Daniel Kehlmanns Rede bei der Eröffnung der Salzburger Festspiele. Das Publikum vermag den Eklat gerade noch wegzulachen. Kehlmann spricht von seinem Vater Michael Kehlmann, einem Theaterregisseur, der sich dem in den 70er Jahren aufkommenden Trend des »Regietheaters« widersetze und sich ausdrücklich als Diener der Autoren verstand, etwas was damals als per se reaktionäres Unterfangen galt. Er ging unter in einem Klima der Repression, in der Abweichung geächtet ist.
Das Regietheater heute sei zum Privatvergnügen folgsamer Pilger degeneriert und habe sich weitgehend von Stück und Autor entfernt. Die Folge sei: Die Autoren hielten sich zurück.
Stattdessen immer das Gleiche, so Kehlmann, ausländische Freunde zitierend: Videowände und Spaghettiessen, verschmierte Schauspieler, die dauernd herumschreien. Ob dies, so süffisant eingestreut, staatlich vorgeschrieben sei, fragten die Freunde. Kehlmann diagnostiziert ein fatales Bündnis zwischen Kitsch und Avantgarde, wobei er hier leider ein bisschen ungenau wird in seiner ansonsten feinen Rede, denn Avantgarde ist das nicht mehr, sondern nur noch Simulation von dem, was diese bemitleidenswerten Pseudo-Regisseure für Avantgarde halten.
Ich halte Kehlmann für einen überschätzten Schriftsteller. Aber er hat hier einen ziemlichen Mut gewiesen, in der Höhle des Löwen den Löwen auf die Nachteile des Fleischkonsums hinzuweisen. Dafür ziehe ich meinen Hut.
Hier Ausschnitte aus der Kehlmann-Rede im Videostream. Hier eine kurze Zusammenfassung. Und jetzt hier die ganze Rede.
Dank an Metepsilonema für den Hinweis.
Kehlmann hat seine ‘Vermessung der Welt’ zu 50% von T.C. Boyle abgeschrieben: ‘Wassermusik’ Schmälert das seinen Ruf? Eher nicht!
50% ist aber viel...
(Ich habe mir nach »Ich und Kamiski« eine bis heute andauernde Kehlmann-Pause gegönnt. Ich fand das Buch schrecklich. Seine Äusserungen zu »Ruhm« fand ich sehr marketingaffin. Schmälert das seine Kompetenz zum Regietheater etwas zu sagen? Für mich nicht.)
Nein , tut es keinesfalls!
Abgeschrieben!?
Stimmt, eigentlich hat sich Kehlmann nicht nur von Stephensons Baroque Cycle inspirieren lassen; Boyle und Water Music sind da auch ganz heftig Pate gestanden; ich finde, das macht nichts, in der deutschsprachigen Literatur gehen solche Dinge eh ziemlich ab.
Ich meine, ich habe ja nicht so viel gelesen, aber möglicherweise geht dieser ‘respektlose’ Umgang in der dt. Literatur schon seit Jean Paul massiv ab?
Und natürlich darf Kehlmann sich zum Theater äußern wie jeder, der sich dafür interessiert.
[EDIT: 2009-08.18 11:16]
In einer Provinzstadt wie Seattle
waeren mir die mir bekannten wenigen beruehmten Amerikanischen »Regietheatermacher« Robert Wilson und Petar Sellars [dessen Othello in Wien scheinbar Wellen schlaegt] schon sehr willkommen. Der wackere Bert Shar der jetzt zurueck nach New York kehrt nachdem er ordentliche Sachen am Intiman Theater
http://web.archive.org/web/20160323015037/http://www.intiman.org/
gemacht hat [das Othello das hier jetzt spielt ist importiert und eher schwach ausser einem ganz grossartigen Iago, John Campion, der einziege der Schauspieler der die Britische Schulung zum Shakespeardarsteller und Sprecher intus hat.] Ich hab noch nicht die ganze Kehlmann Rede gehoert – ob der Streit zwischen Regie und Autoren Theater ausschliesslich auf »links« »rechts« politisch aufgeteilt werden kann, bezweifele ich aber jetzt schon, denn die Senkung an Interesse und Wichtigkeit des Theaters, sowie als moralische Anstalt und als Gaudi liegt doch an dem ueberhandnehmen anderer Medien? nicht war? Mal wieder Dikatur und mehr Unfreiheit! Dann wird schon wieder aufgepasst auf Nuancen der Interpretation.
Wilson und Sellars meint Kehlmann sicherlich nicht. Andrea Breth und auch Stein, Dorn oder sogar Peymann eher auch nicht. In Deutschland gibt es Regisseure wie bspw. Castorf (Berlin), Gotscheff oder auch Ciulli, die sich selber auch schon mal als »Werkszertrümmerer« bezeichnen. Gotscheffs Inszenierungskünste habe ich mehrfach in Düsseldorf erlebt – kopulierende Menschen auf der Bühne und Texte, die mit dem Stück nichts mehr zu tun hatten.
Es gibt das alles auch in milderer Form; neulich habe ich eine Dürrenmatt-Inszenierung der »alten Dame « gesehen, in der ein Düsseldorfer Karnevalslied angestimmt wurde.
Es sind tatsächlich Reste einer früher einmal »linken« Sicht auf die verkrusteten Strukturen, die man im Theater natürlich auch zertrümmern wollte. Dabei gehen dann inzwischen die Leute, wie Kehlmann richtig sagt, lieber einen Roman kaufen oder schauen eine amerikanische Fernsehserie.
Viele der deutschen Theaterregisseure sind Egomanen, die sich nicht therapieren alssen, sondern das Publikum mit ihrer Krankheit belästigen.
Das Schlimme ist: Diese gequirlte Scheisse wird vom Steuerzahler auch noch subventioniert. Nur deshalb können sie weiterquirlen.
Leonce und Lena
Ich würde Wilson da auch nicht einbeziehen wollen. Seine Inszenierungen sind ziemlich »artifiziell«, Aufführungen die ich gesehen habe, blieben aber exakt am Text des Stückes.
Unfreiheit?
Man sieht, wie es auf den Kontext ankommt: in Seattle freut man sich über Wilson und Sellars, hier natürlich auch; aber unterm Jahr ist man in Salzburg eigentlich auch ganz glücklich, wenn das Landestheater ‘brav’ für ein superkonservatives Abonenntenpublikum Stücke ‘werkgetreu’ abspielt; zumindest geht es mir so. Ich habe die ordentlichen Operninszenierungen, die aus Kostengründen ohne Stars gemacht wurden, auch immer toll gefunden; das hat sich mittlerweile aus verschärften Kostengründen leider erledigt.
Ich möchte aber keine neue Diktatur, damit man wieder auf die Nuancen einer werktreuen Inszenierung hören lernt.
[EDIT: 2009-08-18 11:38]
Also »zertruemmern« und Dekonstruktion sind verschiedene Sachen...
Dekonstruktion, wie so vieles, stammt aus psychoanalytischen Verfahren her, die im Allgemeinen andere als die gewohnten Akzente setzen. Wie steht/ stand es mit Schlingensief? Ich les manchmal Deutsche Theater Rezensionen, aber was da ueber vieles von dem wenigen was ich kenne verzapft wird, laesst mich auf die Rezensionen nicht viel Verlass haben.
Schlingensief hat sich wohl ein bisschen gebändigt. Von Dekonstruktion kann bei Leuten wie Castorf keine Rede sein, der Stücke »zerstörte«: die Texte hatten mit dem Stück nichts mehr zu tun (es waren eher seine eigenen); die Protagonisten schrieen und/oder beschmierten sich oder kopulierten permanent auf der Bühne. Charakterbildungen gab es da keine mehr. Das galt bis vor kurzem als »avantgardistisch«. Es ist schon wie Kehlmann sagt: Wer das nicht empfinden wollte galt als Spießer oder schlimmeres.
Castorf / Müller
Vielleicht setze ich mich hiermit in die Nesseln: vor vielen Jahren gabs von Castorf ‘Pension Schöller’ verschnitten mit Müllers ‘Schlacht’. Ich habs leider nur auf Video gesehen, fand es aber zum Brüllen im besten Sinn; natürlich wieder insiderisch – ich würgte damals furchtbar an meiner Heiner Müller-Diss, und fand die beidseitige Verarschung einfach großartig. Im Übrigen hat Heiner Müller selbst auf ‘Werktreue’ keinerlei Wert gelegt, wie sollte das bei diesen Text- / Zitat-Verdichtungen auch gehen; naja: seine eigene Hamlet / Hamletmaschine-Inszenierung am DT war eigentlich sehr ‘brav’; da wurde auch von der Hamletmaschine der Text fast mehr rezitiert als gespielt; Problem waren nur Länge und Dunkelheit (gähn...) und die damals schon sehr ‘westlichen’ Preise am Pausenbuffet ;–).
[EDIT: 2009-08-18 11:04]
Was mir zu dem Thema noch einfaellt ist dieses:
Wenn ich auf eine Ueberschrift wie »Fades Cosi« in der Kleinen Zeitungs stosse,
ueber die Auffuehrung in Salzburg: die ungeheure Verwoehntheit der Rezensenten die das Publikum zu Pralinen Wuenschen anleiten: wo ist das »gut genug« geblieben? Jeder will immer Maybach fahren! Auf welche Art und Weise verhunzt die immer andauerende uns in die Traueme verfolgende Adversing uns in unserer alles verschlingenden Konsum Kultur??
Genau!
Wie entlastend, dieses statement! Darf’s auch einfach mal ordentlich inszeniert sein, musikalisch ansprechend, ohne grundstürzend neue Sichtweisen? Nur Rezensenten jetten eigentlich von Premiere zu Premiere, viele andere wollen einfach mal eine Oper auf der Bühne sehen und hören. Wie normal und ‘langweilig’ ...
[EDIT: 2009-08-18 10:15]
Hier ein interessantes Interview zum Thema Theater
Ulrich Khuon, der künftig das Deutsche Theater Berlin führt,
http://www.taz.de/1/archiv/print-archiv/printressorts/digi-artikel/?ressort=ku&dig=2009/07/25/a0029&cHash=b2b313c827
Man muss deutlich sagen, dass manche Theater am Rande ihrer Existenz stehen. Die Städte leben davon, dass es in ihrem Gemeinwesen einen interessensfreien Diskurs gibt. Wirtschaft und Politik vertreten ihre Interessen, Kunst und Kultur benötigen den Raum, um sich auf diese Interessen zu beziehen, der aber auch geschützt sein muss.
Interessensfreier Diskurs? Das gibt es gar nicht (weiss Khuon ganz genau). Er will nur Subventionen und stellt indirekt die unzutreffende Gleichung auf: Minderheitsprogramm = gutes Programm. Davon leben diese subventionierten Stadttheaterräuber seit vierzig Jahren.
Khuons Aussagen beinhalten nur politische und/oder ökonomische Statements. Wie ein ästhetisch anspruchsvolles Theater aussehen soll, was nicht zur Triebbefriedigung weniger Teilnehmer beiträgt, sagt er (aus gutem Grund) auch nicht. Er will lieber, dass alles so weitergeht. Währenddessen leeren sich die Theaterräume immer mehr.
Wenn man dieses Interview gelesen hat, weiss man eigentlich, wie uninteressant und uninspiriert Theater im Moment ist; insbesondere, wenn es ideologisch überfrachtet wird.
[EDIT: 2009-08-03 17:22]
noch was ueber regie theater...
http://www.taz.de/1/archiv/print-archiv/printressorts/digi-artikel/?ressort=me&dig=2009/08/01/a0203&cHash=7d6c0e939e
mal sehen wohin das alles ausleuft, wer da herausgeorfen wird... und was sich da aendern wird... zu noch was schlimmeren? schoenes grass interiew in der samstag 1 august/ 09 ausgabe der frankfurter
rundschau... dessen was er an meinungen er von sich gibt mir viel mehr gefallen als seine schwerfaelligen romane jetzt.
Schöner Artikel. Lottmann stimme ich voll zu. Frau Müller hat schon resigniert und sucht nur noch die Perlen im Misthaufen. Sie unterstellt Kehlmann Ignoranz. Das ist sie aber selber, weil sie nicht zur Kenntnis nimmt, dass ästhetische Suche, die sie ausmacht, längst nur noch ein Kreisverkehr in die Sackgasse ist.
Die Leute bleiben nicht weg, weil es sie skandalisiert, sondern weil es sie langweilt. Das ist – Anspruch hin oder her – immer noch eine Todsünde und unmittelbarer Ausdruck gescheiterter ästhetischer Mittel.
Schöne Sätze
spricht Herr Kelhmann da zum Teil. Der Tendenz der vorangegangenen Kommentare kann ich mich nur anschließen. Das letzte Mal, dass ich in einem der gestandenen Berliner Theater war, saß ich nur noch kopfschüttelnd im Saal: Von Ibsens Baumeister Sollness war nichts übrig geblieben; stattdessen ging es der Regie traurigerweise nur noch darum, Beziehungskisten zu inszenieren, die im Stück noch nicht einmal ansatzweise angedeutet sind. Hauptsache, einmal am Abend huscht jemand nackt über die Bretter und treibt’s mit jemand anderem.
Ich drifte ab; ich wollte eigentlich allein Kehlmanns Schlusssatz (zumindest der Schlusssatz dieses Zusammenschnitts) zitieren, weil ich ihn – wie Du Gregor, schon über die gesamte Rede schreibst – mutig finde, aufrichtig: Früher oder später kommt vielleicht für jeden Künstler der Augenblick, da sein Weg und der Zeitgeschmack sich trennen. Häufig ist Beharren ein Zeichen der Verstockheit; manchmal aber auch das einzig Richtige. Es wäre erleichternd, ja: erleichternd, zu sehen, es gäbe die Ein oder Andere, den Ein oder Anderen, der ihm mit einer solchen Stellungnahme öffentlich folgte.
Vielleicht...
ist die Zeit ja einfach noch nicht »reif« hierzu folgen: Noch gilt es als avantgarde-feindlich, die sakral daherkommenden Inszenierungskünstler so frontal anzugreifen. Noch hilft ihnen diese selbstgeklöppelte Ritterrüstung des Progressiven, um die Attacken der »Regression« ohne Verwundung zu parieren. Zu sehr ist der Apparat inzwischen geölt; man denke auch an die sehr guten Gehälter dieser Stückezertrümmerer, die noch nach Belieben ihre verkochten Kartoffeln als Delikatesse anpreisen. Es lebt sich doch so gut von den Subventionen derjenigen, die als Feigenblatt für ihr Banausentum andere Banausen nonchalant finanzieren. (Nein, das ist kein Plädoyer für die Massenkompatibilität des Theaters oder gar von Kunst, sondern exakt das Gegenteil.)
Regietheater und böse Absicht
Ich finde Kritik am Regietheater zulässig und oft seeehr angemessen; mir ist zuletzt ‘das Geimpfte aufgegangen’, als man mir letztes Jahr auf der (Salzburger Festspiel-) Perner-Insel einen ‘Tartuffe’ mit Heiner Müller-Zitaten aufgemotzt zur Weltuntergangs-/Schlachthausphantasie ‘veredelt’ reindrücken wollte. Da fühle ich mich als ‘mündiger’ Leser und Theatergeher verarscht; Moliere und Heiner Müller werden da schon gar missbraucht. Da hält mich nur noch der Respekt vor der Leistung der Schauspieler im Sessel.
Hat aber nichts mit Videowänden und angeblich ewigem Spaghetti-Essen zu tun; wie oft geht Kehlmann eigentlich ins Theater; oder ich zu selten?
Videowände: wer war das vor einigen Jahren in Salzburg? Eh Schlingensief (oder Papa Castorf?) mit der ‘Endstation Sehnsucht’-Verwurschtung? Dagegen hatte ich gar nichts, aber erst, als Titel und Autorzeile geändert waren. Sunnyi Melles hat in ihrer Reaktion auf Kehlmann (Salzburger Nachrichten) in aller Gelassenheit das kleine Wörtchen ’nach’ (Autor sowieso) ins Spiel gebracht, und alternativ noch auf Heiner Müllers ‘Hamletmaschine’ verwiesen. Der konnte sich damit sogar das Wort Bearbeitung sparen. Es kann ganz leicht gehen; und damit fallen die ewigen Diskussionen um die ‘Prospektwahrheit’ weg; ein bisschen halt auch der Provokationscharakter; der hat sich sowieso längst erschöpft; gibt doch wg ‘Kunst’ keine Saalschlachten mehr – oder hab ich etwas versäumt?
Das Wörtchen...
»nach« gibt es ja schon (wenigstens teilweise), was den Mißbrauch (eh’ ein Modewort geworden, warum also nicht auch hier anwenden: »Autorenmißbrauch« etwa) nur ein bisschen mildert. Es ist eben sehr verführerisch unter Vorspiegelung falscher Tatsachen Leute ins Theater zu locken, die bei klarer Diktion eh zu Hause bleiben würden (und irgendwann dann bleiben).
Und wie Sie und Michael schon schreiben: Der Theaterbetrieb (noch mehr wie der Literaturbetrieb) ist fast nur noch selbstreferentiell für sich selber da. So geht das »Basiswissen« über ein Stück (die »werktreue Inszenierung«) einfach verloren, weil die Regisseure Hegemone des Geistes sind und die Sinne der Zuschauer verstopfen mit ihren Idiosynkrasien.
Ich verstehe...
... den Einwand nicht: Noch gilt es als avantgarde-feindlich, die sakral daherkommenden Inszenierungskünstler so frontal anzugreifen. Der Vergleich ist vermutlich untauglich, aber was zum Gegenstand einer Kritik wird, entscheidet doch bitte nicht die Zeit, die noch nicht reif ist. Ich stelle mich auf Fachkonferenzen auch an’s Vortragspult und werfe meinem Publikum ähnliche Sätze wie Deinen vor, dass parallel zum Theaterbetrieb auch die Masse der geisteswissenschaftlichen Akademie fast nur noch selbstreferentiell für sich selber da ist. Die Befürchtung, dass das niemand hören möchte, hatte ich auch; was mich aber nicht davon abhielt, es zu sagen. Ich verstehe dieses schnelle klein Beigeben nicht. Um Dein Bild aufzugreifen: Mag sein, dass der Motor gut geölt ist, aber ohne neuere Bauteile kommt er einfach nicht aus.
Repression?
Noch einmal zurück zu Kehlmann; er schafft es glatt, das Regietheater mit ‘links’ und dies mit ‘Klima der Repression’ zu verbinden.
Ich zweifle nicht daran, dass Kehlmann senior auch zu Zeiten des ‘Ausbruchs’ des Regietheaters an vielen Stadt- und Landestheatern mit Handkuss genommen worden wäre; ich kann nur vermuten, dass er das als Star nicht wollte. Wäre eine legitime Entscheidung.
Wo aber ist die Repression? Wirkliche Repression gab es im Österreich der Nachkriegszeit; der sogenannte Brechtboykott (natürlich gab es in Österreich nie einen offiziellen Radikalenerlass, das hat man schon anders hingekriegt), Gottfried von Einems kurze Zeit bei den Salzburger Festspielen; der Umgang mit den wenigen Kommunisten in Wien; die hatten immerhin ihr eigenes, kleines Theater, die Scala ...
Alles keine Frontlinien entlang ‘links=Regietheater’, war alles ja auch früher.
Ein echtes Problem ist zweifellos, wenn Subventionen ‘wettbewerbsverzerrend’ wirken; ein Theater (womit auch immer) leer zu spielen und es passierte nichts. Konjunktiv; es passiert seit langem etwas, wie wir zu Zeiten schrumpfender Kulturbudgets wissen!
Was Kehlmann als ‘wunderbaren’ Teufelskreis konstruiert; Regie=Urheber – Autor hält sich zurück, etc. stimmt so generell nicht. Gerade die Salzburger Festspiele, als richtiger Kulturkonzern, der reiche Einzelgäste ebenso braucht wie finanzkräftige Sponsoren, schaffen seit langem den Spagat allen etwas zu liefern; alles andere wäre auch das Todesurteil, und das wissen die Damen und Herren im Direktorium genau.
Regie = Urheber: ein extrem positives Beispiel war heuer die »Judith«-Produktion auf der Perner-Insel; die Montage aus Bibel- und Hebbel-Texten mit musikalisch perfekt gebrachten Vivaldi-Opernausschnitten (Koproduktion mit Schauspiel und Staatsoper Stuttgart); hier hat der Regisseur zusammen mit Co-Textlieferantin Anne Tismer zweifellos Urheberrechte anzumelden.
Was mich am Beitrag von ANH weiter oben wundert: ist es wirklich so schwierig, Schauspieler zu finden, die Vermaß sprechen können? Ich finde das dauernd; in dieser Stuttgart-Koproduktion, bei Andrea Breth, wo immer sie inszeniert, auch am kleinen, angeblich so experimentellen Toihaus in Salzburg, an dem ich einst gearbeitet habe. Vielleicht liegt es daran, dass die Besetzungsbüros dieses Kriterium gar nicht in ihrer Kartei führen und somit gar nicht wissen, dass etwa der geeichte Werbesprecher xy das problemlos könnte?
Klar jedenfalls, dass die heute 30-jährigen am Gymnasium wohl keine Schiller-Balladen mehr auswendig lernen mussten, und schon gar keinen Homer im Original; und Heiner Müller mit seinen vertrackten Versmaßen ist auch schon eine Zeit lang aus der Mode ...
@willyam
Schön den Finger in die Wunder gelegt. Ich meinte lediglich: Die Zeit ist nicht reif, eine entsprechende Argumentation überhaupt nur anzunehmen; – und das im fast wörtlichen Sinn.
Am konkreten Beispiel der Kritik des Regietheaters: Derjenige, der die Exzesse dort kritisiert gilt so lange als Paria, bis sich der Mainstream (walserisch: Zeitgeist) dem annimmt. Es ist leider nicht immer so einfach wie im Märchen um des Kaisers neue Kleider als das Kind ausrufen konnte, dass der Kaiser nackt war. Das sahen alle – alleine: es traute sich niemand zu sagen, weil sie ja ansonsten für »dumm« galten.
Das ist heute nicht anders. Deshalb kann das alles gesagt werden (und auch mit Recht) – alleine: es kommt auf den Multiplikator an, der es sagt. Ich kann mir hier im Blog die Finger wund schreiben – es bekommt maximal ein Naserümpfen. Wenn Kehlmann das sagt, dann wird es mindestens diskutiert. Der Lauf der Diskussion in den Feuilletons zeigt, dass diejenigen, die an diesem Mumpitz-Theater sehr gut verdienen, noch einmal die Kurve kriegen. D. h. die Abwehrwaffen funktionieren noch; der Angriff konnte zurückgeschlagen werden (zwar unter Verlusten, aber immerhin).
Kehlmanns Achillesverse war die Argumentation mit seinem Vater – jeder unterstellt ihm jetzt persönliche Motive. Dabei gehte s doch – so die Gegner Kehlmanns – um die »Kunst«. Hätte er tatsächlich einen medialen Hype um seine Attacke geschmiedet, d. h. sich als avantgardistisch geriert, wäre die Sache vielleicht anders verlaufen.
Das »klein beigeben«, welches von Dir (zu Recht) kritisiert wird, ist letztlich nur eine Folge von – sorry, das klingt ein bisschen altväterlich jetzt – Erfahrung.
@wemo
Sie haben sicherlich eine bessere Übersicht was das Theater angeht als ich. Und – das meine ich Ernst: Sie beurteilen die österreichische Theaterszene. Das ist noch etwas ganz anderes (was ich immer gemerkt habe, als ich in Wien in die Burg ging; zu Zeiten von Peymann bspw).
Die Gleichung »Regietheater = links« ist so falsch nicht. Sie ist natürlich wie alle solche Gleichungen ein bisschen vereinfachend. Aber sie stimmt m. E. insbesondere was Deutschland angeht immer noch: Peymann, Stein, Zadek -> alles im politischen Spektrum »Linke« bzw./und in den 68ern sozialisiert und spätetens in der Post-68er Ära reüssiert. Dann gibt es ein paar »Neutrale« (was man auch an den Aufführungen merkt). Castorf, Schlingensief et. al. sind dann schon Wohlstandskinderregisseure, die ihr politisches Postulat als Monstranz vor sich hertragen. Die wenigen »Rechten« wie bspw. Syberberg spielen kaum eine Rolle; sie sind geächtet. Man kann tatsächlich teilweise von der Vehemenz des links-alternativen politischen Impetus her auf die Stückezertrümmerungsstärke schliessen. Wer das dann nicht möchte, gilt einfach als »Speisser« oder Dummkopf (s. o. -> das Phänomen der Weber bei Andersen).
Ich glaube schon, dass Kehlmanns Vater, wenn er denn gegen den Zeitgeist agiert hatte, Probleme bekam. Generell sind die kategorialen Denkstrukturen bei Künstlern gelegentlich sehr ausgrenzend (im Gegensatz zum Postulat).
Ich habe per se nichts gegen Theatersubventionen. Der Staat subventioniert in Gänze einen derartigen Mist, da kommt es auf die paar Millionen für ein Thater auch nicht an. Die deutsche Stadttheaterlandschaft finde ich gut. Dennoch glaube ich, dass im Zweifel weniger immer mehr ist. Und problematisch wird es, wenn Subventionen zum alleinigen Motor des Geschäfts werden. Zwar soll man sich nicht zur Quotenhure eines (imaginären) Publikums machen. Aber man darf auch nicht die Gleichung »Kunst = Minderheitenprogramm = deswegen gut« aufmachen und damit alles andere niederdrücken.
Eine aufschlussreiche Videokolumne von Joachim Kaiser (SZ) zum Thema Regietheater (in Bezug auf Opernaufführungen). Sein Schlusspunkt ähnelt ganz dem hier auch immer wieder gezogenem.