Ein herzerfrischender und wahrer Beitrag von Jürgen Wimmer im »Novo-Magazin« mit dem etwas skurillen Titel »Meinungsfreiheit? LOL!!!!!!!!!!!!!!!!!!«:
Mit dem Internet … ist für jeden Berufspöbler das goldene Zeitalter der missverstandenen Meinungsfreiheit angebrochen. […] Es wird beleidigt und gegeifert, bis die Tastatur qualmt. […] Für ganze Armeen von Kindsköpfen ist virtueller Vandalismus inzwischen zu einer Art Hobby geworden.
Im weiteren Verlauf des Aufsatzes fällt Wimmers Diagnose reichlich ernüchternd aus. Das, was die Verfechter der »heimlichen Medienrevolution« noch als Möglichkeit einer neuen Demokratisierung der Gesellschaft feierten (und teilweise immer noch feiern), ist vielerorts längst trivialisiert und oft genug haben Berufspöbler ihre Claims im Netz abgesteckt.
Schön auch Wimmers Beobachtung, wie der Begriff der Meinungsfreiheit seinem realen Kontext immer wieder entzogen und als Freibrief für Beleidigungen jeder Art deformiert wird. So wird jegliches Einfordern minimalster Standards menschlichen Zusammenlebens als Einschnitt in Freiheitsrechte umgedeutet – Argumentieren ist da irgendwann zwecklos.
Ein Gedanke kommt mir sehr häufig, wenn ich einschlägige Foren oder Weblogs lese: Früher dienten wohl fast ausschliesslich die Leserbriefredaktionen von Zeitungen als Ventile für solche Menschen. Da bekommt man dann ein Bild davon, wovon man in all den Jahren verschont geblieben ist.
Meines Erachtens hat sich soo viel ja nun auch nicht geändert gegenüber den Vor-virtuellen Zeiten, sieht man von der, im Prinzip, erfreulichen Tatsache ab, dass man den Hirnmüll der „Berufspöbler“ nun schwarz auf weiß hat und somit bei Bedarf belegen kann. So gedacht und geredet haben solche Typen doch schon immer – Synonym: Stammtisch!
Eine „Veröffentlichung“ im Web ist doch nur theoretisch eine „Veröffentlichung“, da ja eine Seite immer noch aufgerufen werden muss, d.h. man muss den Beleidiger erst mal anklicken, um eine Beleidigung zu erfahren.
Pöbelblogs sind in der Regel reine Inzuchtveranstaltungen. Immer die gleichen Irren bestätigen sich gegenseitig in ihrer geistigen Verwirrung. Es mag ja manchmal ganz interessant sein, sich der geistigen Jauche von Herrn und Frau Asozial ein wenig zu nähern, aber man kann diesen Müll auch einfach ignorieren. Es ist doch ähnlich wie bei diesen Nachmittags-Talkshows. Da tummelt sich auch tagtäglich ein Bodensatz der Gesellschaft. Wer’s anschaut ist selbst schuld , wer’s gerne anschaut – dem ist sowieso nicht mehr zu helfen.
Manchmal werde ich den Verdacht nicht los, dass die „Berufsjammerei“ über die Verwahrlosung im Web, hier im speziellen in Blogs, nur dem Ärger der etablierten Meinungsmacher entspringt, ihr Monopol zur Absonderung geistiger Ergüsse verloren zu haben.
Letzteres mag tatsächlich eine Rolle spielen. Ich fand den Artikel trotzdem ganz erhellend, da ich ja meine »Online-Karriere« nicht als Blogger, sondern in einem Forum begonnen habe. Verglichen mit dem, was ich später in einem anderen Forum kennengelernt habe, ging es dort noch sehr gesittet zu. Aber auch dort waren diejenigen, denen schnell Argumente ausgingen, immer gleich mit der Meinungsrechtskeule unterwegs.
Das Resultat war: Diese Leute haben mit ihrer Jammerei (es ging dann darum, entsprechende Äusserungen zu »verstecken« bzw. zu löschen) das gesamte Forum in Beschlag gehalten; Produktives war dann oft in diesem Moment nicht mehr möglich.
Sie sprechen etwas an, was wichtig ist: Früher gab es die Stammtische – heute gibt’s Pöbelblogs (oder ‑foren). Der Vorteil von früher war: Wenn über einen am Stammtisch geredet wurde, hat das niemand ausserhalb der kleinen Runde mitbekommen. Heute ist dies u. U. anders – jeder kann es mindestens theoretisch sehen. Ich habe mir inzwischen vorgenommen, evtl. Pöbeleien gegen mich nicht zur Kenntnis zu nehmen (ich habe die Angriffe, die im Sommer vergangenen Jahres gegen mich von einem Weblog initiiert wurden, bis heute nicht gelesen). Das ist natürlich wieder einmal ambivalent, da es ja schlichtweg eine Lebenswirklichkeit ausblendet.
Zwei kleine, aktuelle Beispiele
Ich will wirklich nicht wie ein Besserwisser erscheinen, aber zwei kleine Ereignisse der letzten Tage:
Auf einem (uns bekannten) Weblog schreibt eine Bloggerin einen Kommentar, in dem die Mehrzahl der Ausländer als »Pack« bezeichnet werden. Zustimmung von einer Seite noch. Als dann durch den Admin beide Kommentare gelöscht wurden, schreibt die Bloggerin einen Beitrag in Ihrem Blog mit dem Titel »Zensur« und macht auf Mitleid (ohne direkt den Vorfall anzusprechen). Sie erhält dort übrigens auch Zustimmung; der Beitrag war kurze Zeit in den »Hot Stories« (auf die Verlinkung verzichte ich; per Mail nachfragbar).
Zweites Beispiel hier: Auch hier wird sofort von »Zensur« gesprochen.
Jetzt habe ich mir den „hier“– Link mal angetan. Ja, sicher, es gibt unglaubliche Schwachköpfe, aber was haben Sie und ich mit denen zu tun?
Klicke ich so was mal aus Zufall an, dann lese ich ein wenig, emotionslos, distanziert und schalte das dann wieder ab, weil mich pubertierendes Dummgeschwafel oder zwanghafte Fäkalbezogenheit kranker Hirne einfach nicht interessiert. Nie käme ich auf die Idee, dazu irgendeinen Kommentar beizusteuern, nie. Aufregen kann ich mich darüber schon deshalb nicht, weil ich doch weiß, dass ein beachtlicher Teil unserer Mitmenschen schlechterdings dumm, faul und geschmacklos ist.
Natürlich würde ich mich ärgern, wenn solche Idioten mir meinen Blog vollkotzten und die notwendigen Aufräumarbeiten wären unangenehm und lästig, ja, würden am Ende dazu führen, wenn’s gar nicht mehr zu beherrschen wäre, dass ich meinen Blog einfach zumachen würde. Schade zwar, aber dann leider nicht zu vermeiden.
Im realen Leben gibt es diese „Graffitikünstler“, die den alten Spruch von den Narrenhänden, die Tisch und Wände beschmieren, tagtäglich bestätigen. Da hilft auch nur sisyphosartige Dauerreinigung oder alles soweit wie möglich sprühresistent zu gestalten. Das liegt für mich auf einer gleichen Ebene wie Blogspam.
Den Tratsch, oder das hinter-dem-Rücken-herziehen über jemanden kennen wir doch nicht nur vom Stammtisch, das ist doch eine der Lieblingsbeschäftigung in Vereinen jedweder Art und Gerüchte, bar jeden Gehaltes, können unangenehme Folgen haben für denjenigen, über den sie gestreut wurden. Da sehe ich tatsächlich eine Gefahrenquelle im Web. Wie man hört, sollen Personalchefs heutzutage Bewerber gezielt im Internet abchecken, ob und wo ein Bewerber im Web etwas veröffentlicht hat, bzw. im Web etwas über den Bewerber zu finden ist. In so einem Falle könnten sich bösartige Webgerüchte oder Behauptungen natürlich sehr übel auswirken. Also, Kommando zurück, meine im oberen Kommentar sinngemäß durchscheinende These: „Na und- lass sie doch!“ halte ich so nicht mehr aufrecht. Wie gut, wenn man mal etwas genauer überlegt.
Bin ich froh, dass ich mich nicht mehr bewerben möchte. Allein meine gewerkschaftsfreundliche Einstellung würden mich für jede Anstellung disqualifizieren- ausgenommen natürlich bei den Gewerkschaften.:-)
Lobenswerter Gleichmut
Ja, Sie haben natürlich in allem recht. Der Text aus »Novo« und meine Einlassungen zeigen ja auch nur, dass die vielbeschworene »Demokratisierung«, die in Blogs (aber nicht nur da) passieren soll letztlich Gefahr läuft, in eine Banalisierung (noch freundlich ausgedrückt) durch den ‑ich komme immer wieder auf den Ausdruck- Pöbel zu geraten; nicht immer, aber eben häufig.
Im erstgenannten Beispiel entspannte sich noch eine Diskussion, ob man Leute, die Ausländer als »Pack« bezeichnen, nicht in eine Diskussion einbinden soll. So dachte ich ehrlich gesagt vor zwei Jahren auch noch – um inzwischen (desillusiniert) festzustellen: Es hat keinen Sinn – aus mehreren Gründen. Am schwerwiegendsten: Sie lassen sich eh’ nicht umstimmen und eine Beschäftigung mit ihrem Gedankengut wertet sie letztlich noch auf. Und: Man fängt nicht gerne jeden Tag bei Adam und Eva an...
Sie haben natürlich recht – ich kommentiere ja auch nicht auf diesem verlassenen Blog, der mit Kommentarmüll vollgespamt wird. Worum es mir geht: Beleidigungen und/oder perverser Nonsens werden dadurch hoffähig, dass man deren Löschung bereits als Eingriff in die »Meinungsfreiheit« – also: Zensur – sieht. Das bedeutet eine vollkommene Perversion dessen, was Meinungsfreiheit wirklich bedeutet – und eine Verhöhnung all derer, die in der Welt tatsächlich unter Zensur zu leiden haben.
Es mag allerdings durchaus sein, dass ich diese Sache viel zu verbissen sehe. Ich betrachte das durchaus im Kontext dessen, wie sich mir das Bloggen (und Weblogs allgemein – nicht nur auf twoday) darstellen. Ich bin nämlich mehr denn je davon überzeugt, dass anspruchsvolles Bloggen per se ein Minderheitenprojekt ist (wie man an der Anzahl meiner Leser sehen kann – wobei ich voraussetze, dass das, was ich poste, einigermassen anspruchsvoll ist).
Damit ist keinesfalls gesagt, dass alle anderen Blogs Mist sind. Fast eher im Gegenteil: Sie sind viel mehr »blog-gemäss« als das, was wir treiben: Sie artikulieren und produzieren tatsächlich Unikate; Texte, die nur durch den jeweiligen Blogger entstanden sind. Oft sind sie quasi »écriture automatique«.
Der abgewogenene, ambitionierte, einem Buch oder Text »begleitende« Beitragsblog ist überflüssig, weil uninteressant (bzw. durch Feuilletons abgedeckt). Just in dieser Art Blogs ereignen sich aber meistens die im »Novo«-Text thematisierten Übergriffe. In einem Blog oder Forum über’s Stricken oder Schalke 04 wird niemals über Ausländer diskutiert werden; es gibt gar keine (bzw. kaum) Anlässe für derartigen verbale Übergriffe.
Leider, aber so ist es
...- um inzwischen (desillusioniert) festzustellen: Es hat keinen Sinn – aus mehreren Gründen. Am schwerwiegendsten: Sie lassen sich eh’ nicht umstimmen und eine Beschäftigung mit ihrem Gedankengut wertet sie letztlich noch auf. Und: Man fängt nicht gerne jeden Tag bei Adam und Eva an...
Genau diese Erfahrung habe auch ich bereits gemacht, besonders in Foren, wo es anfangs den Anschein hatte, als würde ein diskussionswürdiges Thema angemessen behandelt. Schon nach wenigen Beiträgen klingt sich plötzlich ein, Entschuldigung, aber ich kann und will’s nicht anders ausdrücken, Arschloch ein, pöbelt rum und brabbelt vollmundig, von keiner Kenntnis getrübt, gequirlte Kacke, aggressiv und voller persönlicher Angriffe.
Feierabend, die Zecke bekommt man dort nicht mehr los, und jeder Versuch vernünftig zu argumentieren ist „Perlen Vor die Säue geschmissen“. Das Thema ist an besagter Stelle erledigt und nie wieder kehrt man dorthin zurück, obwohl man weiß, dass dort auch Menschen anzutreffen waren, mit denen man seine Gedanken nur zu gerne ausgetauscht hat.
Aber 20 Millionen Bildzeitungsleser und RTL/SAT1/PRO7-Zuschauer kommen ja nicht von ungefähr.
Foren
...und genau dann sind wir beim Problem, welches der Beitrag anstimmt: Sollen denn die Kommentare dieses A*** nun von einem Admin gelöscht werden oder ignoriert? Meine Erfahrung mit dem Ignorierprinzip (»Don’t feed the Troll«) sind eher schlecht, weil immer einer dem Unsinn meint widersprechen zu müssen (was ich gewissermassen ja auch als einen Sinn eines Forums sehe). Löscht man die Kommentare (den Verfechtern der »Theorie des kommunikativen Handels« [sie meist selbst nur Solipsisten sind] natürlich ein Dorn im Auge), dann beginnt von A***1 und seinen Freunden A***2–5, die er inzwischen herangezogen hat, das »ZENSUR«-Geschrei. Das Ergebnis: Eine vernünftige Diskussion ist nicht mehr möglich.