Meine letzte Äußerungen auf dieser Seite zur Tagesaktualität der Pandemie liegt jetzt mehr als ein Jahr zurück. Damals verfiel ich kurz der Gefahr, mich in täglichen Befindlichkeiten auszulassen, die am Ende noch weniger als meine Buchbesprechungen von Interesse gewesen wären. Diese schreibe ich ja eigentlich nur, um mich selber meiner Lektüre zu vergewissern; die Publikation hat eher disziplinarische Funktion.
Seit Januar 2020 lebe ich nun in Augsburg und rückblickend betrachtet, war es – streng genommen – nur rund eine Woche »Normalität«. Denn nach einer Woche tauchte der erste Fall der neuen Virus-Erkrankung »Corona« in Deutschland auf. Und zwar in Augsburg. Damals lachten wir noch.
Sechs, sieben Wochen später dann der »Lockdown«. Ich gebe zu, dass ich es zunächst eine spannende Zeit fand. Natürlich bin ich privilegiert: ich habe keine Kinder, die ich beschäftigen muss, keinen Arbeitsplatz, den ich erreichen sollte und auch sonst keinerlei Verpflichtungen. Ein bisschen war es ein Ausflug in eine fast unbeschwerte Kindheit. Man blieb zu Hause (was ich immer am liebsten tat). Vorübergehend stellte man persönliche Kontakte ein bzw. reduzierte sie auf ein Mindestmaß. Ostern 2020 hieß es plötzlich, dass man Masken tragen sollte, was mir von Beginn an schon merkwürdig vorkam, es nicht einmal erwogen, sondern sogar, tagesschau in Zusammenarbeit mit dem Gesundheitsministerium, als mehr oder weniger nutzlos dargestellt wurde.
Wie auch immer, man kramte seine alte Nähmaschine hervor und bastelte Masken (Anleitungen gab es im Internet). Änderungsschneidereien hängten ihre Produkte ins Fenster. Bald gab es auch Nobelmarken, die ihre Kreationen im Internet anboten. Ich ergriff die Gelegenheit, ein bisschen ehemalige Heimat heraufzubeschwören, und bestellte einige Masken bei Borussia Mönchengladbach. Warum nicht.
Die Bilder, die einem aus Italien, Spanien und einige Monate später aus den USA erreichten, erzeugten Angst. Szenarien vom Bundesinnenministerium, die, nach außen drangen (sicherlich eine kontrollierte Aktion), verstärkten diese noch. Später wurde bekannt, dass es geradezu ein Auftrag gewesen war, die Bedrohungen möglichst drastisch darzustellen.
Überraschenderweise senkten sich die Zahlen rasch. Die meisten Einschränkungen des Lockdowns wurden aufgehoben. Der Fußball rollte wieder – mit ausgefeilten »Hygienekonzepten«, obwohl PCR-Tests knapp waren. Geschäfte und die Gastronomie konnten wieder öffnen. Auch Grenzen zu Nachbarländern, die man überraschenderweise auch schließen konnte, öffneten wieder. Der Sommer konnte beginnen. Der Bundesgesundheitsminister versprach, dass es nie mehr zu einem Lockdown kommen müsste. Gleichzeitig kam jedoch bereits relativ früh die Meldung auf, dass der Karneval 2021 praktisch auszufallen habe. Das passte nicht.
Im Sommer war das einzige Zeichen einer Pandemie die Maske, die man tragen musste. Im Restaurant gab man die Adresse an. Machbar. Eine zweite Welle wurde war als Möglichkeit angedacht, aber größere Warnungen hierzu gab es überraschenderweise nicht. Obwohl jeder wissen konnte, dass Virusinfektionen sehr selten nach einer Welle eingedämmt werden. Immer noch starben Hunderte Menschen (das besserte sich erst langsam). Besonders die Altenheime waren betroffen. Die Überlebenden vereinsamten; kaum jemand war darauf eingestellt, wie sie risikolos Besuche empfangen konnten.
Insgesamt herrschte das Gefühl vor, dass man noch eine Zeit lang Großveranstaltungen eindämmen musste. Das war’s dann. Um Tests für alle brauchte man sich nicht mehr kümmern. Als Bayern dies versuchte, kam sofort der »Populismus«-Vorwurf. Die Alten blieben in ihren Gettos, wenn sie nicht gestorben waren. Tests für das Pflegepersonal sparte man sich weitgehend. Es waren teilweise auch nicht genügend Basischemikalien dafür vorhanden (was absolut lächerlich ist). Lieber testete man Fußballspieler. Schulen wurden digital nicht aufgerüstet, Luftfilter nicht mehr angeschafft bzw. die vorhandenen nicht aktiviert. Die Corona-App, für ‑zig Millionen eingerichtet, blieb weitgehend wirkungslos, verstaubte auf den Smartphones (hier kann man nachlesen, wie man damals damit umging). Lauterbach und Drosten gingen in Urlaub. Alles schien in Butter. Auch – und das war das Fatale – für die Politik. Denn außer Karneval für 2021 absagen, tat man: nichts.
Im September, Oktober gingen die Inzidenzzahlen wieder hoch. Unter anderem durch Reiserückkehrer (nicht nur aus Mallorca sondern auch bspw. aus der Türkei). Während andere Länder Tests vor der Einreise verlangten oder gar Quarantäne vorsahen, durfte man in Deutschland ohne jegliche Vorsichtsmaßnahmen einreisen. Erst Monate später kam man auf die »Idee«, das da etwas im Argen liegen könnte.
Parallel zu den steigenden Inzidenzzahlen wurden die Meldungen über gelungene Forschungsentdeckungen für Impfstoffe zahlreicher. Im Oktober stiegen die Zahlen derart, dass man sich, um die Weihnachtstage wieder halbwegs »normal«, d. h. im Kreise der Familie zu verbringen, zu einem weiteren Lockdown entschloss. Dann kam eine Mutation, die noch infektiöser ist. Weiter so. Aber bald könne man sich impfen lassen. Da wusste man noch nicht, dass Frau Merkel ihrer Aufgabe nicht nachgekommen war. Sie hatte dem Impfstoff für Deutschland nicht eingekauft, ihren Gesundheitsminister zurückgepfiffen, sondern dies delegiert an die EU. Die hatten aber keine Ahnung, wie man mit multinationalen Konzernen knappe Produkte verhandelt. Und sie kümmerte sich auch nicht mehr darum.
Ein bayerischer Wunderzwerg verpflichtete seine Untertanen jetzt dazu, Masken zu tragen, wie sie normalerweise Industriearbeiter bspw. zum Lackieren verwenden. OP-Masken würden zwar genau so gut funktionieren, aber man muss Aktion zeigen. Plötzlich waren die Stoffmasken nicht mehr sicher. Warum eigentlich? Damit jeder diese »FFP2«-Maske bekommen konnte, subventionierte man mittels fälschungssicheren Zettelchen Apotheker mit Unsummen.
Das Karotten-Prinzip
Von nun an galt das Karotten-Prinzip. Man kennt das Bild: Ein Mann sitzt auf einem Esel. Um diesen zum Weitergehen zu animieren, hält er ihm mit einer Angel eine Mohrrübe vor die Nase. So läuft der Esel immer weiter.
Die Mohrrüben wechselten: Sie hießen Erweitern der »Kontaktbeschränkungen« zu Weihnachten (niemanden wusste mehr, was gilt), Impfen, Selbsttests, Öffnungen. Bis dahin: Nur noch einen Lockdown. Danach nur noch weitere vier Wochen. Trommeln in den Talkshows, Schreckensszenarien. Schulen auf, Schulen zu. Schnelltests ja. Nein, sagt Merkel. No-Covid-Aktivisten, die glauben, man könne in Mitteleuropa ein Virus ausrotten. Weiterer Lockdown nur mit Frisören jetzt. Nur noch Ostern. Dann kam es zum Knall: Der kleine Osterlockdown (der in Wirklichkeit nur anderthalb Tage zusätzlich gewesen wäre) wurde mangels organisatorischer Möglichkeiten zurückgenommen. Frau Merkel entschuldigte sich. Und heulte sich bei Anne Will aus. Währenddessen veröden die Innenstädte, geht den Kleingewerbetreibenden die Luft aus, drohen Existenzvernichtungen.
Seitdem gehen die Zahlen wieder hoch, wenn auch nicht auf dem Niveau, wie dies prognostiziert wurde – bisher und zum Glück. Da Merkel die Ministerpräsidenten nicht auf eine einheitliche Regelung zwingen kann, versucht sie dies nun mit einer Verschärfung des Infektionsschutzgesetzes. Die Länderbefugnisse würden zu Gunsten des Bundes eingeschränkt bzw. partiell aufgehoben. Aber nicht nur diese. Auch die Grundrechte des Bürgers sollen per Ukas, präsidentengleich, reglementiert werden. Etwas, was ausdrücklich nicht im Grundgesetz vorgesehen ist.
Unsinnige und übergriffige Maßnahmen, wie Verweil- oder Beherbungsverbote, Maskenpflicht draußen oder, am unsinnigsten, nächtliche Ausgangssperren zwischen 21.00 und 5.00 Uhr könnten dann nicht mehr von der Gerichtsbarkeit aufgehoben werden. Alleinzuständig wäre dann nur noch das Bundesverfassungsgericht (s. Möllers weiter unten). Und dies hatte mehr als einmal signalisiert, dass man die Regierung nicht blockieren würde.
Geplant sind gravierende Aussetzungen von Grundrechten – per Ermächtigung
Das allumfassende Staatsversagen, bspw. bei der Impfstoffbeschaffung (aber nicht nur dort) wird jetzt mit der nicht verhältnismäßigen Einschränkung der Freiheitsrechte verdeckt. Nur weil ein paar gutsituierte Lifestyle-Linke, die ohnehin von zu Hause arbeiten können für »harten Lockdown« eintreten und sich in apokalyptischen Szenerien überschlagen, heißt es im Entwurf des Infektionschutzgesetzes nun beispielsweise:
»Die Grundrechte der körperlichen Unversehrtheit (Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes), der Freiheit der Person (Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes), der Freizügigkeit (Artikel 11 Absatz 1 des Grundgesetzes) und der Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 Absatz 1 des Grundgesetzes) werden eingeschränkt und können auch durch Rechtsverordnungen nach Absatz 6 eingeschränkt werden.«
»Diese Vorschrift gilt nur für die Dauer der Feststellung einer epidemischen Lage von
nationaler Tragweite nach § 5 Absatz 1 Satz 1 durch den Deutschen Bundestag.«
Diese Ermächtigung gilt bei der »Sieben-Tage-Inzidenz« oberhalb des Schwellenwertes von 100. Andere Kriterien (Situation auf den Intensivstationen, Todeszahlen, Impfquoten, Relation Tests/Resultaten) werden nicht erwähnt.
Das Framing in vielen Medien (vor allem der öffentlich-rechtlichen) ist deutlich: Wer nicht für diese Ermächtigung des Bundes ist, ist gegen die Bekämpfung der Pandemie. Alles andere sei Leugnung »der Wissenschaft«. Dass es diese nicht als homogene Masse gibt – geschenkt.
Das Wegsperren der gesamten Bevölkerung ist, insbesondere derzeit, nicht alternativlos. Sicherlich könnte man einen kurzen, harten Lockdown in Erwägung ziehen. Aber das in dieser Zeit die Politik ihre Hausaufgaben macht, ist nicht zu erwarten. Man kann dies bei den Schulen sehen: Hier geschieht seit Monaten nichts (was eben Sache der Länder und Kommunen wäre). Durch Ausgangssperren oder das Schließen von Außengastronomie löst man diese Probleme allerdings nicht.
Der Staatsrechtler Christoph Möllers hat eine umfassende Stellungnahme zu dem Entwurf vorgelegt, deren Lektüre unbedingt zu empfehlen ist (pdf). Er fürchtet u. a., dass diese Maßnahmen das Vertrauen innerhalb der Bevölkerung nicht erhöhen, sondern unter Umständen sogar in das Gegenteil umschlagen könnten. Auch seine Ausführungen über die Verfassungskonformität sind interessant.
Für mich ist eindeutig: Dieser Entwurf des Infektionsschutzgesetzes (pdf) darf nicht Realität werden. Es ist die Verpflichtung jedes Bürgers mit gewaltlosen Mitteln gegen diese Ermächtigungsmaßnahmen vorzugehen (GG Art. 20, Abs. 4). Andernfalls wird hier ein Präzedenzfall für andere definierte »Notlagen« geschaffen. Man soll, so hört man sehr oft, den Anfängen wehren. Oft genug ist dies ein bisschen panisch. Hier nicht.
Widerstand ist dann Pflicht. Impftermin statt Ausgangssperre.
Der Beitrag weckte vieles. Erinnerungen. Im März 2020 die Aufforderung, Bitte (aus meinem Prager Umfeld) Masken zu nähen. Erwarb eine Nähmaschine, begann mit dem Nähen. Ab dem 15.6.2020 verkehrten wieder internationale Züge von und nach Prag. Anfang Juli eine Bahnreise nach Österreich, um die 82jährige Mama zu sehen. Mit Maske. Bei der Rückreise der Unterschied: in Österreich Maskenpflicht, in Tschechien bloß eine Empfehlung. Das Buch von Harald Salfellner DIE SPANISCHE GRIPPE gelesen und mittendrin im kafkaesken Prag und dem von Hašek und seinem braven Soldaten Schwejk. Wahrnehmen, Innehalten und Rebellion — das habe ich im Sommer 2020 verinnerlicht und fand es bestätigt durch einen weiteren Österreich Aufenthalt im August anlässlich der Salzburger Festspiele. Im Landestheater fühlte ich mich sicher, nicht in der Innenstadt von Prag, wo anfangs Juli die Pandemie Befreiung auf der Karlsbrücke gefeiert wurde. Im Herbst zeigten sich die Auswirkungen, ich begab mich in die Isolation, da sich in Prag kaum noch jemand um Abstand, Maske scherte. Eigenverantwortung? Nahezu unbekannt. Die SPANISCHEN GRIPPE verzeichnete in Prag laut Salfellner vier Wellen. Warte, um mich für einen Impftermin registrieren zu können. Wenn ich die Wohnung verlasse trage ich eine FFP2 Maske. Als hilfreich erwiesen sich Bücher um in Kontakt mit der Außenwelt zu bleiben. Danke, Begleitschreiben.
Ein gesellschaftlicher Scheideweg, der deutlich sichtbar im Umgang mit denjenigen wurde, denen das Gesetz spezifischen Schutz befiehlt. Spätestens seit diesem Zeitpunkt liegt die Verpflichtung klar auf der Hand. Alle Ermächtigungsmaßnahmen waren darin vorgezeichnet, sind daraus ableitbar.
Letzte Woche hat Alice Weidel im BT ein eindrucksvolles Plädoyer für die Freiheit und die Lebensqualität der (im Vergleich zu Mitgliedern der Bundesregierung...) bescheiden residierenden Leute gehalten. Da wusste ich, dass die Politik verrückt geworden ist. Sogar die Linke hat ihre Zuneigung zur Freiheit aus dem Keller geholt. Das Land steht Kopf. Die politischen »Extremisten« müssen die bürgerliche Fraktion am Durchregieren hindern. Die FDP klagt, wahrscheinlich. Das Gesetz zum Wiederaufbau-Fond (nach dem Krieg, OT Macron) hat man noch mitgetragen.
So viele Häuptlinge, und so viele Untertanen. Da verfluche ich den Tag, als sich mir der Liberalismus als politische Philosophie erschloss. Damit bringt man sich selbst in eine extrem akademische Position. Ständig diese Warnungen in den Wind sprechen zu müssen. Ich habe das Gefühl, ich bin ein Schiedsrichter in einem Sado-Maso-Club. Die Regeln entsprechen überhaupt nicht meinen Grundüberzeugungen, aber die Teilnehmer verfügen ja selbst über das Regime; also fängst du an zu predigen, von Freiheit, Mut und Optimismus. Damit sich die lieben Kleinen nicht sinnlos gegenseitig wehtun. Aber irgendwie hat der Club schon etwas ziemlich Abtörnendes...
@die_kalte_Sophie
Wenn man Twitter verfolgt, dann geben sich dort die Befürworter eines »harten Lockdown«, »jetzt«, die Türklinke in die Hand. Soviel Masochismus habe ich selten gesehen. Meist kommt das von Leuten, die keine Gastronomie haben, kein Geschäft sondern eher von zu Hause arbeiten. Ein Großteil sind auch Eltern, die einfach ihre Kinder nicht in die Schule schicken wollen. Dafür habe ich vollstes Verständnis. Dass man das Schuljahr nicht ausgesetzt hat – das verstehe ich wirklich nicht. Aber dann wären die Beschwerden der Doppelverdiener oder Alleinerzieher gekommen, die nicht wissen, was sie mit den Sprößlingen machen sollen.
Ich glaube nicht, dass es zu erfolgreichen Klagen in Karlsruhe kommen wird; das Verfassungsgericht hat ja schon mehrmals Verständnis für die Maßnahmen signalisiert.
Spannend wird es später: Einen Indizidenzwert von 100 (oder von mir aus auch 200) wird man m. E. über Monate und Jahre in bestimmten Regionen immer haben. Wenn sich 20–30% nicht impfen lassen, dann wird die Zahl der Infizierten immer bei 0,1% bzw. 0,2% liegen. Zumal auch wieder neue Mutationen drohen, die man allerdings nicht damit bekämpft, die Einreise für Privatpersonen durch Grenzschließungen aufzuheben bzw. mit Quarantänemaßnahmen zu erschweren. Stattdessen sperrt man lieber alle weg.
Klagen müssen helfen. Was bleibt denn sonst an Möglichkeiten der »Partizipation«. Ich habe in den letzten Monaten meine demokratische Grundhaltung geändert. Nach den Diskussionen... kommt die Klage. Das ist mein postkommunikatives Modell. [Ich weiß gar nicht mehr, wie hieß dieser Theorie-Schlumpf, der auf der Basis von Massenkommunikation das weltbürgerliche Zeitalter anbrechen sah...]
Es hat das Schreckliche im Prinzip schon begonnen. Zitat von Di Fabio: »Es gilt zu erkennen, dass heute in westlichen Kernstaaten... die Gesellschaft einen Konformitätsdruck aufbaut und den Rechtsstaat in seinen Formen und Verfahren in die Defensive bringt...«. Aus dem Kapitel: Die Freiheit der Politik als Risiko der Gesellschaft.
Die Überschrift muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Dass die Politik ein Risiko birgt, wurde offenbar erfolgreich vergessen. Da stehen wir nun, und sind alle auf Totalitarismus geeicht, und erwarten den Einbruch »ins System« durch einen (selbst autonomen) Usurpator. Dabei entgeht uns die systemkonforme Totalisierung, die eine Mehrheitsgesellschaft durch »politisch-moralische Verhaltensanweisungen« erreichen kann. Die Totalisierung zielt gar nicht auf die Aufhebung der Gewaltenteilung sondern verwirklicht sich über die Einschärfungen von Ideen und monotones »Verhaltenstraining«. Man kann es bereits am Unbehagen über den Begriff »Mainstream« erkennen: die Lemminge lächeln das weg, und die Kritiker haben höchste Not zu erklären, was genau damit eigentlich nicht stimmt.
Als Hobby-Theoretiker glaube ich, dass nach dem weit ausgreifenden Kommunikations-Konzept (Habermas hieß der Schlumpf, jetzt fällt’s mir wieder ein) der Begriff des »Verhaltens« für die unmittelbar nächste Zeit analytisch wichtig wird. Alles was man Kommunikation nannte (theoretisch auf das Vernunft-Konzept gemünzt), war in echt (also im allgemeinen Vollzug) nur Verhalten. Damit will ich nicht sagen, dass uns die »wahre Kommunikation« immer noch fehlt. Im Gegenteil, die Vernunft entfaltet sich nicht durch/über Kommunikation, das ist Blödsinn ex cathedra.
Wir müssen uns von der Illusion verabschieden, dass Massenkommunikation die Möglichkeit der Kontrolle durch das Individuum beinhaltet. MK ist ausschließlich »außenaktiv«.
Und wenn irgendwo eine »Debatte« stattfindet, kann man davon ausgehen, dass die Vereinnahmungsapparate auf Hochtouren laufen. (Schön in diesem Zusammenhang, dass auch Allgemeinbegriffe wie »Debatte« einen konziden Sinn haben, der allen dieselbe »Warnung« übermittelt... Irgendwie fair.).
Demokratie, ich hasse Dich!
Pardon, der »konzide Sinn« wurde durch ungeschickte Finger verursacht. Ein konziser Sinn schwebte mir vor, aber die Luzidität hat sich wohl dazwischen gemogelt.
Die Kommunikationsmodelle sind eben nur Modelle. In der Praxis sieht das anders aus: Im öffentlichen Raum werden Meinungen, Verhaltensweisen trotz Internet und »sozialer Medien« immer noch mit Türhüterpraxis geformt. Die Pandemie zeigt das sehr schön, aber schon in anderen Krisenszenarien der letzten Dekade kann man das erkennen: Ob Finanzkrise, Flüchtlingsströme oder Energiekonzepte für die Zukunft – es gibt einen Meinungskorridor, der bedient wird. Was außerhalb liegt, bleibt verborgen. Wer öffentlich-rechtliche Medien nutzt, bekommt nie Zahlen zu den Belegungen der Intensivstationen, er erhält keine zuverlässigen Daten über die Integration der Flüchtlinge seit 2015ff. Diesen Raum besetzen Aktivisten – sei es rechts oder links. So entstehen Verschwörungserzählungen. Je mehr man dann dagegen kommuniziert, umso deutlicher die Lagerbildung.
Es ist auf Twitter unmöglich, Argumente gegen das – Achtung: richtiger Name: »Bevölkerungsschutzgesetz« zu formulieren, ohne nicht binnen weniger Minuten einen Corona-Leugner zum Zustimmer zu bekommen (der einem sofort erklärt, dass man mit Impfungen gechippt wird) oder selber in dieses Lager überführt zu werden.
Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht dürften wenn überhaupt nur in Monaten einen Erfolg haben. Das Gericht ist leider zu einem Werkzeug der Legislative geworden.
(PS: Hier die Abstimmungsresultate zum »Bevölkerungsschutzgesetz«. Diejenige, die Kanzlerin werden möchte, hat sich – wie fast alle »Grünen« – enthalten.
Dass die Modelle falsch sind, finde ich schon bemerkenswert. Der ach so rationale Westen weiß also gar nicht, wie er selber tickt?! So viele »Theoretiker« und noch immer so viele Fragen... Ich habe Antworten bei Bion, Turquet und Kernberg gefunden, die Aufschluss geben, warum die »Debattenteilnehmer« den Beziehungsdialog immer vor die Sachfragen stellen. Die sozialen Medien bilden die elementaren Bedürfnisse komplett ab: Zugehörigkeit, Kooperation, Organisation, Erotik, Stärke, Identität, etc. Und dann kommt lange nichts, und schließlich ein paar Fragen von Menschheits-erschütterndem Interesse. Homo sapiens sapiens.
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Ja, Karlsruhe war eine Enttäuschung. Der Senat ist wohl der Meinung, dass wir die Aushöhlung der Staatlichkeit besser unter uns klären. »Ist euer Risiko, wenn ihr die Schulden anderer Staaten absichert...«. Da hat der Senat irgendwie recht. Wir tragen das!