Zwei Jungen in China, in den 1990er Jahren, Haohao und Xingxing, 11 oder 12 Jahre alt. Sie sind Freunde wie ihre Eltern. Xingxing ist das Patenkind von Haohaos Eltern. Xingxing ist etwas ängstlich. Sein Freund geht schließlich ins Wasser, in den Stausee, zu den anderen spielen. Dann ein Unfall. Xingxing stirbt. Das Idyll zerbricht. Für immer.
Rückblende zum China der 1980er Jahre, das Land mit der verordneten Ein-Kind-Politik. Als Xingxings Mutter Liyun erneut schwanger wurde, zwang die Firmenleitung, unter anderen auch Haohaos Mutter, zur Abtreibung. Seitdem ist sie unfruchtbar. Jetzt ist das einzige Kind tot. Liyun und ihr Mann Yaojun, beide Arbeiter, verlieren auch noch ihre Arbeitsplätze in den 1990er Jahren infolge von Umstrukturierungsmaßnahmen. Sie ziehen weg von der Großstadt in die Provinz. Die Sprache, die man dort spricht, verstehen sie nicht. Sie adoptieren Liuxing, ein Waisenkind, ziehen ihn als »Ersatzsohn« auf, nennen ihn Xingxing. Aber sie werden nicht mehr glücklich. Als der Junge in die Pubertät kommt, verschwindet er und wird in der Zeitung als vermißt gesucht. Als er gefunden wird, versteht Yaojun. Er lässt ihn gehen. Er bekommt einen Ausweis und etwas Geld. Der rebellische Liuxing bedankt sich bei seinem Ziehvater für die Freiheit, die er ihm gewährt. Es ist einer der stärksten Momente in Wang Xiaoshuais Film »Bis dann, mein Sohn«.
Der Film spannt einen Bogen vom China im Umbruch zwischen 1986 und den späten 2000er Jahren. Hier das langsame Einsickern des Westens – erkennbar am Micky-Mouse-Rucksack des Jungen zu Beginn. Dort der heuchlerische sogenannte Sozialismus. Als es in der Fabrik Entlassungen gibt, rebelliert die Belegschaft. Es ist zwecklos, der Kapitalismus hält Einzug. In Rückblenden erfährt man von »Dunkelpartys« mit exzessiven Tänzern nach »Boney M«-Musik und darauf dann eine chinesische Version von »Auld Lang Syne«. Vergnügungen, die mit Repression und Verhaftungen enden können.
Und dann gibt es die Hauptfiguren, das Ehepaar. Man wird Wang Jingchun und Yong Mei so schnell nicht mehr vergessen. Sie sind das, was Peter Handke einst »Wahrspieler« nannte. Sie spielen nicht nur, sie leben das, was sie spielen sollen. Sie sind in diesen Momenten zu Yaojun und Liyou geworden. Ihre Mienen sind Mienen, kein Mienenspiel. Ihr Leiden am Leben, das nur noch ein Weiterleben ist, ist wahr. Es nimmt Besitz vom Zuschauer. Wozu gelebt?
Fast drei Stunden sind vorbei. Haohaos Mutter, die einstige Funktionärin, die immer noch in der Großstadt lebt (ihr Mann ein Bauunternehmer geworden), ist unheilbar krank. Ihr Sohn erfährt es als erster, er ist einer ihrer behandelnden Ärzte. Sie hat noch einmal den Wunsch, Yaojun und Liyou wiederzusehen. Die kommen dann auch in die Stadt, die sich so verändert hat, dass sie nichts mehr erkennen aber alles ertragen. Aber ihre alte Wohnung ist noch da. »Uns war schon jahrelang nicht mehr so kalt«. Schließlich eine letzte Begegnung am Totenbett. Und dann, nach der Beerdigung, bricht Haohao sein Schweigen gegenüber Yaojun und Liyou, erzählt wie es damals am Stausee gewesen ist und gibt sich die Schuld für den Tod des Freundes. Wie die beiden dasitzen, ihm zuhören. Kein Zorn, keine Wut. Nur (»nur«?) ein Verzeihen. Ein Verzeihen, wie man es noch nie gesehen hat.
Nein, das Angebot in die Großstadt zu ziehen, lehnen sie ab. Stattdessen sitzen die beiden nach Jahren am Grab von Xingxing. Sie säubern es und picknicken schließlich. Erzählen, wie es früher war. Dann erhält Yaojun einen Anruf auf sein Mobiltelefon (Klingelton: Mozarts Nachtmusik). Haohao ist Vater geworden. Welche Freude bei den beiden.
Nein, ich möchte nicht all die anderen Stränge erzählen, von der Frau, die in die USA darf oder von denen, die wegen Nichts im Gefängnis landeten. Und auch nicht den grandiosen Schluss mit Liuxing. Natürlich ist »Bis dann, mein Sohn« auch ein politischer Film, insbesondere was die Anklage gegen die erst kürzlich abgeschaffte Bevölkerungspolitik angeht. Unaufgeregt und doch eindringlich, in einer Bildersprache jenseits allen Bombasts wird erzählt von den Dingen, die ein Mensch-Sein ausmachen. Manchmal sieht man den Hauptdarstellern nur zu, wie sie etwas trinken, essen oder ausruhen. Und man weiß alles über sie. Ein epischer Film, von großer Wahrhaftigkeit, und ja, auch pathetisch, aber auf eine sanfte, fast zärtliche Art.