Ich gestehe freimütig bis gestern von der Existenz einer »Deutschen Gesellschaft Qualitätsjournalismus« nichts gewusst zu haben. Die Meldung im Branchenmagazin »Kress« über einen Beitrag des FAZ-Mitherausgebers Werner D’Inka hat mich auf die Spur gebracht. Im Band »Quo vadis, Qualitätsjournalismus«, der als pdf herunterladbar ist, findet sich D’Inkas Beitrag. Ausgewiesene Journalistenschützer wie beispielsweise Roland Berger, Volker Bouffier, Bernd Raffelhüschen, Jürgen Fitschen, Jens Weidmann oder auch Götz Werner erklären in zuweilen knappen wie banalen Beiträgen, wie wichtig heutzutage Journalismus ist. Sogar Bahnchef Rüdiger Grube fand zwischen den Tarifverhandlungen seines Personalvorstands noch Zeit, einen Text zu verfassen. Man fragt sich in Anbetracht dieser Zusammenstellung mehr denn je, wie schlecht es um das, was man gemeinhin »Journalismus« nennt in diesem Land bestellt sein muss, wenn es solche Lobredner braucht.
Die hehren Bekenntnisse dieser Herren (es sind nur wenige Damen) haben in etwa den Erkenntniswert einer Sandmännchen-Sendung. Es komme nicht auf Klickzahlen im Internet an, weiß zum Beispiel Volker Bouffier, der leider nicht schreibt, was er in seiner zugegebenermaßen kurzen Zeit im ZDF Verwaltungsrat dafür getan hat, Kulturprogramme jenseits der Einschaltquotenhörigkeit ins Programm zu platzieren. Fast jeder dieser Fachleute in Sachen Journalismus betont die Notwendigkeit der freien Presse. Interessanterweise wissen sie auch recht genau, wie diese auszusehen hat.
Es lohnt kaum, auf die Texte näher einzugehen. Es wimmelt von routiniert vorgebrachten Beschwörungsformeln – eine Mischung aus Endzeitstimmung und trotziger Selbstbehauptungs-Rhetorik. Man vermisst nur noch das Transparent zum Ausschneiden, den Starschnitt zur Parole zum Bekenntnis dessen, was man Qualitätsjournalismus nennt (ein Begriff, der längst als eine Art Superlativ von Journalismus verwendet wird).
Werner D’Inkas Text sticht etwas heraus. » ‘Würden wir uns von einem Bürgerchirurgen den Blinddarm entfernen lassen?’ « ist er überschrieben. Eine Frage, die D’Inka im Text selber wiederholt. Seine Strategie ist schnell klar: Er lobt Blogs und den sogenannten »Bürgerjournalismus« zunächst als Bereicherung, grenzt dies jedoch vom »richtigen« Journalismus kategorisch ab:
»Die besten und geistreichsten Blogger sind eine Art Kolumnisten, die oft originelle Sichtweisen vertreten, aber sich nicht mit der Mühe ernsthafter Nachrichtenarbeit plagen und stattdessen das abschöpfen, was Zeitungsredaktionen kostenlos ins Netz stellen.«
Blogger wären D’Inka zufolge – zugespitzt formuliert, d. h. er verwendet diese Bezeichnung nicht – parasitär in Bezug auf Journalisten. Man kann dies durchaus so sehen. Was er allerdings nicht erwähnt: Auch der journalistische Redaktionsalltag greift auf fremde Quellen zurück und macht davon ausgiebig Gebrauch. Es sind die Nachrichtenagenturen, die als Urquell unzähliger Meldungen dienen und – je nach Ausstattung der Redaktion – entweder nur mehr oder weniger unverändert übernommen werden oder durch eigene Aspekte (meistens: Meinungen) ergänzt werden. Tatsächlich werden die Nachrichtenagenturen von den Redaktionen zwar bezahlt, aber auch der Blogger bezahlt – indirekt über die »Demokratieabgabe« an die öffentlich-rechtlichen Medien – die Agenturen. Es ist daher kühn, dass, was die Zeitungsredaktionen als Nachrichten »kostenlos ins Netz stellen«, als mühevolle Recherchearbeit auszugeben.
Richtig ist: Blogs sind fast immer Meinungsmedien, die eben auch Bezug auf Meinungstexten von Journalisten nehmen. Dass diese »kostenlos im Netz« verfügbar sind, ist nicht den Bloggern anzulasten. Ich selber habe schon Texte, die nicht im Netz erschienen waren, im Blog kommentiert. Und es finden sich zahlreiche Texte von Bloggern und Bürgerjournalisten, die wenig bis kaum Referenz auf bereits Geschriebenes nehmen.
D’Inkas Text ist aber vor allem in einem anderen Punkt interessant: Er malt nicht alles in rosaroten Farben, sondern beklagt sehr wohl eine »De-Professionalisierung« im zeitgenössischen Journalismus:
»Ich wundere mich, wie leicht manche Journalisten bereit sind, Handwerksnormen über Bord zu werfen, die sich über Jahrhunderte herausgebildet haben und deren Bedeutung niemand ernsthaft in Frage stellen kann.«
Lassen wir das Pathos (»über Jahrhunderte«) einmal weg, zeigt sich, dass D’Inka das Problem durchaus erkannt hat:
»Dazu zählen die Trennung zwischen Nachricht und Meinung, die Selbstverpflichtung, Nachrichten auf ihre Herkunft und ihre Verlässlichkeit zu prüfen, Quellen offen zu legen und das Gebot, zwischen privaten Interessen und öffentlichen Angelegenheiten zu unterscheiden sowie das Bemühen, nach allen Seiten Distanz zu halten – und zwar nicht ‘mal’, sondern Tag für Tag, Nachricht für Nachricht, in einem systematischen Qualitätssicherungsprozess.«
Damit ist der Status quo konzise und zutreffend skizziert. Aber auch D’Inka macht den Fehler, diesen buchstäblich an jeder Kioskecke spürbaren Verwahrlosungsprozess schuldhaft den neuen Medien bzw. dem Medium Internet anzukreiden. Als sei es kausal, dass mit dem Auftreten von »Bloggern« die Qualität der journalistischen Praxis gefährdet wäre. Wird etwa die Qualität eines Restaurants schlechter, wenn gegenüber eine Pizzeria aufmacht?
Statt den derart entstehenden »Wettbewerb« anzunehmen (streng genommen ist es für D’Inka ja gar kein Wettbewerb, da die Ausbildung und Erfahrung des Journalisten als derart singulär bewertet wird, dass der Blogger allenfalls als publizistischer Wasserträger wahrgenommen werden kann) wird der vermeintliche Konkurrent als Verursacher für die Verflachung des eigenen Handwerks ausgemacht. Das ist billig.
Zwar appelliert D’Inka durchaus selbstkritisch an den »Selbstzweifel« des Journalismus, der diesen vor der bräsigen Behäbigkeit, die schnell in Arroganz umschlagen kann, bewahren soll. Fehler müssten in der nächsten Ausgabe korrigiert werden. Aber wer stellt fest, wo die »Fehler« sind bzw. waren? Immer noch klingeln mir – um nur ein Beispiel zu nennen – die Ohren (bzw. flattern mir die Augen) wie die FAZ die Kriege um und in Jugoslawien kommentiert hatte. Wer hat jemals die Parteilichkeit des damaligen Chefkommentators (eines Mit-Herausgebers) aufgearbeitet? Warum gibt es eigentlich bis heute keine Selbstverpflichtung von Journalisten, ihre Nebentätigkeiten und (politischen) Zugehörigkeiten offenzulegen? Sie selber fordern Transparenz aller Orten – für sich nehmen sie jedoch großzügig Ausnahmen in Anspruch. Es ist leicht einzugestehen, einen Zahlendreher oder eine Namensverwechslung begangen zu haben. Schwieriger scheint es zu sein, seine außerpublizistischen Aktivitäten darzulegen. Aber wer sich als »Vierte Gewalt« begreift, bedarf auch einer Kontrolle – und sei es der durch die Rezipienten selber.
Keinen Hinweis findet man in D’Inkas Beitrag, welchen Anteil Verlage und Herausgeber bei der sogenannten Krise des Journalismus haben. Wer legt denn die Lokalredaktionen still, so dass »Bürgerjournalisten« dort die kritische lokalpolitische Berichterstattung fast zwangsweise übernehmen müssen? Wie kommt es zu den Zusammenlegungen von Zeitungen nebst »Synergieeffekten«? (Synergien – jenes Zauberwort der Ökonomie, das von der These lebt, dass das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile – sind hier fast immer Personalsynergien; vulgo: Entlassungen.) Wer hat denn jahrelang ein Bezahlmodell des Onlinejournalismus praktisch ignoriert? Und: Wie werden eigentlich die freien Mitarbeiter der FAZ für ihre ordentliche Arbeit bezahlt?
Wie wäre es, wenn sich »Qualitätsjournalisten« weniger mit Durchhalteparolen und Selbstbeweihräucherungen beschäftigen würden, sondern die von ihnen so vehement vertretenen Qualitätsmerkmale einfach in ihren Texten umsetzen würden? Insofern hat der Autor schon recht, wenn er schreibt, dass vom Jammern alleine nichts besser wird.
Ärgerlich an diesem Text ist der von D’Inka pejorativ verwendete Begriff des »Bürgerjournalisten«. So manche Journalistenikone der Vergangenheit hatte nicht annährend die Formalqualifikation, die heute notwendig sein soll, um ein Qualitätsjournalist sein zu können. Und wie denkt D’Inka eigentlich über die Masse der ehrenamtlichen kommunalpolitischen Amtsträger, besonders in ländlichen Kreisen? Dort also, wo »Bürgermeister« ein Ehrentitel ist? Sicherlich, auch ein Bürgermeister operiert nur in extremen Ausnahmefällen. Das haben sie mit Bürgerjournalisten gemein: Die Operation am »Blinddarm« wird Privileg des Ärztestandes bleiben. Glücklicherweise. Hinzu kommt nämlich, dass ich auch von Qualitätsjournalisten wie D’Inka nicht operiert werden möchte. Er weiss wohl nicht, dass der Blinddarm bei dieser OP gar nicht entfernt wird. Aber dieser Hinweis nur so am Rande.
Ergänzung – 11.05.2015, 10.45 Uhr: Über die »Festschrift« auch im heutigen »Altpapier« von Frank Lübberding.
Der Elfenbeinturm, in dem D´Inka und seine Qualitäsjournalisten sitzen, ist immer noch recht angenehm möbliert. Ignoranz, Faktenunterdrückung und Lächerlichmachen sind nach wie vor kultivierte Primärtugenden in der Hellerhofstraße. Das gebetsmühlenartig vorgetragene Mantra »Qualitätsjournalismus« erinnert zuweilen an »Des Kaisers neue Kleider«. Wenn in solch einer Krise ein Blatt wie die FAZ sich immer stärker als halbamtliche Pressestelle von NSA, Bundesregierung, TTIP, INSM, etc. geriert, darf es sich nicht wundern, wenn nach den Gesetzen des gern beschworenen freien Marktes zusehends die Kundschaft ausbleibt. Ohne Schirrmacher fehlt mittlerweile jede ehrliche Selbsanalyse.
Da spielt es dann auch keine große Rolle mehr, daß man sich einige liberale Blogger oder Frau Kleist und Herrn Rieger leistet.
Die Beiträge erinnern an eine Festschrift, Wohlwollen und Konzilianz an vorderster Stelle. Eine selbstkritische Auseinandersetzung war vermutlich nicht angezeigt. Lohnt es sich dann, den Herren (und wenigen Damen) die Kritik hinterher zu tragen?!
Ich vermute, die sog. »Journalismus-Verdrossenheit« (analog der sog. Politik-Verdrossenheit) ist in die Chef-Etagen eingesickert, und verlangte nach einer Reaktion, so wie sie vorliegt. Allerdings ist die »kommunikative Relevanz« höchst selbstbezüglich, d.h. effektiv gleich Null. Damit lässt sich keine gesamtgesellschaftliche Entwicklung stilllegen. Es ist ja streng genommen kein Misstrauen gegen einen Beruf, sondern eine Skepsis gegenüber dem Öffentlichen Diskurs. Vielleicht haben sich ja die »Erwartungen« an den Diskurs verändert, vielleicht ist seine Relevanz ja gesunken. Die Überproduktion der Bürger-Journalisten mag da mitgewirkt haben. Aber der Abschwung von Politik und politischer Öffentlichkeit geht sicher Hand in Hand. Auch ein guter Reiter kann aus einem alten Gaul (Politik) nicht viel rausholen. Ich glaube, da versucht das Establishment uns zu veräppeln. Die Progressivität, die D’Inka auch erwähnt, wäre sehr sehr ernsthaft zu prüfen. Das würde ich jedenfalls der Beschwörungsformel entgegen setzen: Mag sein, dass ihr (noch immer) sehr sehr »professionell« seid, aber progressiv seid ihr bestimmt nicht. Spüre ich da einen Hauch von »Führerbewusstsein«...?! Come on!
Der Begriff Qualitätsjournalismus ist von Teilen der Leserschaft längst selbst pejorativ umgeformt worden. Angesichts eines Kampagnenjournalismus, der etwa auf dem Höhepunkt der Ukrainekrise in den öffentlich rechtlichen Medien oder Debattenorganen wie der Zeit fröhliche Urständ feierte, fühlten sich weite Teile des Publikums, die durch das Internet längst international Medien konsumieren, zunehmend für dumm verkauft und reagierte offen verärgert. Die Mitgliedschaften deutscher Alpha-Journalisten etwa in transatlantischen Thinktanks sind dabei durchaus bekannt und bildeten das Einfallstor für die zum Teil beißende Kritik an der Berichterstattung. Rechtfertigungen, wie etwa durch Stefan Kornelius von der SZ, dass diese Mitgliedschaften erst Hintergrundinformationen ermöglichen, waren dabei wenig überzeugend, da die publizistischen Ergebnisse vollkommen erwartbar, also »auf Linie« waren.
Wenn dann noch Zeitungsverlage aufgrund wirtschaftlicher Not zu Mischkonzernen mutieren und Marktforschungsinstitute, Internet-Singlebörsen, Kundenbindungsprogramme, Postzustelldienste, Reise- oder PR-Agenturen betreiben, ist dies ein weiterer Sargnagel für das Kapital der Zeitungen: Glaubwürdigkeit. Insofern erscheint mir das Beschwören von Qualitätsjournalismus eher wie das Pfeifen im Walde.
Ich kann mich noch gut daran erinnern, als die Brockhaus-Redaktion versuchte die Wikipedia mit ähnlichen Vokabeln als Strickkurs an der Volkshochschule darzustellen. Die Geschichte hat gezeigt, dass die (angeblichen) Laien in der Lage waren ein insgesamt überlegenes Werk zu schaffen. Vielleicht gibt es Probleme bei der Konsistenz, der fehlenden Homogenität und dem allerletzten Feinschliff im Wording, aber einen Brockhaus braucht heute sicher niemand mehr.
Ob das im Bürgerjournalismus auch möglich ist? So wahrscheinlich nicht, da der Hebel deutlich kürzer ist, aber an der Qualität muss das sicher nicht liegen. Ich darf in Ihrer Sache mal ein! Beispiel geben. Die FAZ hätte sich glücklich schätzten können, Ihre bei G&E umsonst veröffentlichte Rezension zu Esther Kinskys »Am Fluß« (sic!) drucken zu dürfen.
Die Frage wäre, was heute die Aufgabe der Gatekeeper, der Vermittler zwischen dpa und Bürger ist. Adenauerscher Paternalismus, ulfkottesche Alpträume*, springersche ADHS-Presse oder Teil einer pluralistischen Öffentlichkeit, die Abbild der Vielfalt ist.
So deutlich wie im Zuge der Kampagne während des Ukainekonflikts ist der fehlende Pluralismus bisher wohl nie geworden, aber schon 1992 hat keines der Leitmedien darüber berichtet, was die Amerikaner Izetbegovic nach Lissabon ins Ohr geflüstert haben. (Könnten Sie mir bitte auf die Sprünge helfen, was Sie mit der Rolle der FAZ genau meinen?)
Endgültig unerträglich wird die Vermischung wenn z.B. ein Jochen Bittner gleichzeitig die von Steinmeier, Gauk und von der Leyen dann proklamierte neue deutsche Außenpolitik mitgestaltet und darüber in der Zeit berichtet, als wäre er Außenstehender mit kritischer Distanz. Bei der Wichtigkeit des Themas ein Offenbahrungseid.
P.S. Sind Sie sicher, dass Lokalredaktionen platt gemacht werden? Bisher war ich der Meinung, dass nur die überregionalen Redaktionen zu Mantelredaktionen verkleinert werden und der Lokalteil häufig noch der einzige Grund ist überhaupt noch eine Zeitung zu abonnieren. Quasi Cashcow.
* Ja, ich habe das in die Finger bekommen und sogar gelesen, ein Kapitel für sich.
Danke für diesen klugen Beitrag, Herr Keuschnig. Es sollten mehr Leute wie Sie für die FAZ schreiben. Aber Sie arbeiten sich da an etwas ab, was doch sowieso nur noch eine kleine Gruppe von statusängstlichen Menschen, die den Schuß noch nicht gehört haben, ernst nehmen. Der Begriff »Qualitätsjournalismus« war doch schon längst tot (i. S. v.: inhaltsleer) als er erst begann, in einer Pseudoöffentlichkeit einer verunsicherten Branche zu leben. Es gibt und gab und wird ihn geben: guten oder schlechten Journalismus. Mehr Unterschiede gibt es nicht. Und diese Frage wird immer wieder zu jedem FAZ-Artikel, XY-Blogbeitrag, Spiegel-Report, Facebook-Post und Wanne-Eickel-Zeitungsbericht am Einzelfall diskutiert und bewertet werden müssen. Punkt. Wer das nicht begriffen hat, dem ist sowieso nicht zu helfen. Und zu D’Inka selbst und einer Gesellschaft für Qualitätsjournalismus (von der ich nun auch zum ersten Mal hörte) kann man nur milde sagen: Dahinter steckt halt immer ein grauer Kopf.
Vorab: ich mag D´Inka nicht, vor allem wegen seiner Selbstgefälligkeit (und weil ich die FAZ, zumindest ihren politischen Teil, längst als Regierungsorgan betrachte).
Aber die These, dass Zeitungsinhalte nahezu ausschließlich auf Agenturarbeit beruhen, ist hanebüchen. Das mag für den Mantel von kleineren Regionalzeitungen gelten, aber selbst die haben noch ihre lokalen/regionalen Beiträge selbst recherchiert.
»...längst als eine Art Superlativ von Journalismus verwendet wird...«
Stellen wir doch mal ’ne Hitparade auf:
Top: Qualitäts‑J.
Mitte: Gemeiner J.
und der Rest ganz unten wo’s riecht: Broder, Fleischhauer, Wagner, Altenbockum...
@die_kalte_Sophie
D’Inkas Text hat ja auch durchaus Potential jenseits der ritualisierten Selbstbeschwörung.
@Teilzeitsarkast
Ja, das »Pfeifen im Wald« vernehme ich auch. Ich frage mich nur, woher diese Furcht kommt, wenn doch das »Programm« der Nicht-Professionellen so belanglos sein soll.
@Joseph Branco
Die FAZ bzw. ihr Mitherausgeber Johann-Georg Reissmüller hatte die Jugoslawien-Kriege sehr einseitig und verzerrend pro-kroatisch und später pro-bosnisch kommentiert und diese Kommentare als Fakten ausgegeben.
Über das Schließen bzw. die Zusammenlegung von Lokalredaktionen liest man immer wieder, beispielsweise hier, hier oder hier.
@torsten
Ich bemerkt, dass man von Nachrichtenagenturen »ausgiebig Gebrauch« macht und das sie »je nach Ausstattung der Redaktion« als »Urquell unzähliger Meldungen« dienen. Von »nahezu ausschließlich« habe ich nichts geschrieben.
»weniger mit Durchhalteparolen und Selbstbeweihräucherungen beschäftigen würden, sondern die von ihnen so vehement vertretenen Qualitätsmerkmale einfach in ihren Texten umsetzen würden?«
Ich vermute, das können die meisten gar nicht, mangels persönlicher wie fachlicher Qualifikation. Deren Wissen um das, über das sie schreiben (und leider auch urteilen) ist oft so hanebüchen ahnungsbefreit – man merkt es in jedem Artikel über ein Thema in dem man sich selbst gut auskennt.
Ich les inzwischen nicht mehr (wie zuvor jahrelang) täglich FAZ, SZ, Tagesspiegel und wöchentlich die ZEIT (der letzte Auslöser war die Ukraine-Berichterstattung).
Ich les inzwischen im Netz die Seiten, die mit mehr bringen: zum Beispiel fefe und dann weiter in den internationalen Links; die Nachdenkseiten, ... Sogar der Postillon scheint mir oft näher an der Realität, ja, an der ‘Wahrheit’, als die »Qualitäts»dingens.
Wirklich eine beeindruckende Ansammlung publizistischer Freiheitskämpfer. Ob da beim Rotariertreffen die Liste rumgereicht wurde?
Besonders aufschlußreich finde ich auch, daß die »Deutsche Gesellschaft Qualitätsjournalismus«* sich sogar eine „Charta des Qualitätsjournalismus“ gegeben hat, die u. a. mit der bahnbrechenden Erkenntnis »Journalismus lebt von seiner Glaubwürdeigkeit und Akzeptanz« aufwartet. Eben!
Nett auch die von D‘Inka hervorgehobenen Grundtugenden Selbstzweifel – und die Bereitschaft, die eigenen Stereotypen und Vorurteile immer wieder zu überprüfen. Ungenauigkeiten, Nachlässigkeiten und Fehler sollten selbstverständlich in der nächsten Ausgabe korrigiert werden. Erinnert mich an eine beliebige Gedenkfeier im Bundestag, in der jeder Satz vor Moral und Reumütigkeit nur so trieft. Fehlt nur noch das gern bemühte Friedrichs´sche Credo.
*Kann den Namen Altenbockum auf http://www.dgqj.de leider nicht finden.
@kdm
Ich glaube schon, dass da Potential ist, aber es hängt eindach auch damit zusammen, dass sich Journalisten irgendwann für alles zuständig fühlen und im Akkordtempo Artikel zu allen möglichen Themen verfassen sollen oder wollen. Sie können dann Meinung und Fakten nicht mehr trennen und verquirlen dies zu einem Brei, der genauen Nachforschungen oft genug nicht mehr Stand hält.
Die von Ihnen genannten »fefe« und »Nachdenkseiten« sind aber auch nicht besser. Das sind reine Meinungsmedien, die Gesinnungen in Texte formulieren. Deren einziger Vorteil ist, dass man hier keine Ausgewogenheit und Rechercheaktivitäten mehr vermutet.
Journalisten geraten in eine Zwickmühle: Immer mehr Rezipienten wünschen ihre eigene Meinung abgebildet zu sehen und sind dann enttäuscht, wenn dies nicht der Fall ist. Daran haben nicht nur die Journalisten eine Schuld (s. o.).
@ Gregor. Wo sehen Sie da ein »gewisses Potential«? Kann ich überhaupt nicht erkennen. Ich bin vielleicht zu kleinlich, aber ich bin mit den Selbstbeschreibungen von D’Inka nur insoweit einverstanden, als diese systemimmanent sinnvoll sind. Schon, dass D’Inka in Abhebung gegen seinen Berufsstand vom Bürger-Journalisten spricht, fand ich hanebüchen. Der hegelianische Funktions-Zusammenhang (Journalist informiert, Bürger denkt nach, viele Bürger stellen gedankliche Übereinstimmung fest, Vernunft entsteht, Regierung merkt auch etwas davon, Gesetze und Verordnungen folgen, Gesellschaft erringt Fortschritt) ist natürlich ein gutes Argument für eine sorgfältige Arbeit. Dagegen ist das Mikro-Modell der Twitter-Generation, einschließlich Blogger und Graswurzel-Dedektive, nicht unbedingt vielversprechend, was Effizienz für Veränderungen angeht, weil die ja nix mit der Regierung zu tun haben wollen.
Klar, was mich stört?! Das Funktions-Diagramm ist durch nichts erhärtet, als dass man es immer wieder propagiert. Es kann eigentlich nur an bestimmten »Aufdeckungsskandalen« festgemacht werden. Historisch und politisch ist da absolut nix dran.
Wenn man ganz genau liest, ist es sogar ein bisschen Schizo‑, denn wo wären noch »bürgerlichere Bürger-Journalisten« zu finden, als bei der FAZ?! Demnach würde der professionelle Journalist gerade bei der Arbeit seine »Bürgerlichkeit« als Privat-Meinung beiseite stellen, weil sie im »Text« nicht auftauchen soll?! Umgekehrt wird ein Schuh draus: das, was er glaubt, mit seiner Arbeit Sinnvolles zu leisten, ist doppelt und dreifach legitimiert via »Arbeitsteilung« (s.o.). Die Non-Bürgerlichkeit, die hier teilweise behauptet wird, ist nichts weiter als »Verdunkelung« (Adorno). Es kommt so weit, dass sich die Jungs für Wissenschaftler oder Philosophen halten, nur um ihre Bürgerlichkeit verstecken zu können...
die_kalte_Sophie
D’Inka beharrt in der Trennung Bürgerjournalismus/Blogger vs. gelernter Journalist auf die Formalqualifikation als qualitatives Differenzkriterium. Er gesteht den »Laien« ein gewisses Kreativ- bzw. Avantgarde-Potential zu, aber nur dahingehend, dass es durch den professionellen Journalismus aufgesogen werden kann. Die FAZ hat das in der Vergangenheit selber praktiziert: Mainstreammässig gut zu vermarktende »Blogger« wurden FAZ-Blogger, in seltenen Fällen auch Artikelschreiber. Mir fällt dabei nur einer ein, den man als ästhetischen »Gewinn« bezeichnen könnte; die anderen sind alle mehr oder weniger an ihrer eigenen Biederkeit gestorben oder schnappen nach Luft. Nicht besonders originell in diesem Zusammenhang ist es, wenn Journalisten oder Hochschullehrer auch noch »bloggen«, so als hätten sie keine publizistischen Kanäle.
Das Potential in D’Inkas Text erkenne ich in der in großen Teilen stimmigen Diagnose der Krise des Journalismus. Sein Fehler ist, dass er diese Symptome an den neuen Medien festmacht und nicht bei den Journalisten bzw. den Chefredakteuren und Herausgebern selber sucht. Dass D’Inka dabei dem, was Sie (sehr schön!) als »hegelianischen Funktions-Zusammenhang« bezeichnen, nacheifert, ist nicht verwunderlich. Die Theorie steht bei D’Inka. Aber wie es mit der Praxis aus?
Verschiedentlich wurde hier in den Kommentaren auf Defizite hingewiesen, die weniger journalistisch begründet wurden, sondern sich in Ärger über die »falschen« Meinungen innerhalb der Berichterstattung ausließen. Sofern es sich um Einseitigkeiten handelt, ist dem womöglich auch zuzustimmen, aber eigentlich läuft die Kritik darauf hinaus, dass »man« (der Leser/die Leserin) sich in den Beiträgen eines Mediums zum Thema X nicht meinungs- und gesinnungstechnisch wiederfindet. Stattdessen werden dezidiert andere Meinungsmedien als Alternativen genannt – bis hin zu einer ausgewiesenen Satireseite. Es wird unter dem Deckmantel der Journalismuskritik die jeweilige Meinung kritisiert. Dabei sind auch Namen gefallen: Broder, Wagner, Altenbockum. Vergessen wird dabei, dass diese Publizisten in der Regel keine nachrichtlichen Funktionen haben, sondern Autoren des Feuilletons sind, in dem Meinungs»mache« durchaus erwünscht ist (und in der Regel dialektisch in einem anderen Artikel eines anderen Journalisten gebrochen wird). Ergänzend von meiner Seite: Die »Meinung« sollte dabei wenigstens grob auch seriös gestützt werden, statt einfach nur hinausposaunt. Daher passt dann Wagner nicht mehr in diese Aufzählung.
Ob die Journalisten der FAZ nun bürgerlich sind oder nur ihre »Non-Bürgerlichkeit« behaupten, spielt m. E. keine Rolle. Sie sollen einfach nur schreiben, wenn möglich so, dass sie Nachrichten von Urteilen und Meinungen mindestens so trennen, dass es für den Leser erkennbar ist. Auf einer Tütensuppe stehen ja auch die Bestandteile drauf.
Interessant, dass Sie die »Meinung« nicht als Gift in der Suppe klassifizieren. Das sehe ich genauso. Demnach geht D’Inka wirklich fehl, wenn er die Krise des Journalismus bei den Subalternen festmachen möchte. Ich meine, exakt dasselbe Problem in der politischen Öffentlichkeit zu entdecken, wie es in der Partei-Landschaft entstanden ist: »Wenn Ihnen der Meinungs-Hintergrund (analog dem Partei-Programm) nicht gefällt, dann müssen sie eine andere WAHL treffen.« Genau da liegt der Hund begraben. Die Auswahl scheint für weite Teile der Bevölkerung zunehmend unattraktiv zu werden. Man möchte übereinstimmen, aber man schafft es nicht. Die (wenigstens) konspirative Beteiligung scheitert. Die Kreise werden kleiner, die Zahl der disparaten Bürger, die in den Wahl-Statistiken unter »Andere« auftauchen, wird größer. Dabei sind die Nicht-Wähler schon die Mehrheit, siehe Bremen. Heute kann man anscheinend die sog. Pluralität in den Gesellschaften nicht mehr vollständig abbilden. Das demokratische SYSTEM ist doch nicht ganz so flexibel, wie gern behauptet wird. Aber: würde mehr Neutralität und Professionalität in der politischen Öffentlichkeit nicht helfen?! Ich denke schon... Eine idealerweise perfekte Objektivität hätte doch die allermeisten Anschluss-Optionen.
Es ist ja die Frage, ob »die Pluralität« abgebildet werden muss, wenn es um Faktenjournalismus geht. Journalismus sollte nicht in einem Proporz Meinungen der Bevölkerung abbilden, sondern Meinungsbildung ermöglichen (wohl gemerkt: Meinungsbildung, nicht Meinungen selber).
Meinungen sind im Journalismus nicht per se »Gift«. Sie sind es nur, wenn sie als Fakten verkauft bzw. vermengt werden, so dass der Rezipient ohne Fachwissenanteile nicht mehr erkennen kann, wie er in die ein oder andere Richtung dirigiert wird. (Besonders fatal ist die Auslassung von Aspekten in einer Nachrichtenmeldung; sie ist nicht ohne gewisse Mühe zu decouvrieren).
Die Frage ist, ob die Neutralität von Journalisten diesen nicht schon in der Ausbildung abtrainiert wurde. Der Bekenntnisfuror ist ja noch gestiegen – hier haben die Internet-Medien tatsächlich einen Anteil daran. Gleichzeitig sinkt die Schwelle der Toleranz der Andersmeinenden, was zu Filterblasen führt, da zwischen den »Lagern« nicht mehr kommuniziert wird. Hier läge eine Funktion des Journalismus. Wenn nicht...siehe oben...
Auch ich kannte diese »Gesellschaft für Qualitätsjournalismus« bis zum Kress-Text nicht. Wenn die Autoren dieser »Festschrift« Mitglieder der Gesellschaft sind, dann stellt sich mir die Frage: Und wo sind die Qualitätsjournalisten? Vertreten ist nur einer und der ist aus der Schweiz. Beim Lesen von Herrn D´Inkas markigen und für mich schlüssigen Sätzen fielen mir die vielen faz-online-»Journalisten« ein, die quasi als Blaupause für das stehen, was D´Inka moniert: Mangel an Handwerk, Bildung, Erfahrung. Dort und anderwo ist jeden Tag lesbar – wenn man ein solcher Masochist ist –, wie wenig kompatibel ein abgeschlossenes Studium (worin auch immer) mit den Wolf Schneider´schen Werten ist.
… Sorry, Hälfte vergessen: Dort und anderwo ist jeden Tag lesbar – wenn man ein solcher Masochist ist –, wie wenig kompatibel ein abgeschlossenes Studium (worin auch immer) per se mit den Wolf Schneider´schen Werten ist. Den Beruf des Redakteurs zu lernen hat schon was, learning by doing reicht nicht.
Meinungen und Fakten sind nicht mehr klar getrennt. Das ist sicher eine Crux. Hinzu kommen Aspekte des Erzählerischen, der »Story«, der Skandal und die Selektion. Man die geistige Tätigkeit eigentlich nur als »fluide freche Intelligenz« bezeichnen. Strenge Kriterien sind kaum sinnvoll. Was mich gelegentlich sehr stört, sind die Konsens-Begriffe, wie Flüchtlinge, Annexion, Europa, Steuerzahler, etc. Da wird unheimlich viel Wirklichkeit zum Verschwinden gebracht, weil man sich mit differenzierten Betrachtungen schwer tut. Diese Verknappung ist so ziemlich das Gegenteil von dem, was man in der Philosophie »auf den Begriff bringen« nennt. Und das lernen die vielleicht schon in der Ausbildung...
Hmm, wer sich das Impressum der Gesellschaft für Qualitätsjournalismus ansieht, stösst auf einen Journalisten, der laut XING-Profil u. a. acht Jahre »Wirtschaftsredakteur sowie Medien-Consultant der Frankfurter Allgemeine Zeitung sowie Societät für Unternehmensplanung« war. Haben wir es hier mit der Marketingstrategie eines Einzelnen zu tun, der versucht hat, seine Kontakte selbstreferenziell zu nutzen?
@Qualitätsjournalistin: Wenn Sie Kress bzw. Oberauer und die Handvoll »exklusiv Interviewter« – einschließlich D´Inka – meinen, durchaus denkbar. Alles andere sind Auszüge aus Büchern, Magazinen, sonstwas. Ist das Ganze nun clever oder peinlich? Aus kollegialer Sicht (von Qualitätsjournalisten) erweist sich der Autor vielleicht einen Bärendienst. Unternehmensstrategisch erschließt er sich neue Kunden: Öffentlichkeit gesucht. Aufmerksamkeit generiert. Ziel erreicht im Theater der Purzelbäume. Applaus.
@Qualitätsjournalistin und @ask
Ich frage mich auch, warum man so etwas wie diese Schrift überhaupt in die Welt setzt. Es erscheint doch eher sehr selbstreferentiell, wenn man sich derart loben lässt – vor allem von Figuren, mit denen man eigentlich nicht unbedingt in einem (journalistischen) Boot sitzen möchte. Es vertreibt natürlich für kurze Zeit die nagenden Selbstzweifel. Ob jemand wie Christian Preiser noch als Journalist gilt oder nur als Marketing-Figur in eigener Sache bleibt jedem selber überlassen.
@die_kalte_Sophie
Die von Ihnen durchaus zurecht reklamierten Konsensbegriffe sind aber in einem Diskurs notwendig. Wichtig ist nur, dass sie einheitlich definiert sind. Zum Beispiel ist der Begriff »Flüchtling« derart weit gefasst, dass nicht klar ist, ob damit Kriegsflüchtlinge oder auch andere Motivationen für das Verlassen der Heimat gemeint sind. Interessant ist der Hinweis auf das Rubrum »Steuerzahler«. Jeder, der etwas kauft, zahlt Steuern (mindestens Umsatzsteuer). Definiere ich »Steuerzahler« als »Einkommensteuerzahler«, wäre die Konnotation schon anders.
Das Problem ist m. E. nicht ursächlich die Verwendung von Begriffen, sondern die diskursiv nicht ausgehandelte, einheitliche Bedeutung. Hierdurch entstehen Verzerrungen.
Tag. Vielleicht schreiben Sie ja mal eines Tages einen Beitrag über die Qualitätsstandards in freien Blogs, z.B. bei Glanz und Elend, wo 2 Wochen nach dem Absturz der Germanwingsmaschine die passende »Kurzgeschichte« erschien, prominent auf der Startseite, dann allerdings sang- und klanglos hinter irgendeinem obskuren Link verschwand. Kein Wort dazu, wieso weshalb warum, und auf die mantramäßig stets und ständig bei den großen Medienhäusern eingeforderten Kommentare der Leserschaft mit entsprechendem Geschrei, wenn’s mal kein Kommentar durch die Moderierung schafft, verzichtet man bei Glanz und Elend gleich ganz.
Oder über Blogs wie den von bersarin, der in seinem Nachruf auf Grass dem Staat Israel ein »Apartheitssystem de facto und vielfach de jure« attestiert. Ich kann Ihnen versichern, dass so ein antisemitischer Krempel von einer Kulturredaktion nicht publiziert worden wäre, schon gar nicht in einem Nachruf auf Grass.
Nur 2 Beispiele, die veranschaulichen, was D’Inka mit dem Hinweis auf die Qualitätsunterschiede zwischen professionellen Redaktionen und Bloggern bzw. Internetschreiberlingen meint.
@kulturjourno
Man muss die Erzählung von Birkholz bei Glanz und Elend nicht mögen, aber was das mit Journalismus zu tun hat, erschließt sich mir nicht. Oder wollen Sie die Kunstfreiheit – bei passenden Sonntagsreden verehrt – angreifen? (Kommentare gibt es bei Glanz & Elend nicht; es ist übrigens nicht einmal ein Blog – das nur zur Information.)
Womöglich plädieren Sie auch für eine Sippenhaft, wenn irgendein Blogger einen Text verfasst hat, der Ihrer oder anderer Leute Meinung nach nicht den Standards gehorcht. Übrigens waren nicht wenige weiland der Meinung, die Süddeutsche Zeitung habe mit der Gedichtpublikation von Grass »antisemitischen Krempel« publiziert. Auch hier bin und war ich der Auffassung, dass (1.) weder Grass’ Gedicht antisemitisch war noch (2.) hierüber adäquat diskutiert wurde. (Dass er es besser im Tintenfass gelassen hätte, ist eine andere Sache.)
Immerhin schön, dass Sie mal hineinejakuliert haben.
Ein böses Wort zur rechten Zeit... Was der verwilderte Kollege anspricht, ist wohl der Wunsch nach einem Abriss sämtlicher Formate, Organisationen, Konventionen, etc. Die Höflichkeit gleich noch mit dazu... Alles in den Orkus.
Was die Konsens-Begriffe angeht, stimme ich Ihnen absolut zu. Trotzdem wundert mich ein bisschen die Gelassenheit, mit der sie das Wichtige aussprechen. Die nicht geklärten K‑Begriffe etablieren sich (soweit ich das erkennen kann) doch mitsamt ihren Zweideutigkeiten. Ganz so, als ob sie die Debatten, die unter diesen Stichworten rubriziert werden, schon vorstrukturieren würden. Ein geplanter Dissens?! Jede Klärung wäre fast schon »kontraproduktiv«. Was ich damit sagen will, als alter Marxist: mir scheint, es besteht ein massives Interesse am Erhalt der Zweideutigkeiten. Mithin wäre die berühmte »Debatte« wichtiger als jede Art von Vernunft.
@ kulturjourno
Genausogut könnte man als Gegenwurf sagen, daß die etablierten Medien schlicht zu feige sind, anläßlich seines Todes ebenso den streitbaren Grass zu nennen und sich stattdessen lieber der Kränzegedenkabwurfstellen bedienten, um in ihrer eigenen medienblasigen Rührseligkeit und Betroffenheit – mithin in den üblichen Begräbnis-Floskeln zu schwelgen. Mal so polemisch in den Raum gehalten.
Und etwas vom Thema weg, aber doch passend: Wie nennen Sie denn einen Staat, der anderen die Wohnhäuser unterm Arsch wegschießt, der tote Kinder als Kollateralschaden betrachtet, der Araber in Schweizerlöcherkäsesiedlungen dahinvegetieren läßt und jene arabischen Bewohner an Kontrollstationen in unverhältnismäßiger Weise schikaniert? Ich nenne solchen Staat einen Apartheitsstaat. Lesen Sie mal die Befehlsanweisungen der israelischen Armee bei den Angriffen auf den Gaza-Streifen und hören Sie sich die Aussagen von Soldaten an. Grass thematisierte diese Dinge, also gehört das aufrichtiger- und ehrlicherweise in einen Nachruf hinein. Diese Aspekte kritisch zu sichten, wäre Aufgabe der Medien gewesen. Damit wir uns nicht mißverstehen: das Existenzrecht Israels ist unhintergehbar und ich weiß selber, daß die Hamas Kinder teils als menschliche Schutzschilde gebraucht. Doch die dümmste Nummer bleibt es, mittels Keulenargument jegliche Kritik an Israel als antisemitisch zu brandmarken; in etwa so abgewichst, wie der nach der Shoah wuchernde Philosemitismus, der in seiner unreflektierten Haltung zu Israel meint, eine untilgbare Schuld tilgen zu können. Das ist in etwa so abgefeimt wie das jüdisch-christliche Europa. (Im übrigen entleert man durch einen solchen Gebrauch wie Sie das machen, den Begriff des Antisemitismus und spielt damit genau jenen Antisemiten in die Hände, die Sie kulturjourno, vorgeblich kritisieren.
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Nur eine Presse, die unabhängig von Anzeigenkunden und von parteipolitischen Vereinnahmungen ihre Arbeit tut, hat eine Chance ernstgenommen zu werden. Höhepunkt und Sternstunde des Journalismus war dann dies: Erst schreibt jener Bittner an der Rede Gaucks auf der Münchener Sicherheitskonferenz mit. Dann berichtet er in der „Zeit“ positiv über genau diese Rede. Ein Schuft, wer dabei Böses denkt. Daß solche eigenwillige Verquickung von Macht und Presse mit Unwillen aufgenommen wird, verwundert nicht. Ebenso die Berichterstattung über die Ereignisse auf dem Maidan. Über die Demos wurde berichtet, als handele es sich um rein friedliche Proteste, die dann von bösartiger prorussischer Polizei niedergemetzelt wurden. Das ist in etwa so, als hätte man am 1. Mai 1987 in Berlin geschrieben, die Polizei habe Kreuzberg verwüstet und friedliche Demonstranten brutal zusammengeschlagen. Solche undifferenzierten Berichte wie über die Maidan-Proteste in den Nachrichten des öffentlich-rechtlichen Fernsehens und in großen Teilen der Zeitungen tragen nicht dazu bei, das Vertrauen in diese Medien zu stärken, wie bereits Teilzeitsarkast anmerkte. Die Darstellung Putins als Hitler-Verschnitt gehört genauso dazu. Ich möchte mal eine Berichterstattung erleben, in der das, was Obama macht, so beurteilt wird, wie die meisten deutschen Zeitungen über Putin schreiben. Die Liste ist lang, wenn wir die Punkte nennen wollen, wo Journalisten versagten. Aber das sind Nachrichten, die D‘Inka et al. nicht gerne sich betrachten und noch weniger mögen sie das geschrieben oder gesendet sehen. Denn schließlich wollen Journalisten Meinungsmacher sein. Fragt sich nur: Wessen Meinung?
Daß Blogs keine Zeitungen ersetzen können, allein aus dem Grunde, weil es sich meist um Ein-Mann- oder ‑Fraubetriebe handelt, sollte jedem klar sein. Leider findet sich in den Medien teils eine sehr selektive Berichterstattung zu bestimmten Themenkomplexen. Siehe obigen Absatz. Viele der Probleme im Journalismus sind in der Tat hausgemacht. Bei den Sparmaßnahmen in den Redaktionen angefangen.
Weiterhin wäre zu unterscheiden zwischen Kultur- bzw. Kunstblogs, die im Feld der Literatur- und Kunstkritik „wildern“ und solchen, die sich primär der Politik widmen. Über Literatur und bildende Kunst kann jeder schreiben, der sein Handwerk versteht, der hinreichend gelesen hat, um Urteilskraft auszubilden, der mit den Methoden der Literaturkritik und ‑wissenschaft vertraut ist und der es vermag, von seinen Befindlichkeits- und Betroffenheitsregungen abzusehen, um zu bemerken, daß es in der Welt noch mehr gibt als die eigene dünne Subjektivität. Der Anlaß des Schreibens ist für jeden Blogger, jede Bloggerin leicht zugänglich und käuflich zu erwerben: sei es ein Buch, eine Ausstellung oder ein Konzert. Anders ist dies im Feld der Politik. Hier sind Recherchen vor Ort nötig, die Blogger nicht leisten können, weil das ohne Presseausweis und Unterstützung von Redaktionen oft unmöglich ist. Mal eben nach Kuba oder in den Iran reisen und Menschen interviewen, wird kaum einem Blogger möglich sein. Polit-Bloggern bleibt nur, die Texte und das in Zeitungen gelieferte Material zu sichten, zu analysieren und mit textkritischen Methoden zu durchleuchten.
Wie es nun einmal so ist: wer sich umfassend informieren will, muß zwischen den verschiedenen Medien switchen. Die Differenz Blog/seriöse Zeitung halte auch ich für wenig produktiv. Allerdings gibt es in der Blogosphäre die Wucherungen des Banalen. Da gilt es dann zu differenzieren und auszuscheiden. Aber auch in der Welt der Blogs gilt die Devise, die bereits beim Fernsehen sich bewährte: Es existiert da dieser kleine schwarze Knopf zum Aus- oder zum Umschalten.
bersarin, ich bitte um Mäßigung. Dass einem eine »Diskussion« über Antisemitismus vorgekotzt wird, bedeutet nicht, die Kotze aufwischen zu müssen.
@die_kalte_Sophie
Das Interesse am Aufrechterhalten der Zweideutigkeiten halte ich ein bisschen für ein Gerücht. Tatsächlich ist es unmöglich in einem auch noch so kleinen Medium Begriffe ein für allemal und für alle gültig zu definieren. Man müsste am Ende mit einem Wörterbuch herumrennen – das wäre dann ähnlich wie mit den PC-Regelungen, die feste Normen entwickeln wollen. Demzufolge wären solche Normierungen ambivalent, weil sie auch immer eine gewisse Herrschaft über bzw. im Diskurs bedeuten würden. Allgemein tendiert die politische Sprache eher zur Verallgemeinerung statt zur Spezifizierung,
@ Gregor Keuschnig
Es ärgert mich dieser immergleiche reflexartig gebrauchte Antisemitismusvorwurf, um jegliche Kritik abzuwürgen. Wer meinen Blog verfolgt, wird dort nichts Antisemitisches entdecken. Ganz im Gegenteil. Insbesondere bin ich der Meinung, daß man, gerade um eines offenen Diskurses willen, der nicht ins widerliche Fahrwasser des realen Antisemitismus abdriftet, die Politik Israels unbedingt auf den Tisch bringen muß: Wenn nämlich eine ausgesprochen ernste und schlimme Angelegenheit, sprich Jahrhunderte währender brutaler und widerlicher Antisemitismus in seinen verschiedensten Ausprägungen und am Ende mit schlimmsten Folgen plötzlich als Diskursspielmarke eingesetzt wird, um zu diskreditieren. Freilich hätte ich mir gewünscht, daß jener kulturjourno seine Einwände bei mir im Blog vorbrächte. Ich hätte dort harscher und weitaus polemischer reagiert als in Ihrem Blog.
Was den Antisemitismus und dem damit korrespondierenden Keulenargument betrifft, verweise ich auf Wolfgang Pohrts instruktiven Aufsatz „FAQ“.
Sie haben natürlich recht: die Knappheit des Mediums und die Oberflächlichkeit des Diskurses lässt keine hinreichende Genauigkeit zu. Was ich meinte, ging in die Richtung: man »spielt« mit den Mächten, man deutet Positionen an, verschiebt Verantwortlichkeiten, etc. Da sind zweideutige Begriffe besonders dankbar. Jede tiefere Genauigkeit macht nämlich die Notwendigkeit einer Handlungs-Ebene bewusst, und diese soll eigentlich nicht auftauchen. Gibt ja nix zu tun. Man lebt ja nicht vom Handeln, man lebt von den Storys, den Fakten, etc. Das »Denken«, das damit umrissartig gezeichnet wird, ist immer noch ideenhaft, phänomenologisch. Und das kommt mir altertümlich vor, bisweilen dämlich. Beziehe mich nochmals auf die Frage der Progressivität von D’Inka... Progressiv ohne zu Handeln?! Das ist reinster Idealismus...
Verschiedenes
Kritik und Zweifel sitzen auf verschiedenen Ebenen: Beim Schreibenden selbst, in den Redaktionen, blattintern in Form verschiedener Argumentationslinien (Autoren) und zuletzt zwischen den verschiedenen Medien; versagt die Kritik sogar zwischen den einzelnen Medien, also eigentlich publizistischen Konkurrenten (oder scheinbaren Konkurrenten, wenn sie zu den selben Mediengruppen gehören), muss man von einer Krise der gesamten medialen Landschaft sprechen (die jüngsten Beispiele hat jeder noch in Erinnerung; dabei darf man die inhaltliche Ebene eines Texts [»nicht meine Meinung«] nicht mit der Art und Weise »des Vortrags« [»seriöse Argumentation «], vermengen; etwas das meinen Ansichten widerspricht, werde ich womöglich genauer prüfen, es aber akzeptieren, wenn es stichhaltig ist; den Gegenwind den viele Journalisten in der letzten Zeit ertragen mussten, hat m.E. mehr mit dem »Wie« als den Inhalten [»der Meinung«] zu tun.).
Die Probleme und Herausforderungen, denen der Journalismus gegenübersteht, sind vielfältig, sie haben mit den neuen Medien zu tun, mit Geschäftsmodellen, mit dem kapitalistischen Wirtschaftssystem, mit unerwarteten Konkurrenten und ebensolcher Kritik, Verquickungen von Machtstrukturen und journalistischen Institutionen bzw. Personen, usf. — Parteilichkeit wird heute oft als Tugend wahrgenommen, vielleicht ein Erbe der 68iger Bewegung, befördert sicherlich durch die hohe Differenzierung und Strukturierung der Gesellschaft (Interessen, Funktionen, Berufe,...). Die »digitale Welt« setzt dem wenig entgegen, befördert das sogar (»filter bubble«); die Komplexität der Realität (inklusive ihrer digitalen Seite) treibt diese Einnischung ebenfalls voran, Interessen, Teilfelder, Umfelder treten in den Vordergrund.
Wem das nicht genügt, wer politisch, gesellschaftlich oder gemeinschaftlich denkt, über »bloß« individuelles hinaus, der besitzt ein Bedürfnis an einem Diskurs, an anderen – ergänzend, erweiternden, widersprechenden – Sichtweisen, man misstraut nicht ihm, jedenfalls nicht im Grundsatz, sondern den »Funktionären«, den öffentlichen Vermittlern, dem »Wie« und nur insofern dem Inhalt.
Die erwähnten »Zweideutigkeiten«, die man vielleicht treffender bezeichnen kann, müsste man geradezu erwarten, sie sind perfekt für die Interessensdurchsetzung und Manipulation in unserer rasanten, medial vermittelten Realität geeignet: Wer sich nicht die Zeit nimmt und nachbohrt, bemerkt nicht, dass etwas anderes gesagt, als gemeint wird, Begriffe müssen befragt und auf den Punkt werden, was meint man selbst damit und was kann ein anderer damit meinen oder vorspielen (die Beispiele oben zeigen die Möglichkeiten sehr schön). — Dass sprachliche Unschärfen immer bleiben werden und Definitionen nie endgültig sind, sondern immer eine Art Anfang, sind keine Widersprüche an denen man verzweifeln muss.
Sehr gute Verdichtung der wichtigsten Aspekte. Ich bin überrascht. Es kann diesen Ausführungen nach von einem »strukturellen Misstrauen« gesprochen werden, das in der Begriffsperson des »Funktionärs« seinen kritischen Ausdruck findet. Ich habe vor einiger Zeit die Grundannahme fallen gelassen, dass sich der öffentliche politische Diskurs auf ein ungeformtes voraussetzungsloses Subjekt beziehen lässt. In pointierten Worten: Niemand sagt die Wahrheit, niemand spricht völlig frei von der Leber aus. Jede komplexe Einlassung lässt sich auf die zugrunde liegenden »Bedingungen der Aussage« hin überprüfen, und stets findet man strukturelle Implikationen. Die freie Rede nach Martin Luther ist ein altertümliches Märchen verglichen mit den modernen medialen Produktionsbedingungen. Der öffentliche Diskurs hat immer schon eine artifizielle Note, eine »Mache«, die allen idealistischen Annahmen zuwider läuft. Ich vermute, je mehr die westlichen Gesellschaften zu Groß-Werte-Diskussionen herausgefordert bzw. animiert werden, desto schlimmer die artizielle Anmutung... Als ob es eine grundsätzliche Spannung zwischen dem Allgemeinen einer Aussage und der Glaubwürdigkeit des Aussagesubjekts gibt...
Genau, und die Misstrauensaussprüche kommen aus allen sozialen Schichten. — Freiheit gibt es nicht ohne Bedingungen oder (Natur)Gesetze; ich habe das Wort von der freien Rede immer als Möglichkeit ohne Bevormundung sprechen (reden) zu können, verstanden, wir würden heute »Meinungsfreiheit« sagen (das impliziert auch Verantwortung für das was man sagt).
Eine komplexe Rede, ein Diskurs, erfordern Reflexionsvermögen, wir sprechen nicht frei von Bedingungen, wir sind von unserer Zeit und ihren Voraussetzungen abhängig, ja, aber wir können sie erkennen und thematisieren (diskutieren), nicht jeder und vielleicht nicht einmal alle zusammen alles, aber immerhin ... ich sehe die Bereitschaft zur Reflexion, im Grunde etwas wie Redlichkeit, auch gegen sich selbst, als ein wesentliches, vielleicht sogar das Kriterium, die Hauptvoraussetzung für das Funktionieren des öffentlichen Diskurses (es bedarf mehr, als nur in seinem Interesse oder dem einer Gruppe zu sprechen).
Die artifizielle Note und die Spannung, können Sie das noch einmal verdeutlichen, ich bin nicht sicher ob ich das richtig verstehe?
Es waren (streng genommen) zwei hastige Intuitionen:
–da ist die Artifizialität, die keine Meinung mehr verdeutlicht, sondern nur auf Funktionen verweist (Pressesprecher Seibel), unechte Referenzen herstellt (Wer behauptet, dass sich die Flüchtlingsproblematik allein durch Marineeinsätze vor der libyschen Küste...), Proto-Thesen benutzt (Es besteht keinerlei Widerspruch zwischen dem Geist der Europäischen Union und seinen wirtschaftspolitischen Axiomen bzw Fiskalregeln...), und vieles mehr. Ich denke, wir sind so sehr an die rhetorischen Standards gewöhnt, dass wir den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen.
–das andere war die »Spannung«, das bezog sich auf den normativen Gehalt eines Dikurses, und zwar eines singulären Sprechers. Grob: der einzige Text, der keinem (»anderen«) Subjekt zugeordnet werden muss ist das Gesetz (veraltert: die Bibel). Alles andere ist menschlichen Ursprungs, wie man so schön sagt. Offenbar gibt es also eine »Ausschlussregel«, die einen partikulären politischen Diskurs von der Allgemeinheit der Gesetze (Gottes Wort) unterscheidet. Dennoch (oder gerade deshalb?!) versucht der politische Diskurs ständig, normative Aussagen zu verfertigen, welche an die Allgemeinheit der Gesetze anknüpfen, bzw. Bezug darauf nehmen. Ich habe den Eindruck, dass insbesondere jene Abstufung zwischen Gesetz (Norm) und politischem Diskurs häufig schon »Meinung« genannt wird, ohne dass irgendein Vorschlag, ein Plan, eine Aktion benannt worden wäre...
Ich würde die beschriebenen Phänomene für »Produkte« unserer medialisierten Gesellschaft halten: Vielleicht muss man manchmal normativ sprechen, Rhetorik und Meinungen für gewichtig verkaufen, um (als Politiker) im Medienalltag bestehen zu können. Oder aber man kann dadurch bequem »Punkte« sammeln (oder glaubt es tun zu können). — Die Krise ist jedenfalls auch hausgemacht.
»Irgendwie« müssen die politischen Diskurse in Demokratien zu Normen (Gesetzen) führen, trennen kann man die beiden Ebenen nicht.
»Irgendwie« müssen die Diskurse das nicht! Gestatten Sie mir diese fröhliche Umkehrung. Es ist doch klar erkennbar, dass es sowohl bei den subalternen Teilnehmern, als auch bei den Linken, als auch (und insbesondere darüber diskutieren wir!) bei den liberalen Presse-Organen keinerlei gesetzesmacherische Ambitionen gibt.
Ich bin Ihnen dankbar, dass sie die (für mich) absolut richtige Position so gelassen aussprechen. Denn ich rätsele seit Jahren, was man in Teilen der Gesellschaft für »Politik« hält. Man könnte es gemäß ihres Terminus die »Überproduktion des Politischen« nennen.
Sollte, selbstverständlich! Mich führt das wiederum in die Medienwelt: Wir diskutieren ein Problem und springen, ohne es zu lösen, von einem Fokuspunkt der Aufmerksamkeit zum nächsten: Eine Beschäftigung ohne Ende, ohne Tiefe, ein Tretrad, wir schlucken, verdauen, sezieren bisweilen, produzieren (einen Text) und sind schon wieder weiter. —- Aber es sollte eigentlich ganz und gar nicht so sein (Kommt die zumindest gefühlte Unzulänglichkeit der Politik auch von dort?).
Das ist wahr. Und doch sieht das »Funktionsmodell der spätmodernen Gesellschaft« nur eine Randposition für das politische Subjekt vor. Mal abgesehen von den erlernten Aufmerksamkeitsdefiziten,- die Relevanz der politischen Sphäre für das zeitgenössischen Individuum wäre in der Tat zu klären. Was »sticht« uns denn, was treibt uns denn um?! Ich halte viel von der identitären Hypothese, kombiniert mit einem pragmatischen Macht-Begriff. Ohne Aufmerksamkeit, keine Partizipation. Ohne Partizipation, kein politisches »Selbst«.
Ich las soeben die Rede von Lukas Bärfuss bei den Solothrner Literaturtagen. Er macht eine absurde Bemerkung über eine »Nationalität«, die er bereits besaß, bevor er sprechen konnte. Offenbar ist ihm nicht wohl bei dem Gedanken. Es wäre in seinem Fall die Schweiz. Unangenehm!
Die Überschreitung des Nationenzufalls, hin zu einem universalistischen Selbst halte ich für ebenso trügerisch wie einen bloßen Rückzug auf das Humane, bestehend aus einer Mikro-Ethik, die gelegentlich grandiose Phantasien ausstößt. Der Literat Bärfuss mag damit zufrieden sein, aber soweit ich sehe, ist das Modell nicht verallgemeinbar. Irgendwie ist die Politik den »Massen« nicht völlig egal, oder?! Die Wahlbeteiligung müsste längst unter 5% liegen, wenn die Leute wirklich kritisch wären.
Bleibt die gefühlte Unzulänglichkeit, sprich das Spannungsverhältnis zwischen dem »Machbaren« und der Randposition des Individuums, eines Ich, das häufig nicht mit den Politiken der Akteure sympathisiert. Ist das erträglich, oder führt das zu »Übersprungshandlungen«, wie es im Tierreich heißt?! Ich habe oft den Eindruck, dass die Kälte des politischen Systems kompensiert wird mit allerlei Revolten. Ist die Demokratie wirklich auf den Menschen zugeschnitten, wie es ein penetranter Rechtediskurs behauptet?! Ist die Demokratie warm, freundlich, human?!
Ja, es scheint alles so in Funktionszusammenhänge gekleidet (gefügt), dass dem politischen Subjekt nicht mehr als die Auseinandersetzung und die Stimmabgabe bleibt. — Ich denke mir manchmal: Nimmt nicht alles genau denselben Gang, wenn ich mich dafür nicht interessierte? — Revolten sehe ich eigentlich keine, bestenfalls Ansätze (ich habe auch Zweifel, dass sie das sind, was wir tatsächlich benötigen).
Ist die Moderne warm, freundlich, human? Ist die »Nestwärme«, die Geborgenheit, um etwas polemisch zu antworten, nicht als Zustand von Dauer, schlicht Unwahrheit; muss man dafür nicht eher blind werden? — Harmonie ist zweifellos ein menschliches Bedürfnis und legitim; Aufklärung hieße, aber auch das andere sehen zu wollen. — Natürlich ist unsere abstrakte, verwaltete, verrechtlichte und verwissenschaftlichte Welt auch ein Schrecken, für denkende, fühlende, organische Wesen, der eher zu- als abnimmt. Vielleicht ist der Schrecken aber doch geringer, als er vielerorts schon war. — Unsere Lösungen werden immer menschliche bleiben.
Schöne Worte. Mit Recht setzten sie »Demokratie« und »Moderne« synonym. Den Demokratie-Begriff könnte man häufig mit »erweiterte psychosoziale Umgebung« ersetzen, ohne dass sich die Aussage verändern würde.
Die Neu-Bestimmung des alten Aufklärungs-Begriffs gefällt mir ebenfalls. Die Rauigkeit, die Härten, die schrecklichen Beobachtungen sind bestimmt die stärkste Motivation für das Denken. Es ist ein gewisser Altruismus nötig, der übrigens nicht völlig unproblematisch ist. Ich habe mich oft gefragt, welche Motive die wesentlichen Denker bei ihrer »Berufswahl« hatten. Dies wäre eines der wichtigsten.
Moderne, Demokratie, politische Ethik, sie scheinen beinah in eins zu fließen. Ich gestehe, dass ich hier am allerlängsten gezögert habe, ob es sich bei diesem Dreiklang um das große »kulturgeschichtliche Geschenk« handelt, nach dem es aussieht. Mein Misstrauen getreu der Devise »Too good to be true« war gewaltig. Aber der Mensch besteht aus Schichten. Und was auf der einen Ebene einen stimmigen und konkludenten Zusammenhang darstellt, kann auf einer anderen die allerseltsamsten Fragen und Anwandlungen hervorrufen.
Ich habe mich an der Diskussion bewusst einige Zeit nicht beteiligt und danke für die konstruktiven Kommentare.
@bersarin
Ich bin inzwischen womöglich dahingehend etwas ruhiger geworden, dass mich Kommentare von Heuschrecken (Einmal-Besucher, die nie mehr wiederkommen bzw. nur zum Krawallmachen) einfach nicht mehr interessieren. Ich hatte überlegt, den Kommentar von kulturjourno einfach zu löschen, weil er (1.) Angriffe auf Abwesende vornahm und (2.) die Angriffe nichts zur Thematik des Textes beigetragen haben. Ich hab ihn dann doch stehenlassen.
@die kalte Sophie und @metepsilonema
Interessante Abzweige, die diese Diskussion genommen hat. Wir kommen immer irgendwie auf die Themen »Demokratie« und »Moderne« zurück, wenn wir uns irgendwann über den Journalismus und seine Unzulänglichkeiten und Vorteile ausgetauscht haben. Warum eigentlich?
Ein Gedanke ist bemerkenswert: Die Wahlbeteiligung müsste längst unter 5% liegen, wenn die Leute wirklich kritisch wären. Das korrespondiert mit dem Bonmot, dass Wahlen längst abgeschafft worden wären, wenn sie etwas verändern würden. Ich habe das ja an anderer Stelle schon einmal versucht zu definieren: Wahlen werden solange angenommen, so lange dahinter ein Versprechen steht, dass sich etwas ändern k ö n n t e. Wenn Wahlen irgendwann nur demoskopischen Vorhersagen entsprechen oder durch Koalitionsabsprachen im Vorfeld schon klar ist, wer regiert, wird die Beteiligung abnehmen. Man kann das ja in Österreich sehen, wo es nur eine Frage der Zeit ist, wann die »Große Koalition« zwischen ÖVP und SPÖ bei den Nationalratswahlen unter 50% fallen wird. Wenn dann Leute überhaupt noch wählen, dann Protestparteien – rechts oder links (derzeit eher rechts). Jede Stimme für eine solche Partei steigert natürlich die Legitimation der Regierung. Wahlbeteiligungen unter 50% aus Kommunal- oder Länderebene werden aber in Zukunft die Regel sein. Man darf hier Protest nicht mit Gleichgültigkeit verwechseln: Die Erfahrung zeigt, dass die Austauschbarkeit der politischen Parteien zunimmt (hier ein aktuelles Beispiel aus der Düsseldorfer Lokalpolitik). Am Ende bleiben die Leute lieber zu Hause oder im Schwimmbad.
Medien hätten nun die Aufgabe, hierauf einzugehen. Das geschieht jedoch zumeist nicht. Öffentlich-rechtliche Medien mutieren zu Vollzugsorganen der Staatsmacht; manche Berichterstattung mutet fast schon propagandahaft an. Den Diskursraum, den sie zur Verfügung stellen könnten, nutzen sie nicht. Vermutlich aus Furcht vor Infiltration unerwünschter Meinungen und Thesen.
@Gregor
Das verwundert mich eigentlich nicht: Der Journalismus steht in einem wechselseitigen Verhältnis zur Demokratie und beide gedeihen (oder welken) unter den Bedingungen (auch: spät- oder post-) moderner Gesellschaften.
Ein nachgereichter Hinweis, interessant für die Surfer im Netz.
Ein Bericht des Magazins PANORAMA, gar nicht mal so verrückt wie sonst, zum Thema Medienkritik. Staunen Sie über die »Worte des Busfahrers«...
http://www.ardmediathek.de/tv/Panorama/L%C3%BCgenpresse-Gespr%C3%A4chsversuch-mit-Krit/Das-Erste/Video?documentId=28697076&bcastId=310918