»…wie ei­ne asym­me­tri­sche Va­se«

Pe­ter Slo­ter­di­jk schrei­tet mit der Über­tra­gung sei­ner No­ta­te bis 2013 fort.

Peter Sloterdijk: Neue Zeilen und Tage

Pe­ter Slo­ter­di­jk:
Neue Zei­len und Ta­ge

Naht­los knüpft Pe­ter Slo­ter­di­jk mit »Neue Zei­len und Ta­ge« an sein No­tiz­ex­trakt »Zei­len und Ta­ge« von 2012 an. Die Auf­zeich­nun­gen des neu­en Bu­ches be­gin­nen dort, wo das an­de­re ab­schloss (am 8. Mai 2011) und en­den am 23. Sep­tem­ber 2013, un­mit­tel­bar nach der Bundestags­wahl, knapp zwei Jah­re vor je­nen po­li­ti­schen Erup­tio­nen, die Slo­ter­di­jk fast pro­phe­tisch vor­weg­nahm, als er un­mit­tel­bar nach dem Fern­seh­du­ell zwi­schen Peer Stein­brück und An­ge­la Mer­kel kon­sta­tier­te, dass man sich bald nach den Jah­ren des vor­geb­li­chen Still­stands seh­nen wer­de, so­bald der Sturm zu ern­ten ist, der im mil­den Wind die­ser Ta­ge ge­säht [sic!] wur­de.

Der letz­te Teil des Sat­zes, je­nes my­stisch-se­mi­vi­sio­nä­re Halb­pa­thos, ist zu­wei­len ty­pisch für die­se No­ta­te, die schon wie in »Zei­len und Ta­ge« mit mä­an­dernd-poin­tier­ten, zu­wei­len apho­ri­stisch-sprung­haf­ten Schil­de­run­gen auf­war­ten. So lässt die­se Stoff­samm­lung wei­ter­hin den Blick in die Werk­statt des Le­sers Slo­ter­di­jk zu, der nach Be­lie­ben Un­ter­stüt­zung zu sei­nen The­sen in na­he­zu al­len ver­füg­ba­ren Wer­ken bis hin zur Bi­bel fin­det. Man be­glei­tet man ihn bei Nach- und Vor­ge­dan­ken zu sei­nen Bü­chern, sieht ihm prak­tisch zu beim Sor­tie­ren der »Zei­len und Ta­ge« (in dem sei­ne ak­tu­el­len Auf­zeich­nun­gen na­he­zu zum Er­lie­gen kom­men) und er­fährt al­ler­lei über die Ar­bei­ten an ein Li­bret­to zu ei­ner Oper na­mens »Ba­by­lon« (Mu­sik von Jörg Wid­mann), wel­che dann im Ok­to­ber 2012 in Mün­chen ur­auf­ge­führt wird.

Slo­ter­di­jk ist viel un­ter­wegs, zu Kon­gres­sen, hält Re­den (ein­mal vor FI­FA-Funk­tio­nä­ren über den we­nig er­forsch­ten Un­ter­schied von An­ge­bots­re­li­gio­nen und Nachfrage­religionen [Re­ak­tio­nen wer­den be­dau­er­li­cher­wei­se nicht über­lie­fert]), sitzt in Fern­seh­dis­kus­sio­nen oder im Flug­zeug, macht Ur­laub und sor­tiert da­bei sei­ne Ge­dan­ken zum Er­leb­ten. Nur am Ran­de kom­men sei­ne uni­ver­si­tä­ren Pflich­ten vor, et­wa wenn ein un­ter­schrifts­rei­fer Spon­so­ring-Ver­trag mit ei­nem Dro­ge­rie­markt­in­ha­ber doch noch in letz­ter Mi­nu­te platzt. Oder wenn es um Nach­fol­ge­re­ge­lun­gen geht. Un­ter­halt­sam da­ge­gen die Kol­le­gen­be­ob­ach­tun­gen, die manch­mal in Spott mün­den. Et­wa über Red­ner, die wir brau­chen sa­gen. Oder nach dem En­de ei­nes Phi­lo­so­phie­kon­gres­sen. Der Bo­den sei nach 400 Re­fe­ra­ten von Wort­hül­sen über­säht [wie­der die fal­sche Schreib­wei­se]. Über­haupt ha­dert er zu­wei­len mit sei­ner Wis­sen­schaft. Was heißt den­ken?, fragt er ein­mal. Um dann die ver­blüf­fen­de Ant­wort zu ge­ben: Feu­er in Pa­pier­tü­ten trans­por­tie­ren.

Slo­ter­di­jks Stär­ke ist es über al­le Dis­zi­pli­nen hin­weg Al­le­go­rien oder, noch bes­ser, Ver­glei­che zu kon­stru­ie­ren, die Sach­ver­hal­te nicht nur er­hel­len son­dern ei­nem in den be­sten Mo­men­ten voll­kom­men neue We­ge auf­zei­gen (die al­ler­dings hier und da durch­aus ins Nichts mün­den). Da­bei ist für ihn klar: Der post­mo­der­ne Pa­ti­ent ist das Sub­jekt, das kei­ne Ver­glei­che mehr pro­du­zie­ren kann. Das Ver­mö­gen, zu ver­glei­chen, ist aber die Quel­le des vi­ta­len Elans, wenn Elan die Fä­hig­keit meint, Äl­te­res auf Neu­es zu be­zie­hen. Slo­ter­di­jk prak­ti­ziert dies in bei­de Rich­tun­gen: Er be­zieht eben auch Neu­es auf Äl­te­res, fin­det ver­bor­ge­ne, zu­wei­len ver­blüf­fen­de, manch­mal et­was ge­woll­te Par­al­le­len, Gleich­för­mig­kei­ten oder Wi­der­sprü­che – dort, wo man sie am we­nig­sten ver­mu­tet.

Zu­wei­len stoppt er al­ler­dings et­was ab­rupt sei­ne Aus­füh­run­gen. So hät­te man ger­ne mehr er­fah­ren, war­um Staa­ten mit schwa­chen So­zi­al­sy­ste­men bes­ser ge­rü­stet sein sol­len grö­ße­re Ein­wan­de­rungs­grup­pen zu »in­te­grie­ren« (Slo­ter­di­jk ver­gleicht in ei­ner an­de­ren No­tiz In­te­gra­ti­on mit Un­ter­wer­fung, da­her in­te­grie­ren in An- und Ab­füh­rung). Der an­ge­ge­be­ne Grund, dass das aus­kömm­li­che Ne­ben­ein­an­der der Schwa­chen leich­ter fal­le, leuch­tet nicht ein.

An­re­gend in­des sei­ne Über­le­gun­gen über den Staat und Steu­ern, die in ge­wis­ser Wei­se ein Fort­schrei­bung sei­nes Es­says »Die neh­men­de Hand und die ge­ben­de Sei­te« dar­stel­len. Ver­knüpft wird dies mit Über­le­gun­gen über den Na­tio­nal­staat, mit dem ihn ei­ne Hass­lie­be ver­bin­det. Auf der ei­nen Sei­te sieht er ihn im­mer noch als un­ent­behr­lich an, weil er zum Bei­spiel so­zia­le Si­che­run­gen vor­nimmt, aber vor al­lem, weil er Steu­ern er­he­ben kann. Dies ist, so die The­se, ei­ne der An­triebs­fe­dern für Na­tio­nal­staa­ten vom 19. Jahr­hun­dert bis heu­te ge­we­sen. Da­mit wür­den sich bei­spiels­wei­se Se­zes­si­ons­wün­sche er­klä­ren, die nicht sel­ten mit Streits um Län­der­fi­nanz­aus­glei­che be­gon­nen ha­ben (bis hin zur Es­ka­la­ti­on ei­nes Bür­ger­krie­ges). Zu­dem kann Slo­ter­di­jk mit der EU in der ak­tu­el­len Ver­fas­sung we­nig an­fan­gen (er nennt sie so­gar ein­mal ver­ächt­lich EUdSSR). An­de­rer­seits ist er sich nicht zu­letzt durch die na­tio­nal agie­ren­de fran­zö­si­sche Lin­ke durch­aus be­wusst, dass der Na­tio­nal­staat als Schutz ge­gen glo­ba­le In­fil­tra­tio­nen nicht mehr taugt.

Schwer kann sich Slo­ter­di­jk mit An­ti­ter­ror­ge­set­zen an­freun­den, hin­ter de­nen er sei­ne Frei­heit ein­ge­schränkt sieht. Die wirk­li­chen Her­aus­for­de­run­gen von Po­li­tik sieht er in der suk­zes­si­ven Zer­stö­rung der öko­lo­gi­schen Le­bens­grund­la­gen. Dies kon­sta­tie­rend ver­misst man je­doch kon­struk­ti­ve Lö­sungs­ideen.

Trotz gro­ßer EU-Skep­sis hegt Slo­ter­di­jk von Be­ginn an kei­ner­lei Sym­pa­thien für die sich un­ter Lucke kon­sti­tu­ie­ren­de AfD. Selt­sam die Leer­stel­le zu Mer­kel und der Uni­on; kein bö­ses Wort hier­über. Die SPD hin­ge­gen be­kommt als An­äs­the­sist[] der Un­ter­schich­ten ihr bzw. sein Fett weg. Der da­ma­li­ge Kanz­ler­kan­di­dat Peer Stein­brück sei be­gabt aber un­ge­nü­gend. Wo­mög­lich spielt da auch noch der Groll mit, dass die­ser un­mit­tel­bar nach der Pro­kla­ma­ti­on zur Her­aus­for­de­rung sei­ne zu­ge­sag­te Teil­nah­me am »Phi­lo­so­phi­schen Quar­tett« ab­ge­sagt hat­te.

Brei­ten Raum neh­men nach­träg­li­che Über­le­gun­gen zu sei­nem 2009 er­schie­nen Buch »Du mußt dein Le­ben än­dern« ein, in dem er nichts an­de­res als ei­ne An­thro­po­lo­gie des üben­den Le­bens ver­fasst ha­ben möch­te. Ge­gen En­de dann Ge­dan­ken und The­sen zum 2014 er­schei­nen­den »Bastard«-Buch »Die schreck­li­chen Kin­der der Neu­zeit«. Der Ba­stard ist für Slo­ter­di­jk der Sprin­ger nach vor­ne, der Be­we­ger, ein Han­deln­der, der ge­lernt und ge­lebt hat Erb­fol­ge und Tra­di­ti­on hin­ter sich zu las­sen. In den No­ti­zen wird die In­ten­ti­on des The­mas greif­ba­rer als im über­kom­plex struk­tu­rier­ten Buch.

Häu­fig fin­den sich beim fran­ko­phi­len Geist Slo­ter­di­jk Be­trach­tun­gen zu Frank­reich – vom 18. Jahr­hun­dert bis in die Ge­gen­wart. Im fran­zö­si­schen Fern­se­hen spricht er im Wahl­kampf un­ter an­de­rem mit dem Kan­di­da­ten Fran­çois Hol­lan­de. Sein Ur­teil ist ähn­lich wie das Hel­mut Schmidts über Jim­my Car­ter. Für Hol­lan­des nach sei­ner Wahl ent­wickel­ten Rei­chen­steu­er­de­krets hat der Steu­er­skep­ti­ker Slo­ter­di­jk nur Spott üb­rig und ge­rät in Ver­zückung wenn er sich da­ge­gen an das phan­ta­sti­sche Den­ken de Gaulles er­in­nert. Bei Prä­si­dent­schafts­wah­len möch­te er am lieb­sten al­le ab­stim­men las­sen, nicht nur die je­wei­li­gen An­ge­hö­ri­gen ei­ner Na­ti­on. Er ver­spricht sich hier­von bes­se­re Re­sul­ta­te. De­mo­kra­tie ist für ihn der nütz­li­che Aber­glau­be, Kämp­fe sei­en in De­bat­ten auf­lös­bar. De­mo­kra­tisch or­ga­ni­sier­te Län­der mit Roy­als bie­ten über­dies durch die­se Fe­ri­en von der Rea­li­tät.

Im­mer nach­den­kens­wert sind sei­ne zu­wei­len et­was sprung­haf­ten Über­le­gun­gen zu so­zio­lo­gi­schen und ge­sell­schaft­li­chen The­men. Ge­ne­rell sieht er die Ge­sell­schaft als ei­nen über­dia­gno­sti­zier­ten Pa­ti­en­ten, was ihn aber nicht dar­an hin­dert wei­te­re Dia­gno­sen an­zu­bie­ten. Et­wa wenn von der zu­neh­men­den Epi­de­mie von ag­gres­si­ven Über­empfindlichkeiten, die in ei­ne Pro­fes­sio­na­li­sie­rung des Be­lei­digt­seins ins­be­son­de­re von Schein­pro­gres­si­ven mün­den wür­den, die Re­de ist. Oh­ne Kla­ge­rou­ti­ne und Jammer­betrieb ge­be es prak­tisch kein Ge­hör mehr, so der zu­tref­fen­de, mitt­ler­wei­le pro­phe­ti­sche Be­fund. Pas­send da­zu die Cha­rak­te­ri­sie­rung in Na­tio­nen heut­zu­ta­ge nur mehr Überreaktions-Gemeinschaft(en) in psy­cho­pa­thi­scher Syn­chron­schal­tung zu se­hen. Aus­lö­ser für sol­che Ge­wit­ter­don­ner sind die Be­richt­erstat­tun­gen bei­spiels­wei­se über Ter­ror­ak­te wie den An­schlag beim Bos­ton-Ma­ra­thon 2013. Slo­ter­di­jk nimmt die The­se füh­ren­der For­scher, dass Ter­ror­ak­te Mit­tei­lun­gen sei­en, die durch die Be­richt­erstat­tung über sie erst zu dem Rang füh­ren, den sie be­ab­sich­ti­gen, schlicht­weg ernst. Mit der je­weils gro­ßen und strecken­wei­se hy­ste­ri­schen Be­richt­erstat­tung er­fül­le man ex­akt das An­sin­nen des Ter­ro­ri­sten. Dies sei, so Slo­ter­di­jk, ei­ne per­ver­se Über­be­loh­nung ei­ner mar­gi­na­len Un­tat durch Me­di­en­auf­merk­sam­keit oh­ne Gren­zen. Kaum ein Be­richt­erstat­ter sei sich sei­ner Kom­pli­zen­rol­le be­wußt. Es liegt in der Na­tur der Sa­che, dass die­se The­se, die Slo­ter­di­jk in ähn­li­cher Form mehr­fach in In­ter­views äu­ßer­te, ge­ra­de bei Me­di­en­ver­tre­tern auf wü­ten­de Ab­leh­nung stösst.

Der Spa­gat zwi­schen me­dia­lem Über­re­agie­ren und not­wen­di­ger Be­richt­erstat­tung wird deut­lich, wenn es um den Mas­sen­mord von Brei­vik 2011 geht, der eben­falls in den Be­ob­ach­tungs­zeit­raum des Bu­ches fällt. Slo­ter­di­jk wirkt hier fast über­for­dert – ei­ner­seits ver­sucht er nach Mo­ti­va­tio­nen zu for­schen, an­der­seits ist die Mon­stro­si­tät des Ver­bre­chens ein­fach zu groß. Ob es dar­an liegt, dass im Buch kon­se­quent der Na­me des Mör­ders falsch ge­schrie­ben wird?

Über­haupt bie­tet »Neue Zei­len und Ta­ge« Er­in­ne­rung an Er­eig­nis­se, die man fast schon ver­ges­sen hat­te. So be­schäf­tigt sich Slo­ter­di­jk mit der vom ihm als lä­cher­lich emp­fun­de­nen Strauss-Kahn-Af­fä­re (hier un­ter­schätzt er das Po­ten­ti­al, wel­ches dann Jah­re spä­ter in die so­ge­nann­te #Me­Too-Be­we­gung mün­det). We­nig kann er mit der Be­schnei­dungs-De­bat­te an­fan­gen. Na­tur­ge­mäß sehr in­ter­es­siert und mit skep­tisch-iro­ni­schen Vol­ten be­glei­tet er die Eu­ro-Kri­se um und mit Grie­chen­land. Hier räumt er mit der Ver­klä­rung Grie­chen­lands als »Er­fin­der« der De­mo­kra­tie gründ­lich auf: Zum ei­nen wä­re dies nur ei­ne kur­ze Epi­so­de als Ne­ben­fol­ge der the­mi­sto­klei­schen Flot­ten­po­li­tik ge­we­sen. Und zum an­de­ren kön­ne hier­aus mehr als 2500 Jah­re spä­ter kein Frei­brief für ei­ne Pro­kopf-Ver­schul­dung von 30.000 Eu­ro ab­ge­lei­tet wer­den. Mit Ge­nuß spießt er ei­ne Ha­ber­ma­sia­de sei­nes In­tim­fein­des auf, der for­der­te, die 10,7 Mil­lio­nen Grie­chen über die in Aus­sicht ge­stell­ten Hilfs­lei­stun­gen vo­tie­ren zu las­sen. Es kom­me dem al­ten Herrn nicht in den Sinn, die üb­ri­gen Eu­ro­pä­er (502,5 Mil­lio­nen Per­so­nen bzw. 330 Mil­lio­nen Eu­ro-Be­nut­zer) könn­ten ih­rer­seits ei­ner Be­fra­gung zu die­sem The­ma wür­dig und be­dürf­tig sein.

Le­sens­wert bis amü­sant sind die zu­wei­len spit­zen Cha­rak­te­ri­sie­run­gen über Per­so­nen. Oba­ma, des­sen Mord­kom­man­do ge­gen Bin La­den mit äu­ßer­sten Miß­fal­len von Slo­ter­di­jk kom­men­tiert wird, sieht er als Ohn­mäch­ti­gen, weil er zu­lässt, wie Ge­heim­dien­ste un­ge­ach­tet al­ler Kri­tik Ver­bün­de­te aus­spä­hen. Aber auch der Tea-Par­ty sieht er sehr kri­tisch ge­gen­über; den Trum­pis­mus sieht er durch­aus vor­aus, al­ler­dings oh­ne Trump. Hand­kes Selbst­be­zich­ti­gung als »Träu­mer« stört ihn, weil da­mit Be­deut­sam­keit sug­ge­riert wür­de. Mar­tin Wal­ser ist für ihn ein Sehn­suchts­for­scher. Em­ma­nu­el Todd schei­te­re an sei­ner Teu­to­no­pho­bie. Bei Mi­chel Hou­el­le­becq sieht er kaum li­te­ra­ri­sches Ni­veau; sein Er­folg be­ru­he in sei­ner osten­ta­ti­ven Selbstab­leh­nung. Ali­ce Schwar­zer ist nur noch ei­ne Selbst­par­odie. Josch­ka Fi­scher sei mit der Kri­tik an Mer­kels »Spar­po­li­tik« ins in­fla­tio­ni­sti­sche La­ger über­ge­wech­selt. Grass ist für ihn ein Hy­bris-Be­auf­trag­ter, der sich in Stra­to­sphä­ren des Un­sinns be­wegt (sein Is­ra­el-Ge­dicht nennt er ei­nen verkalkte[n] Mo­no­log). Ul­rich Beck, den er schätzt, nennt er ei­nen Be­rufs­eu­ro­pä­er. Dy­lan ha­be lich­te Mo­men­te aber mehr auch nicht. Tref­fen mit dem Freund Wolf Wond­rat­schek. Auch be­reits Ver­stor­be­ne sind vor sei­ner Iro­nie nicht ge­feit. Carl Schmitt ist der Fri­sör an der me­ta­phy­si­schen Pe­rücke Hit­lers. Hei­ner Mül­ler ein Ka­putt­heits-Ar­tist. Bei Stif­ter schätzt er im­mer­hin den Be­schö­ni­gungs-Trotz.

Nur we­ni­ge be­stehen vor Slo­ter­di­jks Ur­teil. Nietz­sche na­tür­lich (den er an ei­ner Stel­le wun­der­bar wei­ter­schreibt: Hoff­nung ist die Op­ti­on, daß die Ver­zweif­lung un­recht be­hält). Auch He­gel und ei­ni­ges von Heid­eg­ger (au­ßer des­sen Nietz­sche-In­ter­pre­ta­tio­nen). Wei­ter: Carl Ame­ry, Jo­seph Vogl und Eu­gen Ro­sen­stock-Hues­sy. Oh­ne ihn di­rekt zu er­wäh­nen stützt er di­ver­se Ma­le Hy­po­the­sen des Wirt­schafts­so­zio­lo­gen Gun­nar Hein­sohn. Ei­ni­ge No­ta­te zei­gen Slo­ter­di­jks Ei­tel­keit, et­wa wenn er aus un­er­war­te­ter Rich­tung ge­lobt oder zi­tiert wird. Und ab und zu rühmt er sich ge­wis­ser pro­gno­sti­scher Fä­hig­kei­ten aus ver­gan­ge­nen Wer­ken.

Bei al­len hei­te­ren, selbst­iro­ni­schen Vol­ten neh­men die blass-me­lan­cho­li­schen Mo­men­te zu. Mal stützt er vom Fahr­rad (um kurz dar­auf ei­ne Elo­ge auf die ve­lo­ma­ni­sche Beweg­lichkeit an­zu­stim­men). Oder ein Kli­nik­auf­ent­halt steht an. In­ter­es­sant ei­ne Stel­le, an der kurz­fri­stig so et­was wie Le­se­hem­mung auf­tritt: Schein­bar ist al­les aus­ge­le­sen; kein »Stoff« mehr ver­füg­bar.

Slo­ter­di­jk kommt lang­sam ins Pen­si­ons­al­ter. Er sei zu alt für tö­rich­te Feind­schaf­ten, zu jung für Gleich­gül­tig­keit. Die­ses In­ter­re­gnum merkt man den Auf­zeich­nun­gen an. So wacht er ein­mal als asym­me­tri­sche Va­se auf und min­de­stens zwei Mal hört er gar den Tod an­klop­fen. Da ist ein himmelweite[r] Un­ter­schied zwi­schen dem er­leb­ten Tag und dem, was sich da­von sa­gen läßt. Er, der Pu­bli­ka­ti­ons­wü­ti­ge, re­fe­riert über den Ter­ror von Pu­bli­ka­ti­ons­ver­fah­ren, scheint er­mü­det von Deu­tungs­spie­len. Um dann nach je­doch lust­voll über Lei­stungs­trä­ger, die in Deutsch­land oh­ne in­tel­lek­tu­el­le Für­spre­cher sei­en, Ent­wick­lun­gen im An­ci­en Ré­gime in Frank­reich, Bad banks und Ret­tungs­schir­me, Spam-Mails als Speer­spit­ze ei­ner or­ga­ni­sier­ten Evan­ge­li­sie­rung, die Dürf­tig­keit der Welt­spie­le der Fa­se­lei (ge­meint ist die »do­cu­men­ta 13«), das Pro­fes­so­ren­ge­ha­be mit Weltverän­derungsansprüchen, den Ge­gen­warts­mensch als den­je­ni­gen, der zum Ver­trau­en ver­ur­teilt sei oder über den Haß an Tex­ti­li­en bei Fah­nen­ver­bren­nun­gen im ara­bi­schen Raum zu rä­so­nie­ren. So­gar das Se­xu­al­le­ben von Pin­gui­nen, Tann­häu­sers Im­po­tenz, Gott­fried Ben­ns Rei­sen oder die Frem­den­fremd­heit der Ja­pa­ner fin­den Be­ach­tung. Sei­ne No­ti­zen be­trach­tet er als ei­ne Samm­lung von Sym­pto­men des mon­strö­sen Zu­stands. Der zwei­te Teil des Bu­ches (No­ti­zen von Au­gust 2012 an) heißt denn auch Mo­men­te der En­te­wi­gung.

Ge­gen En­de wird vier­zehn Ta­ge ge­fa­stet. Die diä­te­ti­sche Mahl­zei­ten un­ter­stützt er trot­zig mit ei­ner Di­ät der Mei­nun­gen, wohl ei­ni­ge Ta­ge spä­ter wis­send und mit den Hu­fen schar­rend, dass bald die mei­nungs­lo­se (vul­go: schö­ne) Zeit wie­der vor­über sei.

Der Le­ser lehnt sich nach der Lek­tü­re zu­rück. Gleich­zei­tig er­schöpft und er­frischt, glück­lich und trau­rig. Was will man mehr?

Die kur­siv ge­setz­ten Stel­len sind Zi­ta­te aus dem be­spro­che­nen Buch.

32 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Schö­ne Re­zen­si­on; ver­blüf­fend wie der kri­ti­sche Den­ker Slo­ter­di­jk in sei­nen Be­griffs­schöp­fun­gen so­fort er­kenn­bar wird, et­wa bei der »Epi­de­mie der ag­gres­si­ven Über­emp­find­lich­kei­ten«.
    Ei­ni­ge Po­si­tio­nen kennt man ja schon, die Steu­er-Kri­tik, die EU-Skep­sis, den Me­di­en­er­folg des Ter­rors. An­de­res, wie die so­zio­lo­gi­sche Ab­stu­fung des In­te­gra­ti­ons-Be­griff wir­ken wie spon­ta­ne Ab­wehr­ge­dan­ken, aus der Nö­ti­gungs­er­fah­rung ak­tu­el­ler Po­li­tik­be­ob­ach­tung her­aus.
    Ich ha­be mich ge­fragt, wie die zu­künf­ti­ge Ein­tei­lung der Ta­ge­buch-Rei­he wei­ter­geht. Un­schwer, pro­gno­sti­ziert der Zwei-Jah­res-Tour­nus den näch­sten Ab­schnitt bis Sep­tem­ber 2015.
    Das wä­re na­tür­lich höchst be­dau­er­lich, denn das An­nus mi­ra­bi­lis 2015 nimmt dort erst Fahrt auf, als das zu Ret­ten­de über­mäch­tig wird.
    Sein »Lob der Gren­ze« mit ein­schnei­den­der Kri­tik for­mu­liert Slo­ter­di­jk erst im Ja­nu­ar 2016; dem fol­gen noch die Zu­recht­stut­zun­gen sei­ner rechts­la­sti­gen In­ter­pre­ta­ti­on, die sei­ne Re­ak­ti­on in den No­ti­zen in­ter­es­sant ma­chen.

  2. @ die_kalte_Sophie

    Slo­ter­di­jk­sches Grenz­lob gibt es in »Zei­len und Ta­ge II« durch­aus – und auch pro­fun­de EU-Kri­tik.
    »Seit Jah­ren hört man viel auf­ge­spreiz­ten Un­fug über das not­wen­di­ge En­de der Na­tio­nal­staa­ten (...).« S 147
    Dann haut er auf S. 148 die Da­men und Her­ren So­zi­al­wis­sen­schaft­ler, die die­sen Murks hin­aus­po­sau­nen, sie wüss­ten ein­fach nicht, wo­von sie sprä­chen, weil ih­nen die re­fle­xi­ve Kraft feh­le, die Be­gren­zun­gen, die in der re­la­ti­ven Ju­gend ih­rer Fä­cher lie­ge, gei­stig zu durhcdrin­gen (im Klar­text: Sie sind hit­ler­fi­xiert und er­klä­ren durch die­se Fi­xie­rung hin­durch ver­meint­lich den gan­zen Lauf der Welt – in Wirk­lich­keit aber nur ih­re ei­ge­nen Fo­cus­sier­feh­ler) und dann, nach die­sen wohl­erwo­ge­nen Sei­ten­hie­ben kon­klu­diert Slo­ter­di­jk »ein­wand­frei« (Rolf Mil­ler – ein an­de­rer Ba­de­ner, der als ei­ni­ger­ma­ssen zu­rech­nungs­fä­hig noch wird durch­ge­hen dür­fen, ne­ben­bei ge­sagt) – kon­klu­diert al­so Slo­ter­di­jk ein­wand­frei so: »In Wahr­heit sind die Na­tio­nal­staa­ten un­ent­behr­li­cher denn je (...).«

    Beim Him­mel: ja! Und nein: Es ist nicht die gan­ze deut­sche Ge­schich­te ei­ne von und zu Hit­ler. Echt nicht, Kids – Ta­ke That!, der Karsl­ru­her schma­le Bru­der des lu­sti­gen Obe­lix hat Recht, Recht, Recht und noch­mals Recht – und- eh, nicht dass ich es ver­ges­se: Hit­ler hat­te Un­recht.

    Ver­flixt.

    @ Gre­gor Keu­sch­nig:

    »Zu­wei­len stoppt er al­ler­dings et­was ab­rupt sei­ne Aus­füh­run­gen. So hät­te man ger­ne mehr er­fah­ren, war­um Staa­ten mit schwa­chen So­zi­al­sy­ste­men bes­ser ge­rü­stet sein sol­len grö­ße­re Ein­wan­de­rungs­grup­pen zu »in­te­grie­ren« (Slo­ter­di­jk ver­gleicht in ei­ner an­de­ren No­tiz In­te­gra­ti­on mit Un­ter­wer­fung, da­her in­te­grie­ren in An- und Ab­füh­rung). Der an­ge­ge­be­ne Grund, dass das aus­kömm­li­che Ne­ben­ein­an­der der Schwa­chen leich­ter fal­le, leuch­tet nicht ein.«

    This is old hat. Die US-Neo­cons woll­ten so in der glor­rei­chen zwei­ten Hälf­te des letz­ten Jahr­hun­derts der So­zi­al­de­mo­kra­ti­sie­rung der USA und gleich­zei­tig der Ein­schrän­kung der Zu­wan­de­rung weh­ren. Und sie ha­ben da Er­heb­li­ches er­reicht.

    Die Lo­gik die­ser ex-Lin­ken (vie­le ex Trotz­ki­sten) ist klar und ein­fach: Wenn man die Frem­den so­zi­al­staat­lich ver­wöhnt, wer­den sie die be­son­de­ren Här­ten, mit de­nen sie die neue Um­ge­bung kon­fron­tiert, nicht kämp­fe­risch (=ar­bei­tend, auch un­ter har­ten Be­din­gun­gen!) be­stehen wol­len, son­dern sich ein­fach zu­rück­leh­nen und ge­nie­ßen, was sie vor­her nicht hat­ten: Per­fek­ten (mi­li­tä­ri­schen) Schutz (=Si­cher­heit vor äu­sse­ren und in­ne­ren Fein­den) und grö­sse­re ma­te­ri­el­le Res­sour­cen als sie sie zu­hau­se je hat­ten – in je­der Form. (Ich ha­be ge­ra­de ei­ne klei­ne Ge­schich­te im Zeit­ma­ga­zin ge­le­sen, da ist von ei­ner Klein­stadt (15 000 Ein­woh­ner) in Si­bi­ri­en die Re­de, die kei­ne Kli­nik hat. Die näch­ste Kli­nik ist drei Stun­den ent­fernt. Ein paar­mal im Jahr kommt der Arzt-Zug vor­bei. Das wars!

    Wenn hier der Not­arzt nicht nach sechs Mi­nu­ten (kein Witz, ge­ehr­te Le­ser­schar) um die Ecke braust, wer­den im Land­tag klei­ne An­fra­gen ge­star­tet, und wenn ein Asy­lant we­gen sol­cher Zeit­über­schrei­tung zu Scha­den kä­me, wä­re das ein na­tio­na­ler Auf­re­ger. Das sind ja al­les in al­lem pa­ra­die­si­sche Bedingungen...und un­se­re Da­men und Her­ren Zu­wan­de­rer sind tat­säch­lich ent­spre­chend be­gie­rig auf Ge­gen­lei­stun­gen...

    Sehr schön ist üb­ri­gens auch der Stü­ber, den Slo­ter­di­jk den An­ge­stell­ten im öf­fent­li­chen Dienst, nicht zu­letzt an sei­ner Hoch­schu­le in KA ver­passt. Wer sich da zur Faul­heit ent­schließt, braucht die Rü­ge nie­mals zu fürch­ten, denn ihm kann kei­ner mehr was. Auch die Fau­len im Öf­fent­li­chen Dienst sind im Pa­ra­dies, sagt ihr Dienst­herr (=Rek­tor der HDK) Slo­ter­di­jk, so­lan­ge die Steu­er­zah­ler das mit­ma­chen. Es wä­re üb­ri­gens pro­blem­los mög­lich, dass sol­che Leu­te dann ih­ren Chef in der Süd­deut­schen als Frau­en­feind öf­fent­lich an den Pran­ger stel­len (ich wüss­te das nicht, wenn mir das der ein­zi­ge lin­ke Buch­händ­ler, den ich ken­ne, und der tat­säch­lich noch Re­zen­sio­nen liest, nicht brüh­warm per­sön­lich er­zählt hät­te: In der SZ ist Slo­ter­di­jk ent­larvt wor­den als Frau­en­feind, sein neu­es Buch ist be­denk­lich – vor­ge­tra­gen mit ern­ster Mine...Ein al­tern­der drah­ti­ger Feminist...immerhin auf­recht.

    Am Bei­spiel von Hol­lan­de er­zählt Slo­ter­di­jk, wie der lin­ke Traum der Staats­sa­nie­rung qua Höchst­steur­satz an ei­ne prak­ti­sche Gren­ze stößt, denn Hol­lan­des Plä­ne, ein­fach die Spit­zen­steu­er­sät­ze auf 85% hoch­zu­schrau­ben und so die fran­zö­si­schen Haus­halts­de­fi­zi­te zu ku­rie­ren, ist per­fekt ge­schei­tert*** – und Slo­ter­di­jk kann sa­gen, dass er das in ei­ner öf­fent­li­chen De­bat­te m i t Hol­lan­de kor­rekt vor­her­ge­sagt hat! – »Ahh ned schleschd!« (Der Dat­te­rich)

    *** Das tat­säch­lich ein­ge­ho­be­ne Steu­er­auf­kom­men war nach der glo­rio­sen Hol­land­schen Re­form ge­rin­ger als zu­vor – - – das Geld hat ein­fach Fü­sse be­kom­men... – nicht zu­letzt üb­ri­gens das Geld vie­ler lin­ker rei­cher Ge­nos­sen... – aber das nur ne­ben­bei...

    Die gan­ze An­ge­le­gen­heit war je­den­falls ei­ne To­tal­plei­te. Die Rei­chen sind un­ter so­zi­al­staat­li­chen Be­din­gun­gen näm­lich nicht die Fein­de der ar­bei­ten­den Be­völ­ke­rung, son­dern, ganz wie Schmidt, Schil­ler, Er­hard und Schrö­der das ge­sagt ha­ben: Part­ner!

    Man muss fair mit­ein­an­der um­ge­hen, sonst zer­stört man den So­zi­al­staat von oben; auch da hat Slo­ter­di­jk recht, und sei­ne ge­fühls­lin­ken Kri­ti­ker von »Freund Ass­heu­er« (Slo­ter­di­jk) an­ge­fan­gen bis hin zu Ha­ber­mas, dem Eli­ten-For­scher Hart­mann und Heit­mey­er und so wei­ter ha­ben al­le­samt voll­kom­men un­recht.

    Howgh!

  3. @Dieter Kief
    Ei­ne Lo­gik des (die­ses) So­zi­al­staats über­sieht Slo­ter­di­jk: Die So­zi­al­lei­stun­gen tra­gen zur Be­frie­dung bei. Und in ge­wis­sem Ma­ße auch zur De­kri­mi­na­li­sie­rung. Er ahnt es, wenn er von den An­äs­the­si­sten der Un­ter­schicht spricht. Wür­de man die Lei­stun­gen her­un­ter­set­zen, wä­re dies im­mer noch nicht das »ge­wünsch­te« Si­gnal.

    In­ter­es­sant an den Äu­ße­run­gen zu Hol­lan­de ist die sich zei­gen­de Kon­zep­ti­ons­lo­sig­keit der fran­zö­si­schen Lin­ken, ih­re Un­fä­hig­keit au­ßer mit »Rei­chen­steu­er« oder ähn­li­chen fis­ka­li­schen Maß­nah­men das Land zu re­for­mie­ren. Hier ist Slo­ter­di­jks Blick hilf­reich, wenn auch nicht neu.

    Wenn man den Rei­chen ih­re mit Hil­fe der Po­li­tik aus­ge­beu­te­ten Reich­tü­mer nicht neh­men will, muss man – da ist PS kon­se­quent – das Mä­ze­na­ten­tum in den Mit­tel­punkt so­zi­al­staat­li­chen Den­kens rücken. Aber die No­ti­zen zei­gen, dass er da­mit auch nicht so ganz zu­frie­den ist.

  4. @ Gre­gor Keu­sch­nig
    Dass Slo­ter­di­jk die Lo­gik des So­zi­als­ta­tes nicht ver­steht, kann ich nicht fin­den – ha­ben Sie mal in Zorn und Zeit hin­ein­ge­ge­uckt? Da steht u. a. das, was Sie hier ge­gen Slo­ter­di­jk an Ar­gu­men­ten auf­füh­ren (und vie­les mehr) be­reits ge­nau aus­ge­ührt.

    Slo­ter­di­jks Hol­lan­de-Kri­tik konn­te und woll­te nicht neu sein, weil die­se De­bat­te um ge­rech­te Steu­er­sät­ze schon seit Jahr­hun­der­ten ge­führt wird. Aber ich wüss­te je­den­falls nicht ei­nen (nicht ei­nen!) an­de­ren Deut­schen In­tel­lek­tu­el­len, der Hol­lan­de right away – noch vor der Wahl! – des­sen Schei­tern kor­rekt pro­phe­zeit hät­te. Das zeugt von er­heb­li­cher Gei­stes­ge­gen­wart – und das ist ab­so­lut rüh­mens­wert, wie ich fin­de.

    Ihr letz­ter Ab­schnitt ist »evend­öll« ein we­nig ir­re­füh­rend: Das Bei­spiel Hol­lan­des lehrt nicht, dass da ei­ner den Rei­chen ih­ren Reich­tum nicht neh­men woll­te – das ge­ra­de nicht! Hol­lan­de woll­te ja un­be­dingt! – Das Bei­spiel lehrt, dass das nicht ging!

    Dann ma­chen Sie noch ein wirk­lich gro­ßes The­ma auf, wenn Sie fra­gen, was denn sonst zu tun sei? Es Stimmt, Slo­ter­di­jk sagt, man soll mehr auf Mä­ze­na­ten­tum set­zen. Aber er schei­tert auch sehr drol­lig ge­ra­de auf die­sem Feld in Z u T II – weil der sehr rei­che Dro­ge­riemrkt dm-Be­sit­zer Wer­ner ihm erst fünf Jah­re lang den Mund wäss­rig macht, und ihn scheints auch ziem­lich oft an­tan­zen und an Be­spre­chun­gen und Pla­nun­gen teil­neh­men lässt, die sei­ne Un­ter­lin­ge mit Slo­ter­di­jk ab­hal­ten, he­he, aber dann – aber dann – - – kommt die kal­te Du­sche, und aus dem mit­tels des mit Dro­ge­rie-Geld zu eta­blie­ren­den Psy­cho­lo­po­li­ti­schen For­schungs­in­sti­tuts in Karls­ru­he wird haar­ge­nau: Nichts... Pe­ter S. im wie­der­hol­ten gro­ßen-Geld-Pech, weil ja auch (Hand­ke-) Mil­li­ar­därs-Mä­zen Bur­da längst nicht mehr in Slo­ter­di­jks Sinn tickt.

    Die Her­ren, ver­mu­te ich, hal­ten dann doch lie­ber zum Mer­kel­schen Main­stream, der für sie viel we­ni­ger an­stren­gend – und letzt­lich auch viel loh­nen­der als die­ser un­be­re­chen­ba­re Karls­ru­her Kust­hoch­schul­di­rek­tor und phi­lo­so­phi­sche Schrift­stel­ler ist.

    Die klas­si­sche so­zi­al­de­mo­kra­ti­sche Ant­wort auf die Frage,was ne­ben Steu­er­sät­zen zu lei­sten sei, lau­tet: Die Wachs­tums­ge­win­ne (!) fair tei­len und die Här­ten fair ab­fe­dern. Der er­ste Teil der Rech­nung ist seit Schrö­der so ca. aus der öf­fent­li­chen Dis­kus­si­on ver­schwun­den.
    Sie­fer­le und Sarr­zin (auch Sinn, ei­gent­lich) bie­ten da­für ei­ne Er­klä­rung, die in mei­nen Au­gen er­heb­lich ist, aber of­fen­bar zu kom­plex, um Fahrt auf­zu­neh­men: Dass näm­lich die Glo­ba­li­sie­rungs­ge­win­ne die re­gio­nal (=na­tio­nal) de­sta­bi­li­sie­ren­den Ef­fek­te, die mit ih­nen ein­her­ge­hen, im an­lo­phon be­stimm­ten We­sten nicht mehr auf­wie­gen.

    Die in­ter­na­tio­na­le Kon­kur­renz ist (er­heb­lich) här­ter ge­wor­den (=Ge­win­ne schwe­rer zu er­zie­len), und die re­gio­na­len (=na­tio­na­len) Fol­ge­ko­sten der of­fe­nen Gren­zen stei­gen gleich­zei­tig täg­lich an (auch dies­jahr wird es wie­der rund 200 000 glatt un­ter­durch­schnitt­lich lei­sten­de Zu­zü­ger ge­ben (und j e d e r nicht ü b e r d u r c h s c h n i t t l i c h (!!) lei­stungs­fä­hi­ge Zu­zü­ger ver­schlech­tert die so­zi­al­staat­li­che Bi­lanz (cf. Bernd Raffelhüschen/ Hans Wer­ner Sinn).

  5. Na­ja, Sie­fer­le und den Sar­ra­zin als se­riö­se Öko­no­men hin­zu­stel­len – das hat schon ei­ne ge­wis­se Chuz­pe. Ich tu’ mir nicht den Tort an, das zu dis­ku­tie­ren.

    Ich ha­be ver­sucht zu er­klä­ren, war­um der deut­sche So­zi­al­staat so ist wie er ist: Er ist ein Be­frie­dungs­in­stru­ment (An­äs­the­si­sten über­all). Slo­ter­di­jk sieht das ei­gent­lich auch so, ob­wohl er na­tür­lich un­zu­frie­den ist, dass oh­ne sei­ne Ge­neh­mi­gung das Fi­nanz­amt ein­fach die Ein­kom­men­steu­er ab­zieht wäh­rend dies bei Kon­zer­nen (und Steu­er­schlupf­loch-Mil­lio­nä­ren) nicht der Fall ist. Die Lö­sung hat er eben nicht, son­dern sto­chert ein we­nig im Ne­bel her­um – zu­ge­ge­ben mit hüb­schen Vol­ten und Par­al­le­len.

    Slo­ter­di­jk war üb­ri­gens im Som­mer 2015 so rich­tig »Mer­kel-Main­stream«. Sei­ne Elo­ge zum 10jährigen ThronAmts­jub­liäum von Mer­kel im Han­dels­blatt war nicht zum aus­hal­ten. Kurz da­nach kam dann der Herbst – und al­les wur­de an­ders.

  6. Sar­ra­zin kein Öko­nom? En­zen­ber­ger über »Deutsch­land braucht den Eu­ro nicht« – es sei er­freu­lich, dass sich hier je­mand äu­sse­re, der von der Sa­che et­was ver­ste­he.

    Im Üb­ri­gen ist ja der Re­fe­renz­rah­men egal – denn Sinn sagt cum gra­no sa­lis haar­ge­nau das­sel­be: Die Luft wird dün­ner, die In­ter­na­tio­na­li­sie­rungs­ge­win­ne fal­len (cf. die asia­ti­sche Kon­kur­renz) und die Ge­mein­ko­sten der In­ter­na­tio­na­li­sie­rung (=der of­fe­nen Gren­zen, aber auch des Eu­ro, dar­über lässt sich Sinn voll­kom­men un­miss­ver­ständ­lich aus) stei­gen be­denk­lich an. Na – und so­wohl Sinn als auch Raf­fel­hü­schen sa­gen, dass der So­zi­al­staat un­ter dem un­re­gu­lier­ten Zu­zug er­heb­lich lei­det. Der aber ist öko­no­misch umo aus­schlag­ge­ben­der, je we­ni­ger ei­ner auf dem Kon­to hat. Der Na­tio­nal­staat ver­bürgt die (hier­zu­lan­de sehr wert­vol­le) so­zia­le und auch fi­nan­zi­el­le Haupt­res­sour­ce des klei­nen Man­nes, so­zu­sa­gen. Das haar­ge­nau sind die ein­sich­ten, die die SPD ver­wei­gert, und die sie ih­re Be­deu­tung ko­sten – es geht ihr da haar­ge­nau wie dem Spie­gel, üb­ri­gens.

    - Und die­se ba­sa­len und exi­sten­ti­ell hoch­wirk­sa­men Zu­sam­men­hän­ge hat Sie­fer­le na­tür­lich nicht ent­deckt, aber er hat sie (wie die oben ge­nann­ten, und wie auch ex­plzit Mi­cha­el Klo­nov­sky) durch­aus ver­stan­den – und in­tel­lek­tu­ell be­ackert – s. ins­be­on­de­re sei­nen wirk­lich fun­keln­den Es­say Das Mi­gra­ti­ons­pro­blem.

    (Zu Klo­novsk pflegt Slo­ter­di­jk of­fen­bar ein in­tel­lek­tu­el­les Aus­tausch­ver­hält­nis, das er aber in Zei­len und Ta­ge II nicht ex­pli­zit ge­macht hat. Ich wür­de Slo­ter­di­jk und sei­nen Freund Rü­di­ger Sa­fran­ski je­den­falls zum ein­sichts­rei­chen und lei­der nicht ge­ra­de rie­sen­gro­ßen Club de­rer rech­nen, die in Sa­chen Zeit­dia­gno­stik mo­men­tan zäh­len. – Sie­he oben mei­nen er­sten Post, den An­fang, das Slo­ter­di­jk-Zi­tat über den Na­tio­nal­staat).

  7. Ge­ra­de Sar­ra­zins Eu­ro-Buch zeigt, dass er fast nur sei­ne Ideo­lo­gie durch­ge­hen lässt. Ich hat­te das sei­ner­zeit hier be­spro­chen – der Re­fe­renz­rah­men des Bu­ches be­steht sehr stark aus (von ihm na­tür­lich aus­ge­such­ten) FAZ‑, FT- und Han­dels­blatt-Zi­ta­ten gar­niert mit Ver­schwö­rungs­theo­rien, et­wa Frank­reich und die an­de­ren woll­ten Deutsch­lands Wirt­schafts­kraft schwä­chen. Tat­säch­lich galt es »nur« ge­gen die star­ke bzw. über­mä­ssig stark emp­fun­de­ne D‑Mark vor­zu­ge­hen. Hier­für dann der Kuh­han­del Ein­heit vs. Eu­ro. Je­des Kind muss­te bei der Im­ple­men­tie­rung wis­sen, dass Län­der wie Grie­chen­land oder Ita­li­en die Kri­te­ri­en ent­we­der er­gau­nert er­reicht hat­ten oder sich ein­fach nur schön­rech­ne­ten. Aber der Eu­ro war im­mer und aus­schließ­lich ein po­li­ti­sches, nie ein öko­no­mi­sches Pro­jekt. (Sar­ra­zins per­ma­nen­te Ent­rü­stung das »No-Bail-Out«-Prinzip ver­las­sen zu ha­ben ist in et­wa so na­iv wie ein Kind, das wei­nend zur Ma­ma kommt weil es kei­nen Weih­nachts­mann gibt.)

    Die Lin­ke ent­deckt in den So­zi­al­sy­ste­men ein gi­gan­ti­sches Kon­junk­tur­pro­gramm. Die Ko­sten wer­den her­un­ter­ge­rech­net, weil man da­von aus­geht, dass die So­zi­al­lei­stun­gen wie­der in Gü­ter um­ge­setzt wer­den (was ja auch stimmt). So­mit wä­re der er­ste Schritt zu ei­nem fast be­din­gungs­lo­sen Grund­ein­kom­men er­reicht. Das Pro­blem ist, dass die Lang­zeit-Ali­men­tie­rung kei­ner­lei An­rei­ze bie­tet, sie zu ver­las­sen. Das ist wo­mög­lich mehr ein Pro­blem der »deut­schen« Be­völ­ke­rung als der mi­gran­ti­schen Zu­wan­de­rung.

    Das Pro­blem der SPD ist tat­säch­lich, dass sie ei­nem Uni­ver­sa­lis­mus das Wort re­det, der mit den In­ter­es­sen ih­rer (ein­sti­gen) Kern­wäh­ler­schaft nichts zu tun hat. Ob es nun ei­ne Fa­mi­li­en­zu­wan­de­rung von 1000 oder 10000 Per­so­nen im Mo­nat gibt, tan­giert die Leu­te nur da­hin­ge­hend wie es Kon­kur­renz um die Res­sour­cen durch die­se Zu­wan­de­rung gibt. Ga­bri­el hat­te das ein­mal sehr gut auf den Punkt ge­bracht, als er mo­nier­te, dass So­zi­al­woh­nun­gen nicht aber Flücht­lings­un­ter­künf­te sehr wohl ge­baut wür­den. Das fiel ihm na­tür­lich so­fort auf die Fü­ße.

    Die Pro­ble­me sind an­de­re: Mit der fort­schrei­ten­den Di­gi­ta­li­sie­rung wird sich der Ar­beits­markt in den näch­sten Jahr­zehn­ten ra­di­kal ver­än­dern. Das Stich­wort ist »In­du­strie 4.0«. Der­zeit wird dies weit­ge­hend igno­riert, ob­wohl Nah­les in ih­rer Ei­gen­schaft als Ar­beits­mi­ni­ste­rin vor ei­ni­gen Jah­ren be­reits ein Ge­gen­pro­gramm (»Ar­beit 4.0«) for­mu­liert hat­te. War­um dar­aus nichts ge­wor­den ist, weiß ich nicht. Denn dies wä­re ex­akt das, was die Mit­tel­schicht tan­giert: Die Angst vor dem so­zia­len und öko­no­mi­schen Ab­stieg.

  8. Star­ker To­bak, Herr Keu­sch­nig – der Sar­ra­zin von »Deutsch­land braucht den Eu­ro nicht« sei ein Ver­schwö­rungs­t­ho­re­ti­ker!

    Und Hans-Wer­ner Sinn, der cum gra­no sa­lis (aber wirk­lich al­len­falls um ein Win­zi­ges Körn­lein ver­schie­den!) in Sa­chen Eu­ro ge­nau wie Sar­ra­zin ar­gu­men­tiert? Sa­gen Sie bit­te nicht, dass Sie den auch für ei­nen Ver­schwö­rungs­theo­re­ti­ker hal­ten.

    Das Kon­junk­tur­pro­gramm durch Zu­zug ist re­al, da stim­me ich Ih­nen zu, und auch die CDU und die CSU und der schlaue Herr Ku­bicki schät­zen das sehr. Frei­lich ent­steht der Reich­tum der Na­tio­nen heu­te nicht mehr im Bin­nen­ge­schäft, son­dern im in­ter­na­tio­na­len Wirt­schaf­ten. D. h. un­term Strich ist die durch Mi­gra­ti­on an­ge­fach­te Bin­nen­kon­junk­tur lei­der ein Stroh­feu­er – das über­dies wei­te­re Schul­den und/ oder De­fi­zi­te zei­tigt (s. Kran­ken­kas­sen, Ärz­te­ver­sor­gung, Ge­fäng­nis­plät­ze...).

    Dass sich Tei­le der mi­gran­ti­schen Un­ter­schicht wirt­schaft­lich bes­ser schlü­gen als die Hie­si­gen in der Un­ter­schicht lässt sich nach mei­ner Kennt­nis nicht für Schwarz­afri­ka­ner und nicht für Mus­li­me be­le­gen – : – für an­de­re durch­aus – : ‑sie­he Sar­ra­zins ex­zel­len­tes sta­ti­sti­sche Ma­te­ri­al zu die­sem Kom­plex in gleich drei­en sei­ner Bü­cher, auch im Is­lam-Buch.

    Die Idee, dass die Mit­tel­schicht vor der Di­gi­ta­li­sie­rung Angst ha­be oder we­nig­stens Angst ha­ben soll­te, ist, Sie ma­chen das dan­kens­wer­ter Wei­se ex­pli­zit, ei­ne Aus­sa­ge, die die Zu­kunft be­trifft; was aber die Zu­kunft an­geht, nei­ge ich zu er­heb­li­cher Skep­sis und be­vor­zu­ge die Zu­rück­hal­tung, wie ich sa­gen muss.

    (Wenn Sie mich so­zu­sa­gen ganz per­sön­lich fra­gen wür­den, wür­de ich sa­gen, dass die­se Zu­kunfts­äng­ste wg. Di­gi­ta­li­sie­rung die Leu­te (je­den­falls in mei­nem Um­feld) nicht so stark um­trei­ben, wenn über­haupt. Et­li­che le­ben ganz gut da­von – die SAP z. B. ist um mein Hei­mat­dorf her­um ent­stan­den, und der geht es nach wie vor ganz gut. Viel bes­ser üb­ri­gens als dem di­rekt ne­ben der SAP ge­le­ge­nen Welt­markt­füh­rer, al­so der Hei­del­ber­ger Druck­ma­schi­nen AG in Wall­dorf – die kämp­fen um An­tei­le in ei­nem schrump­fen­den Markt...an uphill batt­le...).

  9. Die Zu­kunfts­äng­ste zei­gen sich na­tür­lich nicht bei SAP oder den Pro­duk­ti­ons­be­trie­ben. (Noch nicht.) »In­du­strie 4.0« will in gro­ßem Stil die Dienst­lei­ster be­tref­fen. Über­trie­ben ge­sagt sind die kauf­män­ni­schen Be­ru­fe der Berg­mann des 21. Jahr­hun­derts. Die En­thu­sia­sten se­hen mehr neue Jobs ent­ste­hen als al­te Jobs zu­rück­ge­hen. Tat­sa­che ist aber, dass über­all ver­sucht wird, Per­so­nal­ko­sten her­un­ter­zu­brin­gen.

    Die Zu­wan­de­rung er­folgt ja zu­meist von Per­so­nen mit eher ge­rin­gen Qua­li­fi­ka­tio­nen. Ge­nau die­se Jobs wer­den aber im­mer we­ni­ger nach­ge­fragt. Als ich in den 1970ern ins Be­rufs­le­ben ein­stieg war selbst für ei­nen Men­schen mit sehr ge­rin­gem In­tel­lekt ir­gend­wo ein Platz, an dem er aus­kömm­lich und sei­nen Fä­hig­kei­ten ge­mäss ar­bei­ten konn­te. Heu­te braucht man für die mei­sten et­was an­spruchs­vol­le­ren Tä­tig­kei­ten min­de­stens Ab­itur (s. hier). Und dies sind zu­meist Be­ru­fe, die auf dem ab­stei­gen­den Ast sein wer­den. (Der Buch­händ­ler wird in we­ni­gen Jah­ren im Mu­se­um zu be­wun­dern sein.)

    Ein Ver­schwö­rungs­red­ner ist Sar­ra­zin dort, wo er ste­tig An­grif­fe an­de­rer Eu­ro­pä­er auf Deutsch­land bzw. die deut­sche In­du­strie wit­tert. Tat­sa­che ist, dass die Teil­nah­me Ita­li­ens am Eu­ro so­zu­sa­gen al­ter­na­tiv­los war (Ita­li­en war Grün­dungs­mit­glied der EWG). Bei Grie­chen­land ha­ben al­le ver­sagt – es be­trifft noch die Kohl-Re­gie­rung. Wai­gel hat dies­be­züg­li­che Aus­sa­gen ge­macht in der er sich sel­ber über­rum­pelt sah. Der Glau­ben, dass im Fal­le ei­ner Schief­la­ge ei­nes an­de­ren Staa­tes die an­de­ren zu­se­hen wer­den, wie al­les zu­sam­men­bricht, war na­iv. Die »No-Bail-Out«-Klausel stand auf dem Pa­pier. Und al­les was dort steht, kann ge­än­dert bzw. igno­riert wer­den. So ist es denn auch ge­sche­hen. Wer sich dar­über wun­dert, ist ent­we­der ein An­fän­ger oder ein Dumm­kopf.

    Viel in­ter­es­san­ter ist die Fra­ge, wie sich Si­tua­tio­nen wei­ter ent­wickeln. Wann fällt uns Draghis Staats­an­lei­hen­höl­len­ritt vor die Fü­ße? Wann fällt Ita­li­en? Oder erst Frank­reich? Die hoch­flie­gen­den Träu­me von ei­nem eu­ro­päi­schen Bun­des­staat wer­den spä­te­stens dann pul­ve­ri­siert. Die Feh­ler­ana­ly­se könn­te jetzt schon be­gin­nen.

    (PS: Ich hab das jetzt mal teil­wei­se kor­ri­giert @Dieter Kief. Aber bit­te in Zu­kunft et­was mehr Sorg­falt auf die Recht­schrei­bung ins­be­son­de­re von Na­men. Das sieht nicht schön aus.)

  10. Oh – ich freue mich im­mer über Kor­rek­tu­ren, dan­ke. Ein biss­chen ent­springt mei­ne dies­be­züg­li­che Fehl­bar­keit je­doch ei­ner Ab­nor­ma­li­tät mei­ner Au­gen, ichab des­we­gen ei­nen üben­a­tür­lich gro­ßen blin­den Fleck und seh’ klei­nes Zeug (=Buch­sta­ben) nicht so rich­tig, bit­te al­so um Nach­sicht.

    Mei­ne Fra­ge we­gen Sinn ha­ben Sie lei­der nicht be­ant­wor­tet.

    Sinn sagt das­sel­be wie Sar­ra­zin, nur »wa­ra eb­bes hin­de­drei«, wie die Schwa­ben sa­gen – er hat ein zwei Jähr­chen län­ger ge­braucht zu se­hen, dass die Eu­ro-Re­gu­la­ri­en dem kor­rum­pie­ren­den An­sturm et­wel­cher ver­schul­de­ter Län­der nicht wür­den stand­hal­ten kön­nen. Zwei An­fän­ger und Dumm­köp­fe na­mens Sar­ra­zin und Sinn al­so – und ein star­ker Mann, Gre­gor Keu­sch­nig?
    Ob Sie’s auch »’ne Num­mer klei­ner« (Ger­hard Schrö­der) hät­ten?
    Dan­ke.

    Slo­ter­di­jk macht üb­ri­gens et­was sehr Rich­ti­ges in die­ser La­ge: Er nennt ein­fach ein paar Zah­len – et­wa die Ver­schul­dungs­quo­ten, und ihm tu ich’s nun nach mit Ita­li­en. Die links-rechts Re­gie­rung dort­selbst hat sich auf die Fah­ne ge­schrie­ben, »die Ar­mut ab­zu­schaf­fen«, und sich da­her ent­schlos­sen, in Brüs­sel ei­nen Haus­halt ein­zu­rei­chen, des­sen Schul­den­quo­te um sat­te drei­hun­dert Pro­zent über den Maas­tricht-Kri­te­ri­en liegt. Nach­ver­hand­lun­gen wur­den vom Strong man Matteo Sla­vi­ni ab­ge­lehnt. Das ist span­nend, muss ich sa­gen. Die­se Wo­che sind im­mer­hin ein paar nord­eu­ro­päi­sche Län­der hell­hö­rig und laut ge­wor­den. Ich war­te schon lan­ge auf den Pro­test aus der Slo­wa­kei zum Bei­spiel, aber auch aus Ir­land oder dem Bal­ti­kum oder auch Au­stria.

    Pro­gno­sen sind schwie­rig, Gre­gor Keu­sch­nig, den­ken Sie nur mal dar­an, wie lan­ge schon ora­kelt wird, die Ar­beit wer­de über­flüs­sig. Und was Sie über Kauf­leu­te sa­gen ist ge­nau­so ei­ne Pro­gno­se wie das, was Sie über Buch­händ­le­rin­nen sa­gen. Aber die Be­schäf­ti­gen bei den Hei­del­ber­ger Druck­ma­schi­nen ha­ben na­tür­lich Sor­gen, zum Teil auch Äng­ste, wäh­rend die IT­ler, die ich ken­ne al­le­samt – egal wo sie ar­bei­ten – hoff­nungs­froh in die Zu­kunft se­hen.

    In­ter­es­sant: In den USA (auch in Groß­bri­tan­ni­en) sind die Buch­händ­ler so­was von ver­schun­den, aber in der Schweiz nicht. Je­de Schwei­ze­ri­sche Klein­stadt be­reits hat ih­re or­dent­li­che, manch­mal so­gar her­vor­ra­gen­de Buch­hand­lung. Das war so, ist so und bleibt so – zu­min­dest die näch­sten zehn Jah­re, wür­de ich mei­nen. Ich war am letz­ten Wo­chen­en­de bei der schwei­ze­ri­schen Mi­ni­pres­sen­mes­se in Frau­ne­feld – vol­les haus, drei Ta­ge lang, un dk­ei­ne schelch­ten Um­sät­ze. Aba juuut – dit is de Schweiz, wa?!

    War­um der or­ga­ni­sier­te Deut­sche Buch­han­del kei­ne On­line-Paltt­form macht um ama­zon ent­ge­gen­zu­tre­ten, ist mir nicht klar. Wahr­schein­lich ei­ne Mi­schung aus Träg­heit und Fa­ta­li­tät. Je­den­falls stellt ama­zon ei­ne Form von in­tel­lek­tu­el­ler Öf­fent­lich­keit dar, die schon im­po­nie­rend ist, wie ich fin­de. Ich gucke sehr oft Din­ge da nach – auch in den Re­zen­sio­nen. Auch zu an­spruchs­vol­len Bü­chern, ge­ra­de zu de­nen, üb­ri­gens.

    PS

    Sie wis­sen be­stimmt, dass so­wohl Jean Paul als auch Goe­the ziem­lich gleich­gül­tig ge­gen­über Druck­feh­lern wa­ren. – Was Sie viel­leicht nur ah­nen ist, dass ich bei­de ziem­lich mag. – Heu­te wie­der ein­mal ein Goe­the-En­thu­si­as­mus ziem­li­chen Aus­ma­ßes
    – we­gen ei­ner sei­ner Ma­xi­men.

    Goe­the zieht sich üb­ri­gens auch durch Zei­len und Ta­ge II bis zm Schluss, wo dann aber doch noch Sa­fran­ski für sei­ne Goe­the-Be­gei­ste­rung ein­ge­bremst wird von sei­nem Karls­ru­her Freund, er sei dem Ge­hei­men und wirk­li­chen Rath zu Wei­mar in sei­nem Goe­the-Buch in nun schon all­zu­gro­ßem En­thu­si­as­mus er­le­gen. – - – - Neb­bich!

  11. Sinn steht hier nicht zur Dis­kus­si­on, son­dern Slo­ter­di­jk. Und der hat we­der mit Sar­ra­zin noch mit Sinn viel im Sinn (na­ja). Sein Steu­er- und Fi­nanz­dis­kurs ist so­zu­sa­gen phi­lo­so­phie­rend. Zwi­schen­durch em­pö­ren ihn eben nur die 30.000 Eu­ro Pro­kopf-Ver­schul­dung der Grie­chen. (Wo­für im üb­ri­gen die Grie­chen sel­ber am we­nig­stens konn­ten).

    Das En­de der Ar­beit ist ja durch­aus in ei­ni­gen Be­rei­chen ein­ge­tre­ten. Die gol­de­ne Lö­sung seit den 1980er und ver­stärkt 1990er Jah­ren wa­ren dann die Dienst­lei­stun­gen. Zwi­schen­zeit­lich hat­te man das Ge­fühl, dass je­der je­dem die Haa­re schnei­det und dann die Volks­wirt­schaft ganz pri­ma funk­tio­niert. In­zwi­schen wird es eng. Vie­le Dienst­lei­stungs­be­ru­fe sind pre­kä­re Be­schäf­ti­gun­gen. An­de­re wer­den ir­gend­wann er­setzt. Es kom­men si­cher­lich an­de­re Jobs da­zu, aber wel­che bit­te?

    Das IT­ler die Welt in ro­sa­ro­ter Bril­le se­hen, ist ver­ständ­lich. Und na­tür­lich wird es noch Buch­händ­le­rIn­nen in 20 Jah­ren ge­ben, et­wa so wie es heu­te Tan­te-Em­ma-Lä­den gibt. Ha­ben Sie sich schon mal die Mü­he ge­macht fest­zu­stel­len, wel­che Dienst­lei­stun­gen man vor 30 Jah­ren noch nicht er­brin­gen muss­te (vom Obst­ab­wie­gen im Su­per­markt an­ge­fan­gen bis zur Boar­ding-Kar­te). Nun, wir wer­den se­hen. (Die Schweiz ist in der Tat ein Son­der­fall. Sie lei­stet sich ei­ne Land­wirt­schaft, die los­ge­löst ist von al­len öko­no­mi­schen »Lo­gi­ken«. Sie le­be da­mit lan­ge!)

    Noch ein Wort zu Ita­li­en: Wür­de ei­ne an­de­re, stark links­do­mi­nier­te Re­gie­rung in ei­nem EU-Land ei­nen ähn­li­chen Haus­halt wie die rechts do­mi­nier­ten Ita­lie­ner vor­le­gen, wür­den sie von ih­ren Ge­nos­sen be­ju­belt wer­den. Die ital. Re­gie­rung weiss ge­nau, das ihr nichts ge­sche­hen wird. Brüs­sel ist längst kein »sanf­tes Mon­ster« (En­zens­ber­ger) mehr, son­dern ei­ne nur noch ei­ne vor sich hin­ro­sten­de Rui­ne.

  12. Sinn sagt in Sa­chen Eu­ro haar­ge­nau das glei­che wie Slo­ter­di­jk (!) und Sar­ra­zin: Dass näm­lich die ewi­ge Geld­men­gen­aus­wei­tung, Kre­dit­schaf­fung (»Tar­get-Sal­den«), Ver­trags­brü­chig­keit nicht sehr nach­hal­tig sind. Dass auch Sinn das mitt­ler­wei­le sagt, wiegt na­tür­lich schwer, weil der so ein ho­hes An­se­hen un­ter den Fach­kol­le­gIn­nen hat. Sinn ist auch noch so sport­lich, ein­zu­räu­men, dass er ein paar Jah­re ge­braucht hat, die Eu­ro-Schief­la­ge rich­tig zu ver­ste­hen. Aber er ist ein fe­ster Cha­rak­ter: Wenn er et­was ein­mal ein­ge­se­hen hat, hält er dar­an fest und re­det un schreibt dar­über (üb­ri­gens wirk­lich gut – s. sei­ne Bü­cher und Auf­sät­ze, aber auch sei­ne Vor­trä­ge und sei­ne tol­le Netzt­sei­te, wo siehc vie­les da­von gra­tis auf­fin­den lässt!).

    Ne­ben­bei: Pe­ter Schnei­der hat den Eu­ro er­heb­lich fehl­ge­deu­tet an­fangs, aber er hat im­mer­hin ei­nen Ver­such (= Es­say) im At­lan­tic ge­macht. Dann hat er lei­der das In­ter­es­se ver­lo­ren – so sind sie, un­se­re In­tel­lek­tu­el­len, manch­mal... aber das nur ne­ben­bei. Slo­ter­di­jk ist da aus an­de­rem Hol­ze. Sehr er­freu­lich!

    Was Sie über die ita­lie­ni­sche Re­gie­rung sa­gen ist nicht ganz rich­tig, es han­delt sich näm­lich nicht um ei­ne rech­te Re­gie­rung, son­dern zur voll­kom­me­nen Ver­blüf­fung der deut­schen Lin­ken um ei­ne links-rechts-Ko­ali­ti­on un­ter lin­ker Füh­rung, üb­ri­gens! Au­ßer­dem bin ich nicht ein­ver­stan­den mit Ih­rer Ein­schät­zung, die Idee der Ita­lie­ner, ih­re Ar­mut per Kre­dit auf Ko­sten der Nach­barn ab­zu­schaf­fen, sie ir­gend­wie links.

    Ich tue mal so, als ob das links-rechts Sche­ma (Mi­cha­el Rutsch­ky – er ru­he in Frie­den!) noch in­takt wä­re: Dann wür­de z. B. Ei­chel oder Schil­ler oder wer na­tür­lich ge­sagt ha­ben: Man schafft Ar­mut nicht auf Kre­dit ab, weil das die Ge­samt­wirt­schaft be­la­stet und auf mitt­le­re Sicht be­reits er­heb­lich an Pro­duk­ti­vi­tät ko­stet, von der aber un­term Strich al­le le­ben.

    Ver­teilt wer­den als Zu­wäch­se der stat­li­chen So­zi­al­lei­stun­gen sol­len da­her im­mer und zu­vör­derst die rea­len Zu­wäch­se. Das war für Schmid und auch Schrö­der noch Ge­setz! Der Rhei­ni­sche Ka­pi­ta­lis­mus hat ei­ne Re­pa­ra­tur-Sei­te und ei­ne Pro­duk­ti­vi­täts­sei­te, und die Fi­nanz­po­li­tik soll die­se bei­den Sei­ten aus­ba­lan­cie­ren. Das ist ge­ra­de der Witz am Rhei­ni­schen Ka­pi­ta­lis­mus! – Auch am Dä­ni­schen oder Schwe­di­schen, no­ta be­ne – auch am Nie­der­län­di­schen...

    Na­ja, die Öster­rei­chi­sche und die Schwei­ze­ri­sche Land­wirt­schaft sind wie die Deut­sche kom­plett durch­sub­ven­tio­niert. Das ist erst mal die Ge­mein­sam­keit, die Un­ter­schie­de lie­gen in den De­atails – und in den Tra­di­tio­nen – nicht zu­letzt den volks­de­mo­kra­ti­schen. Die Schwei­zer Bau­ern ha­ben seit al­ters ei­ne Stim­me und wer­den als Grup­pe ge­hört, und das schlägt sich in tau­sen­den (!) von Din­gen nie­der – re­gio­na­le Was­ser­wirt­schaft, Stra­ssen­bau, Wei­ter­ver­ar­bei­tung, sehr ho­her Markt­an­teil des ge­nos­sen­schaft­lich or­ga­ni­sier­ten Ver­kaufs der ein­hei­mi­schen Pro­duk­te (Mi­gos, CooP), lo­ka­le und re­gio­na­le Schu­len (bis in den hin­ter­sten Win­kel – bis heu­te!), öf­fent­li­cher Verkehr...Myriaden von Ein­zel­hei­ten – die Nä­he der Kir­chen zu den Bau­ern, dei för­de­rung der lo­ka­len und re­gio­na­len Kul­tur (mal ins Ap­pen­zel­ler Hei­mat­mu­se­um ge­hen – ein Traum!)... und der städ­ti­schen ge­bil­de­ten Schich­ten, die die hei­mi­schen Pro­duk­te be­für­wor­ten – - – und zu (aus deut­scher Sicht – - z. T. ge­ra­de­zu un­glaub­li­chen Prei­sen kau­fen...). Da gä­be es sehr viel zu ler­nen! Und dann dei Gren­zen – und die Zöl­le – bis heu­te.

    Das aber wird ja hier­zu­lan­de voll ver­pönt – wer für Gren­zen und mehr Volks­de­mo­kra­tie ein­tritt, muss neu­er­dings mit dem schar­fen Wi­der­stand von Her­bert Grö­ne­mey­er rech­nen (ob­wohl der frü­her da­für war, al­so für mehr di­rek­te De­mo­kra­tie...- – nur heu­te halt nicht mehr, de­fi­ni­tiv nicht!

    Doch da­für sind nun die vie­len Frem­den da. Und das, sagt der fi­de­le Her­bert heu­te in der FAZ – und auch da un­ter­schei­det er sich von Slo­te­di­jk, sei »ein Glücks­fall« für uns al­le! – Es hat das lei­der nur noch nicht je­der ge­merkt, sagt der Her­bert (dem­nächst wer­de er aber brit­scher Stats­bür­ger, sagt er noch da­zu – er hat halt ein gro­ße Herz, da pas­sen vie­le Län­der rein, ja so is­ser, un­ser Her­bert – ei­ne ehr­li­che Haut, letz­ten En­des, ne, aber wohl auch ein er­heb­li­cher Wirr­kopf.

    Mit Slo­ter­di­jk zu schlie­ßen: Auch der Gu­te Her­bert ist of­fen­bar der An­sicht, es ge­be »ei­ne na­tio­na­le Pflicht zur Selbst­schä­di­gung« – die Slo­ter­di­jk frei­lich rund­her­aus ab­lehnt. Folg­lich ist Slo­ter­di­jk jetzt ein Rech­ter – »ein­wand­frei« (Rolf Mil­ler)...

    Seufz.

  13. Ich ver­ste­he nicht, dass Sie Leu­te wie den Steu­er­flücht­ling Grö­ne­mey­er ernst­haft in den po­li­ti­schen Dis­kurs ein­füh­ren. Das ist Zeit­ver­schwen­dung.

    Ich bin nicht der Mei­nung das die rechts-links-Mu­ster ver­al­tet sind. Das stimmt nur teil­wei­se. Rich­tig ist, dass der Be­griff des Kon­ser­va­ti­ven ge­dehnt ist bis in die Grü­nen hin­ein de­ren Pro­gres­si­vi­tät als kon­ser­va­tiv im Sin­ne der Be­wah­rung der »Schöp­fung« wahr­ge­nom­men wird. Das hat viel von Ab­laß.

    Ein Punkt hat sich tat­säch­lich um 180 Grad ge­dreht – Sie er­wäh­nen ihn: Wer für mehr Be­tei­li­gung der Bür­ger bei po­li­ti­schen Ent­schei­dun­gen an­tritt gilt in­zwi­schen tat­säch­lich als rechts. Da­bei war dies ur­sprüng­lich ein Pri­mat der Lin­ken. Als sie je­doch fest­stell­ten, dass ih­re Po­si­tio­nen nur eher sel­ten mehr­heits­fä­hig sind, be­gan­nen sie, Par­ti­zi­pa­tio­nen zu dif­fa­mie­ren. Wir nied­rig de­ren de­mo­kra­ti­scher Sinn aus­ge­prägt ist sieht man wenn Ent­schei­dun­gen ge­gen ih­re Auf­fas­sung ge­trof­fen wer­den, wie bspw. der Brexit. Flugs for­dern sie ei­ne neue Ab­stim­mung. Die Lo­gik da­hin­ter ist nicht ein­zu­se­hen. Wür­de die­se dann ge­gen den Brexit fal­len, d. h. die vor­her ge­trof­fe­ne Ent­schei­dung kor­ri­giert wer­den, könn­te die un­ter­le­ge­ne Sei­te aber­mals ei­ne neue Ab­stim­mung for­dern, usw.

    (Zur Schweiz: Die stark über­teu­er­te Pro­duk­ti­on in der Land­wirt­schaft der Schweiz kann nur des­halb exi­stie­ren, weil man pro­tek­tio­ni­stisch agiert. Das ist in Öster­reich und Deutsch­land nicht mög­lich.)

  14. Hier wird von ei­nem Kom­men­ta­tor frei phan­ta­siert.

    »[...], in Brüs­sel ei­nen Haus­halt ein­zu­rei­chen, des­sen Schul­den­quo­te um sat­te drei­hun­dert Pro­zent über den Maas­tricht-Kri­te­ri­en liegt.«

    Das Maas­tricht-Kri­te­ri­um für die Schul­den­quo­te liegt bei 60% des BIP.
    Drei­hun­dert Pro­zent über die­sem Kri­te­ri­um sind 240% Schul­den­quo­te.
    Die ak­tu­el­le Schul­den­quo­te Ita­li­ens liegt bei 130% des BIP.

    Ge­meint sein dürf­te ver­mut­lich die De­fi­zit­quo­te (Staats­haus­halts­de­fi­zit), die für 2019 zu 2,4% des BIP be­rech­net ist. Das Maas­tricht-Kri­te­ri­um für die De­fi­zit­quo­te ist mit 3% des BIP de­fi­niert. Das ge­plan­te Haus­halts­de­fi­zit Ita­li­ens liegt un­zwei­fel­haft dar­un­ter.

    Die zi­tier­te Aus­sa­ge ist da­her, wie man es auch dreht und wen­det, un­halt­ba­rer Un­fug, dar­an aber schein­hei­lig mo­ra­li­sie­ren­des Ge­döns von we­gen »Ab­schaf­fung der Ar­mut auf Ko­sten der Nach­barn« sich an­knüpft.

    Staats­haus­halts­de­fi­zit bzw. ‑über­schuss bil­det ei­ne Strom­grö­ße in der volks­wirt­schaft­li­chen Ge­samt­rech­nung und nennt sich all­ge­mein Fi­nan­zie­rungs­sal­do, de­rer noch – ge­mein­hin aber un­ter­schla­ge­ne – vier wei­te­re exi­stie­ren (pri­va­te Haus­hal­te, nicht-fi­nan­zi­el­le Un­ter­neh­men, fi­nan­zi­el­le Un­ter­neh­men und Rest der Welt, vul­go Aus­land). In Sum­me be­rech­nen sich die­se Fi­nan­zie­rungs­sal­den zu Null. Dar­aus er­ge­ben sich zwin­gen­de Schluss­fol­ge­run­gen, de­nen sich all­zu vie­le Zeit­ge­nos­sen (ins­be­son­de­re Po­li­ti­ker) ver­wei­gern.

    Ita­li­en weist näm­lich für den Un­ter­neh­mens­sek­tor (nun ver­ein­fa­chend zu­sam­men­ge­fasst) seit 2012 jähr­lich ei­nen po­si­ti­ven und ten­den­zi­ell stei­gen­den Fi­nan­zie­rungs­sal­do auf, der über dem der pri­va­ten Haus­hal­te liegt. Die pri­va­ten Haus­hal­te ha­ben zwar eben­falls ei­nen po­si­ti­ven – seit 2014 aber sin­ken­den – Fi­nan­zie­rungs­sal­do. Dem ste­hen ge­gen­über Staat (oh­ne Zins­zah­lun­gen mit Aus­nah­me 2009 auch die­ser Sal­do im Plus) und Aus­land. So sieht die ge­ge­be­ne Glei­chung aus, mit Aus­nah­me Frank­reichs, wo der Un­ter­neh­mens­sek­tor noch ei­nen ne­ga­ti­ven Fi­nan­zie­rungs­sal­do bei­trägt, für sämt­li­che Eu­ro-Staa­ten.

    Wer vor die­sem Hin­ter­grund ei­nen aus­ge­gli­che­nen Staats­haus­halt for­dert, sagt da­mit gleich­zei­tig, dass sich al­lein das Aus­land zu ver­schul­den ha­be. Dies ins Be­wusst­sein ge­ho­ben, muss Ver­tre­tern des aus­ge­gli­che­nen Staats­haus­hal­tes in ei­nem sol­chen Sze­na­rio auch die Lö­sung des dar­aus ent­ste­hen­den Pro­blems mit Nach­druck ab­ge­for­dert wer­den: Viel zah­lungs­fä­hi­ges Aus­land ist schon jetzt nicht mehr üb­rig, was aber dann? Und au­ßer­dem: Wie le­gi­ti­mie­ren sie die »Pflicht zur Ver­schul­dung« des Aus­lands, da­von ein Teil Nach­barn?

    Im Rhei­ni­schen Ka­pi­ta­lis­mus ei­nes Karl Schil­ler war noch üb­lich und selbst­ver­ständ­lich, dass sich die Un­ter­neh­men zu In­ve­sti­ti­ons­zwecken ver­schul­de­ten. Wer heu­te in die­ser ma­kro­öko­no­misch höchst ex­plo­si­ven La­ge dem Rhei­ni­schen Ka­pi­ta­lis­mus das Wort re­det, muss al­ler­dings da­zu sa­gen, wie er die Un­ter­neh­men zu­rück in die volks­wirt­schaft­li­che Schuld­ner­po­si­ti­on brin­gen will. Auch wenn es ihm schwer­fällt.

    Die Op­ti­on, Sar­ra­zin als ernst­zu­neh­men­den Öko­no­men zu be­zeich­nen, ver­flüch­tigt sich spä­te­stens mit sei­ner Aus­sa­ge »Ent­we­der wir er­fül­len das No-Bail-Out-Prin­zip mit neu­em Le­ben, oder wir müs­sen grund­sätz­lich an­de­re Lö­sungs­we­ge be­schrei­ten, die auch den Aus­tritt aus der Wäh­rungs­uni­on nicht aus­schlie­ßen.« (aus­drück­li­cher Dank an Gre­gor Keu­sch­nig für sei­ne ge­wis­sen­haf­te Re­zen­si­ons­ar­beit). Der deut­sche Eu­ro ist der­zeit um rd. 20% un­ter­be­wer­tet. Dar­aus folgt zwin­gend, dass im Fal­le ei­nes Aus­tritts Deutsch­lands aus der EWU (aber auch im Fal­le der Auf­lö­sung der EWU) ei­ne ent­spre­chen­de Auf­wer­tung ei­ner neu­en »D‑Mark« bin­nen we­ni­ger Ta­ge statt­fin­det. We­gen der Wirt­schafts­struk­tur Deutsch­lands, der Ex­port­an­teil am BIP be­trägt knapp un­ter 50%, lässt sich un­schwer er­mes­sen, dass ei­ne Wech­sel­kurs be­ding­te Ver­teue­rung deut­scher Ex­por­te zu mas­si­ven Ar­beits­platz­ver­lu­sten im deut­schen Ex­port­sek­tor füh­ren wird. Von bis zu 5 Mio. Ar­beits­plät­zen, al­so rd. 1/8 der ge­sam­ten deut­schen Ar­beits­plät­ze, ist hier die Re­de. Der Er­eig­nis­zeit­raum ist auf we­ni­ge Mo­na­te be­schränkt. Ich un­ter­stel­le Sar­ra­zin, dass er dar­um weiß, und ver­ur­tei­le en­er­gisch sein Ver­schwei­gen die­ser gi­gan­ti­schen Be­dro­hung. Ge­ra­de Deutsch­land ist dar­auf an­ge­wie­sen, dass der Eu­ro Be­stand hat. Da­für wird es ei­nen an­ge­mes­se­nen Preis zah­len müs­sen, so oder so.

    Zur Ab­len­kung wird in­des auf »un­ter­durch­schnitt­lich lei­sten­de Zu­züg­ler« und die durch die­se ver­ur­sach­te Ver­schlech­te­rung der so­zi­al­staat­li­chen Bi­lanz ver­wie­sen. Blan­kes Res­sen­ti­ment, das noch da­zu rech­ne­risch zu wi­der­le­gen ist. (vgl. https://bersarin.wordpress.com/2017/11/14/mit-rechten-reden-mit-linken-leben-rechtsaussen-und-die-moralisierung-der-diskurse/#comment-12811 , Zi. 3)

    Auf der­ar­ti­ge Vor­hal­tun­gen pflegt ge­flis­sent­li­ches Schwei­gen zu fol­gen. H.W. Sinn macht da kei­ne Aus­nah­me. Ins­be­son­de­re wenn es um die ver­fehl­te Vor­stel­lung von Gleich­ge­wicht­sten­den­zen auf dem Ar­beits­markt geht oder die zer­stö­re­ri­sche Wir­kung von an­dau­ern­den und er­heb­li­chen Lei­stungs­bi­lanz­über­schüs­sen. Letz­te­re sind noch da­zu of­fe­ner Steu­er­dieb­stahl am Nach­barn. Im Fal­le Deutsch­lands sind das rd. 90 Mil­li­ar­den jähr­lich, die auf Ko­sten des Aus­lan­des ein­ge­stri­chen wer­den.

    Was Slo­ter­di­jk da­zu zu sa­gen hat, ist, of­fen ge­sagt, so un­in­ter­es­sant, wie En­zens­ber­gers »Te­sti­mo­ni­al«. Es zeigt höch­stens, mit welch be­ein­drucken­der Über­heb­lich­keit über der­art exi­sten­zi­ell be­deut­sa­me Zu­sam­men­hän­ge hin­weg fa­bu­liert wird.

    Die Fra­ge Gre­gor Keu­sch­nigs nach dem Fall Ita­li­ens ist von nicht über­schätz­ba­rer Be­deu­tung. Die da­mit un­trenn­ba­re Fra­ge nach dem En­de der De­mo­kra­tie eben­so. Grie­chen­land war viel­leicht ein Pro­be­lauf. Ita­lie­ni­sche Ar­bei­ter sind aber aus ei­nem an­de­ren Holz ge­schnitzt. Erst recht im Ver­gleich zu de­ren deut­schen Ent­spre­chung.

    Mei­ne Con­clu­sio: Wi­der­stand ge­gen »Kom­mi­si­ons­dik­ta­te« muss von den Be­trof­fe­nen in Ita­li­en, aber nicht nur dort, selbst kom­men (und kam auch, wie in Grie­chen­land). Dies nann­te sich noch bis vor Kur­zem De­mo­kra­tie. Da­ge­gen ar­gu­men­tie­ren­de Zeit­ge­nos­sen ha­ben sich ei­nem ge­ord­ne­ten und sach­li­chen Dis­kurs zu stel­len, an­son­sten ih­nen mitt­ler­wei­le derb über’s Maul zu fah­ren ist. Mei­nes Er­ach­tens ha­ben sich die »Eu­ro­päi­schen Lin­ken« durch die­ses Ver­säum­nis zu­tiefst schul­dig ge­macht. Sie bekommen’s denn auch zu spü­ren mit der un­säg­li­chen po­li­ti­schen Ver­schie­bung nach rechts und de­ren Ver­sin­ken in Be­deu­tungs­lo­sig­keit.

  15. @ Gre­gor Keu­sch­nig wg. Grö­ne­mey­er

    Grö­ne­mey­er sagt in der FAZ un­wi­der­spro­chen, dass er kein Steu­er­flücht­ling sei und er­heb­li­che Men­gen Steu­ern in Deutsch­land zah­le. Im üb­ri­gen dürf­te Grö­ne­mey­ers po­li­ti­scher Ein­fluss um Grö­ßen­ord­nun­gen über mei­nem lie­gen und selbst Ih­ren als stol­zer Pu­bli­zist und In­fluen­cer noch über­tref­fen, mei­nen Sie nicht (ok, das war ein we­nig selbst­iro­nisch mit Blick auf – uns bei­de so­gar, wie ich den­ke, – - wenn Sie mir das bit­te nach­se­hen)?

    In­so­fern ist die Be­fas­sung mit sol­chen Leu­ten (lei­der...) über­haupt kei­ne Zeit­ver­schwen­dung, son­dern durch­aus in­ter­es­sant und sinn­voll, wie ich fin­de.

    Zur Wirt­schaft der Schweiz und den Schwei­zer Bau­ern

    Die Schwei­ze­ri­schen Bau­ern pro­fi­tie­ren in der Tat von den na­ti­on­len Gren­zen – und das ist ein Grund, war­um die Schweiz die­se Gren­zen bei­be­hal­ten will, ob­wohl das auch bis­her schon die Wirt­schaft be­ein­träch­tigt.
    Man zahlt die­sen Preis ger­ne, und be­kommt da­für ei­ne zu­frie­de­ne Ar­bei­ter (!)- Bau­ern- und Hand­wer­ker­schaft, mehr Si­cher­heit und – nicht zu­letzt Schutz vor un­ge­re­gel­tem Zu­zug. Die schwei­ze­ri­sche Wirt­schaft brummt üb­ri­gens wie kaum ei­ne sonst in Eu­ro­pa – oh­ne den Eu­ro (cf. Sar­ra­zin)!

    Kor­rek­tur und er­neu­ter Blick auf Ita­ly

    Wg. Ita­li­ens Wirt­schaft ist es so rich­tig, h. z. : Ita­li­en reisst die EU-Schul­den­quo­te, in­dem sei­ne Re­gie­rung ei­ne Ver­drei­fa­chung der Staats­ver­schul­dung im ak­tu­ell in Brüs­sel ein­ge­reich­ten Haus­halts­ent­wurf an­ge­kün­digt hat und gleich­zei­tig ver­kün­de­te, in Ita­li­en »die Ar­mut ab­zu­schaf­fen« – d. h. mit­hil­fe die­ser Kre­di­te ein Füll­horn so­zia­ler Trans­fer­lei­stun­gen über den Ita­lie­ne­rin­nen aus­zu­gie­ßen. So steht das im ma­na­ger ma­ga­zin:

    »Doch al­lein die Tat­sa­che, dass die neue Re­gie­rung die avi­sier­te Ver­schul­dung des Lan­des auf ei­nen Schlag von ur­sprüng­lich 0,8 Pro­zent auf nun 2,4 Pro­zent des Brut­to­in­lands­pro­duk­tes ver­drei­facht, sorgt bei den eu­ro­päi­schen Part­nern für gro­ßen Är­ger.« Nor­ma­ler­wei­se gilt in Eu­ro­pa ei­ne De­fi­zit-Gren­ze von 3 Pro­zent des Brut­to­in­lands­pro­dukts (BIP). Weil Ita­li­en je­doch ei­nen enor­men Schul­den­berg in Hö­he von et­wa 2,3 Bil­lio­nen Eu­ro auf­weist (mehr als 130 Pro­zent des BIP), muss es nach frü­he­ren Be­schlüs­sen stren­ge­re Vor­ga­ben er­fül­len und mit­tel­fri­stig sei­ne Schul­den re­du­zie­ren.

    Ent­spre­chend at­te­stier­te die EU-Kom­mis­si­on Rom denn auch ei­nen »be­son­ders gra­vie­ren­den Ver­stoß« ge­gen die EU-Re­geln. Öster­reichs Bun­des­kanz­ler Se­ba­sti­an Kurz stell­te in ei­ner am Mon­tag ver­brei­te­ten Er­klä­rung gleich ein­mal klar, sein Land sei »nicht be­reit, für die Schul­den an­de­rer Staa­ten ge­ra­de­zu­ste­hen, wäh­rend die­se Staa­ten die Ver­un­si­che­rung der Märk­te be­wusst in Kauf neh­men.« Kurz for­der­te die EU auf, das Bud­get zu­rück­zu­wei­sen. Schließ­lich, so der öster­rei­chi­sche Fi­nanz­mi­ni­ster Hart­wig Lö­ger, wür­de ein Re­gel­bruch »auch Tür und Tor für an­de­re Län­der öff­nen«.

    Ita­lie­ni­sche An­lei­hen wur­den von Moody’s auf die vor­letz­te Stu­fe vor Ramsch her­un­ter­ge­stuft, und: Die Ita­lie­ner kau­fen ih­re ei­ge­nen Staats­pa­pie­re (!) nicht – das ist ei­ner der gro­ßen Un­ter­schie­de zu Ja­pan: Die Ja­pa­ner tra­gen gro­ße Tei­le ih­res ge­spar­ten Gel­des zu den Ja­pa­ni­schen Ban­ken und ge­ben es dem Staat prak­tisch oh­ne Zins als Ge­gen­lei­stung. Ei­ne sta­bi­le na­tio­na­le Schul­den­wirt­schaft, zum gro­ßen Ver­druss der in­ter­na­tio­naln Fi­nanz­spe­kul­ti­on, üb­ri­gens, wäh­rend Ita­li­en of­fen­bar ei­ne höchst in­sta­bi­le na­ti­on­le Schul­den­wirt­schaft führt. 5stelle und die Le­ga set­zen auf den bis­he­ri­gen Schel­men an­der­halbe. Klaus Ge­org Koch re­sü­mier­te in der FAZ sehr deut­lich: Ita­li­en be­rei­te »die Zer­stö­rung der EU vor« (20. 10.).

    Ein an­de­rer ita­lie­ni­scher Hemm­schuh, laut Sinn: Ita­li­ens In­du­strie­pro­duk­ti­on darbt im­mer noch er­heb­lich. Und wie es aus­sieht, wird das auf ab­seh­ba­re Zeit auch so blei­ben. – Ita­li­en hat die läng­ste Pha­se oh­ne Wachs­tum der In­du­strie­pro­duk­ti­on al­ler EU-Län­der hin­ter sich, so noch­mal Sinn.

    (Ich ha­be üb­ri­gens das Ge­fühl, als grif­fen wir hier »Zei­len und Ta­ge IV« vor, he­he – schö­nes Ge­fühl!)

  16. Ich hal­te fest, dass die ge­stell­te Fra­ge nach der Recht­fer­ti­gung ei­ner Ver­schul­dungs­pflicht al­lein des Aus­lan­des un­be­ant­wor­tet bleibt. Dann fehlt jeg­li­che Ein­las­sung zur her­vor­ge­ho­be­nen Pro­blem­stel­lung, dass zah­lungs­fä­hi­ges Aus­land bald nicht mehr vor­han­den sein wird (und als Fol­ge ei­ner zwang­haf­ten Spar­po­li­tik die Wirt­schaft in ge­wal­ti­gem Aus­maß ein­bre­chen muss). Wie der Un­ter­neh­mens­sek­tor wie­der in die ihm volks­wirt­schaft­lich zu­kom­men­de Schuld­ner­po­si­ti­on (Stich­wort »Rhei­ni­scher Ka­pi­ta­lis­mus«) ge­bracht wer­den soll? Schwei­gen. Die­ter Kief, ich for­de­re Ih­nen drin­gend Ant­wor­ten ab.

    Statt­des­sen wird er­neut die Mo­ral­keu­le ge­gen Ita­li­en ge­schwun­gen. Trum­pism at its best.

    »Ein an­de­rer ita­lie­ni­scher Hemm­schuh, laut Sinn: Ita­li­ens In­du­strie­pro­duk­ti­on darbt im­mer noch er­heb­lich. Und wie es aus­sieht, wird das auf ab­seh­ba­re Zeit auch so blei­ben. – Ita­li­en hat die läng­ste Pha­se oh­ne Wachs­tum der In­du­strie­pro­duk­ti­on al­ler EU-Län­der hin­ter sich, so noch­mal Sinn.«

    Die Ur­sa­che da­für ver­schweigt Sinn ma­li­zi­ös grin­send – den re­al ef­fek­ti­ven Wech­sel­kurs näm­lich, der die Un­ter­be­wer­tung des deut­schen Eu­ros ab­bil­det. Dies wur­de be­reits dar­ge­stellt; von ei­ner Wie­der­ho­lung möch­te ich ab­se­hen dür­fen. Die Fol­gen sind auch klar: Deutsch­land als Volks­wirt­schaft ge­winnt Jahr für Jahr Welt­markt­an­tei­le da­zu, wäh­rend »Kon­kur­ren­ten« in der EWU be­sten­falls sta­gnie­ren. Die von Gre­gor Keu­sch­nig an­ge­spro­che­ne Feh­ler­ana­ly­se, üb­ri­gens, wur­de be­reits be­trie­ben, al­ler­dings von Ver­tre­tern der he­te­ro­do­xen Öko­no­mie. Die Recht­gläu­bi­gen – Sinn et.al. – schwei­gen sich be­kannt­lich be­harr­lich da­zu aus.

    Die Er­wäh­nung Moody’s weckt bei mir Er­in­ne­run­gen an die ent­schlos­se­nen [Sonntags]Reden auf Eu­ro­päi­scher Ebe­ne nach dem sich ent­fal­ten­den Grie­chen­land-De­sa­ster in 2010. Da­mals wur­de ent­schie­den und laut­stark die Ein­rich­tung ei­ner Eu­ro­päi­schen Ra­ting­agen­tur ge­for­dert. Man wol­le nicht län­ger von pri­va­ten ame­ri­ka­ni­schen Fir­men ab­hän­gig sein. Nun?

    Ein Wort noch zu mei­nem Bun­des­kanz­ler Kurz: Die­se Papp­na­se will ak­tu­ell ein Hart­zIV-äqui­va­len­tes Mo­dell der so­zia­len Si­che­rung durch­set­zen. Der Wi­der­stand da­ge­gen, dies hat sich be­reits im Früh­jahr nach Be­kannt­wer­den der er­sten Skiz­z­enstri­che ein­drucks­voll ge­zeigt, fin­det auf der Stra­ße statt.

  17. Nach über­ein­stim­men­den Mei­nun­gen in den be­gin­nen­den 2000er Jah­ren galt Deutsch­land öko­no­misch mit rd. 6 Mil­lio­nen Ar­beits­lo­sen als der kran­ke Mann Eu­ro­pas. Ver­än­de­run­gen wur­den von al­len Sei­ten an­ge­mahnt. So­zi­al­ver­bän­de üb­ri­gens woll­ten Ar­beits­lo­sen­geld und So­zi­al­hil­fe zu­sam­men­le­gen. Auf der an­de­ren Sei­te mach­ten Lob­by­isten ver­stärkt Wer­bung für ein wirt­schafts­li­be­ra­les Mo­dell mit we­ni­ger Staat. Schrö­der hat mit der Agen­da ir­gend­wie bei­des ge­macht. Ich bin nun nicht in­for­miert, in­wie­weit der öster­rei­chi­sche So­zi­al­staat re­for­miert wer­den muss, aber ei­ne Agen­da-ähn­li­che Po­li­tik wä­re in­ter­es­sant, vor al­lem wenn man die in­zwi­schen sicht­ba­ren Feh­ler die­ser Po­li­tik (u. a. schier end­los »be­fri­ste­te« Ar­beits­ver­hält­nis­se) aus­klam­mern wür­de. Ob Herr Kurz ei­ne Papp­na­se ist, wird sich dann wo­mög­lich zei­gen.

    Noch et­was zum Pro­to­koll: Ant­wor­ten »ab­zu­for­dern« mag zwar im Sin­ne ei­ner wei­te­ren Dis­kus­si­on ge­bo­ten sein, ist aber hier nicht zwin­gend vor­ge­schrie­ben. Man mag das beklagen...aber es ist so.

  18. An­ge­kom­men und ver­stan­den.

    Ei­ne er­läu­tern­de An­mer­kung noch: Die Auf­wen­dun­gen des »So­zi­al­staa­tes« wer­den in der volks­wirt­schaft­li­chen Ge­samt­rech­nung im Ab­schnitt »Se­kun­dä­re Ein­kom­mens­ver­tei­lung« ver­bucht. Stellt man die se­kun­dä­re Ein­kom­mens­ver­tei­lung ge­dank­lich auf Null, zeigt sich die Wir­kung der pri­mä­ren Ein­kom­mens­ver­tei­lung (= di­rekt aus­be­zahl­tes Ar­beits­ein­kom­men) recht deut­lich: Bin­nen­wirt­schaft muss not­wen­di­ger­wei­se schrump­fen, weil vor­han­de­ne Kauf­kraft auf zu we­ni­ge Köp­fe sich kon­zen­triert. Dar­aus folgt, dass agg­re­gier­te Kon­sum­nach­fra­ge zu­rück­ge­hen muss. Aus die­sem Tat­be­stand folgt wie­der­um, dass ge­nutz­te Pro­duk­ti­ons­ka­pa­zi­tä­ten an das Nach­fra­ge­ni­veau an­ge­passt wer­den müs­sen, was schließ­lich stei­gen­de Ar­beits­lo­sig­keit nach sich zieht. Das kann so­weit ge­trie­ben wer­den, bis re­vo­lu­tio­nä­res Po­ten­zi­al sich Bahn bricht. In­so­fern kann ein funk­tio­nie­ren­der So­zi­al­staat durch­aus als Be­frie­dungs­in­stru­ment ge­deu­tet wer­den, was al­ler­dings nur die hal­be Me­dail­le be­schreibt. Auf der an­de­ren Hälf­te der Me­dail­le ver­sam­melt sich das Ka­pi­tal­in­ter­es­se, wel­ches oh­ne funk­ti­ons­tüch­ti­ge se­kun­dä­re Ein­kom­mens­ver­tei­lung we­gen des Nach­fra­ge­aus­falls in Mit­lei­den­schaft ge­zo­gen wird.

    (er­gän­zen­de In­for­ma­ti­on: die hie­si­ge Ar­beits­lo­sen­ver­si­che­rung ist ak­tu­ell per Sal­do im Plus, dar­aus lässt sich al­so kein Re­form­be­darf ab­lei­ten. Die na­tio­na­le Ar­beits­lo­sig­keit be­trägt der­zeit 7%)

    Zum »kran­ken Mann Eu­ro­pas« – we­gen ei­nes lä­cher­li­chen Lei­stungs­bi­lanz­de­fi­zits von durch­schnitt­lich rd. 0,75% vom BIP seit der Wie­der­ver­ei­ni­gung (und als nach­voll­zieh­ba­re Fol­ge da­von) – könn­te ei­ni­ges ge­sagt wer­den. Da­mit wür­de ich nach mei­nem Emp­fin­den den Rah­men aber end­gül­tig spren­gen. Bei ge­ge­be­nen In­ter­es­se la­de ich ger­ne zum Aus­tausch auf pri­va­ter Ebe­ne ein.

  19. Der Nach­fra­ge­aus­fall fällt ja der­zeit we­nig­stens aus. Das hat na­tür­lich auch mit den nied­ri­gen Zin­sen zu tun, die die Mit­tel­schicht ver­an­lasst, Geld aus­zu­ge­ben und zu kon­su­mie­ren an­statt zu spa­ren. Hin­zu kommt die ge­woll­te In­fla­ti­on von 2%, die da­für sor­gen wird bzw. soll, dass – soll­te sich nichts än­dern – in 40 Jah­ren die Spar­ver­mö­gen auf­ge­braucht sein wür­den. Der­lei Sor­gen brau­chen sich die Hartz-IV-Emp­fän­ger nicht hin­zu­ge­ben. Ih­nen wird un­ver­än­dert Teil­ha­be zu­ge­stan­den. Neu­lich er­zähl­te mir je­mand, dass er auf ein Sam­sung-Han­dy spa­re, wel­ches ak­tu­ell rd. 500 Eu­ro ko­stet.

    Die in­zwi­schen in­ter­na­tio­nal agie­ren­den Un­ter­neh­men set­zen zu­sätz­lich im­mer we­ni­ger auf die zum Teil ge­sät­tig­ten eu­ro­päi­schen (deut­schen) Märk­te als bspw. auf Asi­en. (Wäh­rend der deut­sche Hand­wer­ker sich vor Auf­trä­gen kaum noch ret­ten kann, weil kaum mehr je­mand sei­nen Be­ruf ma­chen möch­te.)

    Ne­ben dem Zu­sam­men­bruch des Eu­ro-Sy­stems (sei es durch Ita­li­en, sei es ir­gend­wann viel­leicht auf­grund fran­zö­si­scher Pro­ble­me) liegt das größ­te Ri­si­ko für die Welt­wirt­schaft in po­li­ti­schen und/oder so­zia­len Im­plo­sio­nen in Chi­na. Soll­te Chi­na als Pro­duk­ti­ons­stand­ort UND gleich­zei­tig als Nach­fra­ger aus­fal­len, wür­de dies gra­vie­ren­de Aus­wir­kun­gen ha­ben. Da­ge­gen wä­re der klei­ne Zwist zwi­schen den USA und Chi­na ein Kin­der­ge­burts­tag. Po­li­tik- und Wirt­schafts­len­ker se­hen sich al­so ge­zwun­gen, den Fort­be­stand ei­nes dik­ta­to­ri­schen Re­gimes zu be­für­wor­ten.

  20. Ein Zu­sam­men­bruch des Eu­ro-Sy­stems steht noch nicht be­vor; aber die Ge­stal­tung des zu­künf­ti­gen Wäh­rungs­fonds wird sich un­mit­tel­bar an den Her­aus­for­de­run­gen Ita­li­ens ori­en­tie­ren müs­sen. Das geht bis zu der Fra­ge des be­glei­te­ten Exits aus der Wäh­rung, die man für Grie­chen­land noch zur »Ver­hand­lungs­mas­se« rech­nen konn­te.
    Draghi hat mit sei­ner Ri­si­ko­be­tei­li­gung der EZB die Kün­di­gungs­klau­sel so­gar un­wil­lent­lich ak­ti­viert, denn so­bald beim näch­sten Crash das Geld der an­de­ren Mit­glieds­staa­ten auf dem Spiel steht, eben über die EZB-Be­tei­li­gung, wer­den Ver­fas­sungs­hü­ter und Öf­fent­lich­kei­ten grund­sätz­li­che »ord­nungs­po­li­ti­sche Fra­gen« stel­len.
    Grie­chen­land woll­te nicht aus der Wäh­rung, aber wird man Ita­li­en die­se Wahl las­sen kön­nen?! So­bald ein Schul­den­er­lass ei­nes Eu­ro-Lan­des zum Ver­mö­gens­ver­lust ei­nes an­de­ren Mit­glieds­lan­des führt, ver­mit­telt über die EZB, sind die Län­der selbst­ver­ständ­lich be­rech­tigt, For­de­run­gen zu stel­len.
    Da­bei wird man sich nicht mit dem fis­ka­li­schen Ring­kampf des (dann wohl ak­ti­ven) Wäh­rungs­fonds be­gnü­gen. Ich ver­mu­te: man wird sich die Exit-Kom­pe­tenz zu­rück­ho­len. Das geht bis zu den Grund­be­grif­fen der Staat­lich­keit.
    Der Sou­ve­rän kann über al­les ent­schei­den, so­gar die völ­li­ge »Selbst­be­schä­di­gung« kann man durch­zie­hen. »Man wird sich ja noch kul­tu­rell und so­zio­öko­no­misch rui­nie­ren dür­fen...«.
    Selbst­ver­ständ­lich. Aber die Fra­ge, ob ich ei­ne Fremd­wäh­rung be­hal­ten darf, fällt nicht dar­un­ter. Da sind noch ein paar an­de­re Sou­ve­rä­ne am Tisch.

  21. Ich glau­be, dass evtl. sich stel­len­de »ord­nungs­po­li­ti­sche Fra­gen« ein­fach ab­ge­würgt wer­den. Man hät­te die­se schon an­hand des »No-Bail-Out« bei Grie­chen­land stel­len müs­sen – und hat sie ge­flis­sent­lich igno­riert. Wenn es brennt nimmt man auch ge­stoh­le­nes Was­ser um zu lö­schen.

    Bit­te nicht ver­ges­sen: Der Eu­ro ist KEINE öko­no­mi­sche Ent­schei­dung, son­dern ei­ne po­li­ti­sche. Die Öko­no­mie spielt wenn über­haupt höch­stens die zwei­te Gei­ge. Geld kann ge­druckt wer­den (und wird ge­druckt wer­den, falls dies er­for­der­lich ist). Der Eu­ro sel­ber ist in­zwi­schen welt­weit »too big to fail« ge­wor­den. Die Län­der sind so­zu­sa­gen ver­pflich­tet, bö­se Mie­ne zu bö­sem Spiel zu ma­chen.

  22. Die Vor­stel­lung, Eu­ro-Mit­glied­staa­ten wür­den für »EZB-Ris­ken« an­teils­mä­ßig haf­ten, wä­re ei­ne fal­sche Vor­stel­lung. Die EZB kauft Staats­an­lei­hen, un­ter an­derm ita­lie­ni­sche, auf dem Se­kun­där­markt auf. Ein all­fäl­li­ger Wert­ver­lust die­ser Pa­pie­re be­la­stet we­der die EZB und schon gar nicht die Eu­ro-Mit­glied­staa­ten.

    Die Vor­stel­lung vom Eu­ro als Fremd­wäh­rung trifft hin­ge­gen durch­aus zu. Dies gilt wie­der­um für sämt­li­che Mit­gliets­staa­ten der EWU. Die Wäh­rung Eu­ro »ge­hört« al­len oder kei­nem. In­so­fern sind Über­le­gun­gen, ein Eu­ro-Mit­glieds­land von der Teil­nah­me an der EWU aus­schlie­ßen zu wol­len, in ih­rer Wir­kung mit der – dann al­ler­dings chao­ti­schen – Auf­lö­sung der EWU gleich­zu­set­zen.

    Gre­gor Keu­sch­nigs Hin­weis, der Eu­ro sei ei­ne po­li­ti­sche Ent­schei­dung, ist fett zu un­ter­strei­chen. Eben­so wä­re die ge­ord­ne­te Auf­lö­sung der EWU ei­ne sol­che.

  23. Gun­nar Hein­sohn ist un­er­müd­lich im Ben­n­nen hie­si­ger De­fi­zi­te in Sa­chen Kon­kur­renz­fä­hig­keit – ein Mann, auf des­sen Ar­beit Slo­ter­di­jk ger­ne zu spre­chen kommt, ne­ben­bei ge­sagt – und auch Hein­sohn schaut nach Asi­en:
    https://www.nzz.ch/feuilleton/die-schere-zwischen-kompetenten-und-inkompetenten-klafft-weltweit-immer-weiter-auseinander-china-stellt-die-digitale-avantgarde-und-westeuropa-zaudert-wie-verschieben-sich-gerade-die-gewichte-ld.1434525

    Aus ei­nem Ge­spräch mit ei­nem hie­si­gen Grund­schul­leh­rer – sehr be­sorgt we­gen der Un­mensch­lich­keit des – - – Süd­ko­rea­ni­schen Schul­sy­stems we­gen der dor­ti­gen Schü­ler­selbst­mor­de. – Null Ver­ständ­nis für die Er­run­gen­schaf­ten Süd­ko­re­as – je­de Be­reit­schaft, den Ko­rea­nern am Zeug zu flicken- und sich selbst zu gra­tu­lie­ren: Wir schnei­den schon wie­der schlech­ter ab bei den in­ter­na­tio­na­len Schü­ler-Tests? – Ohh – da­für ist bei uns die Selbst­mord­quo­te ge­rin­ger!

    Im Üb­ri­gen ist Chi­na nicht das drän­gend­te Pro­blem der EU. Das ist eher die Pro­duk­ti­vi­tät im in­ter­na­tio­na­len Ver­gleich und wohl auch Haus­halt­dis­zi­plin. Der Ita­lie­ni­sche Weg mit der Ver­drei­fa­chung der ur­sprüng­lich an­ge­peil­ten Schul­den­quo­te bei gleich­zei­ti­gem An­stieg der So­zi­al­aus­ga­ben scheint mir je­den­falls nicht sehr nach­hal­tig zu sein.
    – Ganz im Ge­gen­satz zu Ja­pan – bis­her scheint Ja­pan al­les rich­tig zu ma­chen, so wie es aus­sieht – zu­mal die Spa­rer dort mit zie­hen. Das ist doch ekla­tant, dass die Ita­lie­ner ih­re ei­ge­nen Stats­an­lei­hen eher mei­den, wäh­rend die Ja­pa­ner sie mas­sen­haft und ste­tig – seit Jahr­zehn­ten (!) kau­fen.

  24. @Dieter Kief
    Die ita­lie­ni­sche Staats­ver­schul­dung liegt der­zeit bei 2,28 Bil­lio­nen Eu­ro und wird nach den Plä­nen der Re­gie­rung auf 2,4 Bil­lio­nen hoch­ge­trie­ben wer­den. Das wä­ren dann 2,4% des BIP. Nur zur Ori­en­tie­rung: Die Gren­ze der EU liegt bei 3,0% (Grie­chen­land liegt, was ich nach­schla­gen konn­te, 2017 bei 2,9% 1,2%). Der Auf­schrei der EU geht da­hin, dass man nicht glaubt, dass es da­bei blei­ben wird.

    Ein an­de­res Kri­te­ri­um sind die Ge­samt­schul­den im Ver­hält­nis zum BIP. Hier be­trägt die Quo­te Ita­li­ens rund 130%. »Er­laubt« sind al­ler­dings ma­xi­mal 60%. Aber selbst Deutsch­land schafft die­ses Kri­te­ri­um nicht (64,1%). Frank­reich liegt bei 97%. (Der welt­weit größ­te »Schuld­ner« in die­ser Li­ste ist üb­ri­gens Ja­pan.)

    Si­cher­lich: Dies hier ist ein Blog und ein Kom­men­tar ist ein Kom­men­tar. Aber man soll­te die fun­da­men­tal­sten Re­geln der Wahr­haf­tig­keit sehr wohl ver­su­chen, ein­zu­hal­ten. Un­sinn wird nicht da­durch bes­ser, dass man ihn wie­der­holt.

  25. Gre­gor Keu­sch­nig, ich be­zie­he mich auf die­ses Zi­tat aus der wirt­schaft­so­che – nichts dar­an ist sach­lich falsch, bit­te­schön:

    »Doch al­lein die Tat­sa­che, dass die neue Re­gie­rung die avi­sier­te Ver­schul­dung des Lan­des auf ei­nen Schlag von ur­sprüng­lich 0,8 Pro­zent auf nun 2,4 Pro­zent des Brut­to­in­lands­pro­duk­tes ver­drei­facht, sorgt bei den eu­ro­päi­schen Part­nern für gro­ßen Är­ger.« Nor­ma­ler­wei­se gilt in Eu­ro­pa ei­ne De­fi­zit-Gren­ze von 3 Pro­zent des Brut­to­in­lands­pro­dukts (BIP). Weil Ita­li­en je­doch ei­nen enor­men Schul­den­berg in Hö­he von et­wa 2,3 Bil­lio­nen Eu­ro auf­weist (mehr als 130 Pro­zent des BIP), muss es nach frü­he­ren Be­schlüs­sen stren­ge­re Vor­ga­ben er­fül­len und mit­tel­fri­stig sei­ne Schul­den re­du­zie­ren.

    Ent­spre­chend at­te­stier­te die EU-Kom­mis­si­on Rom denn auch ei­nen »be­son­ders gra­vie­ren­den Ver­stoß« ge­gen die EU-Re­geln. «

    Ja­pans Schul­den sind in­ter­es­sant, schön, dass Sie das auf­grei­fen – aber sie sind nicht zu­letzt des­we­gen in­ter­es­sant, weil sie so groß sind, und weil die­se enor­me Gö­ße der ja­pa­ni­schen Schul­den der in­ter­na­tio­na­len Spe­ku­la­ti­on den­noch nichts nutzt, weil die Ja­pa­ner – an­ders als die Ita­lie­ner, ih­rer ei­ge­nen Re­gie­rung be­reit­wil­lig Jahr um Jahr neu­es Geld zu für die Re­gie­rung traum­haf­ten Kon­di­tio­nen ge­ben. -

    – Und ge­nau das sei, mei­ne ich, ein gro­ßer Un­ter­schied, weil Wirt­schaft in der Tat in ho­hem Maß ei­ne Sa­che des Ver­trau­ens ist, das die Ja­pa­ner ganz of­fen­sicht­lich ha­ben, wäh­rend es den Ita­lie­nern fehlt – und das viel­leicht nicht ganz zu­fäl­lig jetzt, da sie pa­ra­do­xer­wei­se mehr­heit­lich nach der Er­hö­hung der klar un­ter­fi­nan­zier­ten staat­li­chen Trans­fer­zah­lun­gen – eheh – - ‑jap­sen.
    Das ita­lie­ni­sche Mo­dell steckt vol­ler Fall­gru­ben, weckt den Arg­wohn der Nach­barn (u. a. Kurz!) und ist in­sta­bil, wäh­rend das Ja­pa­ni­sche seit Jahr­zehn­ten be­ein­druckend gut funk­tio­niert.

  26. @Dieter Kief
    Das Zi­tat ist nicht von der Wirt­schafts­wo­che son­dern vom Ma­na­ger Ma­ga­zin. Und es ist ab­so­lu­ter Un­sinn, was da steht. Wenn sie sich die Mü­he ge­macht hät­ten, den ta­ges­schau-Link vom März 2018 an­zu­se­hen, hät­ten Sie fest­stel­len kön­nen, wie die Ent­wick­lung des Schul­den­de­fi­zits Ita­li­ens in den letz­ten Jah­ren war. Die Kenn­zahl lag 2016 bei ‑2,5%. Ge­schätzt dann für 2017 ‑2,1% , 2018 ‑1,8%. Die Schät­zun­gen be­ruh­ten je­doch auf ei­ne Ent­wick­lung, wie sie sich da­mals zeig­te. Mit der neu­en Re­gie­rung vom März ist das nun hin­fäl­lig.

    Es ist voll­kom­men un­er­heb­lich, wenn ir­gend­wel­che Au­gu­ren laut Ma­na­ger Ma­ga­zin et­was »an­vi­siert« hat­ten. Die 0,8% die­nen nur als Skan­da­li­sie­rungs­fut­ter, das Sie dann ger­ne aus­po­sau­nen – auch, wenn man Ih­nen längst das Ge­gen­teil be­wie­sen hat. Von 0,8% De­fi­zit war Ita­li­en so weit ent­fernt wie die Er­de von der Ve­nus. Da­her ist die­ses »Ar­gu­ment« un­lau­ter; es ist Ver­brei­tung von Pro­pa­gan­da.

    Auch was die ja­pa­ni­schen Staats­an­lei­hen an­geht, le­se ich über­all das Ge­gen­teil des­sen, was Sie schrei­ben. Dem­zu­fol­ge liegt die Ren­di­te noch un­ter de­nen der deut­schen. Aber hier­um geht es ja in die­sem Th­read nicht.

  27. Ich ver­su­che mal ei­ne Schlich­tung, bin aber lei­der kein Ex­per­te. Mei­nes Wis­sens ist das Maas­tricht-Kri­tie­ri­um von 3% De­fi­zit ein Rot­wein-Kri­tie­ri­um. Ge­ne­riert bei ei­nem Abend­essen der Ver­hand­lungs­füh­rer, ba­sie­rend auf ei­ner leicht­fü­ßi­gen Glei­chung: Sta­bi­li­tät ist, wenn 1% Wachs­tum auf 2% In­fla­ti­on tref­fen, so­dass 1+2=3% zu­sätz­li­che Ver­schul­dung nicht »scha­den«.
    So oder so ähn­lich war das da­mals.
    In­zwi­schen hat man die Mo­del­le et­was ver­fei­nert. Da müss­te man den Sta­bi­li­täts- und Wachs­tums­pakt be­fra­gen.
    Die Ge­samt­schau aus Ban­ken­sta­bi­li­tät (et­wa ein Drit­tel der Staats­pa­pie­re liegt da), Nied­rig­wachs­tum und Geld­schöp­fung durch Ka­pi­tal­trans­fers im Eu­ro gibt für Ita­li­en je­den­falls An­lass zur Sor­ge.
    Da­bei wird die po­li­ti­sche Be­wer­tung na­tür­lich durch den Po­pu­lis­mus der Re­gie­rung ver­schärft. Aber wenn man die un­mit­tel­ba­re Sym­pa­thie bei­sei­te lässt, dann fin­det man im­mer noch die al­te (hi­sto­ri­sche) Dif­fe­renz zwi­schen Nord und Süd über den rich­ti­gen Um­gang mit Staats­schul­den.
    Ita­li­en ist von der In­fla­ti­on ge­prägt; Deutsch­land von der Kriegs­schuld, Ver­sailler Ver­trag. Deutsch­land will die Schul­den los wer­den; Ita­li­en will die In­fla­ti­on los­wer­den. Bei­de sind ih­rem Ziel schon sehr sehr na­he ge­kom­men, iro­ni­scher­wei­se führt das bei ei­ner ge­mein­sa­men Wäh­rung aber schnur­stracks wie­der in den »Krieg«.
    Ei­ne schlich­te In­ter­pre­ta­ti­on. Aber Ma­rio Mon­ti be­stä­tigt das in ei­nem In­ter­view in der WELT. Ita­li­en war mit dem Maas­tricht-Ver­trag nie zu­frie­den.

  28. @die_kalte_Sophie
    Es geht mir nicht dar­um, wie die­ses 3%-Kriterium ent­stan­den ist oder gar ob es sinn­voll ist. Und auch ich tei­le die Sor­ge um die ita­lie­ni­sche Öko­no­mie. Ins­be­son­de­re die Ban­ken sind in Schief­la­ge. Schon die all­seits so­ge­nann­te »pro-eu­ro­päi­sche« Re­gie­rung Gen­ti­lo­ni (Nach­fol­ger von Ren­zi) ret­te­te ent­ge­gen der be­stehen­den Ver­ein­ba­run­gen mit enor­men Sum­men zwei Ban­ken. Man sah groß­zü­gig dar­über hin­weg. Jetzt, bei der un­ge­lieb­ten links-rechts-Re­gie­rung, wür­de das auch an­ders be­ur­teilt.

    Es geht mir aus­schließ­lich dar­um, dass will­kür­lich vor­ge­nom­me­ne Pro­gno­sen plötz­lich als Kri­te­ri­en für das gel­ten soll, wie Po­li­ti­ker für die Zu­kunft han­deln.

  29. Ja, @ Gre­gor Keu­sch­nig, das ma­na­ger ma­ga­zin.

    Ja, die_kalte_Sophie – Ita­li­en will die Schu­den los­wer­den – doch wie macht man das? In­fla­ti­on ist ein Weg ge­we­sen – die ewig schwa­che Li­ra, se­li­gen An­ge­den­kens.

    Aber da ist man raus. Nun hängt man zwi­schen der Scyl­la der in der Ver­hal­tens­öko­no­mie wohl­be­kann­ten Tat­sa­che, dass Men­schen kei­ne Ver­lu­ste mö­gen – al­so kei­ne No­mi­nal­lohn­ein­bu­ssen – selbst dann nicht, das ist das Pa­ra­de­theo­rem des Ver­hal­ten­öko­no­men Fehr, wenn da­mit Re­al­lohn­ge­win­ne ein­her­ge­hen!

    Die­sen Zu­satz braucht man aber nicht wei­ter be­ach­ten, am wich­tig­sten seit bi­bli­schen Zei­ten ist die Ein­sicht: Men­schen fürch­ten Ver­lu­ste mehr, als sie Ge­win­ne locken.

    Das ist die Scyl­la. Und an­de­rer­seits würgt Ita­li­en an der Cha­rib­dis, dass die In­du­strie des Lan­des in Sa­chen Pro­duk­ti­vi­tät schwer hin­ter­her­hinkt. Schon seit Jahr­zehn­ten – das geht schon vor der Eu­ro-Ein­füh­rung los, sagt Sinn. Die Terms of com­pe­ti­ti­on wer­den stren­ger, je mehr sich die Welt­wirt­schaft in­ter­na­tio­na­li­siert. Das ist der gro­ße Rah­men.

    Klei­ner Ein­schub – an die­ser Stel­le kom­men Leu­te wie La­fon­taine und die Schrei­ber der Nach­denk­sei­ten und Hei­ner Flass­beck und sa­gen: Das Wachs­tum der Deut­schen macht die Nach­barn ka­putt. Al­so müs­sen in Deutsch­land die Löh­ne hoch – und, fü­gen man­che noch da­zu: Es müs­sen die Trans­fer­zah­lun­gen »eu­ro­pä­isch har­mo­ni­siert« wer­den. Hel­mut Schmid hat in sol­chen Dis­kus­si­ons­la­gen im­mer ge­sagt, dass die Wirt­schaft nicht mehr eu­ro­pä­isch wä­re, son­denrn glo­bal. Auch Lo­thar Späth hat das im­mer wie­der ge­sagt, üb­ri­gens. Ich den­ke, Schmids und Spät­hs Ein­wand ist ri­chitg, au­ßer man macht ein Eu­ro­pa der Schutz­zöl­le, z. B. – in die­se Rich­tung kann man na­tür­lich auch den­ken, aber das scheint mir der­zeit zu­min­dest kei­ne sehr rea­le Op­ti­on zu sein. Es gibt in Frank­reich um Mar­chais z. B. ei­ni­ge, sol­che Ideen dis­ku­tie­ren: Lin­ke Ge­werk­schaft­ler, die die Idee von der Welt­wirt­schaft lang­sam ver­ab­schie­den.

    Nun, wenn das Pro­duk­ti­vi­täts­wachs­tum krankt wie in Ita­li­en – und wenn es so­lan­ge krankt wie dort, dann lei­den die hoch­be­gehr­ten Pro­duk­ti­vi­täts­zu­wäch­se, die es er­lau­ben, die Löh­ne usw. (die So­zi­al­aus­ga­ben...) zu er­hö­hen oh­ne durch un­ge­deck­ten Kre­dit und un­si­che­re Til­gung und da­mit ho­he Zins­la­sten die wirt­schaft­li­che Ge­samt­rech­nung zu schwä­chen.

    Das ist, wie Sinn sagt, die La­ge, und das hat auch Slo­ter­di­jk im­mer wie­der in Zei­len und Ta­ge I und II kri­ti­sert – man konn­te die heu­ti­ge dra­ma­ti­sche Zu­spit­zung schon seit Jah­ren kom­men se­hen.

    Dass wir ei­ne dra­ma­ti­sche Zu­spit­zung er­le­ben, kann man so fest­ma­chen wie es das ma­na­ger ma­ga­zin tut, oh­ne ir­gend et­was zu sa­gen, das fak­tisch falsch wä­re, man kann aber auch schlich­ter (nicht: ir­gend­wie fal­scher!) re­den – so wie Kurz, z. B.

    Die An­ge­le­gen­heit i s t dra­ma­tisch. Ita­li­en »reizt« die Part­ner in der EU durch die be­ab­sich­tig­te kre­dit­fi­nan­zier­te Aus­wei­tung (!) ih­rer So­zi­al­trans­fer­zah­lun­gen bei gleich­zei­ti­ger Sta­gna­ti­on bei der für die­se Din­ge ent­schei­den­den Kenn­zif­fer, näm­lich der der ex­port­fä­hi­gen Gü­ter, so Sinn. Und man weiß noch nicht, wo das hin­aus­will.

    Ja­pan ist in­ter­es­sant, Gre­gor Keu­sch­nig, ge­ra­de weil sei­ne Bür­ger die Staats­an­lei­hen zu die­sen ge­rin­gen Zins­sät­zen (qua­si null) mas­sen­haft und dau­er­haft kau­fen. Ja­pan hat des­halb stets, was es in der Tat braucht: Ei­ne Men­ge Geld, um die Wirt­schaft und die Ge­sell­schaft des Lan­des sta­bil und – - hoch­pro­duk­tiv (!) zu hal­ten. Die Bür­ger Ja­pans tau­schen se­hen­den Au­ges na­tio­na­le so­zia­le und wirt­schaft­li­che Sta­bi­li­tät ge­gen mög­li­cher­wei­se zu­min­dest bes­ser ren­tie­ren­de in­ter­na­tio­na­le Pro­fi­t­op­tio­nen. Ich hal­te das in der Tat für ei­nen gang­ba­ren Weg, nicht zu­letzt des­we­gen, weil die Ja­pa­ner nicht auf dem Rücken »ih­rer Nach­barn« (Kurz) wan­deln – und weil Ja­pan als gan­zes ein­fach gut zu funk­tio­nie­ren scheint.

    Die Ita­lie­ner ma­chen ver­gli­chen mit Jpan zwei Din­ge, die in ge­wis­ser Wei­se gut zu­ein­an­der pas­sen: Sie for­dern von ih­rem Staat, mehr Geld zu ver­tei­len, als sie er­wirt­schaf­ten – und sie ent­zie­hen ih­rem nicht zletzt des­halb un­so­li­den Staat gleich­zei­tig das Ver­trau­en in ih­rer Rol­le als Kre­dit­ge­ber. – Hap­py-go-Cra­zy-go Lucky? Wir wer­den se­hen – und ver­mut­lich be­reits in Zei­len und Ta­ge III dar­über le­sen. Aber Band vier dürf­te in die­ser Hin­sicht fürch­te ich noch in­ter­es­san­ter wer­den...

    (Ich per­sön­lich hät­te es gern so lang­wei­lig und sta­bil wie Ja­pan aus der Fer­ne – ein from­mer Wunsch, ganz klar).

  30. @die_kalte_Sophie
    »Rot­wein-Kri­te­ri­um« trifft’s groß­ar­tig. Die Rech­nung geht bloß ein we­nig an­ders. Man ging An­fang der 90er-Jah­re von ei­nem jähr­li­chen Wirt­schafts­wachs­tum von 5% aus. Der da­ma­li­ge EU-Durch­schnitt der Staats­ver­schul­dung lag bei 60%. Mit ei­ner jähr­li­chen De­fi­zit­quo­te von 3% bleibt die Schul­den­quo­te bei­na­he kon­stant, bzw. kon­ver­giert ge­gen 63% un­ab­hän­gig vom Aus­gangs­schul­den­stand (selbst nach­rech­nen in ei­ner simp­len Ex­cel-Ta­bel­le über 100 Jah­re!). Rei­ne Will­kür al­so. Ver­fei­nert hat sich in der Zwi­schen­zeit le­dig­lich das Fol­ter­in­stru­men­ta­ri­um (Sta­bi­li­täts- und Wachs­tums­pakt) für »ab­trün­ni­ge« Volks­wirt­schaf­ten. Auf die in Kom­men­tar #15 Abs. 4 ff. dar­ge­stell­ten zwin­gen­den Zu­sam­men­hän­ge wird da­bei kei­ner­lei Rück­sicht ge­nom­men.

    Das ita­lie­ni­sche Mo­dell steckt vol­ler Fall­gru­ben, weckt den Arg­wohn der Nach­barn (u. a. Kurz!) und ist in­sta­bil, wäh­rend das Ja­pa­ni­sche seit Jahr­zehn­ten be­ein­druckend gut funk­tio­niert.

    Res­sen­ti­ment­ge­tra­ge­ne Tag­träu­me­rei­en, das. Nach mei­nem nun ge­fe­stig­ten Ur­teil schreibt da ei­ner über Din­ge, die au­ßer­halb sei­nes Wis­sens­ho­ri­zonts lie­gen und über die er par­tout nichts ler­nen will. Die De­fi­zit­quo­te Ja­pans ist grob dop­pelt bis drei­fach so hoch, wie je­ne Ita­li­ens – und das seit Jahr­zehn­ten. Die Er­klä­rung für die ver­meint­li­che »Treue« ja­pa­ni­scher In­ve­sto­ren liegt in den ein­schlä­gi­gen staat­li­chen Re­gu­la­ri­en, nach de­nen z.B. Pen­si­ons­fonds als Richt­wert 67% ih­res Port­fo­li­os in na­tio­na­len Staats­an­lei­hen zu ver­an­la­gen ha­ben. (Im üb­ri­gen: hi­sto­ri­sche Wirt­schafts­da­ten Ja­pans für In­ter­es­sier­te).

    Die EU hin­ge­gen drängt un­ter an­de­rem mit »Sol­ven­cy II« in­sti­tu­tio­nel­le An­le­ger zum Ver­kauf von un­ter ei­nem Bo­ni­täts­schwel­len­wert lie­gen­den Staats­an­lei­hen (die Be­wer­tung er­le­di­gen in Er­man­ge­lung ei­ner Eu­ro­päi­schen Ra­ting­agen­tur un­ver­än­dert S&P, Moody’s und Fitch). Was das für die Preis­bil­dung die­ser un­ter Druck ge­ra­te­nen Pa­pie­re be­deu­tet, liegt auf der Hand, eben­so die Aus­wir­kun­gen auf Ban­ken, die sol­che Pa­pie­re nach dem Fair-Va­lue-Prin­zip zu be­wer­ten ha­ben. Wenn dann die EZB durch­blicken lässt, ita­lie­ni­sche Staats­an­lei­hen nicht mehr kau­fen zu wol­len, setzt sie da­mit den Ban­ken Feu­er aufs Dach, um ei­ne Re­gie­rung zu »dis­zi­pli­nie­ren«. Al­les schon da­ge­we­sen, sie­he Grie­chen­land. Zur Be­he­bung die­ses Pro­blems hat­te Ri­chard Koo schon vor län­ge­rer Zeit vor­ge­schla­gen, den Er­werb von Staats­an­lei­hen auf na­tio­na­le An­le­ger zu be­schrän­ken, um da­mit wil­der Spe­ku­la­ti­on Ein­halt zu ge­bie­ten.

  31. Es ist auch kei­nes­wegs so, dass die ita­lie­ni­sche Volks­wirt­schaft »seit Jahr­zehn­ten« kei­nen Pro­duk­ti­vi­täts­zu­wachs kennt. Das mag Herr Sinn noch leug­nen, aber die Zah­len sind an­de­re – s. hier. Tat­sa­che ist, dass nach der Fi­nanz­kri­se das Wachs­tum in Ita­li­en nicht mehr auf die Bei­ne ge­kom­men ist. Aber von ei­ner jahr­zehn­te­lan­gen Ent­wick­lung kann kei­ne Re­de sein.

    Die ja­pa­ni­sche Volks­wirt­schaft als Vor­bild zu neh­men, ist voll­kom­men ab­surd. Ja­pan ist das am mei­sten ver­schul­de­te Land der Welt – noch ein­mal der Be­leg hier Herr Kief, ein­fach nur mal klicken statt omi­nö­se Per­so­nen wo­mög­lich noch un­voll­stän­dig zu zi­tie­ren – ein biss­chen Se­rio­si­tät darf man doch wohl er­war­ten. Ja­pan darbt im­mer noch mit der De­fla­ti­ons­spi­ra­le der 1990er Jah­re, von der man sich nur lang­sam er­holt.