Wenn Ent­lar­ven schei­tert

Durch die Dis­kus­sio­nen um die Be­set­zung der Fern­seh­run­den vor den Land­tags­wah­len in Rhein­land-Pfalz und Ba­den-Würt­tem­berg wur­de wie­der­holt die For­de­rung laut, die rechts­po­pu­li­stisch agi(ti)erende AfD trotz al­ler Be­den­ken zu­zu­las­sen, um sie und ih­re Ideo­lo­gie zu ent­zau­bern. Da­bei wur­de kaum be­rück­sich­tigt, dass ei­ne Diskussions­sendung, in der meh­re­re Par­tei­en ih­re Wahl­pro­gram­me in po­pu­lä­rer Form und dis­kur­siv vor­stel­len, ein sol­cher »Ent­lar­vungs­dis­kurs« nicht prak­ti­ka­bel ist, weil die Kon­zen­tra­ti­on auf ein Wahl­pro­gramm nicht der Zweck der Sen­dung sein kann.

In den po­li­ti­schen Talk­show­for­ma­ten der öf­fent­lich-recht­li­chen Sen­der wird der »Ent­lar­vungs­dis­kurs« zu­wei­len durch­aus ver­sucht. Der Pro­to­typ der »Entlarvungs«-Talkshow fand al­ler­dings im deut­schen Pri­vat­fern­se­hen am 5. Fe­bru­ar 2000 in der ntv-Sen­dung »Talk in Ber­lin« statt. Erich Böh­me (ehe­ma­li­ger »Spiegel«-Chefredakteur) hat­te dort den Vor­sit­zen­den der öster­rei­chi­schen FPÖ, Jörg Hai­der, zu Gast.1 Hai­der war zum da­ma­li­gen Zeit­punkt Lan­des­haupt­mann (Mi­ni­ster­prä­si­dent) von Kärn­ten. Im Bund wur­de Öster­reich in ei­ner so­ge­nann­ten schwarz-blau­en Ko­ali­ti­on aus ÖVP und FPÖ re­giert. For­mal war Hai­der an die­ser Re­gie­rung nicht be­tei­ligt. Tat­säch­lich war er aber da­mals auf dem Hö­he­punkt sei­ner Macht und dürf­te maß­geb­lich die Strip­pen bei den Ko­ali­ti­ons­ver­hand­lun­gen ge­zo­gen ha­ben.

Die schwarz-blaue Re­gie­rung in Öster­reich rief in­ter­na­tio­na­le Pro­te­ste her­vor. Die FPÖ war un­ter Hai­ders Vor­sitz von ei­ner li­be­ral-kon­ser­va­ti­ven in ei­ne rechts­extre­me Par­tei ver­wan­delt wor­den. Ein­zel­ne Aus­sa­gen von FPÖ-Po­li­ti­kern und auch von Hai­der sel­ber rie­fen Skan­da­le her­vor.

Ei­ne Sen­dung mit Hai­der – zu­mal im deut­schen Fern­se­hen – war ein Coup. Öf­fent­lich-recht­li­che An­stal­ten hat­ten es vor­her ab­ge­lehnt, Hai­der »ein Fo­rum« zu bie­ten. Die Re­dak­ti­on der Sen­dung bei n‑tv be­ließ es je­doch nicht bei ei­nem Dia­log, son­dern wähl­te das üb­li­che For­mat mit meh­re­ren Per­so­nen. Als wei­te­re Gä­ste wur­den ein­ge­la­den: Frei­mut Duve (SPD), Mi­cha­el Glos (CSU) und Ralf Giord­a­no, Pu­bli­zist. Hier­in kann man den er­sten Feh­ler fest­ma­chen.

Ei­ne tref­fen­de Ana­ly­se und dis­kurs­theo­re­ti­sche Ein­ord­nung fin­det sich im Text der bei­den Sprach­wis­sen­schaft­ler Ker­stin Stett­ner und Franz Ja­nu­schek: »Ent­lar­ven – ein Hand­lungsmuster des po­pu­li­sti­schen Dis­kur­ses (am Bei­spiel der Hai­der-Talk­show von und mit Erich Böh­me)«.

Stett­ner und Ja­nu­schek bi­lan­zie­ren ein­deu­tig: »Böh­mes Talk­show zeich­net sich durch das Feh­len ar­gu­men­ta­ti­ver Kom­ple­xi­tät und die na­he­zu voll­stän­di­ge Re­duk­ti­on auf kampf­betonte Ar­gu­men­ta­ti­ons­hand­lun­gen aus. Auf­fäl­lig ist da­bei we­ni­ger, dass Hai­der da­bei an­ge­grif­fen wird und dass er die­se An­grif­fe zu­rück­weist. Auf­fäl­lig ist viel­mehr, dass kei­ne die­ser Se­quen­zen zu ei­ner tie­fe­ren Aus­ein­an­der­set­zung führt. An­statt nach­zu­boh­ren oder Hai­ders Leug­nun­gen oder Ge­gen­vor­wür­fe auf ih­re Halt­bar­keit zu prü­fen, wird schnell ein wei­te­rer An­griff vor­ge­tra­gen.« Die bei­den Au­toren se­zie­ren das Schei­tern von Böh­me und sei­nen Mit­dis­ku­tan­ten, den rechts­extre­mi­sti­schen Hai­der zu ent­lar­ven, an­hand aus­ge­wähl­ter Text­bei­trä­ge.

Der Haupt­grund des Schei­terns dürf­te dar­in lie­gen, dass sich Böh­me sei­ner mo­ra­li­schen Über­le­gen­heit zu si­cher war. Der Vor­satz der »Ent­lar­vung« scheint ei­ne halb­wegs se­riö­se Aus­ein­an­der­set­zung mit den in­halt­li­chen Po­si­tio­nen per se aus­schlie­ssen. Man »weiss« ja, dass man die »rich­ti­ge« Po­si­ti­on hat. Wenn es dar­um ging in die ar­gu­men­ta­ti­ve Tie­fe zu ge­hen, wur­de ab­ge­bro­chen und ein neu­es The­ma be­gon­nen. »Ei­ne in­halt­li­che Ausein­andersetzung kann da­her nicht statt­fin­den und wird auch gar nicht erst an­ge­strebt«, so die bei­den Wis­sen­schaft­ler. Ei­ner der Grün­de hier­für könn­te dar­in lie­gen, dass Böh­me, wie an Ein­zel­bei­spie­len ge­zeigt wird, fach­lich un­zu­rei­chend vor­be­rei­tet ge­we­sen sein muss. An­ders ist sein Aus­wei­chen und Ab­schwei­fen nicht zu er­klä­ren. Auch schien Böh­me mit den rhe­to­ri­schen, teil­wei­se ra­bu­li­sti­schen Fä­hig­kei­ten Hai­ders nicht ver­traut und da­mit auch nicht ge­wach­sen.

Das Fa­zit von Stett­ner und Ja­nu­schek: »Die an­ge­kün­dig­te öf­fent­li­che Ent­zau­be­rung in­ner­halb ei­ner Stun­de muss­te schei­tern, da es von vorn­her­ein nicht um ei­ne ver­stän­di­gungs­ori­en­tier­te Aus­ein­an­der­set­zung ging, in der die Teil­neh­mer un­ter Böh­mes Mo­de­ra­ti­on mit­ein­an­der ehr­lich über ein be­stimm­tes The­ma dis­ku­tie­ren woll­ten, son­dern um ei­nen in­sze­nier­ten Show­down mit dem zen­tra­len Mu­ster ‘Ent­lar­ven’.« Hier­aus schlie­ßen sie: »Ent­lar­ven ist da­mit ein Hand­lungs­mu­ster des po­pu­li­sti­schen Dis­kur­ses und nicht ein Mit­tel zu des­sen Be­kämp­fung, es ist Mit­tel des Kamp­fes und re­du­ziert po­li­ti­sche Aus­ein­an­der­set­zung auf das, was sie der po­pu­li­sti­schen Dem­ago­gie nach im­mer schon ist.«

Wer sich heu­te die po­li­ti­schen Talk­shows an­schaut wird fest­stel­len, dass man eher noch Rück­schrit­te ge­macht hat. Der »Ent­lar­vungs­dis­kurs« wird aus­schließ­lich mo­ra­li­sie­rend ge­führt. Er wird von Jour­na­li­sten pa­ter­na­li­stisch be­trie­ben, statt sach­ori­en­tiert. Die »Ent­zau­be­rung« fin­det da­mit nicht statt; man häuft nur Vor­wür­fe und Be­schimp­fun­gen an. So wer­den die­se Sen­dun­gen mit­un­ter zu Mit­leids­büh­nen. Die Furcht, die popu­listischen Par­tei­en könn­ten hier­aus Vor­tei­le zie­hen, pro­phe­zeit sich ge­ra­de dann, wenn man die sach­li­che Ebe­ne ver­lässt. Hier­für bil­det die Böh­me-Sen­dung trotz ih­res Al­ters in­ter­es­san­ten An­schau­ungs­un­ter­richt. Auf You­tube kann man in 9 Tei­len die­se Sen­dung se­hen.


  1. Wenige Tage nach der Sendung, am 28. Februar, trat Haider als FPÖ-Vorsitzender zurück. 

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  1. Gu­tes The­ma. Ich be­ob­ach­te die Ver­su­che schon län­ger, rund um den EXTREMISTEN ei­ne TV-Sen­dung zu kon­stru­ie­ren, die ei­nem Um­stim­mungs­ge­spräch gleich­kommt. Es ist in der Re­gel ein ge­spen­sti­scher Vor­gang. Die Bür­ger­li­chen ha­ben nicht das ge­ring­ste dis­kur­si­ve In­ter­es­se (Dan­ke für so viel Ehr­lich­keit, Ma­lu Drey­er!), und die Out­laws des Po­li­ti­schen erst recht nicht. Ich bin seit Jah­ren fas­zi­niert von die­ser ele­men­ta­ren Tren­nung der Grup­pen, die sich üb­ri­gens kaum ver­deckt in die bür­ger­li­chen La­ger hin­ein fort­setzt. Auch da hat man sich nicht viel zu sa­gen.
    Ler­ne: mit Kom­mu­ni­ka­ti­on hat die De­mo­kra­tie nun wirk­lich nichts mehr zu tun. Das sind Mo­del­le aus der Gi­tar­ren- und La­ger­feu­er­zeit. Wohl aber mit Ver­trau­en & Miss­trau­en, Re­ak­tio­nen auf be­fremd­li­che Wor­te, se­lek­ti­ver Wahr­neh­mung von Er­eig­nis­sen, und ei­nem lang­fri­stig blöd ma­chen­den De­zi­sio­nis­mus.
    Wenn im­mer nur die­sel­ben Din­ge ge­sagt, wenn im­mer nur über die­sel­ben (kom­ple­xen und kaum lös­ba­ren) Din­ge ge­schwie­gen wird, dann han­delt es sich in der Re­gel um ei­ne ge­reif­te De­mo­kra­tie.

  2. Es lohnt sich, die­se Sen­dung an­zu­se­hen. Nicht weil Hai­der so gut, son­dern weil die an­de­ren so brä­sig ar­ro­gant sind. Ein­mal kon­fron­tiert Böh­me Hai­der mit ei­nem Be­schluss der FPÖ aus den 1950er Jah­ren, in dem die Mög­lich­keit ei­nes »An­schlus­ses« an Deutsch­land nicht per se aus­ge­schlos­sen ist. So­fort kon­tert Hai­der da­mit, dass er da­mals noch gar nicht ge­bo­ren war – die gan­ze »Ent­lar­vungs­ku­lis­se« bricht im Ge­läch­ter des Pu­bli­kums zu­sam­men. Hilf­los dann noch der Ver­such, er mö­ge doch in der Sen­dung auf die­se Klau­sel ver­zich­ten.

    Die gan­ze Sen­dung be­steht aus her­bei­ge­such­ten Zi­ta­ten von oder über Hai­der und die FPÖ, die al­le für sich Skan­da­li­sie­rung­po­ten­ti­al er­zeu­gen und die Fi­gur Hai­der bloß­stel­len sol­len. Ei­ne Dis­kus­si­on um po­li­ti­sche In­hal­te fand prak­tisch nicht statt. Da die »An­klä­ger« je­doch un­vor­be­rei­tet und am En­de mit fast lä­cher­li­chen Ein­wän­den auf­tra­ten, konn­te Hai­der na­he­zu al­les ins Lä­cher­li­che zie­hen. Das tra­gi­sche an der Ver­an­stal­tung war wo­mög­lich, dass je­des »La­ger« glaub­te, »ge­won­nen« zu ha­ben. Da­bei hat­ten sie über­haupt nicht mit- son­dern nur ge­gen­ein­an­der ge­spro­chen.

    Die »ele­men­ta­re Tren­nung der Grup­pen« zeigt sich der­zeit sehr gut in den USA. Ei­ne Fi­gur wie Trump ist da­bei ide­al. Für die ei­nen ist er der­je­ni­ge, der den eta­blier­ten Eli­ten die Le­vi­ten liest. Er ist der Au­ßen­sei­ter, der – das ist das Pa­ra­do­xon – im Grun­de ge­nom­men chan­cen­los ist. Po­ten­ti­el­le Wäh­ler, die ihn be­für­wor­ten, fin­den in ihm ein Ven­til. Er bläst ei­nen Luft­bal­lon aus, der in ein paar Mo­na­ten nur noch schlaff her­um­hän­gen wird.

    Die Trump-Wäh­ler blei­ben bei den »rich­ti­gen« Wah­len wie­der zu Hau­se. Und al­le sind froh da­mit. Aber die Spal­tung in der Ge­sell­schaft, die Ab­wen­dung von de­mo­kra­ti­schen Idea­len ist da­mit nicht auf­ge­ho­ben. Nicht, dass Trumps »Po­li­tik« sa­tis­fak­ti­ons­fä­hig wä­re, aber sie ist nicht ar­gu­men­ta­tiv wi­der­legt wor­den, son­dern wur­de dä­mo­ni­siert. Das ist mensch­lich ver­ständ­lich, po­li­tisch aber fa­tal: Das »Trump-Ge­fühl« bleibt – und es gibt in den USA Me­di­en, die es er­hal­ten.

    Frank Lüb­ber­ding schreibt heu­te: »Das klas­si­sche Me­di­en­sy­stem wird zu­neh­mend durch frag­men­tier­te Me­di­en­an­ge­bo­te er­setzt, wo das Pu­bli­kum vor al­lem in sei­nen Er­war­tun­gen be­stä­tigt wird.« Das ist zu­nächst ein­mal nicht schlimm; bei Zei­tun­gen war das frü­her üb­lich (FAZ = rechts; FR = links, usw). Das Pro­blem ist, dass die Frag­men­tie­rung in­zwi­schen auch auf öf­fent­lich-recht­li­che Me­di­en über­ge­grif­fen hat, die aus Furcht vor der In­stru­men­ta­li­sie­rung ra­di­ka­ler Kräf­te auch nur noch ei­ne Sicht­wei­se wie­der­ge­ben und al­les an­de­re in die Schmud­del­ecke stel­len oder schlicht­weg igno­rie­ren.

  3. Et­was ver­ste­he ich nicht (Be­zug neh­mend auf Lüb­ber­ding, der si­cher rich­tig liegt): wenn sich be­reits frü­her, mei­net­we­gen in den 80er Jah­ren, ei­ne Seg­men­tie­rung (als Par­al­le­le zu den po­li­ti­schen Grup­pen, FAZ – FR) schon deut­lich eta­bliert hat­te, was ist heu­te an­ders?!
    Ist die Ver­drän­gung des Un­lieb­sa­men, ist die Se­lek­ti­on der The­men, die In­sze­nie­rung der Mei­nung schlim­mer ge­wor­den?! Oder wird even­tu­ell nur we­ni­ger In­tel­li­genz und Ar­beit in­ve­stiert, so­dass die Un­ter­schie­de auf­grund von Ba­na­li­tät und Dumm­heit »stär­ker her­vor­tre­ten«. Slo­ter­di­jk sprach neu­lich vom Sich-Ge­hen-Las­sen der Jour­nail­le.
    Ich muss ehr­lich sa­gen: mei­ne po­li­ti­schen Sor­gen sind er­heb­lich im Mo­ment, aber was ich an Bei­trä­gen in der Brei­te le­se, kommt mir da­ge­gen sehr fri­vol vor, auch wenn es ei­ne dra­ma­ti­sche An­la­ge hat. Ich krieg’ das psy­cho­lo­gisch nicht ge­backen. Der po­li­ti­sche Mensch (ich) und der Jour­na­list schei­nen sich in punc­to Ra­tio und Cha­rak­ter im­mer stär­ker zu un­ter­schei­den.
    Al­so, ich hab da ein ech­tes »Spie­ge­lungs­pro­blem«. Pein­lich fast, das so zu sa­gen.

  4. In den öf­fent­lich-recht­li­chen Me­di­en gab es frü­her (1) mehr Plu­ra­lis­mus und (2) ei­ne grö­ße­re Be­reit­schaft, sich po­li­ti­schen Sach­ver­hal­ten halb­wegs ob­jek­tiv zu nä­hern und von ih­nen zu be­rich­ten. Be­son­ders Punkt 2 ist ele­men­tar. Es ist ir­gend­wie Kon­sens im Jour­na­lis­mus, dass es DIE Wahr­heit nicht gibt. Da­her ent­fällt so­zu­sa­gen die Ma­xi­me ei­nes su­chen­den Jour­na­lis­mus. Was zählt ist Mei­nung – von Po­li­ti­kern, Pro­mi­nen­ten, Jour­na­li­sten, In­tel­lek­tu­el­len.

    Zwar wer­den im­mer noch brav al­le mög­li­chen Par­tei­en nach ei­nem ge­wis­sen Pro­porz ge­hört, aber die­se sa­gen nur das, was man eh schon weiss. Plu­ra­li­tät wird an In­sti­tu­tio­nen ge­knüpft (Kir­chen­zu­ge­hö­rig­keit; Be­set­zung von Par­la­men­ten bspw.) nicht mehr an Sach­ar­gu­men­ten. Gleich­zei­tig wer­den die gä­ren­den Stamm­tisch­sprü­che plötz­lich übe­r­e­gio­nal pu­blik. Das ver­stärkt den Trend des Mei­nungs­jour­na­lis­mus, der ein­fach nur noch Ge­sin­nun­gen pro­du­ziert.

    Ich glau­be zu be­mer­ken, dass wie jetzt an ei­nen Punkt an­kom­men, an dem öf­fent­lich-recht­li­che Me­di­en aus po­li­ti­schen Grün­den plötz­lich sa­kro­sankt wer­den. Wenn ein Me­di­en­kri­ti­ker wie Hans Hoff plötz­lich da­von schwärmt, dass die ÖR zu »99 Pro­zent her­vor­ra­gen­de Ar­beit« lei­sten, ist das m. E. be­denk­lich. Und wenn die »Kri­se des Jour­na­lis­mus« prak­tisch als in­exi­stent bzw. als ein Pro­dukt fal­scher Fra­ge­stel­lun­gen bei Um­fra­gen dar­ge­stellt wird, dann fra­ge ich mich, wie die­se Leu­te lang­fri­sti­ge Be­richt­erstat­tun­gen ver­fol­gen.

  5. Kur­zer Ein­wurf zu Trump (der schon seit vie­len Mo­na­ten als bald er­le­digt be­schrie­ben wird): Die USA sind me­di­al schon in Pha­se 2. Der ame­ri­ka­ni­sche Hai­der wä­re eher der voll­kom­men kom­pro­miss­lo­se, fox­news­pro­te­gier­te Ted Cruz, den die re­pu­bli­ka­ni­sche Par­tei mo­men­tan mehr fürch­tet als den irr­lich­tern­den Trump. Die Tea-Par­ty-Leu­te sind durch Hai­de­rei­en stark ge­wor­den, Pa­lin war schon gro­tesk, Trump ist nicht­mals mehr das. Für Trump ist selbst Fox News zu se­ri­ös, brrr. Mal als Blick in die Zu­kunft.

    P.S.: Mir fällt das nicht ganz leicht zu sa­gen, aber La­schet hat den Drey­ers et.al. vor­ge­macht, wie man mit so ei­ner Storch um­ge­hen kann. Un­mög­lich ist es an­schei­nend nicht, setzt aber ent­spre­chen­des For­mat vor­aus. Und wer kei­ne Hal­tung hat, kann sie auch nicht ein­neh­men.

  6. Wenn ich das rich­tig ver­stan­den ha­be, er­scheint Cruz selbst für Trump-Wäh­ler zu ra­di­kal?! Ver­mut­lich haf­tet Trump noch ein biss­chen das Exo­ti­sche an; ein An­ti-Estab­lish­ment-Mann, was na­tür­lich al­lei­ne durch sei­ne Ver­flech­tun­gen in der Im­mo­bi­li­en­bran­che lä­cher­lich ist. In paar Mo­na­ten dürf­te sei­ne Kam­pa­gne Ge­schich­te sein. Und Frau Pa­lin dürf­te sich dann viel­leicht Cruz zu­wen­den.

    La­schet / Storch ha­be ich nicht ge­se­hen.

  7. Nein. Ich woll­te nur dar­auf auf­merk­sam ma­chen, dass sich ein Ver­gleich zwi­schen Po­pu­li­sten in Eu­ro­pa mit Trump ver­bie­tet, da die­se Rol­le eher die Tea Par­ty ein­nimmt. Trump ent­spricht ei­ner Ka­te­go­rie, die hier zu Lan­de zum Glück noch nicht vor­stel­lig ge­wor­den ist. Zu ra­di­kal ist Cruz für die En­tou­ra­ge der Re­pu­bli­ka­ner, wes­halb sie eher ei­nen Trump in Kauf neh­men wer­den.

  8. Okay. Aber selbst die Tea-Par­ty ist nicht mit eu­ro­päi­schen Rechts­po­pu­li­sten ver­gleich­bar. Der Un­ter­schied ist nicht ideo­lo­gisch, son­dern in­sti­tu­tio­nell: Die Tea-Par­ty ist ja nur ein »Flü­gel«. Ih­re An­hän­ger sind klug ge­nug, sich nicht ab­zu­spal­ten, weil sie da­mit di­rekt po­li­tisch be­kämpft wer­den und wo­mög­lich an Be­deu­tung ver­lie­ren könn­ten. Ihr Ver­blei­ben bei den Re­pu­bli­ka­nern ist stra­te­gisch. Ihr Ziel ist es, die Re­pu­bli­ka­ner am En­de aus­zu­höh­len und dann wie ei­nen Fall­obst­ap­fel zu über­neh­men. Da passt na­tür­lich der Sieg des kühl kal­ku­lie­ren­den Cruz ge­gen Trump sehr gut ins Kon­zept.

  9. Ich war und bin ja ein Fan des Ame­ri­ka­ni­schen Zwei-Par­tei­en-Sy­stems, but... Un­fort­u­n­a­te­ly, the­re is no such Thing li­ke a Par­ty in Ame­ri­ka!
    Und selbst das wä­re noch sym­pa­thisch, denkt man an die Dres­sur­ak­te auf den hei­mi­schen Par­tei­ta­gen, und die ab­so­lu­te Re­si­stenz der De­le­gier­ten ge­gen­über dem, was man in Deutsch­land so ein­fach wie tref­fend, den »Ge­dan­ken« nennt.
    Aber, und das ist ein dickes ABER: es muss ja re­giert wer­den, es muss er­ör­tert, ent­schie­den und ver­ord­net wer­den, und das ist das Leck in der Ge­schich­te: die po­li­ti­schen Be­we­gun­gen sind un­ter­ir­disch, wahr­schein­lich schon seit den GRÜNEN... Man ge­wöhnt sich ja an ei­ne Ab­schlags­for­de­rung nach der an­de­ren. Es schei­nen sich, Po­li­tik und »Be­we­gung« im so­zi­al­kon­struk­ti­ven Sin­ne be­reits völ­lig zu wi­der­spre­chen. Was ich wirk­lich be­mer­kens­wert und ab­so­lut be­un­ru­hi­gend fin­de, ist, dass der We­sten po­li­tisch »im­plo­diert« ist, was Per­so­nal und Kom­pe­tenz an­be­langt. Den­noch funk­tio­niert das Sy­stem, et­wa so wie ei­ne al­te Lei­er­or­gel... Das ein­zi­ge, was nicht mehr zum We­sten passt, ist die... Zu­kunft. Al­so, ganz pla­ka­tiv, aber auch ein biss­chen me­ta­phy­sisch ge­spro­chen.

  10. Wer hier im Blog her­um­sucht fin­det von mir ei­nen Text, der vie­le Jah­re alt ist und für das Mehr­heits­wahl­recht in Deutsch­land ein­tritt. Die­sen Text wür­de ich so heu­te nicht mehr schrei­ben. Es ist zwar m. E. mehr als pro­ble­ma­tisch, wenn klei­ne­re Par­tei­en in Ko­ali­tio­nen je nach La­ge mit ei­ner grö­sse­ren Par­tei re­gie­ren und sich da­bei prak­tisch im­mer die Po­sten si­chern kön­nen (wie es bspw. bei der FDP mehr als 60 Jah­re in der Bun­des­re­pu­blik fast durch­gän­gig der Fall war), aber ein Mehr­heits­wahl­recht, das am En­de nur zwei gro­ße Par­tei­en kennt, ist auch nicht (mehr) die Lö­sung, weil, wie man in den USA 2012f ge­se­hen hat, sich die Par­tei­en ge­gen­sei­tig blockie­ren.

    In­zwi­schen geht der Ein­fluss klei­ne­rer Par­tei­en in Ver­hält­nis­wahl-De­mo­kra­tien eher zu­rück. Es do­mi­nie­ren so­ge­nann­te »Gro­ße Ko­ali­tio­nen« (in D: Union/SPD; in A: SPÖ/ÖVP). Die­se »Gro­ßen Ko­ali­tio­nen« wer­den im­mer klei­ner wer­den, so­bald, wie in Öster­reich schon fast seit 20 Jah­ren, ei­ne drit­te Kraft nach­hal­tig auf­kommt. Dann ret­tet man sich von ei­ner ein­sti­gen Zwei­drit­tel­mehr­heit auf nur noch knapp über 50%. Auch im deut­schen Bun­des­rat wird es bald ei­ne Do­mi­nanz von Schwarz-Ro­ten Bünd­nis­sen ge­ben. Da­mit wird prak­tisch die schwarz-ro­te Ko­ali­ti­on im Bund nach der näch­sten Bun­des­tags­wahl 2017 vor­weg ge­nom­men. Deutsch­land und Öster­reich ten­die­ren – pla­ka­tiv for­mu­liert – zu ei­ner Art Kon­kor­danz­de­mo­kra­tie nach Schwei­zer Vor­bild.

    In den USA ist seit vie­len Jah­ren das Ge­gen­teil zu be­ob­ach­ten: Die Spal­tung der Ge­sell­schaft, die sich in der ge­gen­sei­ti­gen Blocka­de der bei­den gro­ßen po­li­ti­schen Par­tei­en zeigt. In Frank­reich ist es ähn­lich, ob­wohl es dort drei gro­ße Par­tei­en gibt. Trotz al­ler Ge­gen­sät­ze agie­ren So­zia­li­sten und Kon­ser­va­ti­ve nur noch me­cha­nisch: Sie wol­len in je­dem Fall den rechts­extre­men FN ver­hin­dern. Jeg­li­che Po­li­tik wird die­sem Ziel un­ter­ge­ord­net; al­les wird dar­auf ab­ge­klopft, in­wie­fern es vom FN populistisch/medial aus­ge­schlach­tet wer­den könn­te. (Das wä­re die Zu­kunft in den USA, wenn sich die Tea-Par­ty als Par­tei auf­stel­len wür­de, was sie des­halb nicht macht; sie wä­re mit 30 oder 40% der Stim­men trotz­dem macht­lo­ser als heu­te als rech­ter Flü­gel der Re­pu­bli­ka­ner.)

    Viel­leicht ist jetzt mal Zeit für stei­le The­sen: Die west­li­che De­mo­kra­tie, wie wir sie ken­nen, ist an ih­re Gren­ze ge­sto­ßen. Sie agiert nur noch aus Furcht vor der Mehr­heit, statt sie zu bil­den und zu for­men. Po­pu­lä­re Mei­nun­gen wer­den vor­ei­lig als »po­pu­li­stisch« sub­sum­miert. Die­ses Eti­kett al­lei­ne ge­nügt, um ei­ne Stim­mung, ei­ne Strö­mung in der Be­völ­ke­rung ab­zu­schmet­tern. Ei­ne Be­schäf­ti­gung ist dann über­flüs­sig ge­wor­den. De­mo­kra­tie wird zur Schön­wet­ter­ver­an­stal­tung, die bei Re­gen aus­fällt. Frü­her war die Schweiz mit ih­rer di­rek­ten De­mo­kra­tie be­son­ders für die Lin­ke ei­ne Art Vor­bild. Heu­te, nach­dem et­li­che Ent­schei­dung an­ders aus­ge­fal­len sind, als sie sich das wünscht, wer­den Ele­men­te di­rek­ter De­mo­kra­tie als »po­pu­li­stisch« ab­ge­tan.

  11. Die Furcht vor der Mehr­heit... Das kann ich nur so ver­ste­hen, dass die Mehr­heit für die ein­zel­nen Par­tei­en je­weils ei­ne »ex­ter­ne Grö­ße« ge­wor­den ist, der es sich mög­lichst an­zu­glei­chen gilt, und die im Stör­fall auch über die »ei­ge­ne Ba­sis« als Wi­der­sa­cher auf­tau­chen kann.
    De­leu­ze hat für die­se im­ma­nen­te Mehr­heit ja den Be­griff »Ma­jo­ri­tät« ge­prägt, weil er die Be­ob­ach­tung ein­krei­sen woll­te, dass es ein Leit­prin­zip jen­seits des Zäh­lens gibt, das man heu­te ganz sa­lopp die »ge­fühl­te Mehr­heit« nen­nen wür­de. Oder den »Kon­sens«. Was al­le wol­len, jen­seits des Zäh­lens und der De­tails, oh­ne den Be­griff der All­ge­mein­gül­tig­keit (Le­gi­ti­mi­tät) zu be­mü­hen, den uns die Stur­köp­fe ver­ord­nen. Die Ur­sup­pe des Po­li­ti­schen als Denk­wei­se und Le­bens­form.
    Ist schwer zu be­schrei­ben, aber ich ten­die­re (@Gregor) auch da­hin, dass die Po­li­ti­ker in ih­rem Ur­ver­trau­en er­schüt­tert sind, und nur noch tak­tisch ge­gen­über ei­ner vo­la­ti­len, schwer fass­ba­ren Mehr­heit, je­den­falls nicht in gu­tem Glau­ben agie­ren. Wenn das stimmt, dann wird so­gar ein Kri­sen­fall be­greif­bar, näm­lich wenn die Mehr­heit sich völ­lig ver­birgt, d.h. sich der Wahr­neh­mung des Po­li­ti­kers ent­zieht. Hieß ja im­mer: es gibt kei­ne schwei­gen­de Mehr­heit! –All­zu wahr. Es kann aber auch das Ge­gen­teil ein­tre­ten, näm­lich dass sich in der Viel­zahl der Dis­kur­se kei­ne Mehr­heit ab­bil­det. Vor die­sem »Schwei­gen« soll­ten wir Angst ha­ben!
    Denn was macht der Po­li­ti­ker, wenn er tak­tisch ver­siert ist, und die Mehr­heit sich ent­zieht?! Dann macht er die »Mer­kel«, me­ta­pho­risch, tarnt sich, weicht aus, wirft Ne­bel­bom­ben aus Rhe­to­rik, und hofft bei Ver­hand­lun­gen auf das Er­schei­nen des Hl. Gei­stes.
    Wo wä­re z.Bsp. die Mehr­heit in der Flücht­lings­kri­se zu ver­or­ten?! ...Ich wüss­te es nicht zu sa­gen. Ich hab’ ei­ne Mei­nung, aber die­se Mei­nung passt nicht zu dem, was die al­ler­mei­sten Jour­na­li­sten (Pro­fi-Mei­nungs­in­ha­ber) sa­gen und schrei­ben. Selbst wenn ich die­se mei­ne Mei­nung zu­rück­stel­le, kann ich kei­ne »Mehr­heits­mei­nung« ding­fest ma­chen. Al­les fließt! Von Aus­sa­ge zu Aus­sa­ge, von Ein­wand zu Ein­wand, von Ver­mu­tung zu Ver­mu­tung, etc.
    Es ist ein po­li­ti­sches und ein in­tel­lek­tu­el­les De­sa­ster, wenn die Mehr­heit i.o.S. ver­schwin­det, d.h. zur Chi­mä­re wird.

  12. Po­li­tik kann und soll sich ja nicht an (vo­la­ti­len) Mehr­hei­ten ori­en­tie­ren. Ge­ra­de die­ses Ver­hal­ten wird ja als »Po­pu­lis­mus« be­zeich­net. Um­ge­kehrt soll Po­li­tik Ent­wür­fe vor­stel­len, die dann zur Ab­stim­mung ge­stellt wer­den. Po­pu­li­sten ho­len die Um­fra­ge­re­sul­ta­te und rich­ten da­nach ihr Pro­gramm aus. Dar­in wür­de ich den Un­ter­schied fest­ma­chen.

    In­zwi­schen ist aber Po­pu­lis­mus zu ei­nem Schimpf­wort ge­wor­den. Das Be­har­ren auf so­zia­le und ge­sell­schaft­li­che Stan­dards und Ge­set­ze gilt in­zwi­schen als »po­pu­li­stisch«. Ich wür­de sie höch­stens als »über­flüs­sig« be­zeich­nen, da man doch über Selbst­ver­ständ­lich­kei­ten nicht dis­ku­tie­ren soll­te (s. hier).

    Es kann auch nicht dar­um ge­hen, je­de Ent­schei­dung per Volks­ent­scheid le­gi­ti­mie­ren zu las­sen. Das ist schon rein lo­gi­stisch nicht mög­lich und wä­re auch nicht wün­schens­wert. Ich glau­be auch nicht, dass es pri­mär dar­um geht, fest­zu­stel­len, wie die Mei­nung in der Be­völ­ke­rung zur Flücht­lings­fra­ge aus­fällt (das wird ja re­gel­mä­ssig in Um­fra­gen ver­sucht). Ent­schei­den­der ist, ob sich die un­ter­schied­li­chen und di­ver­gie­ren­den Mei­nun­gen in­ner­halb der Be­völ­ke­rung in de­ren po­li­ti­sche Re­prä­sen­tan­zen wie­der­spie­geln. Und das ist ein­deu­tig nicht der Fall.

    Wir ha­ben nicht nur ei­ne im Bun­des­tag 80% Mehr­heit für die­se Re­gie­rung – auch die Op­po­si­ti­ons­par­tei­en sind, bis auf klei­ne­re Dif­fe­ren­zen, da­für. Und jetzt kommt der wich­ti­ge Punkt: Die­je­ni­gen, die in den Re­gie­rungs­par­tei­en aus den un­ter­schied­lich­sten Grün­den die Mer­kel-Po­li­tik be­fra­gen und für feh­ler­haft fin­den, wer­den in der Öf­fent­lich­keit als Que­ru­lan­ten ge­maß­re­gelt. Ih­re Ein­wän­de wer­den nicht po­li­tisch, son­dern mo­ra­lisch dis­ku­tiert. Aber ei­ne Po­li­tik, die für sich die Mo­ral des Gu­ten und Rich­ti­gen so­zu­sa­gen ver­ord­net hat, stellt sich gar nicht erst dem Dis­kurs. Ich er­in­ne­re mich an Mer­kels Wort, dass sie sich nicht ent­schul­di­gen will, weil sie Men­schen ge­hol­fen hat. Da­mit wird je­der, der die Po­li­tik der of­fe­nen Gren­zen kri­ti­siert, ins mo­ra­li­sche Ab­seits ge­stellt. Dann ent­steht das, was man »Schwei­ge­dis­kurs« nen­nen könn­te (ei­gent­lich pa­ra­dox).

    (Die CDU-Ab­ge­ord­ne­ten, die Mer­kel brief­lich zu ei­ner Än­de­rung ih­rer Po­li­tik auf­ge­for­dert ha­ben, wer­den ih­re Quit­tung bei der Auf­stel­lung der Li­sten­plät­ze bei der näch­sten Wahl er­hal­ten.)

    Die gro­ßen po­li­ti­schen Um­brü­che der letz­ten Jahr­zehn­te in Deutsch­land (Wie­der­ver­ei­ni­gung, Eu­ro, EU-Ver­fas­sung) sind al­le oh­ne ex­pli­zi­te de­mo­kra­ti­sche Le­gi­ti­ma­ti­on »von oben« ver­ord­net wor­den. Ih­nen haf­te­te da­bei im­mer die Pa­ro­le an, dass sich al­les zum Gu­ten wen­den wird. Die­se Ge­wiss­heit ist seit den di­ver­sen Eu­ro-Kri­sen und den Tur­bu­len­zen in der EU in vie­len Krei­sen der Be­völ­ke­rung zer­stört. Das Miss­trau­en in die Po­li­tik wächst. Die Flücht­lings­kri­se, die un­ge­löst je­des Jahr prak­tisch 1 Mil­li­on Flücht­lin­ge in der Land bringt, von de­nen nie­mand sagt, ob sie nun Mi­gran­ten oder nur vor­über­ge­hen­de Asyl­su­chen­de sein sol­len, lässt sich mit Ver­spre­chun­gen und wohl­fei­len Pa­ro­len (»Wir schaf­fen das«) auf lan­ge Sicht po­li­tisch nicht mehr durch­set­zen. Wenn der ge­ord­ne­te Dis­kurs dar­über nicht zu­stan­de kommt, droht tat­säch­lich ei­ne Ver­schie­bung in un­ge­woll­te Richtung(en).

  13. Ge­nau: Die gro­ßen po­li­ti­schen Um­brü­che der letz­ten Jahr­zehn­te in Deutsch­land sind al­le oh­ne ex­pli­zi­te de­mo­kra­ti­sche Le­gi­ti­ma­ti­on »von oben« ver­ord­net wor­den.
    Oh­ne Res­sen­ti­ments lässt sich im Nach­hin­ein sa­gen: es wa­ren Ent­schei­dun­gen, de­ren Trag­wei­te man nicht ein­schät­zen konn­te.
    Wir schei­tern an den kom­ple­xen Pro­ble­men. Die Ab­wei­sung straf­fäl­li­ger Asyl­be­wer­ber war ja ver­gleichs­wei­se ein­fach, je­den­falls auf dem Pa­pier. Das war in 1–2 Wo­chen durch.
    Aber die Kon­trol­le von Men­schen- (Asyl), Wa­ren- (TTIP) und Kapital-Strömen(Finanztransaktionssteuer), so­zu­sa­gen die Kon­trol­le der Big THREE miss­lingt. Ist das die Gren­ze der De­mo­kra­tie, die Kon­trol­le der Strö­me?! Kön­nen wir nur Schu­le und Ge­fäng­nis?!

  14. Dass sich Po­li­tik nicht an Mehr­hei­ten ori­en­tie­ren soll, ist ge­wagt. Wä­ren die Ab­ge­ord­ne­ten nur ih­ren Wäh­lern ge­gen­über ver­pflich­tet, könn­te man die zeit­wei­li­ge Ab­ga­be der Sou­ve­rä­ni­tät, was man re­prä­sen­ta­ti­ve De­mo­kra­tie nennt, auch de­mo­kra­tisch nen­nen.

    Sieht das in der Rea­li­tät nicht ganz an­ders aus? Erst­mal könn­te man be­zwei­feln, ob das Pri­mat der Po­li­tik über­haupt noch be­steht. Ich den­ke nicht und glau­be wei­ter, dass ein nicht un­er­heb­li­cher Teil des om­ni­prä­sen­ten Un­be­ha­gens aus dem Ge­fühl der Fremd­be­stim­mung der Po­li­tik rührt.

    Z.B. beim The­ma Erb­schafts­recht be­steht ein ekla­tan­ter Un­ter­schied zwi­schen dem Wil­len des Vol­kes und der durch den Bun­des­tag seit Jahr­zehn­ten ge­stal­te­ten Ge­setz­ge­bung. Selbst die aus­drück­li­che Rü­ge des Ver­fas­sungs­ge­rich­tes hat nur zu mar­gi­na­len Än­de­run­gen ge­führt. Wel­che Par­tei muss ich wäh­len, um dies zu än­dern? Eins von vie­len Bei­spie­len der The­men, die Po­pu­li­sten miss­brau­chen kön­nen, weil der Main­stream ver­sagt oder nicht an­ders han­deln kann.

    Aber ei­ne Po­li­tik, die für sich die Mo­ral des Gu­ten und Rich­ti­gen so­zu­sa­gen ver­ord­net hat, stellt sich gar nicht erst dem Dis­kurs.

    Es ist noch schlim­mer. Wä­ren sie da­von über­zeugt, könn­te ich das ak­zep­tie­ren. Welt­an­schau­ung ist nur be­dingt dis­ku­ta­bel und Auf­ga­be der Po­li­tik ist der Kom­pro­miss, nicht die Über­zeu­gung. Das schlim­me ist aber, dass die mo­ra­li­schen Ar­gu­men­te meist nur die ei­ner hid­den agen­da über­ge­stülp­ten Grün­de sind, um in ei­ner über­po­lit­sch kor­rek­ten Ge­sell­schaft Mei­nungs­druck zu er­zeu­gen. Und das führt zu psy­cho­lo­gi­schen Ver­hee­run­gen.

  15. Noch mal zum The­ma: Böh­me, Talk, Be­rich­te, Ma­ni­pu­la­tio­nen, etc.
    Ich bin mit der Po­li­tik via TV be­reits auf­ge­wach­sen, die Zei­tung war ein Zweit­me­di­um. Mir schien die Po­li­tik via TV von An­fang an dif­fus, en­crypt­ed. Nicht weil ich so­fort den Durch­blick hat­te, son­dern weil die ver­schie­de­nen Ebe­nen (Set­ting, bour­geoi­se Um­gangs­for­men, Kli­en­tel­ver­hält­nis, Aus­sa­gen, Emo­tio­nen, Po­le­mik) kein echt gu­tes Bild er­ga­ben, im Sin­ne des ho­li­sti­schen Gei­stes.
    Ein gut Teil der son­der­ba­ren Wahr­neh­mun­gen ist dem Me­di­um ge­schul­det, ein be­trächt­li­cher Teil der Po­li­tik selbst. Ich hat­te (und ha­be) un­end­lich viel Mü­he, das aus­ein­an­der zu klau­ben. Hat es mein In­ter­es­se, mei­nen Elan vi­tal ver­stärkt?! Nein. Ist zum Ab­ge­wöh­nen.
    Was ich in Deutsch­land be­son­ders ver­mis­se: das Grund­ver­trau­en der Kom­bat­tan­ten zu­ein­an­der. Deutsch­land ist Pran­ger-Land, ein Schäm-Dich-Land. Die Un­ter­wor­fen­heit der Teil­neh­mer in­ner­halb ih­rer Grup­pen (Grup­pen-Ödi­pus) geht je­dem An­sin­nen zu 100% vor­aus. Da steckt mit Si­cher­heit die Se­lek­ti­on der Par­tei­en da­hin­ter, ganz vor­ne da­bei: die SPD. Nur »un­ter­wor­fe­ne Funk­tio­nä­re«, mit dem Vor­satz, an­de­re zu un­ter­wer­fen. Den frei­en Bür­ger suchst du ver­geb­lich. In­zwi­schen ha­be ich ver­stan­den, dass es prin­zi­pi­ell nicht an­ders geht. Aber ich bin ge­lin­de ge­sagt ent­täuscht. Wenn al­lein schon die So­zi­al­kon­struk­ti­on die Wer­te (Nietz­sche) ver­zerrt und ver­kehrt, die sie vor­geb­lich ver­tei­digt...
    Tie­fen­psy­cho­lo­gie und Po­li­tik, das wä­re noch zu klä­ren, am En­de der Mo­der­ne.
    Wer macht es war­um, was macht es mit ihm, ins­be­son­de­re mit IHR, der po­li­ti­schen Frau in den Fünf­zi­gern, und war­um ma­chen wir es über­haupt.
    Das Fern­se­hen hat wohl die un­an­ge­neh­me Ei­gen­schaft, dass die kom­plet­te Sphä­re des Po­li­ti­schen wahr­nehm­bar wird. Das trägt nicht un­be­dingt zur Mo­ti­va­ti­on und Er­hei­te­rung bei.

  16. @Joseph Bran­co
    Die Aus­sa­ge, dass sich Po­li­tik an Mehr­hei­ten ori­en­tie­ren soll, ist als Schluss­fol­ge­rung ge­dacht. Das Ide­al wä­re: Par­tei­en bie­ten ih­re je­wei­li­gen Pro­gram­me zu ak­tu­el­len po­li­ti­schen The­men an. Hier­über wird in ei­nem Wahl­kampf dis­ku­tiert. Dann wird ge­wählt – und wer die Mehr­heit er­hält, kann es dann um­set­zen. Da­mit nicht ei­ne Dik­ta­tur der Mehr­heit ent­steht, die un­ter Um­stän­den nach vier Jah­ren al­les wie­der um­dreht, gibt es in­ner­halb des po­li­ti­schen Sy­stems Re­gu­lie­run­gen (in D der Bun­des­rat bspw). Ent­schei­dend ist, dass dem Wäh­ler je ei­ne Pro­gram­ma­tik vor­ge­stellt wird und dass die Pro­gram­ma­ti­ken der Par­tei­en sich in­ner­halb ein­deu­ti­ger Rah­men­be­din­gun­gen un­ter­schei­den. So braucht man nicht je­des Mal neu über das Grund­ge­setz ab­zu­stim­men – es muss die Grund­la­ge je­der po­li­ti­schen Pro­gram­ma­tik sein.

    Was aber, wenn sich zu es­sen­ti­el­len po­li­ti­schen The­men par­tei­über­grei­fend ein Kon­sens exi­stiert, der un­ab­hän­gig vom Mei­nungs­bild bei den po­ten­ti­el­len Wäh­lern um­ge­setzt wird? (Las­sen wir die Rol­le der Me­di­en ein­mal ei­nen Mo­ment ru­hen.) Was, wenn es in Frak­tio­nen ein­zel­ne Ab­ge­ord­ne­te gibt, die öf­fent­lich den Kon­sens be­fra­gen und sub­stan­zi­el­le Ein­wän­de for­mu­lie­ren, die aber eben­so öf­fent­lich von Par­tei­freun­den da­für be­droht und dif­fa­miert wer­den?

    Was be­deu­tet es, wenn es heisst, dass der Ab­ge­ord­ne­te sei­nen Wäh­lern ver­pflich­tet sein soll? Muss er sich bei je­der Ent­schei­dung ei­ne Art Ge­neh­mi­gung ho­len? Be­ruht nicht das re­prä­sen­ta­ti­ve Ele­ment dar­auf, dass man als Wäh­ler »sei­nem« Ab­ge­ord­ne­ten da­hin­ge­hend ver­trau­en kann, dass er Ent­schei­dun­gen mit­trägt, die im Sin­ne des­sen sind, wo­für er sich im Wahl­kampf ein­ge­setzt hat und an­de­re ab­lehnt, auch wenn es die »Frak­ti­ons­dis­zi­plin« an­ders möch­te? Hier­auf be­ruht m. E. der Grund­ge­setz­ar­ti­kel von der Ge­wis­sens­frei­heit des Ab­ge­ord­ne­ten.

    Hier ist es al­so das V‑Wort: Ver­trau­en. De­mo­kra­tie ist oh­ne Ver­trau­en nicht zu ha­ben. Wenn Wäh­ler das Ver­trau­en ver­lie­ren, bricht das Sy­stem mit­tel­fri­stig aus­ein­an­der. Wenn ab­trün­ni­ge Ab­ge­ord­ne­te wie un­ge­hor­sa­me Kin­der in die Ecke ge­stellt wer­den, ist dies ein fa­ta­les Si­gnal. Um dies zu ca­mou­flie­ren, muss sie mo­ra­li­sie­ren, in dem Ar­gu­men­te des An­ders­den­ken­den nicht zu­ge­las­sen wer­den, weil sie a prio­ri schon den selbst auf­ge­stell­ten mo­ra­li­schen Kon­sens an­grei­fen.

    Ich glau­be al­ler­dings, dass die mei­sten der mo­ra­li­sie­ren­den Po­li­ti­ker ih­re ei­ge­nen Phra­sen glau­ben. Dar­in liegt näm­lich das Pro­blem. Wä­ren sie nur Op­por­tu­ni­sten, müss­ten sie sich frü­her oder spä­ter an den Main­stream an­docken.

    Dass die Po­li­tik nur noch be­grenz­te Spiel­räu­me und eher fremd­be­stimmt da­her­kommt, hat sie sich sel­ber zu­zu­schrei­ben. So wä­re das ge­sam­te Feld der Fi­nanz­po­li­tik durch­aus re­gu­lier­bar und po­li­tisch »be­herrsch­bar« – aber man will es nicht, weil man Furcht vor even­tu­el­len un­an­ge­neh­men Ne­ben­ef­fek­ten hat.

  17. @die_kalte_Sophie
    Das mit dem »Pran­ger-Land« hat da­mit zu tun, das Po­li­tik in Deutsch­land min­de­stens seit den 1970er Jah­ren als Mo­ral­po­li­tik da­her­kam. Da­mals war dies in vie­ler Hin­sicht auch not­wen­dig; et­li­che Punk­te, die die 68er auf die po­li­ti­sche Agen­da ge­setzt hat­ten, wur­den end­lich in­sti­tu­tio­na­li­siert und um­ge­setzt. Ei­nen Schub gab es dann in den 1980er-Jah­ren noch ein­mal durch Frie­dens­be­we­gung und Grü­ne. Von da an war kein Hal­ten mehr: Ob AKW, Wald­ster­ben, Do­sen­pfand oder Glüh­bir­ne – wer hier nicht mit­mach­te, war nicht mehr po­li­ti­scher Geg­ner, son­dern ein »Feind«. Wer sich ge­gen den Irak­krieg der USA 1991, den NA­TO-Krieg ge­gen Ju­go­sla­wi­en 1999 und den Af­gha­ni­stan-Ein­satz 2001 stell­te, un­ter­stütz­te prak­tisch au­to­ma­tisch Sad­dam, Mi­lo­se­vic (und da­mit Hit­ler wie En­zens­ber­ger das 2 x for­mu­lier­te) oder die Ta­li­ban. Fern­se­hen trat da­bei an­fangs als Ver­stär­ker auf. In­zwi­schen wer­den be­stimm­te po­li­ti­sche Zie­le nicht ein­mal mehr dis­ku­tiert. Das hat mit der Staats­nä­he des öf­fent­lich-recht­li­chen Rund­funks und dem Des­in­ter­es­se des Pri­vat­fern­se­hens an po­li­ti­schen The­men, die nicht skan­da­li­sier­bar sind, zu tun.

    Fern­se­hen kann den­noch heu­te noch als Auf­klä­rungs­me­di­um gel­ten. Man muss nur auf der Kla­via­tur der Pro­gram­me und Me­dia­the­ken spie­len kön­nen, an­dern­falls bleibt man bei Cham­pi­ons Le­ague, »Hart aber fair« oder »Druck­frisch« hän­gen.

  18. @Gregor Keu­sch­nig
    Ich hat­te mir letz­tes Jahr den Tort an­ge­tan, dass Buch von Klaus-Pe­ter Willsch über die Sicht aus dem Haus­halts­aus­schuss auf die Eu­ro­kri­se zu le­sen. Willsch ist selbst­ge­fäl­lig und et­was un­an­ge­nehm, wenn aber nur das We­sent­li­che stimmt, was er schreibt, soll­te man das mit dem Ver­trau­en schnell ver­ges­sen. Ab­ge­se­hen da­von, dass die Ab­ge­ord­ne­ten nicht mehr ver­ste­hen, wor­über sie ab­stim­men, wer­den sie selbst wie Kin­der be­han­delt, be­kom­men die Ge­set­zes­tex­te erst am Tag der Ab­stim­mung, teil­wei­se nur in Eng­lisch oder gar nicht. Das Par­la­ment ist voll­kom­men mar­gi­na­li­siert. Ein­zi­ger Licht­blick wa­ren die In­ter­ven­tio­nen von Lam­mert, den Ab­trün­ni­gen ge­gen den Wil­len der Frak­ti­ons­füh­rer zu­min­dest Re­de­recht zu ge­ben. Ich stim­me mit Willsch nicht über­ein, aber sei­ne Kri­tik ist tref­fend.

    »Mein« Ab­ge­ord­ne­ter hat üb­ri­gens in den letz­ten Jah­ren zu 100% mit der Mas­se ge­stimmt, ob­wohl in sei­nem Wahl­kreis si­cher­lich mehr­fach ei­ne an­de­re Über­zeu­gung herrsch­te. Wie ist das dann erst bei Fi­gu­ren wie Vol­ker Kau­der, die je­des­mal, wenn ein Christ in der Welt schief an­ge­se­hen wur­de, Ze­ter und Mor­dio schreit, dann aber für »sein« Heck­ler und Koch Stel­lung be­zieht.

  19. zu #17 Sehr ein­ver­stan­den: wir müs­sen die­se mo­ra­li­sti­sche (Mo­ral ist ja nun wirk­lich nicht so »ein­fach zu stricken«, wie man in D ger­ne glaubt) Schlag­sei­te in der po­li­ti­schen Sphä­re mit al­len Mit­tel be­sei­ti­gen, kon­ter­ka­rie­ren, für min­der­wer­tig er­klä­ren, etc. Da müs­sen Po­si­tiv-Bei­spie­le ge­lin­gen.
    Und wir brau­chen das Me­di­um Fern­se­hen nicht in Bausch und Bo­gen zu ver­wer­fen, et­wa weil es sich als kor­rupt er­wie­sen hat. Die »Ver­stär­kung« kann eben­so gut im Dien­ste der Pro­gres­si­vi­tät (Auf­klä­rung) ste­hen.
    Ret­tet die po­li­ti­sche Kul­tur, das ist wohl der Auf­trag mei­ner und der näch­sten Ge­ne­ra­ti­on. D.h. im­pli­zit, be­wahrt die Deut­schen vor ih­rer ur­tüm­li­chen Lei­den­schaft, wel­che Po­li­tik nur ver­un­mög­licht.
    Dan­ke für ih­re Aus­füh­run­gen, das trifft es...

  20. @ Jo­seph Bran­co
    Es ist kei­ne An­bie­de­rung, wenn ich schrei­be, dass ich Sie für die Lek­tü­re be­wun­de­re, zu­mal ich glau­be nach­voll­zie­hen zu kön­nen, was Sie mei­nen. Ich mag Willsch auch nicht, aber die Be­schrei­bun­gen sind un­ab­hän­gig von der Per­son.

    Die Ab­stim­mun­gen zur so­ge­nann­ten Eu­ro-Ret­tung wa­ren na­tür­lich Schmie­ren­thea­ter und in je­dem Dritt­welt­land hät­te man dies scharf kri­ti­siert. Aber es ging ja um »Eu­ro­pa«...

  21. Der hoch­e­van­ge­li­sche Klaus-Pe­ter Willsch und Bran­co und Gre­gor Keu­sch­nig und die_kalte_Sophie und Rei­ner Holz­na­gel vom Bund der Steu­er­zah­ler und Thi­lo Sar­ra­zin und Dirk »Dax« Mül­ler aus Reilingen/Bd. und – wer noch: der Stern, die FAZ, die Wirt­schafts­wo­che, das Han­dels­blatt und Hans-Wer­ner Sinn: Das ist doch was! – Al­le mit Willsch oder oh­ne zu­min­dest hie und da ge­gen den Eu­ro und et­li­che ge­gen die Grie­chen-Ret­tung, wie es scheint. – Bis zum näch­sten Mal.
    Ah: Da fällt mir der In­de­pen­dent ein: Er war kürz­lich auch ge­gen die Grie­chen, aber er hat tie­fer an­ge­setzt als an­de­re: Mit ei­ner Kri­tik des vor­herr­schen­den Ver­ständ­nis­ses von Keynes.
    Es wä­re, um auf das ei­gent­li­che The­ma zu kom­men: Ei­ne in­ter­es­san­te Sa­che, zu über­prüfn, wie oft ein­fach die Auf­fas­sung von De­fi­zit-Spen­ding als Wun­der­kur ap­pli­ziert wur­de im Lau­fe der letz­ten sa­gen wir zehn Jah­re im öf­fent­li­chen Dis­kurs.
    Das ist ein sy­ste­ma­ti­scher Feh­ler, so­lan­ge man ver­kennt, dass Keynes durch­aus der An­sicht war, ge­lie­he­nes Geld müs­se zu­rück­ge­zahlt wer­den. Dies ist frei­lich kei­ne un­um­stöß­li­che Tat­sa­che, weil Ver­trä­ge so­zia­le Tat­sa­chen sind, die man, wenn es eng wird, manch­mal so oder so aus­le­gen kann.
    Die Ver­trä­ge, die die Grie­chen mit Eu­ro­pa ab­ge­schlos­sen ha­ben, wur­den nicht ein­ge­hal­ten bzw. mo­di­fi­ziert, die Ver­trä­ge die Grie­chen­land mit Gold­man Sachs ab­ge­schlos­sen hat, wur­den kor­rekt be­dient (es ging bis­her, hab­bich das richtsch im Kopf, um meh­re­re hun­dert Mio Eu­ro).
    Et­li­che mit der grie­chi­schen ver­gleich­ba­re Volks­wirt­schaf­ten ha­ben k e i n zu­sätz­li­ches Geld von der EU ver­langt – und es wur­de ih­nen auch kei­nes be­zahlt.
    Das bringt mich auf die Talk-Shows und son­sti­ge For­men der Öf­fent­lich­keit.
    Gre­gor Keu­sch­nig ist un­be­dingt zu­zu­stim­men, was die Cau­sa Hai­der an­geht. Aber ich möch­te mit ei­nem zar­ten Hin­weis fort­fah­ren: Was, wenn Böh­me bes­ser vor­be­rei­tet ge­we­sen wä­re?
    Ei­ne Ant­wort auf die­se Fra­ge gibt es zur Zeit in CH zu be­sich­ti­gen, wo ich von KN aus lan­ge vom Schreib­tisch aus hin­zu­se­hen pfleg­te, in mü­ssi­gen Mo­men­ten: Der Blo­cher-Mann und sei­ne Par­tei ge­win­nen Wah­len, weil sie die Wäh­ler er­rei­chen. Neue­ste For­schung – am Mon­tag in der NZZ ge­le­sen: – Die Ar­bei­ter­schaft ist in CH scheints mehr­heit­lich weg von der SP und nun bei der SVP an­ge­kom­men. Die SP wäh­len in der Schweiz zu­neh­mend und lang­sam ex­clu­siv Leu­te wie sol­che, die sich hier aus­tau­schen.
    Sa­chen gibt’s?!
    tja – und wenn al­les kommt wie pro­gno­sti­ziert, wird sich das in Ba-Wü wie­der­ho­len: ei­ne Ar­bei­ter­par­tei, aber kei­ne Ar­bei­ter mehr... (= 17,5 %!?).

    Schluß

    - Das al­les gin­ge ‘türlch (F. Schulz) bes­ser mit Lu­thers Ap­fel­bäum­chen oder des spä­ten Bloch ent­täusch­ba­rer Hoff­nung, aber es geht auch oh­ne sie.
    Manch­mal, wenn ich über Land fah­re und be­mer­ke, dass ich nicht ein­ver­stan­den bin, stel­le ich mir vor wie groß das Land ist – und wel­ches Wun­der, dass es funk­tio­niert.
    Bes­ser geht im­mer.

  22. @ Die­ter Kief Ih­re gu­te Lau­ne ist wie im­mer vor­bild­lich aber un­mög­lich na­tür­li­chen Ur­sprungs, al­so: Hän­de weg von dem Zeug!
    »Keynes« ist zur Chif­fre ge­wor­den. Es steht für je­ne wunsch­öko­no­mi­schen Ar­gu­men­ta­tio­nen, die den Staat und Ge­sell­schaft als »Ein-Kon­ten-Sy­stem« be­trach­ten. Da wird in Flücht­lin­ge in­ve­stiert, das Wachs­tum auf Pump »be­schleu­nigt«, der En­er­gie-Markt re­gu­liert, und der ge­wünsch­te Out­put ist im­mer zu­gleich po­li­tisch wie auch fis­ka­lisch gün­stig. An die­sem Dou­ble-Be­ne­fit-Ef­fekt lässt es sich ganz gut er­ken­nen. Was hin­ten raus­kommt, ist op­ti­mal für bei­de Sei­ten. Ein­fach mal Geld aus­ge­ben, und war­ten, wie die Saat auf­geht.
    Ich woll­te in die­sem Zu­sam­men­hang über Willsch sa­gen: Im­mer deut­li­cher fin­de ich mich in der­sel­ben Si­tua­ti­on wie der »ge­mei­ne Ab­ge­ord­ne­te«. Ich ver­ste­he al­len­falls die Hälf­te des Pro­blems (GR, Eu­ro, Mi­gra­ti­on) will mir aber ei­ne Mei­nung bil­den, die er­satz­wei­se für die Ab­stim­mung steht. Der ein­zi­ge Vor­teil des frei­en Bür­gers, als den ich mich be­trach­te, be­steht dar­in, dass er nicht un­ter Grup­pen­zwang (Frak­ti­on) steht und nicht so hart­näcki­gen Lob­by­isten aus­ge­setzt ist. In jüng­ster Zeit stel­le ich fest, dass mei­ne Mei­nun­gen in Ber­lin prak­tisch über­haupt nicht ver­tre­ten sind, und da­bei heißt »nicht ver­tre­ten« schlicht: Kommt nicht vor in Par­la­ment und Re­gie­rung. Wol­len Sie wis­sen, was das mit mir macht?! –Of­fen ge­stan­den, ich weiß es selbst nicht. Es wühlt und ar­bei­tet in mir, und fühlt sich pri­ma facie wie ei­ne ge­stör­te Ver­dau­ung an. Ist das die wah­re Last der De­mo­kra­tie, wenn Sie zu­schau­en müs­sen, wenn an­de­re* et­was kom­plett an­de­res ma­chen, als das was sie selbst ge­tan hät­ten?!
    *Da­bei liegt der Ak­zent bei »an­de­re« auf dem Plu­ral, der sich bei al­len Ent­schei­dun­gen auch im grup­pen­dy­na­mi­schen Sin­ne be­merk­bar, der Plu­ral rich­tet sich so­zu­sa­gen di­rekt ge­gen die Tat­sa­che, dass der An­ders­mei­nen­de (ich) ein Ein­zel­we­sen ist. Will sa­gen: die De­mo­kra­tie hat es nicht so mit dem Ein­zel­nen, das spürt man be­son­ders, wenn man NICHT mit der po­li­ti­schen Klas­se über­ein­stimmt. Ihr vi­ta­les Zen­trum ist die Men­ge (nicht die »Mas­se«). Im­mer wenn Mei­nun­gen »men­gen­mä­ßig« ins Ge­wicht fal­len, sie­he Blo­cher, wer­den sie für die De­mo­kra­tie wich­tig. Nur so da­hin­ge­stellt, denn wir al­le ken­nen selbst­ver­ständ­lich den Le­gi­ti­ma­ti­ons-Über­bau, der da­für sorgt, dass so et­was wie ei­ne Über­men­ge er­scheint, in der wir sprich­wört­lich al­le ent­hal­ten sind. Di Fa­bio ist so ein Über­bau-Spe­zia­list. Aber ich glaub da nicht so dran, ich hö­re da eher auf mein Bauch­grum­men. Kri­tisch ge­spro­chen: wenn je­de Men­ge Volk mit Mei­nung auf der re­prä­sen­ta­ti­ven Ebe­ne nicht mehr vor­kommt, dann wird kein Über­bau den Zu­sam­men­bruch ver­hin­dern.

  23. Ich glau­be, es ist we­ni­ger ein Un­be­ha­gen dar­an, dass im Par­la­ment Sa­chen be­schlos­sen wer­den, die man nicht mag, son­dern eher, dass es kei­ne se­riö­se Al­ter­na­ti­ve zu ge­ben scheint. Seit der Grie­chen­land-Kri­se ha­ben wir prak­tisch ei­ne Gro­ße Ko­ali­ti­on. Die­je­ni­gen Ab­ge­ord­ne­ten, die sich dem Mehr­heits­zwang nicht beug­ten, wur­den für die ei­nen zu Hel­den, für die an­de­ren zu Dis­si­den­ten. Letz­te­re ha­ben die Macht über Li­sten­plät­ze bei der näch­sten Wahl die­se Dis­si­den­ten so zu plat­zie­ren, dass sie nicht mehr ins Par­la­ment kom­men. Wird nicht das Elend die­ser Re­prä­sen­ta­ti­on da­durch an­ge­zeigt, dass sol­che Fi­gu­ren wie Willsch zu »Hel­den« wer­den, nur weil sie sich die­sem Meu­ten­par­la­men­ta­ris­mus, den auch ei­ne in die­ser Hin­sicht un­ver­däch­ti­ge Fi­gur wie Lam­mert be­klagt, wi­der­set­zen?

    Ak­tu­ell zeigt sich in der Flücht­lings­pro­ble­ma­tik Ähn­li­ches. Es gibt nicht nur die Gro­ße Ko­ali­ti­on aus Uni­on und SPD – Lin­ke und Grü­ne ver­tre­ten ja ei­ne ähn­li­che Sicht (über den Bun­des­rat re­gie­ren sie mit). Die CSU schei­tert ge­ra­de dar­an, sich als Op­po­si­ti­on zu pro­fi­lie­ren, oh­ne auf die Macht ver­zich­ten zu wol­len. Das ist von ei­ner schreck­li­chen in­tel­lek­tu­el­len Ar­mut – auf al­len Sei­ten.

    [W]enn je­de Men­ge Volk mit Mei­nung auf der re­prä­sen­ta­ti­ven Ebe­ne nicht mehr vor­kommt, dann wird kein Über­bau den Zu­sam­men­bruch ver­hin­dern.
    Es gibt kei­nen Über­bau mehr. Hier­in liegt auch der Irr­tum der »Wir schaf­fen das«-Parole, mit der ver­sucht wird, ei­nen sol­chen Über­bau zu re­ak­ti­vie­ren. Der Er­satz-Über­bau soll­te die EU sein, aber der »Ver­fas­sungs­pa­trio­tis­mus« ist ein Brot, dass zu hart ist (so ge­sund es sein mag). Seit den 2000er Jah­ren ist nur noch der Kon­su­mis­mus als »Über­bau« üb­rig­ge­blie­ben (die »na­tio­na­le« Vol­te nach der Wie­der­ver­ei­ni­gung war nur ein Stroh­feu­er). Al­len­falls die deut­sche Fuß­ball­na­tio­nal­mann­schaft mag noch ein »Wir«-Gefühl zu er­zeu­gen – für 90 oder 120 Mi­nu­ten. So ent­span­nend dies ist, so kom­pli­ziert ist dies auch in Kri­sen­si­tua­tio­nen.

    Ri­chard von Weiz­säcker sprach in den 1990er Jah­ren von ei­ner in­for­mel­lem Deal zwi­schen Bür­gern und der Po­li­tik. Die Po­li­tik hält dem Bür­ger die gro­ßen Pro­ble­me vom Hals, mehrt, wo es mög­lich ist, dass, was man Wohl­stand nennt. Im Ge­gen­satz hält sich der Bür­ger weit­ge­hend aus der Po­li­tik her­aus (bis auf die Wah­len). Die­ser Deal (das nicht das Wort von Weiz­säcker) hat bei­spiels­wei­se ei­nen Dis­kurs über die EU und de­ren Be­fug­nis­se ver­hin­dert. Es galt als aus­ge­macht, dass die Po­li­tik das schon macht. Die Skep­sis war nie re­prä­sen­ta­tiv ver­tre­ten bzw. sie wur­de so­fort de­nun­ziert.

  24. »Es gibt kei­nen Über­bau mehr...«. Kann sein man sucht und sucht, und fin­det nichts. Mir kom­men die Le­gi­ti­ma­ti­ons-Spe­zia­li­sten zwar sehr im­po­nie­rend aber nicht eben mehr­heits­fä­hig vor. Ge­wiss ist der Ver­fas­sungs­pa­trio­tis­mus die edel­ste Va­ri­an­te. Aber ich den­ke, das Wir exi­stiert nur auf der Hand­lungs­ebe­ne, und da steht all­zu leicht Mei­nung ge­gen Mei­nung. Oder sa­gen wir nicht »exi­stiert« son­dern »eta­bliert sich nur auf der Hand­lungs­ebe­ne«. Es ist be­stimmt leich­ter ge­sagt als ge­tan.
    Schön, wie Sie al­le Iden­ti­fi­ka­ti­ons­pro­zes­se der letz­ten Jahr­zehn­te be­schrei­ben, die »klei­ne na­tio­na­le Epi­so­de in den Neun­zi­gern«, Eu­ro­pa als ge­schicht­li­che Trans­for­ma­ti­on/­Trans-For­ma­ti­on, der Fuß­ball, das gu­te Es­sen, etc. Al­les Ver­su­che, ein Wir auf­zu­bau­en. Zu­letzt so­gar Ma­dame mit »Wir schaf­fen das!«. Ein wei­te­res Stroh­feu­er. Der Al­ler­welts­satz be­deu­tet für je­den et­was an­de­res. Für mich be­deu­te­te es: Wir sind so über­mensch­lich ge­dul­dig, dass die Auf­lö­sung des Eu­ro­päi­schen Asyl­sy­stems uns nicht be­un­ru­hi­gen muss, weil es uns in fer­ner wenn auch nicht all­zu na­her Zu­kunft ganz si­cher ge­lingt, da­für Er­satz zu schaf­fen. —Lie­ge ich völ­lig da­ne­ben, oder hat sie das ge­meint?!
    Mein er­ster Ge­dan­ke war: Du nicht! Du hast kei­ne Ah­nung von Eu­ro­pa. Und die Öster­rei­cher ha­ben mit Fay­mann ein ähn­li­ches »Spie­gel­pro­blem«. Der Fal­sche sagt das, was man ger­ne glau­ben wür­de.

  25. Der gröss­te Ver­such ei­nes »Wir« ist der Na­tio­nal­staat, der ja in den letz­ten 30 Jah­ren ei­ne Re­nais­sance son­der­glei­chen er­fuhr. Er ist Fluch und Se­gen zu­gleich, weil er nicht nur in­te­grie­rend, son­dern auch po­la­ri­sie­rend und aus­gren­zend ver­stan­den wer­den kann. Das ist sein Pro­blem. Rau hat mal ge­sagt, er mag Pa­trio­ten, hasst aber Na­tio­na­li­sten – das ist ge­nau der Grat, auf den ei­ne Po­li­tik zu ba­lan­cie­ren hat.

    Ei­ne EU als su­pra­na­tio­na­les Ge­bil­de schafft kei­nen Zu­sam­men­halt, weil sie He­te­ro­ge­ni­tät als Ma­kel be­greift und ein­eb­nen will. Am En­de steht dann ein »Eu­ro­pa der Re­gio­nen« – ei­ne Art Folk­lo­re­ver­an­stal­tung mit Blas­mu­sik und Dol­ce vi­ta (im Sü­den) oder Holtz­häus­chen­ro­man­tik und Shan­ty-Chor (im Nor­den).

    Wir schaf­fen das« ist ähn­lich wie »blü­hen­de Land­schaf­ten«. Wenn es ei­nen Feh­ler gibt, den man Kohl 1990f nach­sa­gen kann, dann ist es der, die Mü­hen und Ko­sten des Ver­ei­ni­gungs­pro­zes­ses ver­harm­lost zu ha­ben. Ähn­li­ches macht jetzt Mer­kel. Bei­des ge­schieht in gu­tem Wil­len – man will, wie De Mai­ziè­re so tref­fend sag­te – den Leu­ten nicht zu viel zu­mu­ten.

    Aber noch kann man sich halt, wie der miss­lau­ni­ge Herr Kief noch wun­dern, dass das al­les so funk­tio­niert. Stun­den nach­dem zu Blut­spen­den nach dem Zug­un­glück in Bad Aib­ling auf­ge­ru­fen wur­den, wur­de ge­mel­det, dass man mit der Fül­le der Re­ak­tio­nen nicht mehr nach­kommt. Im­mer­hin.

  26. Die »größ­te Va­ri­an­te des Wir«, die Na­ti­on, ist vie­len su­spekt. Die Ar­gu­men­te zie­len dann im­mer auf die nö­ti­ge Ab­gren­zung und die mög­li­che Ent­ar­tung hin. Er­satz­wei­se wird da­ge­gen die noch grö­ße­re Va­ri­an­te »Welt­po­li­tik« auf­ge­bo­ten. Das Wir soll Al­le sein. Al­les an­de­re gilt für un­mo­ra­lisch. Ich le­se heu­te in den Dis­kur­sen im­mer noch De­leu­ze aber auch Bruck­ner, die nicht auf­hö­ren kön­nen oder konn­ten sich dar­über zu wun­dern, wie der west­li­che po­li­ti­sche Wil­le auf ei­ne »sinn­stif­ten­de In­be­sitz­nah­me des Pla­ne­ten Er­de« aus­geht. Mir scheint, dem po­li­ti­schen Wil­len liegt viel­fach ei­ne »ter­re­stri­sche Kom­po­nen­te« zu­grun­de, die man­che Ma­so­chi­sten dann so­gar als Wer­teim­pe­ria­lis­mus wie­der­um ge­gen den Strich le­sen.
    Ich ma­che mich nicht dar­über lu­stig, im Ge­gen­teil: ich se­he das als abend­län­di­sche Macke, die auf mich über­ge­gan­gen ist, wo­ge­gen ich mich aber weh­re, —die­ser Wil­le der ein Mensch­heit-Sein im­pli­ziert. Dar­un­ter ma­chen es ja vie­le nicht. Ich nen­ne sie die »Uni­ver­sa­li­sten«, da sie au­gen­schein­lich mehr auf ein Seins-Ver­hält­nis als auf in­ter­na­tio­na­le Rechts­sy­ste­me wert le­gen. —Um Hit­ler zu pa­ra­phra­sie­ren: ei­nes Ta­ges wird die­se Er­de »rest­los uns ge­hö­ren«. Wor­auf Keynes ant­wor­ten wür­de: Ja, aber lang­fri­stig sind wir al­le tot!

  27. Na­ja, ob Herr H. sa­tis­fak­ti­ons­fä­hig ist? Ich zweif­le dar­an.

    Nach dem En­de des Kal­ten Krie­ges glaub­te man, dass der Nie­der­gang des Kom­mu­nis­mus ein Sieg der west­li­chen Wer­te ge­we­sen war. Da­bei schei­ter­te man schon an ei­ner halb­wegs ver­bind­li­chen De­fi­ni­ti­on von »Frei­heit«. Leu­te wie Bush jr und Josch­ka Fi­scher wa­ren bzw. sind bei­des Uni­ver­sa­li­sten. Ih­re Po­li­tik un­ter­schied sich nur in ih­rem mis­sio­na­ri­schen Ei­fer. Bush woll­te ei­nen De­mo­kra­tie­pflock im Irak ein­schla­gen und glaub­te ernst­haft, dass die Ira­ker das auch woll­ten. Fi­scher um­arm­te »nur« Ost­eu­ro­pa. Kul­tu­rel­le Un­ter­schie­de wur­den weg­ge­dacht; es gibt sie ja (an­geb­lich) gar nicht. Uni­ver­sa­li­sten ha­ben im­mer und über­all die Mo­ral für sich. Sie er­in­nern da­bei an spa­ni­sche Mis­sio­na­re des 16. Jahr­hun­derts. Statt der Kir­che bei­zu­tre­ten wird jetzt ver­langt, Co­ca Co­la und die Ho­mo-Ehe an­zu­er­ken­nen. Der Un­ter­schied zu da­mals ist, dass die Spa­ni­er waf­fen­tech­nisch voll­kom­men über­le­gen wa­ren und da­mit jeg­li­chen Wi­der­stand ge­walt­sam un­ter­drück­ten. Das geht heu­te nicht.

  28. »Es gibt kei­ne kul­tu­rel­len Un­ter­schie­de...«, —ganz wich­tig. Je­de Dif­fe­renz, die ei­ne Ba­sis für den po­li­ti­schen Wi­der­stand bie­ten könn­te, leug­nen, über­spie­len, weg lä­cheln, etc.
    Es passt die all­ge­mei­ne Ten­denz der De­kul­tu­ra­li­sie­rung (Oli­vi­er Roy), wel­che der Ma­te­ria­lis­mus (die »Ma­schi­ne«) ein­for­dert, ja so ver­dammt gut zu die­sem mo­ra­li­schen Pla­nier­rau­pen-Feld­zug. Be­schleu­ni­ge den Zer­fall im In­ne­ren, und Du wirst den Krieg oh­ne Blut­ver­gie­ßen ge­win­nen, sagt der chi­ne­si­sche Mei­ster.
    Aber was, wenn das In­ne­re schon der gan­ze Welt­kreis ist?!
    Dann hat man es mit ei­nem Idio­ten zu tun, wür­de sel­bi­ger Mei­ster ant­wor­ten.
    Ich könn­te mich stun­den­lang dar­über echauf­fie­ren, die Wän­de voll­schrei­ben aus rei­ner Hy­ste­rie.
    P.S.: Ei­ne ver­bind­li­che De­fi­ni­ti­on der Frei­heit?! Ein gro­ßes The­ma. Vor drei Ta­gen ist mir ei­ne sehr gu­te De­fi­ni­ti­on ein­ge­fal­len. Sie ist zwar oh­ne Kon­text et­was kryp­tisch, könn­te u.U. aber trotz­dem »sa­tis­fak­ti­ons­fä­hig sein«.
    —Die Emo­ti­on des Schau­spie­lers prägt die Uto­pie der Frei­heit im We­sten.—