Zunächst die gute Nachricht: Es ist Roland Koch nicht gelungen, seine absolute Mehrheit in Hessen zu verteidigen. Vielleicht nicht trotz sondern wegen seines weitgehend von Panik, Desinformation und Lügen geprägten Wahlkampfs, die willige Unterstützung durch den Hugenberg-Adepten Diekmann und dessen artige Vollstrecker in diversen Redaktionen fanden.
Wie selektive Wahrnehmung funktioniert, konnte der Zuschauer übrigens am frühen Wahlabend sehen, als Helmut Markwort (seines Zeichens Chefredakteur des »Fakten«-Magazins »Focus«) beim ZDF sich tatsächlich nicht entblödete, von einer medialen »Kampagne« gegen Roland Koch zu sprechen, die mit zu den grossen Verlusten der CDU geführt habe. Bettina Schausten vom ZDF wollte das Statement stehen lassen, aber glücklicherweise widersprach dann doch Bernd Ullrich (»Die Zeit«). Man stellt sich nach dieser Episode unweigerlich die Frage, mit welcher Berechtigung jemand wie Markwort als politischer Kommentator überhaupt eingeladen werden kann, wenn er nicht einmal in der Lage ist, Ursache und Wirkung von einem Sachverhalt auseinanderzuhalten.
Die schlechte Nachricht folgt auf dem Fuss: Eine Regierungsbildung in Hessen dürfte – freundlich formuliert – sehr schwierig werden. Ohne einen Wortbruch mindestens einer Seite wird sich nichts tun. Andrea Ypsilanti, die SPD-Spitzenkandidatin, die sich in einem Anfall von Stoiberismus bereits als Siegerin ausrief und jetzt mit Scherben dasteht (sie ist auf der Zielgeraden abgefangen worden und ist nicht einmal stärkste Partei geworden), schliesst eine Tolerierung von SPD und Grünen durch die Linke aus.
Die FDP, die in einem Akt schäbiger Berechnung Kochs Kampagne zu ihrer Kampagne genutzt hat, in dem sie suggerierte, Koch domestizieren zu müssen (und zu wollen), und sich als »liberales Korrektiv« beim CDU-Wahlvolk anbiederte, hat die »Ampel« (SPD/Grüne/FDP) ausgeschlossen. Sie käme für Koch-Freund Hahn weder ideologisch noch menschlich infrage. Und eine Grosse Koalition mit Koch als Ministerpräsident (oder Bouffier) käme für die SPD erst recht einem Wählerverrat gleich.
So stehen die Zeichen auf Neuwahl. Eine ähnliche Situation wie 1982, als die SPD mit Holger Börner nicht mit den Grünen in eine Koalition gehen wollte und es ein Jahr später zu überflüssigen Neuwahlen kam. Überflüssig deswegen, weil Börner sich danach von den Grünen »tolerieren« liess und endlich 1985 mit ihnen koalierte (die ungeliebte Verbindung jedoch schnell platzen liess).
Ich hab’s gelesen und ergänze wie folgt:
Zunächst einmal Hallo!
Spannende Ergebnisse. Nicht schön ist der klare Einzug der Linken in Niedersachsen und der knappe Einzug in Hessen.
Zu dem Problem der Linken, denke ich für diese spezielle Wahl noch immer, dass es sich um eine Äusserung des Protests handelt. Es gab, glaube ich, drei Fragen der Wahlforscher, die nach Gründen für die Wahl der Linken fragten. Zwei davon zielten eindeutig auf das Protestpotential. Diese wurden mehrheitlich bejat. Ein kleinerer Teil bejahte die Frage nach der sozialen Gerechtigkeit, die bei der Linken thematisch verortet wurde.
Die Abwahl Kochs, denn anders kann man den Verlust von ca. 12% der Wählerstimmen nicht werten, hat sicherlich vielerlei Gründe, die auch gestern schon durchdekliniert wurden. Für mich am wertvollsten ist, dass Populismus und Demagogie mit wichtigen Themen vom Wähler nicht belohnt werden. Mag sein, dass die Politik Kochs und seine Kompetenz besser ist, als sein Ruf. Der Verlust von 12% zeigt, dass die Partei die die Mitte bestzen will, entsprechende Korrekturen vornehmen muss. Das ist die Qualität und das Wesen einer Demokratie, die in die Jahre gekommen ist: nämlich dass sie im Grunde nur noch Korrekturen zulässt und keine Richtungswechsel mehr(ich möchte das mal mit Merkels Schwung zu den Umwelt und Sozialthemen belegen, oder mit einem Autokanzler a la Schröder).
In dieser Melasse der Unkenntlichkeit fällt Populismus, der von den großen Parteien kommt zum Glück unangenehm auf. Das ist die Sprache und der Duktus für den die Mitte glücklicherweise eine gesunde Ablehnung hat.
Meine Frau sagte wahrscheinlich zu recht, dass der Einzug der Linken möglicherweise auch Stimmen sammelt, die sonst in die rechtsradikalen Parteien geflossen wären – zumindest im Westen. Vielleicht sollte man der Masse der Unzufriedenen ein Ventil ermöglichen, indem man ein Kreuz bei »Wahlenthaltung« machen kann. Ein Ventil für jene, die poltisch interessiert, aber ebenso desillusioniert den Parteien zurufen wollen: Macht es besser!
Das Problem der Mitte ist ihre geringe Ausdiffernzierung in Bezug auf bestimmte Werte. Wertkonservativ kann man nur sein, wenn man nicht dem Makel der Technikfeindlichkeit mit sich herum trägt. Wer Technikfeindlich ist, der wähle die Grünen. Das war über Jahre so. Wer aber Grün wählt der ist bald im Kommunismusverdacht, obwohl die Grünen schoin früh die Ökologie als das Gegenwarts und Zukunftsthema besetzten – von allen anderen Parteien belacht. Wie also wählen, wenn dieses Thema von zentraler Bedeutung erscheint und bei den anderen Parteien im der Melasse der Sachzwänge scheinbar ersoffen wird?
Diesern Kommentar erst mal, um einige Gedanken mit Ihnen dem Wahlausgang zu teilen. Aus einem Beitrage hier, zu der Frage wie es weiter geht und die Angst vor Kommunisten.
Zu Ihren Überlegungen: Vielleicht wären Neuwahlen richtig. Da kann man nur gespannt sein und sehen wie es sich entwickelt. Mit ihrer Analyse im Auge bin ich gespannt wie es tatsächlich weitergeht...
Das ist lustig,
denn mein erster Satz lautet: Schön ist der klare Einzug der Linken in Niedersachsen und der knappe Einzug in Hessen. Seit jetzt fast 20 Jahren wird gebetsmühlenartig betont, dass das »Phänomen« PDS und jetzt Linke ein temporäres sei und sich garantiert mit der nächsten Wahl erledigt haben wird. Das ist eine typisch westdeutsche Betrachtungsweise. In den neuen Bundesländern fährt die Linke regelmäßig 25–30% der Stimmen ein, ist in vielen Kommunen an der Macht beteiligt.
In den ostdeutschen Landtagen können CDU, SPD und Linke sehr gut miteinander, während die beiden anderen Parteien, Grüne und Liberale eher eine Außenseiterrolle spielen. Wenn das im Westen anders wahrgenommen wird, dann liegt das am Druck der Mutterparteien und auch an einer teilweise verzerrten Darstellung in den Medien. Man wird die Linke auch im Westen nicht mehr aus den Parlamenten bekommen, weil sie im Osten ein stabiles personelles und organisatorisches Hinterland haben. Da werden die Westlinken noch viel von profitieren.
Wortbruch
Wenn nach der Wahl noch einmal von allen Seiten betont wurde, welche Koalitionen nicht in Frage kämen, dient das doch vor allem dazu, das eigene Gesicht zu wahren. Der Wahlkampf war zwar sehr polarisierend, aber trotzdem bleibt noch genug Zeit, um Koalitionsaussagen zu revidieren. Für am wahrscheinlichsten halte ich eine Große Koalition, weil die Großen eher als die Kleinen im Namen der Staatsräson über ihren Schatten springen können.
Eine Neuwahl wäre jedenfalls ein schlechtes Zeichen: mit einem Fünf-Parteiensystem werden solche schwierigen Konstellationen künftig wohl die Regel sein. Früher oder später stellen sich die Parteien darauf ein.
Eine ritualisierte Schmierenkomödie...
...mit nur noch sehr begrenztem Unterhaltungswert, so erlebe ich mittlerweile die Wahlberichterstattung im TV.
Einer, je nach Standpunkt, kurzzeitigen ehrlichen Freude oder Enttäuschung nach der Veröffentlichung der ersten Prognose, die ja weitgehend dem späteren Endergebnis entspricht, folgt dann eine endlose Suada zurechtgeschusterter Sprechblasen und Pseudoanalysen von allen Seiten, stundenlang und kaum variiert.
Bei einem Schmock wie Markwort wundert mich eigentlich gar nichts mehr. Höchstwahrscheinlich ist er ehrlich, d.h. wirklich so doof ist, wie er daherquatscht.
Zwei Dinge haben mir gefallen: 1. „Wahlsieger“ Koch hat einen ordentlichen Arschtritt bekommen, wofür wir uns alle bei den hessischen Wählern bedanken sollten und 2. die „sogenannte“ LINKE, so die neue Sprachregelung der SPD, ist als Partei nun auch im Westen ein ernstzunehmendes Faktum und wird der SPD und mir noch viel Freude bereiten.
An Neuwahlen glaube ich nicht. Es wird wohl eher zu einer Grossen Koalition kommen, allerdings ohne Koch, wobei ich aber zugebe, dass mich die Zusammensetzung einer hessischen Landesregierung nicht wirklich interessiert.
Schmierenkomödie
trifft es ziemlich genau, aber es ist natürlich auch eine mediale Inszenierung, die dies erst ermöglicht – vielleicht sogar erst erzeugt.
Hessens Regierung interessiert mich normalerweise auch nicht, aber es ist an zwei Punkten etwas anderes dabei: Es geht nicht zuletzt um das »Schicksal« von Koch, der – das ist meine Meinung – nicht den Stuhl so ohne weiteres räumen wird (höchstens, in dem er mit Jung tauscht uns ins Kabinett geht) und um den Kurs in der CDU. Wenn man Wulff gestern gehört hat, so hat er vorsichtige, aber doch eindeutige Kritik am Wahlkampf von Koch geübt (wohl gemerkt: am Wahlkampf und an den Themen – nicht an den Äusserungen). Insofern geht es darum, ob die CDU ein Wolf im Schafspelz wird oder ein Poltergeist – beides keine verlockenden Perspektiven für Deutschland.
Die Linke ist sicherlich von vielen aus Protest gewählt worden; das Personal kennt niemand und es war vielleicht gerade deshalb verlockend. Ehrlich gesagt tut es mir ein bisschen weh, wie zum zweiten Mal innerhalb von 30 Jahren die SPD auf Dauer eine Wählerklientel zu verlieren scheint – ab den frühen 80ern an die Grünen, die sie ähnlich behandelten wie heute die Linke. Während ie Grünen jedoch eine radikale Neusicht auf die politische Welt provozierten und produzierten, geht die Linke heutzutage den protektionistischen Weg zurück. Sie schüren eine – wie ich finde ‑gefährliche Hoffnung, dass man sich von den Unbillen dessen, was ich jetzt mal pauschal als »Globalisierung« bezeichne, durch entsprechende Massnahmen abschotten bzw. sich auf einer Insel zurückziehen kann. Dieser isolationistische Weg verschweigt natürlich, dass Deutschland in hohem Mass Profiteur dieser Globalisierung ist; mindestens im Moment.
Nach den beiden Landtagswahlen glaube ich, dass wir auch nach der Wahl von 2009 im Bund weiter mit einer Grossen Koalition zu tun haben werden (Merkel ist ja dafür fast wie geschaffen).
Die Linke ist sehr inhomogen, meiner Meinung nach viel inhomogener, als es die Grünen zum Zeitpunkt ihrer Gründung waren (obwohl ich darüber nicht sehr viel weiß). Es ist nicht nur der eklatante Unterschied zwischen dem Ost- und dem Westteil der Partei, sondern es gibt auch im Osten mindestens zwei, wenn nicht drei verschiedene Strömungen, die eigentlich jede für sich für eine eigene Partei reichen könnten: Arbeitslose / Rentner / DDR-Bürger im Exil, dann Realos, die praktische Politik machen und darüber hinaus auch an politischen Konzepten arbeiten, und schließlich extreme Linke / Spaßvögel / Spontis / Punks.
Natürlich ist die LINKE sehr inhomogen, aber eben auch in einem geeint: Dem bis weit in selbst konservative Kreise reichenden Unbehagen an einer mehr und mehr auseinanderdriftenden, ungerechten Gesellschaft, dem die etablierten Parteien bisher außer euphemistischen Worthülsen nichts entgegensetzen. Es ist sicher richtig, dass die Wähler der LINKEN Protestwähler sind, aber dieser Protest wird nicht wirkungslos verhallen, sondern die etablierten Parteien zwingen, sich der Gerechtigkeitsfragen anzunehmen, da Ihnen sonst der Staat mittelfristig um die Ohren fliegt. Die LINKE hat kein realistisches Programm zur Wiederherstellung gesellschaftlicher Gerechtigkeit, richtig, aber sie spricht klar aus, was die Mehrheit in der Bevölkerung empfindet. Dies allein verschafft ihr schon heute einen Stimmenanteil von über 5 %. Alle „Unzuverlässig“- und „SED-Kommunisten“-Kampagnen“ werden einen weiteren Zuwachs nicht verhindern, es sei denn, die SPD besinnt sich ihrer Wurzeln und hört mit den geradezu absurden Spielchen auf, ureigene Forderungen abzulehnen, nur weil ein Beschlussantrag von der LINKEN eingebracht wurde.
Dass das Personal der LINKEN weitgehend unbekannt ist, scheint mir nicht so außergewöhnlich. Wer kennt schon die Abgeordneten von Landtagen, wo selbst der Spitzenkandidat der Niedersachsen-SPD, Jüttner, wohl weitgehend unbekannt war
@Köppnick
Die Grünen waren Mitte/Ende der 70er Jahre bis weit in die 80er hinein mindestens zweigespalten: zwischen »Fundis«, die bspw. kategorisch Regierungsbeteiligungen ablehnten und »Realo«, die sich – kurz gefasst – komprimissbereit verhielten. Dieser »Kampf« dauerte im Prinzip bis 1985, zog sich aber bis 1990/91 hin. Danach war der »Weg frei« für Fischers realpolitischen Kurs.
@blackconti
Interessanter, kleiner Artikel in der »taz« von Christian Semler mit einem verblüffenden Fazit: Für die Armen im Geiste sind »die Linken« nichts als »die Kommunisten« unseligen Angedenkens. Für die realpolitisch denkenden Pragmatiker sind es Populisten, weil sie Versprechungen machen, die sich schlechterdings nicht einlösen lassen. Der Populismus aber, auch wenn er im linken Gewand auftritt, führe stets zu einer Stärkung der extremen Rechten, sei mithin selbst rechts.