­hen dürf­te. Das ist na­tür­lich über­trie­ben, aber wenn ich auf der an­de­ren Sei­te se­he, dass aus Rück­sicht­nah­me vor den kul­tu­rel­len Ge­pflo­gen­hei­ten im Iran bei der Frau­en-Schach-WM die Teil­neh­me­rin­nen sich an die lo­ka­len Klei­dungs­vor­schrif­ten zu hal­ten ha­ben, dann fra­ge ich mich schon, ob die­ser To­le­ranz­be­griff nicht über­stra­pa­ziert wird.

    Der wich­tig­ste Punkt scheint mir aber ein an­de­rer zu sein: War­um glau­ben Men­schen, die aus dem Na­hen oder Mitt­le­ren Osten in »den We­sten« kom­men, dass ih­re Be­klei­dungs­vor­schrif­ten hier ab­so­lu­te Gül­tig­keit be­sit­zen müs­sen? Oder, prä­gnan­ter for­mu­liert: War­um fü­gen sie sich dem so­zia­len Druck in­ner­halb ih­rer Ge­mein­schaft? Aber viel­leicht ist es auch gar kein »Druck«, son­dern pas­siert das al­les »frei­wil­lig«? Sind uns nicht in Wirk­lich­keit sol­che kul­tu­rel­len »Vor­ga­ben« auch im­mer ein biss­chen un­heim­lich, weil wir sie bei uns nicht be­mer­ken?

  3. Schö­ne und auf­schluß­rei­che Er­zäh­lung, aber ich bin mir nicht si­cher, daß das sich stets von al­len an­de­ren un­ter­schei­den­de In­di­vi­du­um mit sei­nen ver­brief­ten Rech­ten, die es wahr­neh­men soll (muß?), das We­sen je­der Art von »Mo­der­ne« aus­macht. Ich le­be in Ja­pan, ei­ner west­li­chen Ge­sell­schaft, das Un­ter­schei­dungs­be­dürf­nis scheint hier schwä­cher aus­ge­prägt zu sein, Uni­for­men wer­den so­wohl in den Schu­len als auch in Fir­men, Fa­bri­ken und Bü­ros ge­tra­gen. Das fin­den al­le nor­mal, vie­le mö­gen es, we­ni­ge leh­nen es ab.

    Frau­en mit Kopf­tü­chern se­he ich hier ab und zu, In­do­ne­sie­rin­nen, die das Klei­dungs­stück of­fen­bar tat­säch­lich nur (?) aus äs­the­ti­schen Grün­den tra­gen (die Mo­de las­se ich mal bei­sei­te): bunt und of­fen, die üb­ri­gen Klei­der be­to­nen zu­wei­len die Kör­per­form.
    Wie weit es mit dem west­li­chen In­di­vi­du­al­ver­hal­ten im di­gi­ta­len Zeit­al­ter her ist, fra­ge ich mich ähn­lich wie Gre­gor Keu­sch­nig. Und ich er­lau­be mir dar­auf hin­zu­wei­sen, daß in nicht so fer­nen Epo­chen west­li­cher Ge­schich­te Uni­for­mis­mus, Uni­for­men, Gleich­schal­tung, Ein­heits­den­ken gang und gä­be wa­ren. Mo­dern oder nicht?

    Was die is­la­mi­schen Kul­tu­ren, vor al­lem in den ara­bi­schen Län­dern, be­trifft, so steht hin­ter dem Ver­schleie­rungs­zwang und den Ver­schleie­rungs­de­bat­ten das Ver­hält­nis zwi­schen Mann und Frau als Macht- und Un­ter­drückungs­ver­hält­nis, wo­bei Se­xua­li­tät wohl die Kern­zo­ne aus­macht. Wir soll­ten auf kri­ti­sche Stim­men in bzw. aus die­sen Kul­tu­ren hö­ren. Ka­mel Daoud zum Bei­spiel, der in Al­ge­ri­en lebt. »Ist der mus­li­mi­sche Flücht­ling ein Wil­der?« fragt er mit Be­zug auf die Er­eig­nis­se Syl­ve­ster vor et­was mehr als ei­nem Jahr in Köln. »Nein«, lau­tet sei­ne Ant­wort, »er ist nur an­ders, und es ge­nügt nicht, ihn auf­zu­neh­men, in­dem man ihm Pa­pie­re und ei­ne So­zi­al­woh­nung gibt in der Hoff­nung, da­mit das Pro­blem ge­löst zu ha­ben. Man muß den Kör­pern Asyl ge­ben, aber auch die See­le über­zeu­gen, daß sie sich än­dern muß. (...) Die Be­zie­hung zwi­schen Mann und Frau ist der gor­di­sche Kno­ten in­ner­halb der ‘Welt Al­lahs’. Die Frau wird ver­leug­net, ver­wor­fen, ge­tö­tet, ver­schlei­ert, ein­ge­sperrt oder be­ses­sen.« Wenn ich dem ei­nen Satz hin­zu­fü­gen darf: Nicht mo­ra­li­sche Ent­rü­stung ist die ge­eig­ne­te Ant­wort auf die Köl­ner Er­eig­nis­se, son­dern ver­ant­wort­lich ge­brauch­te Frei­zü­gig­keit. Die aber er­wirbt man sich nicht im Hand­um­dre­hen, die Än­de­rung der See­le dau­ert Jah­re, wenn nicht Ge­ne­ra­tio­nen.

    Auch die west­li­che See­le hat sich ver­än­dert und tut es wei­ter­hin.

  4. @die kal­te So­phie
    In der Auf­klä­rung bzw. der Mo­der­ne steckt ein Uni­ver­sa­lis­mus, der heu­te nach au­ßen hin häu­fig der Be­män­te­lung west­li­cher Macht­po­li­tik dient; in­nen, al­so in den Ge­sell­schaf­ten selbst, ist die Si­tua­ti­on un­ein­deu­ti­ger, die An­sich­ten was man ver­lan­gen kann oder soll, wie Zu­wan­de­rung ge­re­gelt wer­den soll, ge­hen aus­ein­an­der (zu­ge­spitzt aus­ge­drückt: Post­mo­der­ne in­nen, Im­pe­ria­lis­mus au­ßen). — Dass Kul­tur ei­nen uni­ver­sa­li­sti­schen An­spruch tra­gen kann, ist nichts Neu­es, Chri­sten­tum und Is­lam sind dar­in nicht an­ders (po­ten­zi­ell Re­li­gio­nen für al­le Men­schen); war­um ein sol­cher An­spruch exi­stiert und auch durch­zu­set­zen ver­sucht wird, hängt mit der Kraft der eig­nen Über­zeu­gun­gen zu­sam­men, mit mo­ra­lisch-ethi­schen Im­pli­ka­tio­nen und si­cher­lich mit dem Macht­an­spruch der dar­an ge­kop­pelt ist (die be­rühm­te Fackel ist ja nicht bloß ein Leucht­mit­tel, man kann da­mit ge­nau­so gut ein Haus in Brand stecken).

    @Gregor und Leo­pold Fe­der­mair
    Ich ha­be ver­sucht den (zu recht kri­ti­sier­ten) In­di­vi­dua­lis­mus wie er über­all in Er­schei­nung tritt, von dem zu tren­nen was ein In­di­vi­du­um grund­sätz­lich aus­macht, näm­lich be­stimm­te, in Sum­me ein­zig­ar­ti­ge Ei­gen­schaf­ten in Raum und Zeit. Letzt­lich muss es in der Pra­xis Aus­wir­kun­gen ha­ben (ich be­ob­ach­te das auch an mei­nen ei­ge­nen Wahr­neh­mun­gen), wenn je­mand ein­ge­schränkt oder gar nicht mehr – wie­der­um prak­tisch ge­spro­chen – als In­di­vi­du­um iden­ti­fi­ziert wer­den kann und zwar für ihn selbst wie sei­ne Mit­bür­ger. Ich se­he dar­in ei­ne (mehr oder we­ni­ger stark) aus­ge­präg­te Uni­for­mie­rung und Ent­in­di­vi­dua­li­sie­rung, al­so: An­ony­mi­sie­rung: Recht, Ver­ant­wor­tung und Lei­dens­fä­hig­keit spre­chen wir aber In­di­vi­du­en zu, das mein­te ich mit dem Wi­der­spruch.

    @Gregor
    Dass kul­tu­rel­le An­ge­wohn­hei­ten nicht ab­ge­legt wer­den, hat wohl mit der Fe­stig­keit von Über­zeu­gun­gen und mit de­ren Tie­fen­ver­an­ke­rung zu tun, auch mit An­sprü­chen, s.o. Da­zu kommt, wie Bassam Ti­bi z.B. schon vor vie­len Jah­ren ge­schrie­ben, dass der We­sten schwach (oder un­si­cher) ge­wor­den ist und von sei­nen ei­ge­nen Über­zeu­gun­gen – der kul­tu­rel­len Mo­der­ne – ab­lässt (mei­ne Wort­wahl). An die Frei­wil­lig­keit glau­be ich im Gro­ßen und Gan­zen nicht, denn das Kopf­tuch wird ja im­mer ge­tra­gen, oft mit ei­ner Art Hau­be dar­un­ter, die da­für sorgt, dass kein Haar her­vor­schaut (mei­ne Oma trug auch ein Kopf­tuch, aber nur wenn sie in die Kir­che ging). — Un­heim­lich ist uns viel­leicht die Of­fen­sicht­lich­keit (bos­haft könn­te man sa­gen: wir ha­ben Angst vor der Ver­bind­lich­keit).

    @Leopold Fe­der­mair
    Die eu­ro­päi­schen Be­we­gun­gen je­ner Epo­chen, die Sie an­spre­chen, wa­ren – im Üb­ri­gen ge­nau­so wie der Fun­da­men­ta­lis­mus und Dschi­ha­dis­mus nah­öst­li­cher Prä­gung – im­mer ein Amal­gam: An­ti­mo­dern be­züg­lich Uni­for­mie­rung und Gleich­schal­tung, mo­dern in ih­rer Af­fi­ni­tät zu Tech­nik und Ver­fah­rens­lo­gik. — Un­se­re west­li­chen Ge­sell­schaf­ten sind mit ih­rem nicht Zusammen‑, son­dern Ne­ben­ein­an­der­le­ben, ih­rer Viel­ge­stal­tig­keit, ja Be­lie­big­keit und öko­no­mi­schen Grund­be­stimmt­heit ei­ne Zu­mu­tung: Da­mit muss man mal zu­recht kom­men und das wirft ei­nen eher dort­hin zu­rück, wo man steht oder her­kommt (Sinn­stif­tung). Al­ler­dings sind die­se Din­ge nicht of­fen­sicht­lich, of­fen­sicht­lich ist der Wohl­stand un­se­rer Ge­sell­schaf­ten, viel­leicht of­fen­sicht­li­cher als er tat­säch­lich ist (auf der Stra­ße liegt er nicht, der So­zi­al­staat wird knaus­ri­ger). Ich ver­ste­he je­den, der sich sein Le­ben öko­no­misch ver­bes­sern und in den We­sten zie­hen will, aber ist das als Ein­stel­lung aus­rei­chend? Man kann auch ge­gen­fra­gen, ob der öko­no­mi­sche oder so­zi­al­ver­si­che­rungs­tech­ni­sche Nut­zen den ma­che mit Zu­wan­de­rung ver­bin­den, aus­reicht. Und un­ab­hän­gig da­von: Wenn die Pro­zes­se Jah­re dau­ern, was ich auch so se­he, dann be­deu­tet das doch, dass wir Zu­wan­de­rung dra­stisch ein­schrän­ken müss­ten, um Sta­bi­li­tät zu er­rei­chen und zu ret­ten, was noch zu ret­ten ist. Es be­deu­tet wei­ter, dass wir Flucht­ur­sa­chen vor Ort be­sei­ti­gen hel­fen müss­ten, mit dra­ma­tisch ge­stei­ger­tem Auf­wand und jeg­li­che il­le­ga­le In­ter­ven­ti­on, die den ei­ge­nen In­ter­es­sen dient, ein­ge­stellt wer­den müss­te. — Ge­lingt das nicht, wer­den wir in noch viel stär­ke­rem Ma­ße ne­ben ein­an­der le­ben, die Ge­sell­schaft wird noch stär­ker frag­men­tiert wer­den, weil es kaum mehr kul­tu­rel­le Quer­ver­stre­bun­gen ge­ben wird (sie sind jetzt schon ge­ring). Die öko­no­mi­sche Herr­schaft dürf­te dann über­mäch­tig wer­den.

  5. @metepsilonema, letz­ter Teil von Kom­men­tar 4:
    Bin ein­ver­stan­den, vor al­lem ist öko­no­mi­scher Wohl­stand als ein­zi­ges Ziel nicht aus­rei­chend (die im Wohl­stand le­ben ha­ben na­tür­lich leicht re­den...).
    Auch den Uni­ver­sa­lis­mus wür­de ich nicht grund­sätz­lich auf­ge­ben wol­len. Ich den­ke nur, daß man im­mer wie­der neu be­den­ken und ge­ge­be­nen­falls de­fi­nie­ren muß, was uni­ver­sel­le Gül­tig­keit ha­ben soll und was nicht. Ist De­mo­kra­tie west­li­chen Zu­schnitts – die im We­sten im­mer we­ni­ger funk­tio­niert – tat­säch­lich so ein Wert? Je­der ist auf­ge­ru­fen, Ant­wor­ten zu fin­den. Un­ver­han­del­bar sind m. E. der Re­spekt vor dem an­de­ren, vor dem an­de­ren Den­ken, Un­an­tast­bar­keit des Le­bens (des­halb auch ge­gen To­des­stra­fe), grund­sätz­li­che Gleich­be­rech­ti­gung in di­ver­sen Le­bens­be­rei­chen, Ak­zep­tanz der Un­ter­schie­de, üb­ri­gens auch der sog. Ex­zel­lenz, Mög­lich­keit der Selbst­be­stim­mung – und man­ches mehr. Ei­ni­ge die­ser Punk­te sind für den zwi­schen­ge­schlecht­li­chen Um­gang von be­son­de­rer Be­deu­tung.
    Noch et­was: Das Be­stre­ben, Zu­wan­de­rung re­gu­lie­ren, ist be­rech­tigt, aber zu­nächst ist zu prü­fen, wo­her die Strö­me kom­men und wie groß die Dring­lich­keit ist. In den Län­dern um Sy­ri­en hal­ten sich Mil­lio­nen Flücht­lin­ge auf (Li­ba­non, Tür­kei an er­ster Stel­le, viel mehr als in den eu­ro­päi­schen Län­dern), die­se Leu­te ha­ben in den mei­sten Fäl­len ein­fach kei­ne an­de­re Wahl, als zu flie­hen. Auch wenn es die Ge­sell­schaft der Auf­nah­me­län­der de­sta­bi­li­sie­ren kann – will man die Tü­ren schlie­ßen? Zäu­ne und Mau­ern er­rich­ten?

  6. Man­che die­ser »west­li­chen Wer­te« sind nur auf den er­sten Blick »uni­ver­sal« bzw. es­sen­ti­ell. Wir schrän­ken sie je nach Be­darf (fast hät­te ich ge­schrie­ben: nach Be­lie­ben) im­mer dann ein, wenn es uns passt. Bei­spiel: »Un­an­tast­bar­keit des Le­bens«. Da­her ist man ge­gen die To­des­stra­fe. Aber was ist mit Ab­trei­bung? Auch dort ist Le­ben ent­stan­den. Um uns die­ser Zwick­müh­le zu ent­zie­hen, ha­ben wir ei­nen recht­li­chen Rah­men ge­schaf­fen, der de­fi­niert, wann Le­ben le­bens­wert ist und wann nicht. Das be­frie­det zwar nach au­ßen die Ge­sell­schaft, ist aber nicht oh­ne Heu­che­lei. (Statt Ab­trei­bung hät­te man auch das Mi­li­tär neh­men kön­nen, in dem ja eben­falls die Un­an­tast­bar­keit des Le­bens zur Dis­po­si­ti­on steht – und zwar die Un­an­tast­bar­keit des Le­bens des »Fein­des«.)

    Auch die un­end­li­che Dis­kus­si­on um die Voll­ver­schleie­run­gen von Frau­en in öf­fent­li­chen Räu­men ist ver­mint. Ei­ner­seits kann man das als Herr­schafts- und Dis­kri­mi­nie­rungs­ym­bol äch­ten. An­de­rer­seits sind es ge­nau die po­li­ti­schen Kräf­te in Deutsch­land, die sich über je­des nicht ge­setz­te Binnen‑I echauf­fie­ren, die hier plötz­lich to­le­rant sind.

    Die Kri­se des­sen, was wir »We­sten« oder »De­mo­kra­tie« nen­nen, hat m. E. mit den Spa­ga­ten zu tun, die im­mer schwie­ri­ger wer­den. Bei­spie­le: Wenn De­mo­kra­tie die Herr­schaft des Vol­kes ist – was pas­siert, wenn das Volk mehr­heit­lich de­mo­kra­tie­feind­li­che In­sti­tu­tio­nen und Par­tei­en wählt, die am En­de dann die De­mo­kra­tie ab­schaf­fen? Wei­ter: Wenn wir Flücht­lin­ge auf­neh­men sol­len – wo liegt die Gren­ze bzw. gibt es über­haupt ei­ne? Der­zeit sol­len ins­ge­samt 60 Mil­lio­nen Men­schen auf der Flucht sein. Will man die al­le in Eu­ro­pa auf­neh­men? Das ist un­mög­lich – so be­rech­tigt de­ren Weg­gang auch sein mag. Über­haupt nicht ge­klärt ist die Fra­ge des Sta­tus. Sind es Asyl-Su­chen­de (al­so auf Zeit) oder Emi­gran­ten (auf Dau­er)? Wer legt das fest?

    Das näch­ste Pro­blem ist dann das, was die Po­li­tik dann im­mer for­dert: »Flucht­ur­sa­chen be­sei­ti­gen«. Schö­ne Idee, aber wür­de ein Ein­grei­fen in die na­tio­na­le Sou­ve­rä­ni­tät der Län­der, aus de­nen die Men­schen flie­hen, nicht als neu­er Ko­lo­nia­lis­mus ge­brand­markt? Hin­zu kommt ja, dass vie­le Län­der, aus de­nen die Men­schen flie­hen, gar nicht mehr als exi­stie­ren (»fai­led sta­tes«) bzw. von kor­rup­ten Po­ten­ta­ten re­giert wer­den. Je­de Hil­fe fließt dort in die Ta­schen die­ser Leu­te.

    Viel­leicht liegt auch ein Pro­blem dar­in, dass un­se­re ver­recht­lich­te Welt, die al­le mög­li­chen Even­tua­li­tä­ten ab­decken möch­te, ir­gend­wann an ih­re Gren­zen stösst. Da­her sind die »ein­fa­chen Lö­sun­gen« so at­trak­tiv ge­wor­den (sei es bei den Recht- und Links­po­pu­li­sten wie auch im is­la­mi­schen Fun­da­men­ta­lis­mus).

  7. @Gregor K.
    Nur zwei Punk­te: Da ich Ach­tung und Schutz von Le­ben als Wert sehr hoch an­set­ze (aber auch nicht ab­so­lut set­ze), bin ich auch in der Ab­trei­bungs­fra­ge sehr sen­si­bel. Wenn es ir­gend­wie geht, möch­te ich Ab­trei­bun­gen ver­mei­den. (Im »mo­der­nen« Ja­pan, des­sen Be­völ­ke­rung schrumpft, wer­den mit größ­ter Leich­tig­keit zig­tau­sen­de Ab­rei­bun­gen vor­ge­nom­men, oh­ne daß sich je­mand er­regt.) An­de­rer­seits scheint es mir doch not­wen­dig zu de­fi­nie­ren, ab wel­chem Zeit­punkt, wel­cher Ent­wick­lungs­stu­fe wir mensch­li­ches Le­ben als Le­ben ei­ner Per­son de­fi­nie­ren. Sonst kommt man da­hin, Sa­men und Kei­me schüt­zen zu wol­len.
    Zwei­ter Punkt: Ur­sa­chen­be­sei­ti­gung in Län­dern wie Sy­ri­en, Irak... Ich glau­be nicht, daß man in ab­seh­ba­rer Zeit in die­sen Län­dern zu be­frie­di­gen­den Lö­sun­gen kom­men wird. Es wä­re schon ein Fort­schritt, die ärg­sten Greu­el ein­zu­däm­men, da und dort fried­li­ches Zu­sam­men­le­ben zu er­mög­li­chen. Uto­pien, Ideen von Ide­al­zu­stän­den, hel­fen da so­wie­so nicht wei­ter. Ver­ges­sen darf man auch nicht, daß sich die Si­tua­ti­on im sog. na­hen Osten durch die mi­li­tä­ri­schen Ein­grif­fe von USA und Na­to ab den Neun­zin­gern so ver­schärft hat. Ei­nen is­la­mi­sti­schen Ter­ro­ris­mus die­ser Art gab es vor­her nicht. Wir tra­gen Ver­ant­wor­tung, auch wenn das vie­le po­li­ti­sche Füh­rer nicht wahr­ha­ben wol­len.

  8. @Leopold Fe­der­mair
    Zu 1: Ja, ge­nau das mei­ne ich. Ei­ne Ge­sell­schaft muss Re­gu­la­ri­en fin­den, eben da­mit man am En­de nicht noch Sa­men und Kei­me schüt­zen muss. Aber die­se Re­gu­la­ri­en sind im­mer nur auf ei­ne ge­wis­se Zeit be­zo­gen. Die Maß­stä­be än­dern sich. Was heu­te noch un­mög­lich ist und viel­leicht so­gar hart be­straft wird, ist in 25 Jah­ren kon­sen­su­ell. Ho­mo­se­xua­li­tät war vor 30 Jah­ren straf­bar – das kann man sich heu­te nicht mehr vor­stel­len. Wie wird es in 30 Jah­ren mit der Pä­do­phi­lie aus­se­hen?

    Zu 2: Die Ur­sa­chen­be­sei­ti­gung be­zog ich we­ni­ger auf die Län­der des Na­hen und Mitt­le­ren Ostens. Hier ist klar, dass die Krie­ge der jüng­sten Ver­gan­gen­heit ei­ne Mit­schuld tra­gen. Klar ist auch, dass man von sei­ten des We­stens im­mer die ent­spre­chen­den Po­ten­ta­ten un­ter­stützt hat. Sie sorg­ten für »Sta­bi­li­tät«. Die Aus­nah­me war 1991, als man die ira­ki­sche In­va­si­on Ku­waits in ei­ner gro­ßen Ko­ali­ti­on mit u. a. auch an­de­ren ara­bi­schen Staa­ten be­sei­tig­te. Der Keim des is­la­mi­sti­schen Dschi­ha­dis­mus war die In­va­si­on Af­gha­ni­stans durch die UdSSR und die blöd­sin­ni­ge Un­ter­stüt­zung der Dschi­ha­di­sten durch die USA. Voll­kom­men es­ka­liert ist das al­les 2003 durch den Ver­bre­cher Ge­or­ge W. Bush.

    Mei­ne Äu­ße­rung be­zog ich eher auf Län­der wie Eri­trea, Ni­ge­ria, So­ma­lia oder auch die Ma­ghreb-Staa­ten. Von hier flie­hen die Men­schen in Scha­ren und wol­len al­le nach Eu­ro­pa. Ni­ge­ria ist in Wahr­heit ein sehr rei­ches Land (Erd­öl-Ein­nah­men), aber ka­ta­stro­phal re­giert. Im Nor­den gibt es ma­ro­die­ren­de Hor­den (Bo­ko Ha­ram) und der Staat schaut zu. Eri­trea ist ei­ne Dik­ta­tur, die den Men­schen kei­ner­lei Per­spek­ti­ve bie­tet. So­ma­lia exi­stiert prak­tisch nicht. Die Ver­ant­wor­tung des We­stens für die­se Ent­wick­lun­gen er­ach­te ich für mar­gi­nal. Der Ko­lo­nia­lis­mus kann nicht mehr als Ar­gu­ment für die Ver­säum­nis­se der po­li­ti­schen Ka­ste in Afri­ka der letz­ten 30, 40 Jah­re her­hal­ten. (Das es macht­po­li­ti­sche Di­men­sio­nen der ein­sti­gen Im­pe­ri­al­mäch­te gibt, die bis heu­te nach­wir­ken – Bei­spiel Sykes/Picot im Na­hen Osten – ist al­ler­dings un­strit­tig. Und auch »un­se­re« Wirt­schafts­po­li­tik ver­schärft Kon­flik­te.)

  9. @Leopold Fe­der­mair
    Hei­kel wird der Uni­ver­sa­lis­mus, wenn es um an­de­re Staa­ten geht: Sind un­se­re Vor­stel­lun­gen ent­schei­dend ge­nug, um uns in die An­ge­le­gen­hei­ten an­de­rer Staa­ten ein­zu­mi­schen (et­wa mi­li­tä­risch)? Kön­nen wir das von macht­po­li­ti­schen In­ter­es­sen tren­nen? Wie se­hen die Über­le­gun­gen für das Da­nach aus? Bringt man mit­un­ter mehr Leid und zer­rüt­te­te Struk­tu­ren (dys­funk­tio­na­le Staa­ten)?

    Wenn, dann se­he ich die re­prä­sen­ta­ti­ve De­mo­kra­tie in ei­ner Kri­se, nicht die De­mo­kra­tie, die si­cher­lich nicht ein­fach auf den Rest der Welt über­tra­gen wer­den kann. Viel­leicht gibt es Va­ri­an­ten, die bes­ser funk­tio­nie­ren.

    Was Sy­ri­en be­trifft, ha­ben wir un­se­re Hu­ma­ni­tät ent­deckt, als die Men­schen vor un­se­ren Gren­zen stan­den; man hät­te si­cher­lich, ge­mein­sam mit As­sad und Russ­land, die mei­sten Flücht­lin­ge vor Ort in La­gern, die wie Städ­te funk­tio­nie­ren, in de­nen die Men­schen ih­ren Be­ru­fen ge­mäß ei­nen Platz fin­den, un­ter­brin­gen kön­nen und die­je­ni­gen in den We­sten ge­bracht, für die das not­wen­dig ge­we­sen wä­re, z.B. aus me­di­zi­ni­schen Grün­den, aus psy­chi­scher Not­wen­dig­keit, usw. Man hät­te sich po­li­tisch die Fin­ger schmut­zig ma­chen müs­sen, aber die UNO und das Ro­te Kreuz hät­te As­sad ak­zep­tiert, wenn Russ­land mit im Boot ge­we­sen wä­re. Es hät­te sich kaum je­mand auf den Weg von Sy­ri­en nach Eu­ro­pa ma­chen müs­sen, es hät­te ei­ni­ge To­te we­ni­ger ge­ge­ben und die Auf­nah­me bei uns wä­re ko­or­di­nier­ter ab­ge­lau­fen.

    Wich­tig ist auch sich an den Sturz Mos­sa­deghs durch die CIA und den bri­ti­schen Ge­heim­dienst zu er­in­nern, die Ge­schich­te des Irans wä­re wohl an­ders ver­lau­fen und das An­se­hen des We­stens ein an­de­re (aber das Erd­öl war wich­ti­ger).

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  11. @mete Ich bin ein An­hän­ger der Auf­klä­rung, wie je­der Wis­sen­schaft­ler. Doch hat die »Ge­mein­de« doch ei­ne ge­wal­ti­ge Schräg­la­ge er­reicht, nach­dem sie die Mög­lich­kei­ten der »Ge­gen­macht« ent­deck­te.
    Heu­te be­ach­te ich kaum noch In­ter­ven­tio­nen, die sich auf die Auf­klä­rung be­ru­fen. Die we­sent­li­che Dif­fe­renz be­steht of­fen­bar zwi­schen Wis­sen­schaft und Po­li­tik, oder poin­tiert: zwi­schen Wis­sen­schaft und De­mo­kra­tie.
    Es wä­re ja wun­der­bar, wenn sich das Tryp­ty­chon Wis­sen-Macht-Dis­kur­si­vi­tät wirk­lich be­stens er­gän­zen wür­de, aber ich ha­be das nie be­ob­ach­tet. Re­spek­tiert man das Wis­sen und die Dis­kur­si­vi­tät, dann fehlt die Macht (Post­mo­der­ne), ver­ab­so­lu­tiert man die Dis­kur­si­vi­tät, ver­zerrt man die Macht zur ewi­gen Ge­gen­macht oder »Kon­troll­macht« (Stich­wort: freie Pres­se). Ich wür­de wirk­lich nicht be­haup­ten, dass der We­sten ei­ne ge­lun­ge­ne For­ma­ti­on ist. Kei­ne Wer­tung, aber ei­ne ge­wis­se Ent­täu­schung.

  12. @Gregor K.
    Ni­ge­ria, So­ma­lia..., auch (Süd-)Sudan, und ver­ges­sen wir nicht, was vor über 20 Jah­ren in Ru­an­da ge­schah. Rat­lo­sig­keit. Hier von der Schuld des Ko­lo­nia­lis­mus zu re­den, ist bil­li­ge Aus­re­de, man täuscht sich über die Rat­lo­sig­keit hin­weg. Aber eben, was tun? Ein­mi­schen, nicht ein­mi­schen? (Me­tep­si­lo­n­e­mas Fra­ge)

  13. Al­le »In­ter­ven­tio­nen« des We­stens hat­ten geo­stra­te­gi­sche Be­deu­tung. Frank­reich in­ter­ve­nier­te nach 1960 ja ‑zig­fach in ih­ren ehe­ma­li­gen Ko­lo­nien in Afri­ka (ei­ne ent­spre­chen­de Wi­ki­pe­dia-Sei­te ist schein­bar ver­schwun­den). Ent­we­der woll­te man den Sta­tus quo auf­recht er­hal­ten (in dem man ein Re­gime stütz­te, dass ei­nem wohl­ge­son­nen war und sei es nur nach der De­vi­se »Der Feind mei­nes Fein­des ist mein Freund«) oder ei­ne Ent­wick­lung soll­te ver­hin­dert wer­den. Sel­te­ner gab es ak­ti­ve Re­gime­stür­ze (wie bei­spiels­wei­se Bush 2001 in Af­gha­ni­stan und 2003 im Irak). Na­he­zu al­le die­se Ein­mi­schun­gen nach 1945 er­ziel­ten mit­tel- bis lang­fri­stig ge­nau das Ge­gen­teil des­sen, was sie be­wir­ken soll­ten. Das gilt so­wohl für Ge­heim­dienst­ope­ra­tio­nen (Iran/Mossadegh bspw.) als auch für Mi­li­tär­ein­sät­ze. Meist kam es noch schlim­mer, da die »Stra­te­gen« Clau­se­witz nicht ge­le­sen hat­ten (und der, der ihn ge­le­sen hat­te, igno­rier­te ihn): Man kommt leicht in ei­nen Krieg hin­ein, aber sehr schwer wie­der her­aus.

    Mi­li­tä­ri­sche In­ter­ven­tio­nen im­mer ein Aus­druck des Ver­sa­gens von Po­li­tik, die sich zu­meist nur auf öko­no­mi­sche und geo­stra­te­gi­sche In­ter­es­sen kon­zen­triert. An­ders sind Al­li­an­zen des We­stens bei­spiels­wei­se mit ei­nem Land wie Sau­di-Ara­bi­en nicht ver­ständ­lich.

    Im­mer wie­der wird be­tont, dass das bi­po­la­re Zeit­al­ter, al­so die Kon­fron­ta­ti­on im Kal­ten Krieg zwi­schen der UdSSR und den USA, vor­bei sei. Kon­flik­te wie Sy­ri­en zei­gen, dass das nur be­grenzt stimmt. So­bald Nu­kle­ar­mäch­te in ei­ner Re­gi­on dif­fe­rie­ren­de In­ter­es­sen ha­ben, ist die Wahr­schein­lich­keit ei­ner krie­ge­ri­schen Es­ka­la­ti­on – frü­her Stell­ver­tre­ter­krieg ge­nannt – sehr gross. Die Bush-Krie­ge 2001 und 2003 sind nur schein­bar ei­ne Aus­nah­me: Hier hat­ten die Rus­sen ähn­li­che In­ter­es­sen (Af­gha­ni­stan) bzw. kei­ne (Irak). Da­her konn­te schnell ein mi­li­tä­ri­scher »Sieg« er­run­gen wer­den, der am En­de al­ler­dings die Län­der in noch grö­sse­res Cha­os stürz­te.

    Der­zeit kon­zen­trie­ren wir uns auf die ver­wor­re­ne La­ge in Nah- und Mit­tel­ost. Sehr viel in­ter­es­san­ter (und auf Dau­er ge­fähr­li­cher) geht es je­doch in Asi­en zu, wenn die un­ter­schied­li­chen In­ter­es­sen der von Trump ge­führ­ten US-Re­gie­rung auf die chi­ne­si­schen Groß­macht­an­sprü­che tref­fen.

  14. @die_kalte_Sophie
    Viel­leicht ist das Tri­pty­chon als Wis­sen­schaft-Po­li­tik-Öf­fent­lich­keit (Dis­kur­si­vi­tät) bes­ser be­stimmt; die tat­säch­li­chen Macht­zen­tren kön­nen ja dis­lo­ziert sein.

    @Gregor
    Bei den Ge­heim­dienst­ope­ra­tio­nen spiel­ten oft öko­no­mi­sche In­ter­es­sen ei­ne be­deu­ten­de Rol­le, z.B. der Sturz von Ár­benz (Gua­te­ma­la) bei dem der CIA mit der United Fruit Com­pa­ny pak­tier­te; ein an­de­res trau­ri­ges Bei­spiel ist der Kon­go (die Er­mor­dung Lu­mum­bas), aus dem das Uran für die Bom­ben auf Hi­ro­shi­ma und Na­ga­sa­ki stamm­te. Aus die­sen und ähn­li­chen Grün­den, ist mir die Li­ta­nei von der li­be­ra­len Welt­ord­nung mitt­ler­wei­le ein­fach zu­wi­der.

    In der Wi­ki­pe­dia schei­nen zu­min­dest bei be­stimm­ten The­men im Hin­ter­grund re­gel­rech­te Krie­ge ab­zu­lau­fen um un­lieb­sa­me An­sich­ten drau­ßen zu hal­ten oder ei­nen be­stimm­ten Spin zu trans­por­tie­ren, in­klu­si­ve un­an­ge­mes­se­ner Sper­ren.

    Manch­mal den­ke ich mir, dass et­li­che Po­li­ti­ker zur Zeit des kal­ten Kriegs ver­nünf­ti­ger wa­ren als ih­re Kol­le­gen heu­te (es ist schon ab­surd, dass Russ­land vor­ge­wor­fen wird, mi­li­ta­ri­stisch und un­de­mo­kra­tisch zu sein und et­li­che Se­na­to­ren und Wis­sen­schaft­ler in den USA ge­nau vor die­sen Ent­wick­lun­gen vor Be­ginn der NA­TO-Ost­erwei­te­rung ge­warnt ha­ben, von ver­gleich­ba­ren Par­al­le­len in den USA ein­mal ab­ge­se­hen).

    Stimmt, Asi­en darf man nicht ver­ges­sen, es ist für uns nur we­ni­ger of­fen­sicht­lich.

  15. Bei al­ler Ir­ra­tio­na­li­tät des Ver­nich­tungs­po­ten­ti­als durch die Hoch­rü­stung wa­ren die Han­deln­den im Kal­ten Krieg eben auch Re­al­po­li­ti­ker. Auf bei­den Sei­ten gab es kei­ne (re­li­giö­sen) Jen­seits­hoff­nun­gen, die mit dem Sta­tus quo spiel­ten. Die Aus­nah­me war wohl Ca­stro wäh­rend der so­ge­nann­ten Ku­ba-Kri­se, der Chruscht­schow dräng­te, ge­gen die USA hart­zu­blei­ben und da­mit ei­nen Atom­krieg zu ris­kie­ren. Da­bei woll­te die­ser am En­de nur die vor­her in­stal­lier­ten US-Ra­ke­ten in der Tür­kei los­wer­den, die in der hi­sto­ri­schen Be­trach­tung die­ses Vor­falls meist »ver­ges­sen« wer­den.

    Die NA­TO-Ost­erwei­te­rung war von sei­ten des We­stens mit ei­ni­gen in­for­mel­len Ver­spre­chun­gen un­ter­malt wor­den, an die man sich dann spä­ter nicht mehr er­in­nern woll­te.

  16. @ me­te und »Viel­leicht ist das Tri­pty­chon als Wis­sen­schaft-Po­li­tik-Öf­fent­lich­keit (Dis­kur­si­vi­tät) bes­ser be­stimmt; die tat­säch­li­chen Macht­zen­tren kön­nen ja dis­lo­ziert sein.«
    Das ha­be ei­gent­lich im­pli­zit an­ge­nom­men. Die Macht in mei­nem Tryp­ty­chon ist ei­gent­lich nur je­ner An­teil »ak­ku­mu­lier­te Macht«, die nö­tig ist, um ei­nen de­mo­kra­ti­schen Pro­zess zu be­trei­ben, der not­wen­dig ist, ein Amt zu be­set­zen oder ei­ne par­la­men­ta­ri­sche Ent­schei­dun­gen her­bei zu füh­ren.
    Die »Leh­rer« und die »Po­li­zi­sten« las­se ich mal un­ter den Tisch fal­len. Die gibt es im­mer.
    De­mo­kra­tien ha­be vie­le Mit­strei­ter, die Bünd­nis­se sind aber dis­lo­zi­iert. Das ist ei­ne de­mo­kra­ti­sche Grund­er­fah­rung, die Par­ti­ku­la­ri­tät und Par­tei­en­nä­he.
    Seit ge­rau­mer Zeit glau­be ich, dass ex­akt die­se Ver­teilt­heit der Grund da­für sein könn­te, war­um es »das Wis­sen« und »die Dis­kur­si­vi­tät« so schwer ha­ben, nicht von der Macht im en­ge­ren Sin­ne ver­ein­nahmt zu wer­den. Ge­ra­de die Ver­teilt­heit der Macht macht sie so­zu­sa­gen ver­ein­nah­mungs­pflich­tig.
    Ich ste­he mit die­sen An­nah­men re­la­tiv al­lein auf wei­ter Flur, sie wi­der­spre­chen zu­u­nächst al­lem, was sich der We­sten so ger­ne zu­gu­te hält. Ich ha­be aber ei­ne Schwä­che für An­ti-The­sen. Sie sind so an­re­gend.
    Stel­len wir uns doch mal die pro­vo­kan­te Fra­ge: Wo ist mehr un­ge­teil­te un­be­la­ste­te Wahr­heit mög­lich (im Sin­ne des rei­nen Den­kens), in ei­ner Dik­ta­tur oder in ei­ner li­be­ra­len De­mo­kra­tie?!
    Mit Nietz­sche: Wo wird man die Wahr­heit hö­her schät­zen?!

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