Um diese Bücher geht es:
Laura Freudenthaler: Arson
Charles Ferdinand Ramuz: Sturz in die Sonne
Roy Jacobsen: Die Unwürdigen
En détail:
Laura Freudenthaler: Arson
Bereits beim Bachmannpreis 2020 zeigten sich die Juroren von Laura Freudenthalers Prosastück Der heißeste Sommer beeindruckt. Keine geringeren Referenzen als Marlen Haushofer und Ingeborg Bachmann wurden genannt. Den Hauptpreis gewann dann die eher konventionelle Erzählung von Helga Schubert. Drei Jahre später liegt nun mit Arson so etwas wie die ganze Geschichte, der ganze Roman, vor. Wobei man einzelne Szenen wiedererkennt, die jedoch zusammen mit anderen, neuen Motiven, verwoben wurden
Da ist zunächst die Ich-Erzählerin, eine Reporterin, beschäftigt mit »toxische[n] Algenblüten von enormen Ausmaßen« und dem »Massensterben von Fischen.« Sie scheint am Beginn einer Depression, kann nicht mehr schreiben, vermisst ihre Träume, hat stattdessen Wach-Halluzinationen, bespricht sich mit ihrer Freundin Andrea, erhält jedoch keine Hilfe, später sogar Ablehnung. Auch Andrea hat Probleme. »Lauter verletzte Kinder« heißt es einmal eher beiläufig, aber treffend.
Sie lernt dann irgendwann Ulrich kennen, einen Wissenschaftler. Er beschäftigt sich mit Waldbränden »seit er auf der Welt ist«. Es ist eine ambivalente Faszination: »Schauen, wo es brennt, und das Adrenalin ins Blut bringen, um zu atmen.« Und durch das schier ununterbrochene, gebannte Schauen auf die überall flimmernde Zeichen, farbige Rechtecke, »die sich in diesem Maßstab zu großen Flächen verbinden und ganze Gegenden, Landstriche, halbe Kontinente bedecken« und Tabellen mit unzähligen Daten auf dem Computer. Aber Ulrich ist darüber der Schlaf abhanden gekommen. Er besucht eine Schlafforscherin. Die Begegnungen zwischen ihm und der »Konsultantin« sind nicht ohne Konfrontation; Ulrich ist ein schwieriger Patient. »Die Konsultantin verwendet den Begriff misconception.«
Die Ebenen im Roman überlagern sich zusehends. Hier Ulrich mit Computer und seinen Schlaftabletten, in den Fängen der von der Konsultantin oktroyierten Schlaf-Aufzeichnungen (es gibt sogar einen seitenlangen Auszug). Und dort die rastlose Ich-Erzählerin, mehrmals den Wohnsitz wechselnd, zeitweilig im Wald campierend. Flirrende Sommerhitze und zunehmende Wasserknappheit. Schließlich stürzt die Erzählerin zu Boden, verletzt sich an den Lippen. Sie kann nicht mehr sprechen. Die Schweigsame und der Schlaflose, ausgeliefert in einer sich apokalyptisch verändernden Welt, die trotz aller Technik nicht mehr kontrolliert werden kann: »Kein Mensch kann all die Messungen überblicken, nicht mental, und auch physisch wären sie nicht in ihrer Gesamtheit darstellbar«. Einmal lässt Ulrich in der Nacht »sämtliche Drucker im Institutsgebäude laufen« Am nächsten Morgen ist das Zimmer »dick mit Papier bedeckt.«
Ulrich wird zum anthropozänen Prometheus, dem nicht mehr jeden Tag die nachwachsende Leber herausgerissen wird, sondern der schlaflos, mit Brandnarben am ganzen Körper, vor seinem Computer sitzt und die ökologische Vernichtung der Welt zu ertragen hat. Zwar wird als Ursache Brandstiftung ausgemacht, aber die Brände gehen tiefer als sonst, sie sind unlöschbar, der Wald »wird nicht nachwachsen, es ist eine uralte Landschaft, die hier untergeht.« Ein unerklärliches Phänomen. Passend dazu ist die Erzählerin zum Schweigen verdammt. »Ein wenig können wir hierbleiben, lange wird es nicht halten«, so lautet der vorletzte Satz.
Laura Freudenthaler vermeidet viele ausgeleierte Klischees, die man häufig in Dystopien findet. Stattdessen wird in einer Mischung aus vager Endzeitstimmung, Krankheit, Depression und Mystik erzählt, vorgebracht in ruhigem, bisweilen somnambul anmutenden Sound. Der Roman ist fast ein einziger, monolithischer Block. Der Leser soll nicht aufschauen, soll, wie Ulrich, wach, stets im Bild bleiben. Es dauert ein wenig, bis sich ein Sog einstellt, nicht zuletzt weil die Erzählpositionen zwischen Ich-Erzählerin und Ulrichs personaler Erzählinstanz häufig wechseln. Eine herausfordernde, aber lohnende Lektüre.
Charles Ferdinand Ramuz: Sturz in die Sonne
»Durch einen Unfall im Gravitationssystem stürzt die Erde schnell in die Sonne zurück, strebt ihr entgegen, um darin zu zerschmelzen […]. Alles Leben wird enden. Es wird immer heißer werden. Die Hitze wird unerträglich sein für alles Lebende.«
Das ist die Ausgangssituation des Romans Sturz in die Sonne des schweizerischen Autors Charles Ferdinand Ramuz. Man wähnt sich rasch in apokalyptische Prognosen aus der Gegenwart, aber Ramuz wurde 1878 in Lausanne geboren und der Roman erstmals 1922 in französischer Sprache in der Schweiz publiziert. Jetzt hat der Limmat-Verlag dieses Buch von Steven Wyss neu übersetzen lassen – und der Betrieb hat endlich seinen »Klimaroman« als »Neuentdeckung«.
Ramuz verortet Sturz in die Sonne in der romanischen Schweiz, am Lac de Bret in Savoyen. »Man lebte unter der Schönheit dieses Himmels«, heißt es zu Beginn dieses Abgesangs. Die Nachrichten werden zunächst von vielen Bewohnern nicht ernst genommen. Sicher, es ist seit Tagen (oder Wochen) unerträglich heiß und trocken, aber die Meldung kommt aus Amerika und man weiß ja, »was das bedeutet«.
Steven Wyss weist in seinem Nachwort darauf hin, dass Ramuz weniger von einem Roman als von einem »Gemälde« gesprochen hatte. Es kommen unterschiedliche Stimmen zu Wort; manche mehrmals, einige nur kurz, andere länger. Der Ton wechselt vom sachlich-kühlen Ich-Erzähler zum predigerhaft-biblischen bis zum nüchternen Bericht; es finden sich Selbstreflexionen, philosophische Überlegungen oder einfach nur Naturerzählungen. Erst nach und nach wird den Bewohnern klar, dass sie infolge eines nicht mehr aufzuhaltenden Ereignisses sterben werden. In dem polyphonen Chor der Stimmen werden nun die einzelnen Bewältigungsmechanismen erzählt. Dabei fällt rasch das, was man Zivilisation nannte, zusammen. Es gibt Plünderungen, Morde aber auch Freitode. Überall entstehen »Republiken«, »wie in alten Zeiten, als Dörfer noch von Mauern und Gräben umgeben waren.« Ein Apfelbäumchen pflanzt niemand, aber ein alter »Korber« bekennt immerhin trotzig: »Ich werde bis zum Ende weitermachen, was auch passiert.«
Steven Wyss erklärt, warum der Roman in einer mündlichen Sprache, mit teilweise falscher Grammatik geschrieben wurde: Weil es so im Original steht und Ramuz dies so wollte, um die authentische Sprechweise der Leute wiederzugeben. Immerhin genoss der Autor in seiner Zeit literarischen Ruhm und wurde mehrmals für den Literaturnobelpreis vorgeschlagen.
Im Unterschied zu den bekannten Weltuntergangs-Blockbustern gibt es bei Ramuz, obwohl das Ende nicht auserzählt wird, keine Rettung. Die Auswirkungen der veränderten Gravitation – Erderwärmung, Wasserknappheit, soziale Verwerfungen – kann man parallel zur Klimakrise der Gegenwart lesen. Bemerkenswert, dass Ramuz auf Sensationselemente und Pathos fast vollkommen verzichtet. Der Roman lässt einem gerade deshalb lange nicht los.
Ein bisschen erinnert Bov Bjergs Setting zunächst an Orwells 1984. Da ist von einem »Resteuropa« die Rede (vermutlich ist Deutschland damit gemeint), »normalen Menschen« und der »Niederschicht«. Nahezu alle europäischen Länder sind failed states, untergegangen in Überschwemmungen oder Kriegen. Entsprechend sind die Flüchtlingswellen, die in mehreren Rettungsaktionen von Resteuropa (zuletzt von »Zorro Zauderzwerg«) im Zaum gehalten werden sollen. Wer kann hält sich einen »Vorweiner«, der einzig dazu da ist, seinen »Besitzer« nach dessen Tod anständig und öffentlichkeitswirksam zu betrauern. Dafür lebt er wie ein Familienmitglied, wird bekocht und man müht sich um sein Wohlbefinden. Man kocht ihm sogar sein für andere nahezu ungenießbares Lieblingsgericht. Der Nachteil: Seine Anwesenheit erinnert von nun an ständig an den Tod. Und das, obwohl der Tod aus dem öffentlichen Leben weitgehend ausgeblendet wurde. Was sich zunächst in einem Körperkult zeigt, der 70jährige durch entsprechende Operationen einen Körper von 20jährigen verschafft. Friedhöfe sind weitgehend anonymisiert und Beerdigungen werden nur noch online übertragen und heißen Zerstreuungsfeier (im doppelten Sinn). Hier zeigen die Vorweiner dann ihre jahrelang vorbereitete Kunst. Später werden sie dann erben.
Vorweiner werden aus den Flüchtlingen der zerfallenen Staaten rekrutiert; Niederschichtler kommen nicht infrage. Insbesondere die geschätzten Vorweiner aus dem Gebiet um den Golf von Guinea sind knapp und nahezu unbezahlbar. Eine der beiden Hauptfiguren, Anna, eine ehemalige Kunsthistorikerin und Kuratorin, die nach dem überraschenden Freitod ihres Mannes noch einmal aufblühte, ist um die 70 und sucht einen Vorweiner. Sie muss nach langer Suche mit dem Niederländer Jan Vorlieb nehmen. (Kleiner Tipp: Keinen Österreicher nehmen!) Jetzt gibt es für sie noch zwei Wünsche: Kartoffeln ernten und dabei im Sand wühlen (das Ernteresultat ist dürftig) und ein Schwein schlachten und nackt in den toten, ausgenommen Körper einsteigen, um noch einmal neu geboren zu werden. Das Erlebnis ist irgendwie enttäuschend, die Regression will sich nicht so recht einstellen. Am Ende wird sie schließlich feststellen: »Es gibt keine Erlösung«. Zwischendurch erwischt Anna ihren Vorweiner, wie er am Telefon um seine verstorbene Mutter trauert, und fast ist die Hölle los.
Annas Tochter, Berta, eine »Klickbeuterin«, Verkäuferin frei erfundener Meldungen, die als immergleiche Pointe die Schreie trauernder Personen haben, lebt in Berlin und vergnügt sich mit einem Pizza-Boten aus der Niederschicht. Sie ist für sich Ich-Erzählerin; Annas Erlebnisse werden von einem allwissenden Erzähler übernommen, der den Leser auch über die Gegebenheiten dieses Resteuropa aufklärt. Die Kapitel wechseln zwischen den beiden Hauptpersonen unregelmäßig hin und her.
Bergs Roman ist über weitere Strecken mehr Slapstick und Satire als Dystopie. Die gesellschaftlichen Auswirkungen dieses Resteuropa werden nicht entwickelt. Warum alle Orte außer Berlin den Präfix »Neu« tragen (»Neuhamburg«) muss man sich selber zusammenreimen. Eine Identifikation mit Anna und/oder Berta gelingt nicht. Einiges ist wirklich lustig, etwa der Ruin der Schweiz, weil in den Tresoren die Goldfäule die Reserven wertlos machte, Schloß Neuschwanstein als Notaufnahmelager für Flüchtlinge, die exzessive Schilderung vom Sex mit dem Pizza-Karton oder die Anspielungen auf den Betroffenheits- und »Gottesaugen«-Journalismus. Erst am Ende entwickelt sich aus der Satire für einige wenige Seiten eine bitterböse Parabel auf die aktuelle Flüchtlingsproblematik.
Auch die Figuren im 2022 im Original erschienenen Roman Der Apparat (im Original: Appliance; deutsche Übersetzung von Jan Schönherr) des 1978 geborenen schottischen Autors J. O. Morgan bieten dem Leser wenig Identifikationspotenzial. Das ist allerdings beabsichtigt, denn in den elf Kapiteln wird jeweils über andere Protagonisten erzählt, die keinerlei Verbindung miteinander haben.
Morgans Apparat macht das, einst in den Star-Trek-Folgen mit einer Mischung aus Faszination und Schauder als »beamen« bestaunt wurde. Objekte oder Personen konnten von einem Ort zum anderen »transportiert« werden, was den Effekt hatte, dass die Personen, die »weggebeamt« wurden sich vor den Augen des Zuschauers auflösten – um dann wenige Sekunden später am gewünschten Ort zu erscheinen. nannte man das ein bisschen wissenschaftlicher und der Ruf nach Scotty, dem Bordingenieur, der das Beamen vornehmen musste, war legendär.
Was zunächst als sperriger Klotz in der Küche eines Institutsmitarbeiters getestet wurde, entwickelt sich im Fortgang der Storys in diesem Buch zu einer immer wieder aufs Neue optimierten, erfolgreichen Technik. Zunächst konnte man nur Gegenstände teleportieren (was bei Umzügen praktisch war) und es stellt sich einmal frei nach Walter Benjamin die Frage, ob ein repliziertes Gemälde am Ende noch identisch mit dem Gemälde vor der Übertragung ist. Schließlich wird man Zeuge, wie ein Mann sich zu Testzwecken den Apparat aussetzt; auch hier ist unklar, ob es danach eine Veränderung gab. Später läuft das System anscheinend gut. Einige Wünsche erfüllen sich nicht. So ist es nicht möglich, an Krebs erkrankte Patienten ohne ihre Tumore sozusagen geheilt zu teleportieren, weil der Apparat immer alles transformiert und wieder »zusammensetzt«. Die Präzision ist selbst denen ein bisschen unheimlich, die in oder an der Herstellung arbeiten, wie eine Journalistin feststellen muss, die einen »MrJacks« in der Bar trifft. Er ist selber von der Fehlerunanfälligkeit überrascht und entwickelt darüber eigenartige Theorien. Es ist eines der interessantesten Kapitel im Buch.
Immer mehr setzt sich das Teleporter-System durch, macht Reisen überflüssig und wird schließlich auch in einer »Home«-Version angeboten, in dem komplette Wohnungen nebst Kleidung entsprechend zugerichtet und zu einer »technischen Einheit verschmolzen« werden. Eine andere Form des uns bekannten »Smart Home«. Natürlich gibt es einige Personen, die sich dem Apparat und seinen Vorteilen widersetzen, aber die kommen irgendwann einfach nicht mehr mit ihrem Auto weiter, weil die Straßen nicht mehr ausgebessert werden. Und Flughäfen dienen nur noch als Kinderspielplätze.
Unsere digitale Gegenwart kommt nicht vor. Morgan ist irgendwann von den 1980ern direkt abgebogen ins Star-Trek-Beamen. Hierin liegt durchaus ein Reiz dieses Buches. Auch die Form, indem man voneinander unabhängige Texte den Erfolg des Dings erzählen lässt, ist gelungen. Insgesamt erscheint Der Apparat als eine Allegorie über schleichende Herrschaft der Techkonzerne der digitalen Internetwelt. Auch bei Morgan hat der Apparat-Hersteller eine große Macht. Als eine Frau ihre Tochter als vermisst meldet und dies als einen technischen Fehler dem Unternehmen vorwirft, weiß dieses, sich zu wehren. Technische und physikalische Details werden allerdings nicht erörtert. Und leider gibt es auch keine explizit politische Ebene in diesem Buch. Wer mit »Die« gemeint ist, bleibt unklar.
In der letzten Geschichte beobachten zwei Wanderer (!) eine zufällig an ihnen vorbeifliegende Rakete mit dem Ziel Mond. Dort will man endlich an die Ausbeutung der Rohstoffe gehen, die dringend notwendig sind, um neue Apparate zu konstruieren. Die Technikgläubigkeit der beiden ist grandios erzählt. Am Ende reden sie sich die Welt zurecht: »Die müssen also neue Maschinen auf dem Mond bauen, damit sie neue Mineralien runterschicken können, um hier unten neue Maschinen zu bauen, damit sie neue Leute auf den Mond schicken können?« Das Fragezeichen ist nur rhetorisch.
Der Wachstums- und Fortschrittsgedanke ist also das Bindeglied zwischen Morgans Apparat und unserem PC. In beiden Welten steht fest: Ein Zurück gibt es nicht. Diese Essenz, die einem über den Umweg der Lektüre deutlich gemacht wird, erscheint einem dann plötzlich unheimlich.
Roy Jacobsen: Die Unwürdigen
Nicht immer braucht es Dystopien, um den Schrecken in der Welt sichtbar zu machen. Manchmal reicht ein Blick in die Vergangenheit. So schreibt Georges Simenon in einem Nachwort zu seinem 1948 erstmals veröffentlichten Roman Der Schnee ist schmutzig: »[E]ine Besatzung ist schlimmer als der Krieg selbst, weil sie viel mehr Schmutz aufwirbelt, weil sie Misstrauen und Hass erzeugt, deren Stempel dem Volk für lange Zeit aufgedrückt ist.« Simenons Roman ist in einem nicht näher bestimmten Land angesiedelt; die Anklänge an die deutschen Besatzer Belgiens während zweier Weltkriege sind deutlich. Auch Die Unwürdigen des norwegischen Schriftstellers Roy Jacobsen spielt hauptsächlich während der deutschen Besatzung Norwegens von April 1940 bis Mai 1945 (Übersetzung: Gabriele Haefs und Andreas Brunstermann).
Im Zentrum stehen Olav, Carl und Roar und ihre Familien, die in einem Arbeiterviertel in Oslo leben. Sie sind zu Beginn 15 oder 16 und bessern die spärlichen Einkommen ihrer Eltern durch Diebstähle und Einbrüche in leerstehenden Villen auf. Dabei kommt der Schulbesuch oft genug zu kurz. Olav, der unausgesprochene Anführer, hat zwei Gesetze: »Zeige nie, was du denkst, besonders nicht Fremden.« Und man soll, wenn man zu lügen angefangen hat, es »ordentlich« machen. Die Drei ist wortkarg und schroff; man zeigt häufig offene Verachtung. Carl »zog es vor, andere zu bedrohen, wenn er etwas von ihnen wollte«. Er ist es, der sich an seinem Vater abarbeitet, ihn der Feigheit bezichtigt. Das wird er später revidieren müssen. Es gibt noch einmal einen fast unbeschwerten Sommer, aber danach gerät die Clique immer mehr in den Strudel zwischen Hehlern, Spitzeln, Willkür der Besatzer und scheinbarer Anpassung, in dem einige für die Deutschen arbeiten, aber nur, um dem Widerstand Informationen zu geben. Olavs Vater, der »Ehrenmann des Alltags«, verschwindet eines Tages spurlos. Die Jugendlichen werden, wie es einmal heißt, zu schnell erwachsen. Hier gibt es keine abenteuerliche Kästner-Detektive- oder Vorstadtkrokodile-Welt, hier geht es um das blanke Überleben. Nicht alle werden dies schaffen. Das Ende des Krieges bringt nur sehr langsam Entspannung; zu viele Kollaborateure sind davongekommen. Schließlich gibt gegen Ende des Romans noch einen brutalen Akt von Rache und Selbstjustiz.
Roy Jacobsen bemüht einen weitgehend chronologisch berichtenden, allwissenden, manchmal etwas im Märchenton agierenden Erzähler. Einiges wirkt, als habe er eine Verfilmung anvisiert. Manchmal wünscht man sich, dass Olav, Carl und Roar Helden von Knut Hamsun gewesen wären (Carl legt einmal einen gefälschten Ausweis mit dem Nachnamen »Pedersen« vor). Irgendwann wollte Jacobsen dann einfach zu viel Zeitkolorit liefern. Dabei ist ihm der Sprung der verbliebenen Protagonisten in die Gegenwart der 2020er Jahre überhaupt nicht gelungen. Trotz der angesprochenen Selbstjustiz-Szene könnte man sich Die Unwürdigen allerdings gut als Schullektüre vorstellen.