Pressefreiheit und – vielfalt sind ein wesentlicher Kern unserer freiheitlich-demokratischer Grundordnung. Umso schöner ist es, das Funktionieren dieser Vielfalt in der Praxis zu beobachten. Da kandidiert der amtierende Umweltminister Norbert Röttgen für den Vorsitz der CDU in Nordrhein-Westfalen. Damit gibt es plötzlich zwei Kandidaten für diese Position, denn der ehemalige NRW-Integrationsminister Armin Laschet kandidiert ebenfalls für dieses Amt. Aus dem vollkommen normalen, demokratischen Vorgang, dass sich für ein Amt mehrere Kandidaten zur Wahl stellen, wird nun ein Skandalon produziert. Es herrscht, so wird suggeriert, »Streit« in der Partei. Die am meisten verwandte Vokabel ist nicht die der Kandidatur, sondern des »Machtkampfes«. Mehrere Kandidaten für ein Amt, die im demokratischen Verfahren gefunden werden, sind demnach keine Bereicherung, sondern werden mit leicht bellizistischen Vokabeln per se negativ konnotiert.
Hierbei gibt es, wie diese kleine, aber keineswegs vollständige Auflistung zeigt, keinerlei Unterschiede zwischen »seriösem« und Boulevard-Journalismus:
WDR: »Machtkampf in NRW: Armin Laschet contra Norbert Röttgen«
Noch einmal WDR – gemässigter: »Röttgen tritt gegen Laschet an«. Aber dann im Untertitel: »Der Machtkampf in der nordrhein-westfälischen CDU spitzt sich zu«
Ähnlich der »Focus«: »Röttgen tritt gegen Laschet an« und im Untertitel: »Der Machtkampf um die Führung der nordrhein-westfälischen CDU«
Stern: »Machtkampf um CDU-Vorsitz in NRW«
TAZ: »Machtkampf um Landesvorsitz«
Die Welt findet noch ein verschärfendes Attribut zum Machtkampf: »Röttgen und Laschet im durchtriebenen Machtkampf«
SZ: »NRW: Machtkampf in der CDU«
FAZ: »Machtkampf in Nordrhein-Westfalen«
ZDF/Heute: »Machtkampf in der NRW-CDU«
Es gibt aber durchaus auch Interventionen, die Phrase »Machtkampf« wenigstens teilweise zu verbannen. Dann ist vom »Streit« die Rede, wie bspw.
»Streit um CDU-Vorsitz voll entbrannt«(B.Z.)
oder von einer
»Kampfansage gegen Laschet« (n‑tv)
FR, aber auch Bild und n‑tv finden auch die Vokabel
»Kampfkandidatur«
Der CDU-Politiker Bosbach tut den Medien auch noch den Gefallen von einer Zerreißprobe zu sprechen, was natürlich auch begierig aufgenommen wird:
»Machtkampf entbrannt – Rüttgers-Nachfolge: NRW-CDU droht Zerreißprobe« (Express)
Bei dieser Explosion der gleichklingenden Phrasen wird der Leser, Zuhörer und Zuschauer immer wieder neu manipuliert: Eine demokratische Wahl wird zum »Kampf« hoch-sensationalisiert. Hinzu kommen Bilder, die beide Kandidaten manchmal in ein schlechtes Licht rücken – Röttgen wird häufig mit geöffnetem Mund gezeigt; Laschet mit einer Grimasse. Damit soll die Intensität des »Kampfes« suggeriert werden.
Im Kleingedruckten geben einige Medien zwar zu, dass die politischen Ansichten der beiden Kandidaten nicht sehr stark divergieren. Dies scheint jedoch nur die Vokabel »Richtungsstreit« zu vermeiden. In Wirklichkeit geht es längst nicht mehr um die Berichterstattung über eine Kandidatur und die Abwägung der für beide Kandidaten damit verbundenen Umstände – es geht darum, Zwist, Streit, »Zoff«, Ärger herbei zu konstruieren (der dann vermutlich auch prompt eintritt) und Auswirkungen zur Bundespolitik zu entwerfen, für die die Charaktersierung »Spekulation« noch vorsichtig gewählt ist.
Damit haben die Journalisten sich längst von der bloßen Berichterstattung entfernt und gerieren Stimmung durch ihre Wortwahl und ihre Analogien (die sie auch noch voneinander abschreiben). Um dann irgendwann mit schüttelndem Kopf heuchlerisch die steigende Demokratie‑, Politik- oder Politikerverdrossenheit zu beklagen.
Zur Klarstellung: Die Causa Röttgen/Laschet selbst interessiert mich hier nur am Rande; man hätte vermutlich jede andere, ähnliche Konstellation herbeizitieren können. Solche Vorgänge sind natürlich auch nicht auf das Lager der CDU beschränkt; gerade in der jüngeren Vergangenheit hat die SPD mehrfach ähnlich in den Schlagzeilen gestanden.
Innerparteiliche Demokratie
Es geht ja nicht nur um die Form dieser Berichterstattung, sondern um die Tatsache, dass sich die Medien offenbar damit abgefunden haben, dass in unseren demokratischen Parteien tatsächlich keine Demokratie stattfindet. Nicht mal eine parlamentarische Demokratie über die Parteitage. Die kleinen Zirkel der Führungsgremien geben Kandidaten und Beschlüsse vor, die von den Parteitagen der jeweiligen Ebene abgenickt werden. Schon eine konstruktive Diskussion während der Meinungsfindung beschränkt sich auf einige wenige Protagonisten.
Statt den völlig normalen und selbstverständlichen Vorgang einer Wahl zwischen zwei Möglichkeiten positiv zu würdigen, wird er zur Schlacht hochgejazzt. Vielmehr sollte die innerparteiliche Demokratie kritisch beleuchtet werden.
MM
Ihr Kommentar hat mir einen neuen Aspekt gezeigt: Die Berichterstattung als »Machtkampf« zu inszenieren könnte damit zusammenhängen, dass die Journalisten die Klüngelei innerhalb von Parteien längst als gegeben antizipiert haben und eine eigentlich normale Kandidatur damit schon zum »Ereignis« wird. Man wird einerseits »angenehm« überrascht (hoppla, da gibt es ja noch Residuen von Demokratie) und kann dies andererseits dann »hochjazzen«.
Die Folge ist dann natürlich, dass solche Prozesse in Parteien immer seltener stattfinden werden, da sie mit eher negativen Attributen berichtet werden.
»...mit leicht bellizistischen Vokabeln per se negativ konnotiert.«
Kleiner freundlich gemeinter Tipp: schreiben Sie weniger abgehoben, dann gibt’s auch mehr Leser.
(ich mein’ nur die Sprache, nicht den Inhalt, dem ich zustimme)
Danke für den Hinweis.
Ist das schon abgehoben? Hm.
Ich glaube das ist eher dem allgemein vulgäreren Sprachgebrauch geschuldet. Sprache sollte auch dem Thema angemessen sein und das ist sie meines Erachtens in diesem Fall.
Es stellt sich ja auch die Frage ob man die Leser, die man dadurch bekommt, überhaupt haben will.
@Huth
Es stellt sich ja auch die Frage ob man die Leser, die man dadurch bekommt, überhaupt haben will.
Guter Einwand. Wenn ich jetzt sage: ‘Ich will diese Leser gar nicht’ wird mir das – zu Recht – als Arroganz ausgelegt. Wenn ich sage ‘Okay, ich passe mich an’ dann als Opportunismus. Ich geben Klaus mit der zitierten Textstelle allerdings recht (ändere es aber nicht). Als »Blogger« ist man ja tatsächlich ein Stückchen Autist; da sollte man um Vorschläge (und nat+ürlich auch Lob) immer dankbar sein.
Kampfkandidatur vs Wahl vs. Geschlossenheit
Volker Pispers fasste schon treffend zusammen:
Treten ZWEI Leute um den Parteivorsitz an, schreiben alle von einer *hier Fanfare einfügen* »KAMPFKANDIDATUR« und sagen, die Partei sei nicht »geschlossen«.
Wenn nur EINER Antritt, dann ist es eine »WAHL«.
Der Deustche hat es eben gerne »geschlossen«: Hose, Weltbild, Partei-Programm.
[EDIT: 10:48]
#1
Ich glaube man muss sogar noch einen Schritt weitergehen – die Medien haben sich nicht so sehr an Hinterzimmerabsprachen und das Abnicken alternativloser Vorschläge auf Parteitagen gewöhnt, sondern die Situation selbst aktiv mit herbeigeführt. Jetzt mal ehrlich, welches Parteimitglied, egal ob CDU, SPD, Grüne etc. will schon gerne lesen dass in seiner Partei ein Richtungsstreit tobt, dass ein Machtkampf herrscht? Solche Schlagzeilen belasten nur die Partei und vergraulen Wähler, also sollen sie tunlichst vermieden werden, mit noch mehr Hinterzimmerklüngeleien, noch mehr Absprachen, noch weniger Demokratie. In Parteien können kritische, kontroverse Diskussionen sowohl über Inhalte als auch über Personal leider nur noch stattfinden, wenn die Journalistenmeute ausgesperrt bleibt. Meiner Ansicht nach gefährdet der weitverbreitete, zynische Politikjournalismus, der nur über Personalstreitigkeiten und Skandälchen schreibt und die zu Grunde liegenden komplexen inhaltlichen Fragen ignoriert die Demokratie mehr als das Verhalten von (Berufs)politikern.
@Jan
...und diese, durch den Journalismus sozusagen erzeugte Gewohnheit beim Nachrichtenempfänger trägt dann wiederum dazu bei, alle von dieser Norm abweichenden Verhaltensweisen zu skandalisieren.
Man hat also immer einen Grund: Entweder die Klüngelei in den Hinterzimmern – oder die »Machtkämpfe« und »Richtungsstreite« bei innerparteilichen Diskussionen (der mindestens »Streit« genannt wird). Hinzu kommt dann noch das Gerede der Parteien und Demoskopen, die Bürger wollten »Geschlossenheit«. Diese Phrase wage ich in dieser Pauschalisierung zu bezweifeln.
#7 – Nicht der Medien Schuld, sondern der Union
Vorweg @Volker Pispers Wer möchten Sie denn jetzt sein, einer der über Volker Pispers schreibt oder selbiger?
Ansonsten ist das Problem doch nicht die Tatsache, dass Medien über den Machtkampf berichten, sondern die Inszenierung selbst. Wer sich die Nickligkeiten und Äußerungen der beiden in den letzten Tagen anschaut, der wird sich tatsächlich fragen, was aus den Weggefährten geworden ist. Anscheinend sind Personalia für die Union wichtiger als Richtungsentscheidungen, denn inhaltlich (mal ab vom Atomstrom) sind das keine Gegner.
Ich bin mir auch sicher, dass die CDU so etwas intern tatsächlich als Kampfabstimmung wertet, weit mehr als es die anderen Parteien würden. Insofern spiegeln die Überschriften nur die Stimmung in der CDU wieder und das Demokratieverständnis fehlt den Unionsmitgliedern und nicht den Journalisten.
Ich teile das nicht. Natürlich liefert die CDU den Anlaß für die Berichterstattung. Und was man in den Hinterzimmern zu Röttgens Kandidatur sagt – geschenkt. Aber die Skandalisierung wird in den Medien betrieben. Sie wählen die Vokabel »Machtkampf´« und hängen – je nach Bedarf – noch ein Attribut dabei. Sie konstruieren einen Zwist, einen Streit, einen Zoff – ohne zu wenigstens einmal dabei zu sagen, dass ein solches Verfahren normal in einem demokratischen Gemeinswesen ist. Auch wenn die beiden Kontrahenten nicht viel politisch trennt – Alternativen sind nicht per se keine »Kämpfe«, sondern höchstens Angebote oder Herausforderungen. Aber in dem schon das Negative mitschwingt, wird es zum Ungewöhnlichen, Unliebsamen.
Ich bin persönlich ganz deiner Meinung, dass die Annahme, eine wirkliche Abstimmung – nämlich die von zwei Kandidaten um einen Parteiposten – sei per se eine Kampfabstimmung, fehl geht.
Und ich stimme genauso zu, dass die Medien schon in vielen Fällen eine Kandidatur zweier um einen Parteiposten zu mittelschweren Krisen hochstilisiert haben.
Wenn aber die beiden Kandidaten und die Delegierten selbst von einer Kampfabstimmung ausgehen und in einem möglichen Ausgang oder in mehreren oder sogar allen eine Zerrüttung des Dreieckverhältnisses sehen, dann darf (und ich finde: muss) die Presse diesen inneren Zustand auch transportieren.
Dies ist nach der nicht gerade lustigen letzten Zeit in der NRW-CDU der Fall. Das Verfahren ist vollkommen normal und ich und Sie wissen das, im Zugehörigkeitsgefühl der Christdemokraten scheint das aber nicht abgedeckt zu sein.
Entschuldigung...
...ich bin natürlich ganz *Ihrer* Meinung, soviel Zeit muss sein.