»Vo­ted No. Not en­ough in­for­ma­ti­on.« – Ir­lands Ab­sa­ge an den Lis­sa­bon-Ver­trag

In sei­nem Buch »De­mo­kra­tie – Zu­mu­tun­gen und Ver­spre­chen« (Zi­ta­te hier­aus kur­siv) stellt Chri­stoph Möl­lers drei De­fi­zi­te des EU-Mi­ni­ster­rats her­aus, die man durch­aus als re­prä­sen­ta­tiv für die EU ins­ge­samt auf­füh­ren könn­te:

  • Kein eu­ro­päi­sches Ge­mein­wohl
    Die Ver­tre­ter der Staa­ten ver­tre­ten die In­ter­es­sen ih­res Staa­tes, nicht der EU im Gan­zen.
  • Kei­ne Öf­fent­lich­keit
    Der Mi­ni­ster­rat ent­schei­det im Er­geb­nis wie ein Ge­setz­ge­ber, doch oh­ne je­de Öf­fent­lich­keit sei­ner Dis­kus­sio­nen. Die Rech­te des eu­ro­päi­schen Par­la­ments sind höchst un­ter­ent­wickelt aus­ge­prägt; sie di­ver­gie­ren je nach Po­li­tik­feld. Das ist wahr­lich ein vor­de­mo­kra­ti­sches Prin­zip.
  • Kein nach­voll­zieh­ba­rer Aus­gleich zwi­schen Sach­in­ter­es­sen
    Die ein­zel­nen Res­sorts re­geln vor sich hin; der Mi­ni­ster­rat be­steht aus vie­len Ein­zel­mi­ni­ster­rä­ten, die oft ge­nug ge­gen­ein­an­der statt mit­ein­an­der ar­bei­ten.

Ins­ge­samt kann das po­li­ti­sche Ent­schei­dungs­sy­stem der EU nicht nur als au­sser­or­dent­lich kom­pli­ziert, son­dern auch als ziem­lich in­trans­pa­rent be­zeich­net wer­den. Al­lei­ne die verwirr­enden Be­zeich­nun­gen für die ein­zel­nen Gre­mi­en ist nicht un­be­dingt an­ge­tan, Klar­heit zu schaf­fen: EU-Rat – EU-Mi­ni­ster­rat – Eu­ro­päi­scher Rat – Eu­ro­pa­rat – na, wis­sen Sie auf An­hieb, wel­cher Be­griff für was steht? Hier ein Ver­such ei­ner Klä­rung – mit Ani­ma­ti­on.)

Der Lis­sa­bon-Ver­trag ver­sprach Hoff­nung, hat aber vie­le Be­ob­ach­ter re­la­tiv früh ent­täuscht. Zwar hat man an­de­re, re­prä­sen­ta­ti­ve­re Mehr­heits­ver­fah­ren für den Mi­ni­ster­rat ge­fun­den, aber mehr de­mo­kra­ti­sche Le­gi­ti­ma­ti­on ist hier­aus kaum ab­zu­lei­ten. Das Prin­zip in punk­to EU lau­te­te hier – wie so oft: Haupt­sa­che, man hat sich über­haupt ge­ei­nigt…

Letzt­lich ist ei­nes der Haupt­pro­ble­me der EU, dass die je­weils lo­ka­le, d. h. na­tio­na­le Sicht­wei­se im­mer zu Gun­sten ei­ner eu­ro­päi­schen Sicht­wei­se do­mi­niert. Das hat na­tür­lich da­mit zu tun, dass bei­spiels­wei­se EU-Par­la­men­ta­ri­er des Lan­des X eben in X zur Wahl ste­hen und da­nach be­ur­teilt wer­den, was sie »für X« er­reicht ha­ben.

Da die EU we­der ei­ne Kon­fö­de­ra­ti­on noch ei­ne Fö­de­ra­ti­on in je­wei­li­ger Rein­kul­tur dar­stellt und gar ein Bun­des­staat von der Mehr­heit der Bür­ger quer durch al­le Na­tio­nen ab­ge­lehnt wür­de, ver­schär­fen sich die oh­ne­hin vi­ru­len­ten Pro­ble­me de­mo­kra­ti­scher Pro­zes­se von fö­de­ra­len Ge­bil­den. Da­bei sieht Möl­lers das Feh­len ei­nes Sou­ve­räns nicht un­be­dingt als pro­ble­ma­tisch an, was in sei­nem Ver­ständ­nis ei­ner Ab­leh­nung ei­nes letz­ten Wor­tes be­grün­det ist. Aber wenn fö­de­ra­le Ge­rich­te oder Welt­han­dels­tri­bu­na­le ei­ne herausra­gende Be­deu­tung be­kom­men, in dem sie die Be­rech­ti­gung er­hal­ten demokrat­ische Re­geln aus­zu­he­ben, den Markt be­schrän­ken und da­durch Handlungs­spiel­räume der be­tei­lig­ten De­mo­kra­tien be­gren­zen, kurz, wenn ei­nem Mehr an trans­nationaler Frei­heit der In­di­vi­du­en ein We­ni­ger an de­mo­kra­ti­scher Ge­stal­tungs­mög­lich­keit ge­gen­über steht und wenn de­mo­kra­ti­sche Ent­schei­dun­gen als Ver­zer­rung des ge­mein­sa­men Mark­tes un­ter Ver­dacht ge­ra­ten – dann ent­steht ein Le­gi­ti­ma­ti­ons­pro­blem.

De­mo­kra­ti­sche Me­cha­nis­men für den ge­sam­ten Markt­raum exi­stie­ren eben nicht. Zwar schafft man durch die Öff­nung von Gren­zen für be­stimm­te In­di­vi­du­en und Un­ter­neh­men Frei­heits­ge­win­ne, aber die­se wer­den eben nicht durch ei­nen de­mo­kra­ti­schen Gegen­prozess auf­ge­fan­gen, der, wie in na­tio­na­len De­mo­kra­tien durch Mehr­hei­ten Gren­zen ge­setzt wer­den, die Be­nach­tei­lig­te schüt­zen.

Das Ge­fühl ei­nes re­gel­wü­ti­gen, bü­ro­kra­ti­schen, letzt­lich un­re­gier­ba­ren Mon­strums macht sich breit. Na­tio­na­lis­mus und Re­gio­na­lis­mus grei­fen um.

"No to Lisbon"

»No to Lis­bon«


Ob all dies bei der Ab­stim­mung der Iren ei­ne Rol­le ge­spielt hat? Ver­mut­lich eher nicht. Oder: Viel­leicht doch mehr, als man ver­mu­tet. Denn wenn Sy­ste­me nicht ei­ne ge­wis­se Über­sicht­lich­keit ha­ben, wenn kom­pli­zier­ten Me­cha­nis­men noch kom­pli­zier­te­re hin­zu­fügt wer­den, wenn al­so der Schwung der fri­schen Lie­be erst ein­mal dem All­tag ge­wi­chen ist, dann be­ginnt das Grü­beln, die­ses un­er­klär­te Grum­meln und die Zwei­fel, die dann zu­sätz­lich ge­sät wer­den, kön­nen frucht­ba­ren Bo­den fin­den.

Es wä­re ein Leich­tes das Schei­tern des Re­fe­ren­dums in Ir­land den in­nen­po­li­ti­schen Pro­ble­men der am­tie­ren­den Re­gie­rung an­zu­la­sten. Selbst wenn – war­um soll­te da­durch die Ent­schei­dung we­ni­ger le­gi­ti­miert sein? Fest steht, dass in ei­nem de­mo­kra­ti­schen Ver­fah­ren die Kraft des Ar­gu­ments der Be­für­wor­ter nicht ver­fan­gen hat. Das ist mit­nichten ein Grund, das Ver­fah­ren an sich in­fra­ge zu stel­len – wie man es von sei­ten der Staats- und Re­gie­rungss­chefs der EU ge­tan hat, in dem man eben nicht über den Ver­trag hat ab­stim­men las­sen. Statt ei­ne Sa­che po­si­tiv zu ver­tre­ten, wird sie ok­troy­iert; statt den Geg­nern mit Ar­gu­men­ten zu be­geg­nen, wer­den sie igno­riert.

So stimm­ten die Nein­sa­ger in Ir­land ver­mut­lich für vie­le Nein­sa­ger in der EU; auch (und viel­leicht ge­ra­de) in Län­dern wie Frank­reich und Deutsch­land; Gross­bri­tan­ni­en so­wie­so. Aber nichht die Nein­sa­ger stür­zen die EU in ei­ne »Kri­se«, son­dern in die Kri­se ist die EU durch ei­ne un­ter­ir­disch schlech­te Ver­mitt­lung schon lan­ge. In der Wirt­schaft nennt man das Mar­ke­ting. Es reicht nicht, zu be­son­de­ren Ge­le­gen­hei­ten die Vor­zü­ge der Rei­se­frei­heit zu prei­sen.

Mit den üb­li­chen ver­wal­tungs­tech­ni­schen Tricks wird man viel­leicht noch da­für sor­gen kön­nen, dass auch Ir­land spä­ter dem Lis­sa­bon-Ver­trag doch noch zu­stimmt. 2002 hat­te man die Iren ja auch noch ein zwei­tes Mal über Niz­za ab­stim­men las­sen. Es wird so lan­ge ge­wählt, bis das Er­geb­nis stimmt? Selt­sa­mes Ver­ständ­nis, wel­ches die Le­gi­ti­ma­ti­on der EU wei­ter un­ter­gräbt – wie üb­ri­gens auch die Re­ak­ti­on des Kom­mis­si­ons­prä­si­den­ten: ei­ne Mi­schung zwi­schen hilf­lo­sen Durch­hal­te­f­los­keln und ar­ro­gan­tem Guts­her­ren­ge­ha­be. In­dem man das Vo­tum der Bür­ger Ir­lands ab­wie­gelt oder lä­cher­lich macht, de­le­gi­ti­mie­ren sich die Re­prä­sen­tan­ten er­neut.

Tat­sa­che ist, dass es in Deutsch­land we­der in den Me­di­en noch in der po­li­ti­schen Klas­se bis­her ei­ne ir­gend­wie ge­ar­te­te re­le­van­te Dis­kus­si­on über den Ver­trag von Lis­sa­bon ge­ge­ben hat.

Chri­stoph Möl­lers geht so­gar noch wei­ter, in dem er den man­geln­den Dis­kurs über die eu­ro­päi­sche In­te­gra­ti­on selbst kri­ti­siert und als ein Feh­ler ei­nes kon­sen­su­el­len Sy­stems in­ter­pre­tiert: Es mag gu­te Grün­de und noch bes­se­re In­ter­es­sen für die eu­ro­päi­sche In­te­gra­ti­on ge­ben, aber wir hat­ten man­gels de­mo­kra­ti­scher Aus­ein­an­der­set­zung nie Ge­le­gen­heit, sie ken­nen­zu­ler­nen. So bleibt die eu­ro­päi­sche In­te­gra­ti­on in Deutsch­land ei­ne Art Na­tur­er­eig­nis und die Zu­stim­mung zu ihr ein auf die Dau­er eher zu­fäl­li­ger Um­stand, auf den man erst ver­trau­en könn­te, wenn sich ei­ne Ge­gen­an­sicht ar­ti­ku­liert hät­te. Den Fa­den könn­te man sehr wohl auf die Dis­kus­si­on um die De­mo­kra­tie an sich wei­ter­spin­nen und die – an­geb­li­che – De­mo­kra­tie­ver­dros­sen­heit. Aber das wä­re ein an­de­res The­ma.

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  1. »...dass es in Deutsch­land we­der in den Me­di­en noch in der po­li­ti­schen Klas­se bis­her ei­ne ir­gend­wie ge­ar­te­te re­le­van­te Dis­kus­si­on über den Ver­trag von Lis­sa­bon ge­ge­ben hat.«

    Nun, die­se Dis­kus­si­on war mit Si­cher­heit auch nicht ge­wünscht. Min­de­stens von der Ebe­ne der Po­li­tik möch­te ich das mal be­haup­ten.... (Und ich kann mich noch sehr gut an die Ab­läu­fe der da­ma­li­gen Ab­stim­mung zu ei­ner Fu­si­on Ber­lin / Bran­den­burg er­in­nern, wo es ähn­lich lief, sich man­geln­de oder fal­sche In­for­ma­tio­nen inkl. Meck­len­bur­ger Al­leen zu ei­nem PR – De­sa­ster und da­mit zu ei­nem po­li­ti­schen Schei­tern aus­wuch­sen.

  2. Not en­ough in­for­ma­ti­on? Eher gar kei­ne von Sei­ten der Yes-Be­für­wor­ter, wenn ich Ei­nem ge­wis­sen Ja­mie aus Wick­low glau­ben darf: “The NO cam­paign ga­ve va­lid re­a­sons to re­ject the trea­ty. The YES cam­paign was built on a ‘Vo­te YES be­cau­se we want you to vo­te YES’ pre­mi­se.” be­schreibt er auf der ver­link­ten RTE-Sei­te die Mei­nungs­bil­dungs­kam­pa­gnen. Bei die­ser Be­grün­dung hät­te ich auch mit NO ge­stimmt.
    Ins­ge­samt stellt sich al­ler­dings die Fra­ge, ob sol­che, im Prin­zip, kom­ple­xen Fra­gen über­haupt für ei­ne Volks­ab­stim­mung ge­eig­net sind. Bis auf we­ni­ge Ex­per­ten ist doch kaum je­mand wirk­lich in­for­miert und will es auch gar nicht sein, weil’s zu kom­pli­ziert und auch zu lang­wei­lig ist. 40% Wahl­be­tei­li­gung sa­gen doch al­les. Wenn ich „zu lang­wei­lig“ schrei­be, neh­me ich mich da­bei nicht aus.

  3. Die Grund­satz­fra­ge se­he ich – zum Teil ähn­lich ne­ga­tiv – auch, aber so we­nig, wie ich über die­sen Ver­trag auch weiß, wä­re ich in D. ein Geg­ner, lie­ße man mir nur die Ge­le­gen­heit da­zu.... Im Par­la­ment kann man ja von ei­ner nen­nens­wert star­ken Op­po­si­ti­on in fast al­len Eu­ro­pa – Fra­gen nicht re­den...

  4. Mei­ne Mei­nung Volks­ab­stim­mun­gen ge­gen­über ist im Prin­zip auch eher skep­tisch. Ich bin kein un­mit­tel­ba­rer An­hän­ger von Ple­bis­zi­ten, wo­bei ich al­ler­dings glau­be, dass kom­mu­na­le Din­ge un­ter Um­stän­den bes­ser ei­ne Le­gi­ti­ma­ti­on durch die Mehr­heit der Bür­ger be­kom­men.

    Grund­le­gen­de po­li­ti­sche Ent­wür­fe wie Ver­fas­sun­gen oder die­ser »Re­form­ver­trag« hier (al­lei­ne der Na­me!) soll­ten aber mei­ner Mei­nung nach auch zwecks Ver­mei­dung von Ver­schwö­rungs­theo­rien durch ein all­ge­mei­nes Vo­tum le­gi­ti­miert wer­den. Da­mit ver­bun­den wä­re von mei­ner Sei­te die Hoff­nung nach ei­nem in­halts­mä­ssig ge­führ­ten »Wahl­kampf«, der na­tür­lich mehr Aus­sa­gen ha­ben müss­te, als dass man mit »Ja« stim­men soll, weil man es von Re­gie­rungs­sei­te so wünscht. Das ist of­fen­sicht­lich in Ir­land ver­säumt wor­den – und dann hät­te ich si­cher­lich ge­nau so mit »Nein« ge­stimmt.

    Vie­le Blogs zum Vo­tum zei­gen, wel­che Äng­ste und auch oft fal­schen In­for­ma­tio­nen man da auf­sitzt. Da wird von der Wie­der­ein­füh­rung der To­des­stra­fe ge­spro­chen und ähn­li­chem Un­sinn. Eu­ro­pa ist eben der Fall, in dem lin­ke und rech­te Ideo­lo­gen an ei­nem Strang und in die glei­che Rich­tung zie­hen.

    Dem könn­te man mit ei­nem Re­fe­ren­dum ent­ge­gen­tre­ten. Man mag das für na­iv hal­ten, aber es be­steht m. E. kei­ne an­de­re Chan­ce. Auf Dau­er kann ein sol­ches »Pro­jekt« wie die EU nicht oh­ne brei­te Ver­an­ke­rung in den je­wei­li­gen Ge­sell­schaf­ten re­üs­sie­ren.

  5. Ach Eu­ro­pa...
    Es geht um DAS hier.

    Ich weiß, sieht erst­mal aus wie off to­pic, aber ich fin­de, es bringt das »Eu­ro­pa« der Po­li­ti­ker – und da­mit eben doch auch das Ab­stimm­ver­hal­ten – tref­fends auf den Punkt.

  6. To­des­stra­fe und ähn­li­cher Un­sinn
    »Ei­ne Tö­tung wird nicht als Ver­let­zung die­ses Ar­ti­kels be­trach­tet, wenn sie durch ei­ne Ge­walt­an­wen­dung ver­ur­sacht wird, die un­be­dingt er­for­der­lich ist, um
    [...]
    c) ei­nen Auf­ruhr oder Auf­stand recht­mä­ßig nie­der­zu­schla­gen.

    Wenn das Grund­ge­setz die­ser eu­ro­päi­schen Re­ge­lung nicht mehr pa­ro­li bie­ten kann, weil es eu­ro­päi­schem Recht mit In­kraft­tre­ten des Ver­trags von Lis­sa­bon nach­ran­gig ge­stellt sein wird, dann ist das Er­schie­ßen von De­mon­stran­ten al­so in al­len Mit­glieds­län­dern ge­stat­tet. Oder kannst du das Ge­gen­teil nach­wei­sen? Ich wür­de mich freu­en.

    Was den »Un­sinn« mit der To­des­stra­fe an­geht – das hät­te ich gern noch von dir er­klärt. So­weit ich das ver­stan­den ha­be, be­sagt der Ver­trag von Lis­sa­bon ge­nau wie der Ver­fas­sungs­ver­trag da­vor, daß die Re­ge­lun­gen der Grund­rech­te­char­ta über­nom­men wer­den. Die Re­ge­lun­gen der Grund­rech­te­char­ta sind aus­drück­lich im Sin­ne ih­rer Er­klä­run­gen aus­zu­le­gen. Die Er­klä­run­gen be­inhal­ten, daß im Kriegs­fall (der­zeit Af­gha­ni­stan) und im Fal­le un­mit­tel­ba­rer Kriegs­ge­fahr (an­ge­sichts der ak­tu­el­len Welt­la­ge längst akut) die To­des­stra­fe er­laubt ist. So­bald die na­tio­na­len Ver­fas­sun­gen, die die To­des­tra­fe heut­zu­ta­ge längst aus­schlie­ßen, dem eu­ro­päi­schen Recht un­ein­ge­schränkt nach­ge­ord­net sein wer­den, kön­nen die Mit­glie­der des Eu­ro­päi­schen Rats per Be­schluß fest­le­gen, daß ab so­fort für be­stimm­te Ver­ge­hen die To­des­stra­fe in der ge­sam­ten EU wie­der ein­ge­führt wird.

    Es wä­re si­cher­lich kor­rek­ter zu sa­gen, die Mög­lich­keit der Ein­füh­rung der To­des­stra­fe sei mit Wirk­sam­wer­den des Ver­trags von Lis­sa­bon nicht mehr aus­ge­schlos­sen. Aber es könn­te ei­ne der er­sten Amts­hand­lun­gen des frisch er­mäch­tig­ten Eu­ro­päi­schen Ra­tes sein – wer wür­de das nach dem 01.01.09 ver­hin­dern kön­nen? Das In­stru­ment zur un­de­mo­kra­ti­schen Ein­füh­rung der To­des­stra­fe zu schaf­fen, kommt ih­rer tat­säch­li­chen Ein­füh­rung gleich. Al­les an­de­re wä­re blau­äu­gig, fin­de ich.

    Wo die Ent­schei­dungs­struk­tur ei­ner Or­ga­ni­sa­ti­on auf dik­ta­to­ri­sches Re­gie­ren zu­ge­schnit­ten ist, da wird auch dik­ta­to­risch re­giert wer­den. Das ist nur all­zu mensch­lich. Es ist ja so viel ein­fa­cher und ef­fek­ti­ver, wenn man sei­nen Wil­len mit Ge­walt durch­set­zen kann an­statt stän­dig auf an­de­re Leu­te und ih­re An­sich­ten Rück­sicht neh­men zu müs­sen.

    Ich wür­de mich ehr­lich freu­en, wenn du mei­ne Be­den­ken aus­räu­men könn­test.

  7. Ich wür­de mich ehr­lich freu­en, wenn du mei­ne Be­den­ken aus­räu­men könn­test.
    Ihr Bei­trag auf Ih­rem Blog ent­hält der­art vie­le Un­ter­stel­lun­gen ( das Er­schie­ssen von De­mon­stran­ten), die ha­stig von ir­gend­wel­chen Leu­ten ab­ge­schrie­ben wur­den – was soll man da »aus­räu­men«? Ich ent­neh­me dem Ver­trag an kei­ner Stel­le, dass von dik­ta­to­ri­schem Re­gie­ren die Re­de ist, au­sser wenn man Staats­ge­walt per se be­reits als Dik­ta­tur be­grei­fen wür­de. Im üb­ri­gen kann die EU nie re­gie­ren; sie ist kein Bun­des­staat.

    Viel­leicht wen­den Sie sich an den Eu­ro­pa­par­la­men­ta­ri­er Ih­res Ver­trau­ens, der die ver­klau­su­lier­te Stel­le über die ver­meind­li­che To­des­stra­fen­ein­füh­rung auf Sei­te 426 er­klä­ren kann.

    Ich be­trach­te es als sinn­los, auf die­sem Ni­veau zu dis­ku­tie­ren. Das Di­lem­ma, in dem ich mich be­fin­de, in dem ich die Ab­leh­nung des Ver­tra­ges durch die Iren be­grü­sse, be­steht dar­in, die­je­ni­gen, die der­ar­ti­gen Ver­schwö­rungs­theo­rien an­hän­gen, in­di­rekt zu un­ter­stüt­zen. Da­bei ist es letzt­lich ein Akt po­li­ti­scher Dumm­heit, ei­ne eu­ro­päi­sche Zu­sam­men­ar­beit ab­zu­leh­nen. Die Fra­ge ist al­ler­dings, wie sie aus­se­hen soll. Ge­gen ei­ne Aus­rich­tung Eu­ro­pas im Sin­ne von Ha­ber­mas und Der­ri­da ha­be ich nichts ein­zu­wen­den; im Ge­gen­teil.

    Lei­der sind die eu­ro­päi­schen Po­li­ti­ker un­fä­hig, die Vor­tei­le eu­ro­piäi­scher In­te­gra­ti­on her­aus­zu­ar­bei­ten; das mün­det ganz schnell in »Rei­se­frei­heit« (das hör­te man 1989 auch von vie­len DDR-Bür­gern). Auf Dau­er trägt das nicht. Ein Dis­kurs über die Not­wen­dig­keit hat nie statt­ge­fun­den; die Er­klä­run­gen wa­ren im­mer tau­to­lo­gisch, d. h. EWG / EG / EU ist gut, weil es gut ist. So kann man nicht mal mehr im Kin­der­gar­ten über­zeu­gen.

  8. Ich zi­tier­te: »Ei­ne Tö­tung wird nicht als Ver­let­zung die­ses Ar­ti­kels be­trach­tet, wenn sie durch ei­ne Ge­walt­an­wen­dung ver­ur­sacht wird, die un­be­dingt er­for­der­lich ist, um
    [...]
    c) ei­nen Auf­ruhr oder Auf­stand recht­mä­ßig nie­der­zu­schla­gen.«

    Sie da­zu: »... der­art vie­le Un­ter­stel­lun­gen ( das Er­schie­ssen von De­mon­stran­ten)«

    Da macht Dis­ku­tie­ren tat­säch­lich kei­nen Sinn. Und ei­nen er­fah­re­nen Rechts­wis­sen­schaft­ler wie Prof. Schacht­schnei­der, der sich mit sei­ner Auf­fas­sung in Sa­chen EU-Ver­trag vor dem Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt durch­set­zen konn­te, mit »ir­gend­wel­chen Leu­ten« ab­zu­qua­li­fi­zie­ren, kommt reich­lich ar­ro­gant rü­ber. Aber bit­te­schön, ich werd hier nicht wei­ter stö­ren.

    Vie­len Dank im Üb­ri­gen für den amü­san­ten Hin­weis auf die mög­li­che Exi­stenz ei­nes EU-Par­la­men­ta­ri­ers mei­nes Ver­trau­ens.

  9. Ha­ben Sie ei­ne Quel­le für die Sei­te 426? Kommt man an ei­ne deut­sche Ver­trags­fas­sung zum nach­le­sen ir­gend­wo im In­ter­net her­an, Herr Keu­sch­nig? Ich tei­le durch­aus Ih­re Ein­schät­zung, daß sei­tens Frau Küh­nes dra­ma­ti­siert wird und ei­ne ge­wis­se Ver­schwö­rungs­gläu­big­keit vor­herrscht.

    Aber es scha­det si­cher nicht, sich den Text we­nig­stens in grö­ße­ren Aus­zü­gen ein­mal an­zu­se­hen. Und bis­her schei­nen mir man­gels ad­äqua­ter Quel­len­an­ga­be Frau Küh­ne und an­de­re nicht aus­rei­chend wi­der­legt zu sein. Ich ge­be zu, ein ge­wis­ses Miß­trau­en scheint mir im­mer dann an­ge­zeigt, wenn der Ein­druck ent­steht, Bü­ro­kra­ten in Hin­ter­zim­mern he­beln mal eben das deut­sche Grund­ge­setz aus.

  10. Quel­len
    Hier ein Text der LPB mit ei­nem Link auf den Re­form­ver­trag (pdf).

    Hier gibt es noch mehr Tex­te.

    Das Pro­to­koll, wel­ches dann letzt­lich ir­gend­wo auf Sei­te 426 et­was über To­des­stra­fe sagt, fin­de ich in der Ei­le im Mo­ment nicht. Es han­delt sich da­bei m. E. um ei­ne Aus­schluss­klau­sel. Wenn ich’s fin­de rei­che ich’s nach. Das ha­be ich dann auch noch ge­fun­den, was die Ar­gu­men­ta­ti­on von Schacht­schnei­der an­geht.


    Er­gän­zung 19.00 uhr
    so­eben das hier ge­fun­den; bit­te auf die Fra­ge von Herrn Brau­se ge­hen.

    (Das Do­ku­ment, was ich am Sonn­tag noch auf dem PC hat­te, ha­be ich nicht mehr wie­der­ge­fun­den.)


    Statt die­ser Pa­ra­noia fin­de ich eher das hier po­li­tisch re­le­vant und be­den­kens­wert.

  11. Vie­len Dank für Ih­re Mü­he. So­weit ich es bis­her ge­le­sen ha­be, ist in dem Ve­trag, wenn über­haupt, die Re­de vom Ge­gen­teil zur Wie­der­ein­füh­rung der To­des­stra­fe.

    Ih­re und Ha­ber­mas’ Po­si­ti­on, auf die Sie hier dan­kens­wer­ter­wei­se ver­lin­ken, un­ter­schei­den sich in mei­nen Au­gen be­sten­falls in Nu­an­cen. Und fast über­all kann ich Ih­nen zu­stim­men, nein, ei­gent­lich über­all. Ähn­lich wie bei Ha­ber­mas geht mei­ne Mei­nung nur in­so­weit über Ih­re hin­aus, daß ich es mit ei­nem Ap­pell an die Po­li­tik, oder po­li­ti­schen Ent­schei­dungs­trä­ger usw., für nicht ge­tan hal­te. Der eu­ro­päi­sche Ei­ni­gungs­pro­zeß ist aus mei­ner Sicht bis­her ganz we­sent­lich von öko­no­mi­schen In­ter­es­sen ge­trie­ben, was ja nicht schlecht sein muß. Noch hin­zu kommt die Ei­gen­dy­na­mik ei­nes ein­mal ge­schaf­fe­nen Ver­wal­tungs­ap­pa­ra­tes, die mit­un­ter gro­tes­ke For­men an­nimmt (z.B. Fest­le­gun­gen über die Län­ge, Krüm­mung und den Durch­mes­ser von Gur­ken und Ba­na­nen). Des­sen Ent­schei­dun­gen wer­den mit­un­ter auf­grund der na­he­zu völ­lig feh­len­den de­mo­kra­ti­schen Kon­trol­le als be­son­ders will­kür­lich er­lebt.

    In­so­weit schlie­ße ich mich Ha­ber­mas an, man muß sich der­zeit ein Schei­tern der wei­te­ren In­te­gra­ti­on Eu­ro­pas wün­schen. Nur so, den­ke ich, ent­ste­hen die sehr viel stär­ker wirk­sa­men öko­no­mi­schen In­ter­es­sen für ei­nen si­gni­fi­kan­ten Aus­bau de­mo­kra­ti­scher Struk­tu­ren auf eu­ro­päi­scher Ebe­ne. Das be­ginnt mit dem In­itia­tiv­recht des Eu­ro­päi­schen Par­la­men­tes. Ei­ne »mo­de­rier­te« Frei­han­dels­zo­ne kann we­nig­stens lang­fri­stig auch nicht im In­ter­es­se der Wirt­schaft sein. Ku­rio­ser­wei­se könn­te man die­sen Er­kennt­nis­ge­winn in der Wirt­schaft be­schleu­ni­gen, wenn man zu­nächst ein­mal mög­lichst viel blockiert.

    Das omi­nö­se Pro­to­koll hät­te ich aber doch noch ger­ne ge­le­sen. Soll­ten Sie es, im Ge­gen­satz zu mir, noch fin­den...

    Vie­le Grü­ße

  12. @Peter Vieh­rig
    Das ver­link­te Do­ku­ment ist nicht das, was ich schon ein­mal auf dem Bild­schirm hat­te (und im­mer noch nicht ge­fun­den ha­be). Aber weg von die­ser Phan­tom­dis­kus­si­on der Ver­schwö­rungs­theo­re­ti­ker.

    Die Zie­le, die die EWG bei ih­rer Grün­dung hat­te, wa­ren ja auch po­li­ti­sche. Ziel war ein eu­ro­päi­scher Bun­des­staat, der über den ge­mein­sa­men Markt (=Öko­no­mie) schritt­wei­se ver­wirk­licht wer­den soll­te. Noch Kohl hing die­ser Vi­si­on an, die mit dem Eu­ro for­ciert wer­den soll­te. Gleich­zei­tig sitzt Deutsch­land im­mer ein biss­chen zwi­schen den Stüh­len, wenn es dar­um geht, ne­ben öko­no­mi­scher Ge­stal­tung auch po­li­ti­sche Po­tenz für die EU zu for­dern – flugs wird uns un­ter­stellt, Gross­macht­den­ken ein­zu­füh­ren (was Schrö­der durch sei­ne For­de­rung, Deutsch­land sol­le ei­nen Sitz im Welt­si­cher­heits­rat be­kom­men, noch be­för­der­te).

    Der Bun­des­staat Eu­ro­pa war spä­te­stens mit der Nord­erwei­te­rung 1973 ge­stor­ben. Ku­ri­os ist für mich im­mer ge­we­sen, dass im Prin­zip zwar die Staa­ten in die EU ein­ge­tre­ten sind, letzt­lich aber den Bei­tritts­kan­di­da­ten im­mer wie­der Zu­ge­ständ­nis­se ge­macht wur­den. Das ist un­ge­fähr so, als woll­te ich Mit­glied in ei­nem Ver­ein wer­den, aber nur, wenn für mich ge­wis­se Aus­nah­me­re­ge­lun­gen gel­ten. Der Ver­ein hat sich mir an­zu­pas­sen und nicht mehr um­ge­kehrt. Man könn­te al­so durch­aus sa­gen, dass nicht die Staa­ten in die EU ein­ge­tre­ten sind, son­dern die EU die Staa­ten an­ge­heu­ert (= ein­ge­kauft) hat. Die Fol­ge ist, dass je­der meint, er brau­che nur ei­nen Eu­ro in die EU-Kas­se zu be­zah­len, um dann ir­gend­wann zwei Eu­ro zu er­hal­ten.

    Im üb­ri­gen glau­be ich nicht, dass Ha­ber­mas ein Schei­tern der In­te­gra­ti­on wünscht, son­dern eher ein Schei­tern des »Wei­ter so«. Al­le Zei­chen ste­hen aber lei­der ge­nau dar­auf, was er ab­lehnt: Die Iren sol­len ir­gend­wie se­hen, dass sie noch ein­mal ab­stim­men und dann bit­te so, wie man es wünscht.

    Der Aus­bau de­mo­kra­ti­scher Struk­tu­ren in der EU soll­te ja durch den Re­form­ver­trag be­för­dert wer­den – al­ler­dings auf ty­pisch »eu­ro­päi­sche« Art mit drei Schrit­ten vor und zwei­ein­halb zu­rück. Dass das nie­mand mehr ver­steht, ist Kern des Pro­blems.

    Den­noch bleibt mit­tel- und lang­fri­stig kei­ne Al­ter­na­ti­ve zu ein­heit­li­chen eu­ro­päi­schen Struk­tu­ren. Ei­ne Wa­gen­burg­men­ta­li­tät (die ei­ne merk­wür­di­ge Al­li­anz von rechts und links be­für­wor­ten) wä­re ge­nau falsch.

  13. Merk­wür­dig, merk­wür­dig
    Der gan­ze Th­read ist äu­ßerst in­ter­es­sant und in­for­ma­tiv und die ent­spre­chen­den Ver­lin­kun­gen wä­ren mir oh­ne lan­ges Su­chen nicht zu­gäng­lich ge­we­sen.
    Ich selbst bin ein An­hän­ger der EU und glau­be manch­mal, dass der ur­sprüng­li­che Ge­dan­ke zu hehr war, um rea­li­siert wer­den zu kön­nen.
    Das Haupt­pro­blem se­he ich durch die Men­schen ge­ge­ben. Die Po­li­tik in den ein­zel­nen Mit­glieds­län­dern ist für den ge­wöhn­li­chen Bür­ger kaum mehr aus­zu­hal­ten, wenn ich das aus öster­rei­chi­scher Sicht be­trach­te. Was Sar­ko­zys Frau macht, ist in Wirk­lich­keit wich­ti­ger in den Me­di­en als ir­gend­wel­che Ak­tio­nen sei­ner­seits.
    In Öster­reich wer­den Zi­gar­ren und Rot­wei­ne dis­ku­tiert. Ein or­dent­li­cher so­zi­al­de­mo­kra­ti­scher Bun­des­kanz­ler hat sich da­von fern zu hal­ten.
    Aus wel­chen Rei­hen wer­den die EU-Par­la­men­ta­ri­er ge­kürt?
    Das Pro­blem ist nicht so sehr das Gur­ken­krüm­mungs­ge­setz, dass wie­der ab­ge­schafft wur­de, son­dern ei­ne Men­ta­li­tät von Po­li­ti­kern, die auf dem lan­gen Weg vom Re­gio­nal­po­li­ti­ker zum EU-Po­li­ti­ker schon um­ge­bungs­be­dingt, jeg­li­che Scham und vi­sio­nä­ren Ge­stal­tungs­wil­len ad ac­ta le­gen muss­te.
    Ich hät­te doch ger­ne ein­mal ei­ne Li­ste vor­ge­legt be­kom­men. Die letz­ten zehn EU-Ge­set­ze und ihr Nut­zen für die ein­zel­nen Staa­ten. Dann könn­te man auf­schlüs­seln und un­ter dem Strich fest­stel­len: ei­ni­gen Län­dern scha­det ein Ge­setz, an­de­ren Län­dern nutzt es. Man führt ei­nen Be­wer­tungs­schlüs­sel ein, be­vor man die Ge­set­ze da­mit ge­wich­tet.
    Wenn sich dann ein Ge­samt­nut­zen er­gibt, könn­ten Ab­stim­mun­gen im ge­sam­ten EU-Be­reich viel­leicht auch ein JA er­ge­ben. (Es gibt da noch sta­ti­sti­sche Pa­ra­do­xa, die hin­ein­spie­len, aber der Grund­ge­dan­ke ist wohl klar.)
    Sei­en wir uns doch ei­nig: we­der Frank­reich noch Deutsch­land noch sonst ir­gend­wel­che Staa­ten sind in der La­ge, al­lein als glo­bal play­er auf­zu­tre­ten.
    Brau­chen wir ja auch gar nicht. (Selbst Ame­ri­ka hat zwi­schen Iso­la­tio­nis­mus und Groß­macht ge­schwankt.)
    Ich bin noch (!) über­zeugt, dass es uns Öster­rei­chern oh­ne EU schlech­ter ge­hen wür­de, ob­wohl die Geg­ner ge­nüss­lich die Schweiz als Ge­gen­bei­spiel an­füh­ren.
    In der Süd­deut­schen war glau­be ich er­wähnt, dass die Iren nicht über die EU ab­ge­stimmt ha­ben son­dern über den Ver­trag. Dass ein Schei­tern des Ver­trags die EU in ei­ne Kri­se stürzt, ist Sa­che der EU.
    -
    Stimmt! Ich se­he das auch so. Es gibt nur zwei Mög­lich­kei­ten. Ent­we­der wird in je­dem Staat per Re­fe­ren­dum über Ein­ze­la­gen­den der EU ab­ge­stimmt oder in kei­nem. Man kann die Ent­schei­dung als Ein­stim­mig­keit von 27 Re­gie­run­gen oder als pro­zen­tu­el­le Zu­stim­mung al­ler EU-Bür­ger ein­ho­len. Ir­gend­ei­ne Kom­bi­na­ti­on da­zwi­schen zeigt von ei­ner ma­ni­pu­lier­ba­ren Schlam­pe­rei, die wie­der­um auf ech­te Ma­ni­pu­la­ti­on hin­weist.
    Ei­ne neue Ab­stim­mung ist sinn­los, wenn sie nur von den Iren durch­ge­führt wird. Ent­we­der al­le oder kei­ner.
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    Die Iren als ech­te Nutz­nie­ßer der EU – was von nie­man­den auch nicht von ih­nen be­strit­ten wird – wer­den si­cher ger­ne in der EU blei­ben wol­len.
    Als Öster­rei­cher fra­ge ich mich: war­um sol­len die ei­ne Son­der­re­ge­lung be­kom­men? Es geht ih­nen doch gut, oder?
    Aber das Pro­blem liegt in Wirk­lich­keit in der Ver­man­schung un­ter­schied­li­cher Wahl­arith­me­ti­ken. Ein biss­chen Ähn­lich­keit be­steht ja mit der ame­ri­ka­ni­schen Prä­si­den­ten­wahl. Ei­ne Min­der­heit kann ei­nen Prä­si­den­ten durch­set­zen, weil die Wahl­män­ner-Ge­wich­tung nicht den tat­säch­li­chen Be­völ­ke­rungs­an­tei­len ent­spricht.
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    Da bleibt al­ler­dings noch ein Punkt of­fen: den Leu­ten geht es im­mer schlech­ter, die Sche­re zwi­schen arm und reich wird im­mer grö­ßer.
    Al­so das ist ja nun ei­ne Fra­ge der Kurz­sich­tig­keit! Po­le­misch möch­te ich nicht ver­ges­sen, dar­auf hin­zu­wei­sen, dass die Sche­re vor 100 Jah­ren noch viel, viel grö­ßer war. Und vor 200 Jah­ren noch viel, viel »grö­ße­rer« und so wei­ter. Wenn bei uns in Öster­reich dar­über dis­ku­tiert wird, er­lau­be ich sehr wohl die Mög­lich­keit von Ver­bes­se­run­gen, aber das Jam­mern, wie schlecht es uns doch geht, zeigt von ei­ner In­do­lenz son­der­glei­chen. Es geht uns le­dig­lich schlech­ter als es uns im Fern­se­hen vor­ge­spielt wird. Die mei­sten, die her­um la­men­tie­ren, wol­len sich auch gar nicht für die wirk­lich Ar­men ein­set­zen, (»Die Aus­län­der sind schuld, die ge­hö­ren hin­aus!«) son­dern wol­len ih­ren ei­ge­nen Sta­tus ver­bes­sern.
    Neh­men wir al­so trotz­dem an, dass sich die Zu­stän­de ver­schlech­tern: oh­ne EU wä­ren wir al­le Kai­ser und Lot­to-Ge­win­ner. Die Pro­ble­me wä­ren ge­löst und wir le­ben fried­lich auf der In­sel der Se­li­gen.
    Bit­te, wie soll denn das ge­hen, wenn wir nicht ein­mal in ei­nem Land wie Öster­reich ei­ne Ge­sund­heits­re­form durch­füh­ren kön­nen. So­fort ste­hen die ver­schie­de­nen In­ter­es­sen­grup­pen auf den Bar­ri­ka­den. Al­le Coleurs, al­le Be­trof­fen re­gen sich auf. Ton­la­ge: »Wir wer­den un­ter­ge­hen, die me­di­zi­ni­sche Ver­sor­gung wird zu­sam­men­bre­chen, Öster­reich wird bank­rott!« Ir­gend­wo an­ders le­se ich dann, dass wir ei­nes der al­ler­be­sten Ge­sund­heits- und Ver­sor­gungs­sy­ste­me auf der Welt ha­ben.
    Leu­te, da beißt sich die De­mo­kra­tie in den Schwanz. Mit sol­chen Ar­gu­men­ta­tio­nen kommt dann gleich­zei­tig der Ruf nach dem star­ken Mann (manch­mal in An­klän­gen schon durch­hör­bar) und dann aber auch die To­le­ranz der bes­ser wis­sen­den Grup­pie­run­gen. Wenn ei­ner gut dik­tiert, bringt er viel­leicht mehr wei­ter. (Dass ei­ne Dik­ta­tur an sich zu Miss­brauch führt, weiss man dann nur mehr theo­re­tisch.) Die De­mo­kra­tie führt sich selbst ad ab­sur­dum. Und da­bei, um auf den Aus­gangs­punkt zu­rück­zu­kom­men, han­delt es sich nur um ei­ne ver­fah­rens­recht­li­che Blöd­heit.
    Ei­ne Ver­man­schung un­ter­schied­li­cher Ent­schei­dungs­ver­fah­ren mit dem Re­sul­tat, dass ei­ne iri­sche Ab­stim­mung, die von 1% der EU-Bür­ger (ei­gent­lich nur 0,5% auf­grund der Wahl­be­tei­li­gungs­quo­te) durch­ge­führt wird, die Hand­lun­gen, wel­che für die rest­li­chen 99% durch­ge­führt wer­den sol­len, be­ein­flus­sen.
    Dass aber Po­li­ti­ker, Ju­ri­sten und ak­ti­ve Po­li­ti­ker null ma­the­ma­ti­sches Ver­ständ­nis ha­ben, ist be­kannt. Ir­gend­wie kann ich auch ver­ste­hen, dass sie gar nicht an ei­nem Bil­dungs­sy­stem in­ter­es­siert sein kön­nen, wel­ches ei­ne bes­se­re Ma­the­ma­tik­aus­bil­dung er­mög­licht. Von der näch­sten Ge­ne­ra­ti­on wür­den sie näm­lich zum Teu­fel ge­jagt wer­den.

  14. @steppenhund
    So weit ich weiß (kann mich aber auch ir­ren), ist der Grund für das Re­fe­ren­dum in Ir­land die iri­sche Ver­fas­sung, die ein sol­ches vor­schreibt (sonst hät­te es wohl kei­nes ge­ge­ben). Des­halb die­se selt­sa­me Si­tua­ti­on (Und wel­cher Po­li­ti­ker hät­te das »Ri­si­ko« ein­ge­hen wol­len, meh­re­re Re­fe­ren­den ab­hal­ten zu wol­len?).

  15. Ei­ne in­ter­es­san­te Wen­de
    Die (neue) Dop­pel­füh­rung der öster­rei­chi­schen So­zi­al­de­mo­kra­tie er­klärt in ei­nem Brief an die »Kro­ne«, dass sie für ei­nen even­tu­ell ge­än­der­ten Ver­trag von Lis­sa­bon ei­ne Volks­ab­stim­mung wün­sche (und auch für den Bei­tritt der Tür­kei). Ein Sin­nes­wan­del? Oder doch eher Po­pu­lis­mus?

  16. Toll
    Al­so ich re­ka­pi­tu­lie­re ein­mal: Der Bun­des­kanz­ler (SPÖ) und der neue, de­si­gnier­te Par­tei­vor­sit­zen­de schrei­ben an die »Kronen«-Zeitung ei­nen – sa­gen wir ein­mal – »Le­ser­brief«, in dem sie mit­tei­len, dass künf­ti­ge »Ver­trags­än­de­run­gen« mit ei­ner Volks­ab­stim­mung le­gi­ti­miert wer­den sol­len. Da­mit ist der Lis­sa­bon-Ver­trag ge­meint, falls er noch ein­mal (aus ir­gend­wel­chen Grün­den) ge­än­dert wer­den soll­te.

    Man stel­le sich vor in Deutsch­land wür­de An­ge­la Mer­kel ei­nen Brief an Kai Diek­mann von der »Bild«-Zeitung in ähn­li­chem Wort­laut schrei­ben.

    Das ist un­glaub­lich. Ein plat­te­res Wort fällt mir da­zu nicht ein. Als sei die »Kronen«-Zeitung ei­ne In­sti­tu­ti­on, der man so et­was mit­tei­len müss­te. Ja, als sei sie die er­ste In­sti­tu­ti­on. Und das däm­li­che Par­tei­volk der SPÖ hat dem zu­zu­stim­men? Ei­ne grö­sse­re an­ti­de­mo­kra­ti­sche Ar­ro­ganz hat man m. E. in den letz­ten Jah­ren höch­stens noch aus Ita­li­en ver­nom­men, wo Herr B. auch nach Guts­her­ren­art pflegt, sei­ne Po­li­tik durch- und um­zu­set­zen.

    Da­mit kein Miss­ver­ständ­nis auf­kommt: Die Aus­sa­ge an sich, al­so die Bür­ger­be­tei­li­gung in Sa­chen EU zu er­hö­hen, fän­de ich nicht schlecht. Nur die Art und Wei­se wie dies jetzt vor­ge­tra­gen wird, ist ei­ne Ka­ta­stro­phe. Ich zweif­le bei sol­chen Leu­ten an den po­li­ti­schen Ver­stand.

    (ich dach­te, die deut­sche SPD sei schon füh­rungs- und ori­en­tie­rungs­los. Aber Eu­re SPÖ ist es noch viel stär­ker.)

  17. »Toll« ist der rich­ti­ge Aus­druck
    Ich weiß nicht was man sich da­bei ge­dacht hat, oder er­rei­chen will.

    Geht man da­von aus, dass das tat­säch­lich ei­ne Neu­ori­en­tie­rung so­zi­al­de­mo­kra­ti­scher Eu­ro­pa­po­li­tik ist, wä­re das durch­aus be­grü­ßens­wert, aber war­um geht man ge­ra­de über die »Kronen«-Zeitung in die Öf­fent­lich­keit, die sich ja nicht ge­ra­de durch ih­re EU-Freund­lich­keit be­kannt ist? Und war­um klärt man die Sa­che nicht vor­her mit den ei­ge­nen EU-Ab­ge­ord­ne­ten , ja über­haupt mit ir­gend­je­man­den bzw. in den ent­spre­chen­den Gre­mi­en?

    Dass man den Ko­ali­ti­ons­part­ner da­mit vor den Kopf stößt war auch ab­zu­se­hen – die Eu­ro­pa­po­li­tik als Auf­putsch­mit­tel oder gar Aus­lö­ser für Neu­wah­len (wie sie nach dem er­folg­lo­sen Kri­sen­gip­fel am Sonn­tag nun im­mer kon­kre­ter wer­den), hät­te ich von der SPÖ nicht er­war­tet (sie­he z.B. hier, auch wenn die Ein­schät­zung et­was über­zo­gen ist).

    Wie man es dreht und wen­det: An­ders als Wahl­tak­tik (wie­der­mal auf Ko­sten der EU; viel­leicht rot-blau, wer weiß) kann ich das nicht in­ter­pre­tie­ren, und ob das ein klu­ger Schach­zug war bleibt ab­zu­war­ten (hier ei­ne Ein­schät­zung die, die von Dir an­ge­spro­che­nen de­mo­kra­tie­po­li­ti­schen Be­den­ken teilt.).

    Was am Ran­de in­ter­es­sant ist: Ein Volks­ent­scheid über ei­ne (wie auch im­mer ge­ar­te­te) eu­ro­päi­sche Ver­fas­sung wird nie als Chan­ce be­grif­fen.