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Acht: Lyrische Gattungen; mit Schwerpunkt auf dem Liebeslied sowie einem Exkurs über den Umgang mit Liebesleid und über andine Hochzeitsbräuche.
Da uns die Chronisten Gebete und Hymnen in Prosa übersetzt haben, zweifeln manche Autoren an, dass der Vers überhaupt existiert hat. Dies steht nun für mich ausser Frage; man weiss nur nicht, inwieweit die Übertragungen an spanische Metren angepasst wurden. Garcilaso spricht von „kurzen und langen Versen“ und von „Silben als Mass“. Weiter sagt Garcilaso: „No usaron de consonante en los versos, todos eran sueltos.” Ich kann mir darauf nur einen Reim machen, wenn ich “consonante” als “Gleichklang“ übersetze, was dann hiesse, dass kein Reim verwendet wurde.
Die einfachste und ursprünglichste lyrische Form ist wohl die t’inka, eine kurze Anrufung oder ein Zauberspruch, zu dem man ein kleines Opfer brachte für Fruchtbarkeit, Gesundheit oder vor einer Reise. Noch heute heisst das Lotterielos tinka, und im Lotto zu gewinnen „sacar la tinka“.
In den Gebeten und Hymnen an die Götter wurden oft materielle und moralische Themen gemischt. Einige wenige Überlieferungen haben wir von Cristóbal de Molina, Juan Santa Cruz Pachacútec und Felipe Huaman Poma de Ayala.
Einige der wichtigsten Gattungen umfassen das Liebesgedicht (yarawí); das Sieges- oder Triumphlied, sowie Kriegsgesänge, um den Gegner einzuschüchtern (haylli); den Heldengesang (atiy haylli); Gedichte und Gesänge zur Landwirtschaft und Jagd (harahuayo; vecosina und amna im Zusammenhang mit Fruchtbarkeit; airigua zur Maisernte; llamaya, ein Hirtenlied; ayñu nach erfolgreicher Jagd, oder auch eine Art Madrigal – heute in der Folklore als huayno geläufig); eine quälende Auswahl an Trauergesängen und Klageliedern, von denen man einige auch dazu verwenden kann, um Regen zu bitten (wanka, huañupac yarawí, huacaylli, huaca payapuni); elegante erotische Tänze (qhashwa); humoristische Gedichte mit Tierfiguren (aranway), womit der Kreis zum Theater wieder geschlossen wäre.
Keine Gattung aber ist so vielfältig, subtil, plastisch, ausdrucksstark und von solch suggestiver Kraft wie das Liebesgedicht, yarawí (was schlicht „Gedicht“ bedeutet und sich damit selbst den Ehrenplatz einräumt). Mittlerweile ist das yarawí (das zur Inkazeit oft pentatonisch gesungen und auf der Flöte begleitet wurde) in der mestizisch geprägten Folklore aufgegangen.
Viele Gedichte handeln von der fernen oder unerreichbaren Geliebten und sind feiner als Rohseide, siehe auch das dem Essay vorangestellte Gedicht. Hier ein zeitgenössisches Gedicht aus Südperu:
Als Gegenpol dazu sind pikareske oder satirisch-burleske Gedichte typisch, in denen sich der Liebende selbst erniedrigt oder die spröde Geliebte anklagt.
Zwei Muster, wahrscheinlich Volkslieder aus Südperu (für korrekte Wiedergabe und Qualität der Übersetzung dieser und des obigen Gedichts kann ich nicht bürgen! Sie sind aus dem Netz geklaubt, ohne Quellenangabe und teils so grausig übersetzt, dass ich selbst noch daran flickte – über die spanische Zwischenstufe notabene –, obwohl ich nur einige wenige Wörter im Original verstehe; Felipillo lässt grüssen!):
Die (Selbst-)Ironie schraubt sich dann beliebig weiter abwärts ins Krude, Schweinische, Schlüpfrige (und in die Gegenwart), wie es etwa in den vierzeiligen, gereimten coplas des carnaval cajamarquino seinen Niederschlag findet, wo es beispielsweise heisst: was für ein hübsches gesicht du hast / ich aber hab den bessern arsch / mit deinem gesicht machst du gar nichts / ich scheiss wenigstens mit meinem arsch. Der Carnaval ist eine ganz und gar mestizische Institution, wohlverstanden. Aber ich werde den Eindruck nicht los, dass die copla in ihrer dichten Form im yarawí wurzelt, und dass ihr Humor, ins Explizite ausgeklappt, ein untergründig indianischer ist.
Autochthone Tänze auf dem südlichen Altiplano thematisieren das Liebeswerben und Liebesleben – recht eigentlich eine handfeste, tollpatschige Schlägerei zwischen Mann und Frau (…eine ausagierte copla), und wenn er sie sich endlich wie ein Kartoffelsack auf die Schulter wirft und vom Tanzplatz buckelt, muss er nicht meinen, gewonnen zu haben, wie man dem wissenden Gelächter des einheimischen Publikums entnehmen kann. In jener Region ist es üblich, dass ein Paar zuerst ein Jahr lang zusammenlebt und „Ehe spielt“, erst danach wird entweder überschwenglich geheiratet, oder man geht ohne weitere Verpflichtungen auseinander. In den Anden Nordperus ist es ganz undenkbar, dass ein junger Mann um die Hand seiner Geliebten anhält, denn er wird ihren Eltern niemals gut genug sein. Also trifft er das Mädchen zufällig am heimlich verabredeten Ort, vergewaltigt sie, wobei sie sich zärtlich zur Wehr setzt, aber doch so lautstark, dass es zumindest Ohrenzeugen gibt. Sie klagt ihn bei ihren Eltern an, diese ziehen die Eltern des Burschen zur Rechenschaft, es entsteht ein langes Palaver und Hin-und-Her, bis schliesslich keine andere Lösung mehr bleibt, als dass die beiden jungen Leute heiraten müssen.
Sowohl die unerfüllte, verzweifelte oder verflossene Liebe als auch die Ehe mit ihrem ganzen Gepäck wird in den Anden überaus pragmatisch, fatalistisch und selbstironisch getragen und poetisch umgesetzt. Das hört man selbst noch in Redewendungen und Sprichwörtern: Dem Himmel über der Sierra, dem Hinken des Hundes und den Tränen einer Frau soll man nicht trauen! Und das alles, ohne das verletzliche Pulver auf den Flügeln des Minneschmetterlings mit garstigen Pfoten zu zerstören (dick aufzutragen ist erlaubt, selbst mir!). Was die Spanier dann noch als Gewürz beitrugen, war eine Prise Flamencoglut und Bluthochzeit.
Appendix: zwei weitere karnavaleske coplas, weil‘s so schön ist:
dieser arsch ist nicht der meine
er gehört der hacienda
denn wenn das mein arsch wäre
hätt ich ihm zügel angelegt
deine taube habe ich gesehn
durch eine spalte in der tür
und wie bin ich erschrocken
so ein hässlich tier zu sehn
Neun: Quipu, tocapu, quillca: die wunderbar komplexe Mnemotechnik der Inkas; aber natürlich schrieben sie! Ihr müsst nur mit den Fingern lesen.
Da die Spanier die meisten quipus als Teufelswerk verbrannten, sind uns bis heute nicht einmal tausend Stück erhalten (die meisten liegen in einem Berliner Museum, zum Teufel!). Die ältesten Funde stammen aus der Ausgrabung Caral sowie aus antiken Städten der Wari; somit ist der quipu wesentlich älter als das Inkareich und wurde wohl von den Inkas übernommen und weiterentwickelt.
Ein quipu (runa simi: „Knoten“) besteht aus einer Hauptschnur und beliebig vielen mit Knoten versehenen Nebenschnüren aus gefärbter Wolle, Haar oder Pflanzenfasern. Gesichert ist, dass der quipu für Arithmetik, Statistik und numerische Register verwandt wurde. Man hat sogar – oh Graus! – sehr detaillierte Steuerrechnungen an die Adresse der Provinzen gefunden. Die Macht der Inkas beruhte nicht zuletzt auf ihrer exakten Kenntnis und Kontrolle der Bevölkerungszahlen, Viehbestände, Ernten, Vorräte etc. Das dezimale Zahlensystem erlaubte die Darstellung von mindestens fünfstelligen Zahlen (ein „Leerschlag“ auf der Schnur entsprach der Zahl 0). Der quipucamayoc jeder Provinz musste die gesamte Buchhaltung auswendig im Kopf haben und gab sie später an seinen Schüler, der meist zugleich sein Sohn war, weiter.
Es herrschte lange (oder herrscht noch?) die Lehrmeinung vor, dass ein quipu ohne mündlichen Kommentar nicht lesbar gewesen sei, so dass der chasqui (Meldeläufer) sich diesen aus Zeichen und Symbolen bestehenden Kommentar ebenfalls merken und bei der Stafettenübergabe am nächsten Tambo mitsamt den Schnüren weiterreichen musste. Aber wie ging nun jenes Kinderspiel der „Telefonkette“?! … Da kam doch immer etwas ganz Falsches raus?
Bereits Garcilaso räumt ein, dass mit dem quipu wahrscheinlich auch abstrakte Konzepte ausgedrückt werden konnten, und dass neben der staatlichen Buchhaltung durchaus auch geschichtliche Ereignisse, Berichte über Schlachten, diplomatische Gespräche, Gesetzestexte und sogar literarische Erzählungen und Gedichte festgehalten wurden. „Was sich nicht in Zahlen ausdrücken liess, lernte der quipucamayoc auswendig“, schreibt Garcilaso; aber auch: „Sie sagten alles in Versen, was sie nicht in Knoten ausdrücken konnten.“ Es schien sich um ein mnemotechnisches System zu handeln, das vielleicht gar nicht so strikt zwischen „schriftlich“ und „mündlich“ unterschied. Eine „Verknüpfung“ im wahrsten Sinn des Wortes, eine Assoziationskette von Knoten zu Hand zu Gedächtnis zu Mund; Garcilaso erklärt es anschaulich anhand der zehn Gebote: „Wenn wir die Nummer des Gebotes hören, wissen wir, was es uns gebietet.“
Der quipu war nicht das einzige Instrument dieser Art. Für die reine Arithmetik gab es die yupana, eine Art Abakus, deren Gebrauch jedoch bis heute nicht rekonstruiert werden konnte. Quillcas sind gemalte Petroglyphen, und tocapus rechteckige, geometrische Ornamente auf Textilien und Keramikgefässen, die je nach Position und Anordnung Ideogramme für Worte oder Konzepte darstellen. Bestimmt ist die Idee, der quipu sei ein rein rechnerisches Hilfsmittel, viel zu kurz gegriffen. Denn dafür hätten ja quillcas und tocapus allein ausgereicht, mit denen die quillcamayoc (meist eine Frau) operierte. Sie war verantwortlich für die Verwaltung und Organisation der Vorratslager und der Tambos – Raststätten und Meldeläufer-Stationen –, die an allen wichtigen Verkehrswegen des Imperiums im Abstand von 20 bis 30km in Betrieb waren. Die quillcamayoc arbeitete mit dem dem jeweiligen Provinz-quipucamayoc eng zusammen, hatte selbst aber keine Ausbildung im Knüpfen und Lesen der quipus.
Die Kapazität des quipu müsste für eine vollständige Schrift bei weitem ausgereicht haben: die Hauptschnur konnte von 30cm bis zu mehreren Metern messen, und es wurden quipus mit über tausend Nebenschnüren gefunden. Nimmt man dazu die verschiedenen Längen und Stärken der Nebenschnüre, Farben, Distanzen zwischen den Knoten und deren Positionen sowie die vielfältigen Knotentypen (am häufigsten waren Überhandknoten, Kapuzinerknoten und Achterknoten), so ergeben sich mehrere Millionen Kombinationen. Braille, als bekannteste moderne taktile Schrift, die der Schreibschrift ohne Einschränkung ebenbürtig ist, nimmt sich dagegen geradezu lächerlich bescheiden aus.
1979 stellte William Burns Glynn die Hypothese der alphanumerischen Schrift auf, bei der eine Zahl einem Konsonanten entspricht und zudem jeweils äquivalent ist zu einem bestimmten tocapu – die tocapus wären demnach integrale Bestandteile einer Schrift.
In Science erschien 2005 ein Artikel von Gary Urton (Spitzname „String Theorist“) und Carrie J. Brezine, Anthropologen aus Harvard, denen erstmals die Entzifferung eines nicht-numerischen Elements gelang: das Toponym des Dorfes Puruchuco, ausgedrückt in drei achtfachen Knoten.
Einwohner abgelegener Gemeinden in den Anden erzählen seit je her, sie kennten die Dorfchronik „schriftlich aus Schnüren“. Es wird wohl endlich Zeit, dass wir ihnen glauben!
Ich stelle mir das so vor: der quipucamayoc, nach seiner langen, hermetischen Ausbildung im yachayhuasi, knüpft vor meinen Augen einen quipu, noch schneller, als meine Grossmutter jemals strickte. Er nutzt mein Staunen aus und armiert ein beinah schamanisch anmutendes Theater, indem er wichtige Miene macht, die Lippen unaufhörlich bewegt, die Finger über die Knoten laufen lässt und zugleich die Ornamente auf der Tasse abscannt, in der mein mate de coca dampft, und dann erzählt er mir ein buntes Panorama der gesamten Geschichte und Wirtschaft der Provinz, in der ich gerade angekommen bin, und präsentiert mir ausserdem noch drohend meine offene Steuerrechnung. Und wenn ich sage, „lass mich auch mal!“, dann reicht er mir vielleicht lässig den quipu, ohne ihn aus der Hand zu geben natürlich, und erklärt mir, dass die gelbe Schnur „Gold“ bedeutet und die rote „Krieg“, dass also in der Mine 102 Lamaladungen Erz geschürft worden seien, und guck hier!, rot, zwei Zehner, sechs Einer: bei dem Scharmützel gegen die Chachapoyas letzte Woche sind 26 Krieger gefallen. Ich denke: oh, hurra, ich kann‘s schon!, ist ja ganz einfach!, und der quipucamayoc denkt: hehee! Wo kämen wir denn da hin, wenn Kreti und Pleti lesen und schreiben könnte!
Miguel Ángel Calvo Rodríguez, Professor für Philosophie und Logik in Peru und Grossbritannien, hat das Pferd beim Schwanz aufgezäumt und (primär für Blinde) ein logisches System entwickelt, mit dem ein vollständiger sprachlicher Ausdruck mittels Knotenschnüren in allen Sprachen möglich ist. Und nicht nur das: beispielsweise lässt sich damit auch die Integral- und Differentialrechnung meistern. (Ich habe das Buch leider nicht – ich übernehme keine Verantwortung, wenn es nicht funktioniert! Aber ich glaube dem Autor sofort.)
Machen wir die Sache rund und schliessen mit einem Gedicht, das der sagenumwobene Jesuitenpater Blas Valera, auf den sich Garcilaso oft (und immer mit einer Verbeugung) bezieht, „in den Schnüren fand“:
Weder der Astrologie, des runa simi noch des Lateinischen kundig, wage ich es nicht, eine dritte Übersetzung ins Deutsche vorzunehmen. Stattdessen übersetze ich ohne Kunstfertigkeit, aber nach bestem Wissen und Gewissen, was Garcilaso zu diesem Gedicht erklärend schrieb. Er, der mich so treu durch diese Arbeit begleitet hat, soll hier das letzte Wort haben, in der Hoffnung, er möge mir verzeihen, dass ich so nachtragend bin. Mein Essay, Inca, verdient es nicht, mit Deinen Juwelen geschmückt zu werden!
Comentarios reales, Band I, zweites Buch, 27. Kapitel: La poesía de los Incas amautas, ques son filósofos, y harauecos, que son poetas (Auszug):
-
In den Unterlagen des P. Blas Valera fand ich weitere Verse, die er Spondeen nennt, alle sind viersilbig im Unterschied zu jenen anderen, die vier- oder dreisilbig sind (gemeint ist das als Motto vorangestellte Gedicht). Er schreibt sie auf Indianisch und auf Latein; sie handeln von der Astrologie; die Poeten komponierten sie, um über die causa secunda zu philosophieren, die Gott in den Lüften zur Erzeugung von Donner, Wetterleuchten und Blitzen ansiedelte, sowie von Hagel, Schnee und Regen; dies alles gaben sie in Versen zu verstehen, wie wir sehen werden. Sie dichteten die folgende Fabel nach: Es heisst, der Schöpfer habe im Himmel ein Mädchen gemacht, eine Prinzessin. Sie hält einen Krug voll Wasser, den sie auf die Erde ausgiessen soll, sobald Dürre droht, und den einer ihrer Brüder vorzeitig zerbricht, so dass es plötzlich donnert, wetterleuchtet und blitzt. Sie sagen, dass Männer dies verursachen, weil es Taten wilder Männer seien und nicht diejenigen zarter Frauen. Sie sagen, dass das Mädchen Hagel, Regen und Schnee mache, weil diese zarter und weicher seien und von grossem Nutzen; sie sagen, dass ein Inka-Poet und ‑Astrologe diese Verse gedichtet und gesprochen und darin die Grösse und Tugend der Dame gelobt habe, und dass Gott die Prinzessin gegeben habe, damit sie an den Lebewesen der Erde Gutes tue.
[...]
Ich erinnere mich, diese Fabel in der Kindheit gehört zu haben, neben vielen anderen, die mir meine Verwandten erzählten; aber als Kind und Jugendlicher habe ich sie nicht nach der Bedeutung gefragt, und sie haben es mir nicht erklärt. Für jene, die weder Indianisch noch Latein verstehen, habe ich es gewagt, die Verse auf Kastilisch zu übersetzen, wobei ich mich mehr an die Sprache halte, die ich mit der Muttermilch einsog, als an die fremde Sprache Latein; denn das Wenige, das ich von ihr weiss, lernte ich im Kriegsfeuer meiner Heimat, zwischen Waffen und Pferden, Pulverdampf und Arkebusen, von denen ich mehr verstand als von der Dichtkunst. P. Blas Valera imitiert auf Latein die vier indianischen Silben in jedem Vers; und er hat sehr gut imitiert; ich habe dies nicht getan, weil man das Metrum im Kastilischen nicht einhalten kann, und weil man die volle Bedeutung der indianischen Wörter übersetzen muss. Ñusta bedeutet Mädchen von königlichem Blut, geringer darf man es nicht interpretieren; zu einem gewöhnlichen Mädchen sagen sie tazque; ein Dienstmädchen nennen sie china. Illpantac ist ein Verb, das drei Bedeutungen hat: donnern, wetterleuchten und blitzen.
[...]
Unu heisst Wasser; para, regnen; chichi, hageln; riti, schneien. Pachacamac ist derjenige, der mit dem Universum dasselbe tut wie die Seele mit dem Körper. Viracocha ist der Name eines modernen Gottes, den sie anbeteten, und dessen Geschichte wir später im Detail behandeln werden. Chura bedeutet setzen / stellen / legen. Cama heisst Seele einhauchen, Leben, Sein und Substanz.
[...]
Dieses (Gedicht) habe ich hier eingefügt, um meine armselige Geschichte etwas anzureichern, denn mit Sicherheit kann man sagen, dass alles, was P. Blas Valera schrieb, Perlen und Edelsteine sind: meine Heimat verdiente es nicht, mit ihnen geschmückt zu werden.
© Ursula Timea Rossel
QUELLEN
Referenzen:
- Anonym: Ollantay. Drama quechua en castellano, versión de José Sebastián Barranca. En prosa y verso en 3 actos. Lima, 1996.
- Avendaño, Ángel: Medicina Popular Quechua. La rebellión de los mallkis. Antawara Editores, Lima, 2000 (zweite Auflage).
- Calvo Rodríguez, Miguel Ángel: Manual of writing in Quipus – A system of writing for the blind. Online als käufliches pdf ), 2008.
- Dunkel, Winfried: Quechua für Peru-Reisende, Kauderwelsch Band 36. Reise Know-How Verlag Peter Rump, Bielefeld, 1997 (dritte Auflage).
- Escalante Sánchez, Víctor: traditionelle coplas des carnaval cajamarquino. Mündliche Mitteilung, 2009.
- Espinoza Soriano, Waldemar: Los Incas. Economía, sociedad y estado en la era del Tahuantinsuyo. Amaru Editores, Lima, 1997 (dritte Auflage).
- Kauffmann-Doig, Federico: Introducción al Perú antiguo. Una nueva perspectiva. Kompaktos Editores, Lima, 1990/91.
- Lienhard, Martín: La voz y su huella: Escritura y conflicto étnico-social en América Latina (1492 – 1988). Ediciones Casa de las Américas, La Habana, 1990.
- Pérez Carrasco, Mauro: Kechwa o Runa-Simi, idioma imperial del Tawantin-Suyo. Aprendamos para peruanizar más al Perú. Librería-Distribuidora Bendezu, Lima.
- Rössner, Michael (Herausgeber): Lateinamerikanische Literaturgeschichte. Verlag J.B. Metzler, Stuttgart und Weimar, 1995.
- Sarkisyanz, Manuel (Herausgeber): Vom Beben in den Anden – Propheten des indianischen Aufbruchs in Peru. Eine historische Darstellung und Anthologie. Dianus-Trikont Buchverlag, München, 1985.
- Störig, Hans-Joachim: Abenteuer Sprache. Ein Streifzug durch die Sprachen der Erde. Deutscher Taschenbuch Verlag, 2003 (zweite Auflage).
- Urton, Gary & Brezine, Carrie J.: Khipu Accounting in Ancient Peru. Science, Vol. 309, no. 5737, pp. 1065 – 1067, American Association for the Advancement of Science, Washington DC, 2005.
- de la Vega, Garcilaso (Inca): Comentarios reales, Band I. Editorial Mercurio, Lima*.
* Diese Ausgabe ist nicht zu empfehlen, denn sie “modernisiert und vereinfacht den Text so, dass er den meisten spanischsprachigen Lesern zugänglich wird”, ohne aber darzulegen, auf welche Weise und wie stark in das Original eingegriffen wurde.
Diverse Illustrationen bei Youtube:
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Zwei Schüler rufen Vater Sonne und die Berggeister an (schlechte Ton- und
Bildqualität, aber charmant vorgetragen)
-
leider anonymer moderner Dichter: „Aylluq rurun“
(gelesen von ihm selbst)
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Oswaldo Castillo: „Wakchaschay“ (Huayno)
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Luzmila Carpio: „Wiñayllaqta“
(Carpio wurde 2006 von Evo Morales als Botschafterin in Paris
eingesetzt.)
-
Condemayta de Acomayo: Challwuaschallay
(yarawí, wie es eben nicht im Buche steht; böser cariñito!)
-
Drama „Ollantay“ in der Festung Ollantaytambo
(Teil I von V – nicht dass man etwas verstünde, aber es vermittelt einen
Eindruck von den „Freilichtspielen“; Atmosphäre wie beim Wilhelm Tell in
Interlaken)
-
„Ollantay“, Trailer eines Schülerfilms
(liefert eine prima Zusammenfassung, jedenfalls wenn man den Inhalt schon kennt)
-
Kleines Panoptikum des Carnaval Cajamarquino, mit (harmlosen) copla-Hörproben, speziell ab
Min. 3:40. (wer nach einem Monat carnaval je wieder aus dem Kater erwacht, ist im Wesentlichen
untötbar)
-
Angel Avendaño: Interview TV Peru
(zu seinem historischen Roman über Tupac Amaru mit einer interessanten
Erläuterung des nicht-linearen Zeitverständnisses gegen Ende des Gesprächs)
@La Tortuga
Das Wochenende naht und damit die Muße, den letzten Teil zu lesen. LG
( Was macht die Neugierde ( zum anderen Thema), ist es zum Aushalten? Oder muss ich den Notfallkoffer bereithalten?)
Aufsatz
– Die Schnursprache hat mit neugierig gemacht, jetzt werde ich Ihren gesamten Aufsatz wohl doch lesen muessen (dessen Umfang mich zunaechst abgeschreckt hat, obwohl er mich von Anfang an schon interessierte) – Vielen Dank schon einmal im Voraus fuer die Muehe aber wahrscheinlich auch Freude, die sie beim Schreiben hatten (letzteres wird sich ja vielleicht auch auf den Leser uebertragen..)
@ lou-salome, es ist nicht zum Aushalten! Sie ahnen nicht, womit ich mich so alles ablenke, um nicht dauernd um diese ungeheuerliche Frage zu rotieren. :-)
@ Phorkyas, umgekehrt herzlichen Dank für das Interesse. Das steigert natürlich die Freude. Wie soll ich sagen, ich freute mich am Zusammentragen des Materials, am Thema an sich, am Arrangieren, Spekulieren usw. – weniger am Schreiben selbst, eben weil mir Sachtexte nicht besonders liegen. Aber als (mit »genügend« bestandene) Zwischenprüfung im Fach Disziplin wiederum ein Freudenklötzchen. Ja doch, Freude überwiegt.
@La Tortuga
Das bringt wieder einen Einmaligkeitstreffer bei Google für diesen Blog:
Freudenklötzchen
Wunderbar.
@ Gregor, hahaa, ja, ich staune auch oft, dass nach Wörtern gegoogelt wird, von denen ich glaubte, ich hätte sie erfunden. So ein Mist eigentlich. :-)
Das Wort
hast Du aber erfunden!
Aber eben nur so lange, bis es einer googelt...
Aufsatz
Acabo de leer su ensayo y resultó como lo esperaba: un flujo relajante me llevo por el mundo (casi) desconocido de los incas – dejando atras el lenguaje polvoriente, la obligación científica de exactidud fingida me regaló unas anecdotas y detalles para contarlas a quien me no impida...
Ach, mein Spanisch ist schon allzu eingerostet – Aber ich wollte mir doch die Mühe machen (so weckte der Text auch die Sehnsucht, mein brachliegendes Spanisch wieder zu beackern,.. dabei habe ich es momentan ja mit Russisch nicht übers Alphabet gebracht und heillos überfordert – das ähnlich schön klingt, finde ich, aber wohl leider etwas schwieriger ist). Äh ja, ich wünsche Ihnen viel Spaß außerhalb dieser meistens-Zeitraub-und-unbefriedigt-zurücklassungs-maschine. – Wenn man den Andeutungen folgt wird man einige Ihrer Texte bald auf Papier erwerben können?
@La Tortuga
Nun habe ich lange gebraucht, um endlich ein paar Worte zu Papier zu bringen, bzw. einen quipu zu knüpfen, um an seiner mindestens drei Meter langen Hauptschnur viele viele Nebenschnüre zu knoten, jede Schnur in gelber Farbe. Denn Ihr Essay verdient eine Menge Gold!
Ich habe viel Wissenswertes erfahren.
Was dieses Essay so lebendig macht, ist einerseits die unkomplizierte Art der Informationsübermittlung und andererseits die farbige Ausstattung des Inhalts. Es ist nie langweilig geworden oder geschweige denn trocken. Meine anfangs geäusserten Bedenken zur Sprache haben sich überhaupt nicht bestätigt!
Und dafür, dass es so gut wie keine historischen/geschichtlichen Quellen mehr gibt, sind diese Seiten wirklich eine Fundgrube.
Was ich glaube, nun endlich verstanden zu haben, ist die Handhabung der quipus. Der Vergleich mit der Brailleschrift hat mir sehr geholfen, auch die Assoziationskette. (Heutzutage findet man ja Aussagen längeren Inhalts als Bildersprache wieder: nicht telephonieren = stört, kein Eis mit in den Laden nehmen= kleckert, den Rasen nicht betreten= Hälmchen brechen, usw. usw., ).
Auch gefiel mir der sehr moderne Ansatz der Inkas, ersteinmal mit seinem zukünftigen Partner für ein Jahr „Ehe zu spielen“, auf das elterliche Palaver hinterher kann man/frau allerdings gut verzichten.
Wie schade, dass es keine weiteren Überlieferungen zum früheren Leben der Inkas gibt; vielleicht schaffen es die heutigen Intellektuellen die Dichtkunst aus dem Jahrhundertschlaf wachzuküssen.
Garcilaso hätte sicher seine Freude an Ihrem Inka-Werk gehabt :).
LG lou salome
@La Tortuga
Es ist doch so mit den Geheimnissen: traue allerhöchstens nur einem einzigen Freund dein Geheimnis an, jeder weitere Mitwisser erhöht die Gefahr des Verrats :)!
Und das Geheimnis hier Online preiszugeben geht ja überhaupt nicht, denn wieviele lesen mit? Eine‑r, zwei oder drei? Oder nicht doch eine ganze Hundertschaft? Ne, ne, das muss ausgehalten werden bis es zu einem Umtrunk kommt. Dann werde ich aus der Schule plaudern. LG l‑s
@Phorkyas, dieses Spanisch scheint mir aber gar nicht rostig zu sein, immer vorwärts mit dem Russischen! ... Das ich mir einfacher vorstelle, weil ich immer staune, wieviel man da versteht ohne ein Wort Russisch zu können. Aber vielleicht täuscht das gewaltig. Eigentlich habe ich mir das auch mal vorgenommen, sobald ich in der Lage bin, in meiner derzeitigen Lernsprache mindestens eine Zeitung zu lesen, bloss wann wird das sein.
Ja, es kommt Papier – »bald« eher in andinem Zeitempfinden als in unserem. Ich date up, in meinem Stillstandsblog oder vielleicht bald auf einer Homepage.
@ lou-salome, danke, danke, danke, werde ich die roten Ohren noch los? Ein klein bisschen harsche Kritik würde auch nicht schaden. :-) Ich hoffe doch, dass Garcilaso im Grossen und Ganzen einverstanden wäre – falls er die harsche Kritik meinerseits schlucken könnte. Ich glaub schon.
Zur Ehe auf Probe muss ich noch sagen: ich weiss nicht, ob dieser Brauch wirklich auf die Inkas zurückgeht – das wird heute in einigen Regionen, ich glaube vor allem in den südlichen Anden, so praktiziert. Sowas ähnliches gab es ja auch bei den Kelten, da galt das Eheversprechen jeweils für ein Jahr und einen Tag, dann wurde es gegebenenenfalls erneuert oder aufgelöst (woher die Redewendung »auf Jahr und Tag« stammt). Ich finde das tatsächlich wunderbar.
Und das Geheimnis: besteht denn gar keine Chance, dass ich dieser einzige Freund sein könnte?! Pleeeeaase! Obwohl ich nicht garantieren kann, dass so ein Geheimnis bei mir sicher wäre, viel zu aufregend wahrscheinlich, um es nicht zu teilen. Heheee. Wir kommen um den Umtrunk mittelfristig wohl nicht herum. Cheers! :-)
@ tortuga
Harsche Kritik war ja gar nicht möglich. Ging überhaupt nicht!
Und oha, oha, was habe ich nur mit diesem Pseudonym ausgelöst. Neugierde und einen weißen Fleck auf der Landkarte ;).
Ich mach’ mal n’en Vorschlag: ich stosse hier und jetzt auf Brüder- nein halt – Schwesternhaft an, Küsschen rechts, Küsschen links, hoch das Glas, ex und hopp, und ab jetzt bitte per du weiter.
( Ich bin ein wenig „altmodisch“ mit der Anrede, trotz moderner Kommunikationsebenen). Und da ich nicht mehr bis nach Kangerlussuaq rodeln muss, sieht es doch ganz realistisch aus, im europäischen Sprachraum mal so richtig umzutrinken. Cheers zurück
na dann,
Prost, die Damen! (-;
@Tortuga: schriftlich kann ich’s noch kaschieren. Mündlich war’s dann so katastrophal, dass die Spanier auf Englisch umgeschwenkt sind. – Beim Russischen weiß ich es nicht. Puschkin u.a. haben glaube ich viele französische Lehnwörter eingeführt, die kommen mir dann manchmal auch bekannt vor, aber vielleicht kennen Sie ja auch schon eine slawische Sprache..
Ich lese gerne von Ihnen beiden.
@ lou-salome (hahaaa, jedesmal wenn ich den Namen tippe, fange ich an zu zittern), ja das habe ich auch so mit dem Retro, im meatspace wie im Netz, ich mag den Adel und die Erotik der Höflichkeitsform und so ganz nebenbei drückt man damit die Verachtung für die zunehmende Verrohung der Sitten aus. Umso schöner ist dann ein Du-Antrag – ich nehme freudig an, und hoch die Tassen!
Oh, ich wette, Rainer Maria sendet Dir subtile Billets (oder schiebt sie gar unter dem Türspalt durch) anstatt profane Mails die mit mfg enden. Meine Motive hierfür http://jequetepeque.twoday.net/stories/6023228/ gehen durchaus auch in diese Richtung. :-)
@ Phorkyas (... auch Ihr Pseudonym macht mich übrigens überaus neugierig!), ah ja, das tut wirklich weh, selbiges ist mir beispielsweise schon in Frankreich passiert. Ich war allerdings selber schuld, dass ich nicht so ganz verstanden wurde, denn ich wollte Teebeutel im Tante-Emma-Laden kaufen und fragte nach »sacs de té« statt »sachets«, das ist schon barbarisch. :-)))
Nein, nicht eine einzige slawische Sprache leider. Hoffentlich dauert das Leben noch ein kleines Weilchen.
Freizeit, Lebenszeit
Hat der Ladeninhaber sie Ihre Barbarei denn auch spüren lassen? (Ich hab ein bisschen Angst, wenn es demnächst nach Frankreich geht; beherrsche leider kein Wort Französisch..)
Man sollte den Leuten genügend Freizeit oder Lebenszeit geben, um mindestens fünf Sprachen zu lernen (aber manche wollen vielleicht gar nicht oder sind nicht so begabt, wie ich auch, die können sich dann ja andere schöne Hobbies zulegen)
- Im Faust II gab’s so ne lustige Stelle, wo der Teufel irgendso einem Monster (den Phorkyaden) nen Kopf abschwatzt und sich dann tierisch aufregt, weil er mit diesem Schlangenkopf nun zum Zwitter geworden ist (und ab da Phorkyas heißt)
Ja, hat der Ladeninhaber, durch ein überaus rüdes Umschwenken auf Englisch – das wiederum ich nicht verstand, denn es war, mit Verlaub, um einiges schlechter als meins. Heimliche Genugtuung, hehee.
Ich glaube kaum, dass eine Mehrheit diese Extrazeit zum Sprachenlernen verwenden würde. Und wenn schon: warum nicht gleich bezahlte Arbeitszeit, z.B. in Form einer Steuererleichterung? Immerhin trägt Vielsprachigkeit viel zu einem besseren Zusammenleben bei.
Das ist ja lustig mit dem Mönsterchen – wäre mal ein Anlass, endlich endlich den Faust II reinzuziehen. Ich bin bis jetzt noch traumatisiert, weil unsere Deutschlehrerin am Gymnasium behauptete, der sei viel zu happig für junge Dummerchen wie uns. Eigentlich ... ich bin jetzt sicher nicht mehr zu jung (ob zu dumm, das wird sich weisen).
Zum Faust II braucht man ein paar kluge Anmerkungen. Dann geht’s. (Und man nimmt sich vor: Das liest man in zehn Jahren noch mal. Wenn man klüger ist. Und man dann wenigstens die Anmerkungen versteht.)
Das Problem ist nur, ich hasse Anmerkungen, lieber verpasse ich etwas. Vielleicht werde ich nur altersfaul.
... Wie lang sind bei Dir zehn Jahre her? (Oder ist das zu indiskret?)
Es kommt ein bisschen darauf an, wer die Anmerkungen gibt und wie. Die zu Faust II habe ich genossen; das ist ziemlich genau zehn Jahre her (vielleicht auch elf). Anders versteht man heute dieses Werk höchstens zu 60% (okay, Du zu 80%).
Mennooooo, ich mag es nicht, so überschätzt zu werden! Sagen wir mal, 80% werde ich nicht verstehen.
Anmerkungen haben eben 2 Haken: 1. Das ist so, als würde jemand für mich das Osternest suchen (weil ich dafür noch zu klein bin), das macht keinen Spass und entmündigt. 2. Es hat manchmal faule Eier drin, das masse ich mir an zu behaupten, und ziehe dann meine eigene Interpretation vor; so ich denn eine habe.
Entmündigt?
Nein, im Gegenteil: Jemand steht mir zu Diensten! Jemand, der mehr weiss als ich (mal hier, mal dort). Jemand, der mehr recherchiert hat. Und wenn die Eier faul sind – riechen kann ich ja noch!
50%iger Genuss tut’s auch..
Beim dritten Anlauf hab’ ich den ganzen Sagenkrams einfach ignoriert und mich köstlich amüsiert. Besonders den Homunculus, der in seinem Reagenzglas immer rumzischt, konnte ich mir bildlich vorstellen – der Herr Goethe muss erlesene geistige Stimulantien genossen haben..
Beim Steppenwolf hat mir der beigelegte psychoanalytisch-traumdeuterische Kommentar das Lesevergnügen völlig zerlegt.
@Phorkyas
Ja, so geht’s natürlich auch.
Muss man nicht unterscheiden zwischen dem was der Autor offen lässt, und der Leser füllen muss, und dem was auf Grund des gänzlich anderen Zeithorizonts eines Kommentars bedarf (und das man vielleicht auch anders deuten könnte)?
@metepsilonema
Gerade in Faust II zeigt sich: Wir wissen so vieles nicht mehr (bzw.: ich). Wir können die Bezüge kaum noch oder gar nicht mehr entdecken. Ich meine das gar nicht resignativ oder negativ – unser Bildungs- bzw. Wissenskanon hat sich schlichtweg verändert. Daher sind die Kommentare von Trunz (meine Faust-Ausgabe) nicht bevormundened in dem Sinne, dass ich eine bestimmte Deutung oktroyiert bekomme, sondern erläuternd. Dort, wo sie Deutungen abgeben, kommen meist mehrere Stimmen zu Wort.
Kommentare
In dem Falle mag es wirklich hilfreich sein. Allerdings kann der Kommentar, wenn er zu interessant und zu reichhaltig ist, den Lesefluss doch allzusehr unterbrechen. (Das war beim Hesse der Fall – und zudem habe ich mich dann über die blöde Psychoanalyse geärgert und über mich selbst, der ich nicht davon ab konnte, immer wieder in den blöden Kommentar zu schauen. – Daher meide ich nun Kommentare und auch Vor- bzw. Nachworte, um einen weitesgehend ungestörten Leseeindruck zu haben, was natürlich auch eine Illusion ist – denn man liest ja meist ein Buch auf Empfehlung etc. und hat so schon gewisse Erwartungen...)
Für meinen Fachbereich (beim Lesen bin ich nur Privatdilettant) gilts auch: Mein Betreuer beschwert sich, dass in den Diskussionen gewisses Grundwissen schon nicht mehr vorhanden sei. Dafür ist jetzt andres schon fest im Kanon (jeder Student lernt jetzt z.B. Quantenmechanik in einer klaren Formulierung und Notation, die sich vielleicht erst in den letzten 20–30 Jahren durchgesetzt hat). Das Wissen und die Kenntnisse nehmen ja doch drastisch zu; wir werden geradezu überschüttet mit einem Mahlstrom an neuen Publikationen, die zu lesen schon nicht mehr möglich ist, die Fachbereiche fasern auf... (Äh, doch schon Off-topic, sorry – aber mich würd’ interessieren, wie das woanders ist..)