Zur gü­ti­gen Aus­lö­schung

Delfi 02

Del­fi 02

Es muss­te ja so kom­men. Nach der an­spre­chen­den Aus­ga­be 01 mit zwei her­aus­ra­gen­den Tex­ten wirkt die zwei­te Aus­ga­be von Del­fi eher ma­ger. Wo­bei man in­di­rekt beim The­ma die­ses Hef­tes ist: Fleisch. Fleisch sei, so klin­gelt es im Edi­to­ri­al der Her­aus­ge­ber Fat­ma Ay­d­emir, Hen­g­ameh Yag­hoo­bi­fa­rah, En­ri­co Ip­po­li­to und Miryam Schell­bach, »in Wort und Sub­stanz fos­si­les Be­geh­ren. Es ist Ver­füh­rung und Pro­jek­ti­ons­flä­che.« Fleisch ist dem­nach nicht nur »ein Stück Le­bens­kraft« (© CMA-Wer­bung 1967ff), son­dern »schafft Sinn­lich­keit«. Und wei­ter heißt es, leicht heid­eg­gernd: »Fleisch ist…die Leit­me­ta­pher für den wo­gen­den, tä­ti­gen, sor­gen­den Leib der Be­ru­hi­gung, wir drücken uns an Brü­ste und le­gen den Kopf auf Schö­ßen ab.« Wie pro­gres­siv Kitsch for­mu­liert sein kann.

Mir hin­ge­gen fiel zu­nächst nur der Film von Rai­ner Er­ler aus 1979 mit dem Ti­tel Fleisch ein, in­dem es um Or­gan­han­del ging, und mit ihm be­gann die sehr lan­ge kol­por­tier­te Fa­ma vom ge­kid­napp­ten Mann aus dem Au­to oder vor dem Su­per­markt, der Stun­den spä­ter mit ei­ner gro­ßen Nar­be und oh­ne ei­ne Nie­re in ir­gend­ei­ner Ka­schem­me auf­wacht. Und nun al­so Fleisch als Mot­to, was, wenn man es nicht wüss­te, wäh­rend der Lek­tü­re ei­ni­ger­ma­ßen über­rascht. Zwar gibt es hier und da ei­ni­ge fleisch­li­che, zu­meist ho­mo­ero­ti­sche Epi­so­den (sie sind meist ähn­lich lang­wei­lig wie die Schil­de­run­gen he­te­ro­se­xu­el­len Ak­tio­nen in der deut­schen Li­te­ra­tur; wer will, kann das bei Rai­ner Mo­ritz nach­schla­gen), aber die wir­ken zum Teil ein biss­chen pflicht­schul­dig, et­wa in der Ge­schich­te um den Tod ei­ner Groß­mutter (Bur­çin Te­tik mit Se­hers Gar­ten) und den Evo­ka­tio­nen der Er­zäh­le­rin von ih­ren di­ver­sen Som­mern in Groß­mutter-Gar­ten. War­um frau dort nicht nä­her drauf- oder bes­ser noch: auf­ge­schaut hat? Die­se Groß­mutter hat mich so­fort in­ter­es­siert; sie starb viel zu früh. Scha­de.

Saya­ka Mu­ra­ta schreibt ei­ne sehr gru­se­li­ge Welt­un­ter­gangs­dy­sto­pie (Un­schäd­li­che Le­be­we­sen), in der sich die Prot­ago­ni­sten ge­gen­sei­tig aus­lö­schen und auf­es­sen, selbst­ver­ständ­lich aus rein öko­lo­gi­schen und Süh­ne-Grün­den, denn vor »et­wa tau­send Jah­ren wur­den wir als Schäd­lin­ge iden­ti­fi­ziert«. In der Ge­schich­te wird al­ler­dings kein Wein ge­reicht; nicht al­le sind so kul­ti­viert wie Han­ni­bal Lec­ter. Egal, die Ver­lockung, die Selbst­aus­lö­schungs­mis­si­on in al­len Fa­cet­ten aus­zu­klei­den ist groß, und es en­det ir­gend­wie ver­söhn­lich: »Im Be­wusst­sein, in der gü­ti­gen Um­ar­mung der end­gül­ti­gen Aus­lö­schung der Mensch­heit auf­zu­ge­hen, wur­de al­les schwarz.« Als Gu­te-Nacht-Ge­schich­te we­nig taug­lich, aber ein biss­chen hou­el­le­bec­qesk und mit klir­ren­der Prä­gnanz er­zählt.

Päd­ago­gisch wert­voll hin­ge­gen die Ge­schich­te von Me­ly Ki­yak (Herr Fried­rich trinkt Tee), in der ein Wit­wer in die Tür­kei, der Hei­mat der Apo­the­ke­rin Cey­la, die ihn über die schwe­re Zeit nach dem Tod sei­ner Frau ge­hol­fen hat­te, auf­bricht. Sehr ge­fäl­lig kommt auch die klei­ne Gro­tes­ke von Lin Hier­se (Das Huhn) da­her, in der je­mand ein Huhn für die Schwan­ger­schaft sei­ner Toch­ter be­sorgt, das ihm bzw. der Toch­ter 169 Ei­er legt und dann folgt noch ein Hüh­ner­sup­pen­re­zept »für Men­schen, die ge­ra­de ent­bun­den ha­ben«. (Na, die Poin­te er­kannt?)

Ein biss­chen weh­mü­tig wird von Da­ni­el Schrei­ber auf No­ah und des­sen bis­he­ri­ges (viel­leicht vier­zig­jäh­ri­ges?) Le­ben zu­rück­ge­blickt. Was wohl der ein­sti­ge Kunst­stu­dent zu sei­ner heu­ti­gen Ma­ler-Kar­rie­re sa­gen wür­de? Al­les klingt je­den­falls furcht­bar öde und wird auch so er­zählt. Als ein Mann im Zug ge­steht, wie sehr er sei­ne Bil­der mag, »lä­chelt er ihn kurz an. Sein Lä­cheln sagt, dass er ge­ra­de mit nie­man­dem spre­chen kann.« Dar­auf erst mal ei­nen Schwei­ne­bra­ten.

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